Titel
Elly Heuss-Knapp. Gründerin des Müttergenesungswerkes. Eine Biographie


Autor(en)
Goller, Alexander
Erschienen
Köln 2012: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
234 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin R. Wolff, Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung

2012 ist im Böhlau-Verlag eine erste ausführliche Biographie zu Elly Heuss-Knapp erschienen. Der Autor, Alexander Goller, geht chronologisch vor und entfaltet ein weibliches bürgerliches Leben zwischen Kaiserreich und Nachkriegszeit. Sein besonderes Augenmerk richtet er dabei auf die starke soziale Prägung, die er als „zentrales Element ihrer Persönlichkeit“ ausgemacht hat. So bietet sich Heuss-Knapp an, „der nötigen wissenschaftlichen Aufarbeitung des bundesdeutschen Sozialstaates mit dieser Abhandlung ein menschliches Antlitz hinzuzufügen“ (S. 9/10).

In der methodischen Einleitung macht der Autor seinen Zugang zur historischen Biographie deutlich, in der „zwar das Individuum als Handlungsträger im Zentrum des Interesses [steht], allerdings in Form einer konsequenten Analyse seiner Bezüge zur Umwelt“ (S. 11). Der Autor verschreibt sich ein durchaus anspruchsvolles Programm, in dem er in seine Untersuchung „die Sozialgeschichte der Kindheit, die Erziehungs- und Bildungsgeschichte und die Familiengeschichte bürgerlich-akademischer Familien […] die Politikgeschichte [sowie] psychologische Aspekte […] der Lebenserfahrungsgeschichte, der Mentalitätsgeschichte, der historischen Verhaltensforschung, der Geschichte der Geschlechterrollen, sowie der Geschichte des Körpers und der Sinneswahrnehmungen“ integrieren möchte (S. 12). Als Quellen stehen ihm private Briefe und Aufzeichnungen sowohl der Protagonistin als auch ihr nahe stehender Menschen, eigene Veröffentlichungen und – „als Krönung ihres sozialpolitischen Engagements“ (S. 22) – Akten des Müttergenesungswerkes zur Verfügung.

Eleonore (später Elly) Elisabeth Knapp wurde am 25. Januar 1881 in Straßburg als zweite Tochter des Nationalökonomieprofessors Georg Friedrich Knapp und seiner Frau Lydia Knapp geboren. Die Mutter war zeitlebens sehr krank, so dass Elly vor allem den Vater als Bezugsperson erlebte. Goller schildert das Eingebundensein der Professorentochter in einen klassisch bildungsbürgerlichen Haushalt mit seinen spezifischen Ausbildungswegen, Wohn- und Lebensformen. Dabei verweist er mehrfach auf die geschlechtsspezifische Rollenverteilung, die gerade im Bürgertum von Männern und Frauen gelebt wurde und kommt anschließend zum Ausbau der Sozialpolitik im Kaiserreich, die er als Triebfeder des Handelns von Elly Knapp definiert.

Es folgt ein Kapitel zum Vater – Georg Friedrich Knapp –, den verschiedenen Kathedersozialisten im Verein für Socialpolitik, und vor allem zum Einfluss von Friedrich Naumann (Sozialpolitik) und Albert Schweizer (Theologie). Durch Alice Salomon lernte Elly Heuss-Knapp sowohl deren Mädchen- und Frauengruppen kennen, als auch die bürgerliche Frauenbewegung, der sie sich aber nicht anschloss. Trotzdem blieb sie am Rande immer mit der Bewegung verbunden, hielt Vorträge in verschiedenen Frauenvereinen, arbeitete bei Projekten mit und sprach auf dem Frauenkongress 1912 zum Thema: Reform der Hauswirtschaft.1

Im Ersten Weltkrieg leitete Heuss-Knapp in Heilbronn den städtischen Ausschuss, der für Hilfsmaßnahmen für Frauen zuständig war. Sie organisierte eine Nähstube, in der Frauen Arbeit fanden und verteidigte diese Möglichkeit des Gelderwerbs für Frauen in den nächsten Jahren erfolgreich. Ab März 1917 übernahm sie die Leitung in der Frauen-Melde-Stelle des Roten Kreuzes, bis sie im März 1918 mit ihrem Mann, Theodor Heuss, den sie 1908 geheiratet hatte, nach Berlin zog.

In der Weimarer Republik kandidierte sie für die DDP – erfolglos – und engagierte sich stark in der sozialen Ausbildung. So trat sie 1923 in die Ausbildungsstätte für Gemeindepflegerinnen im Burckhardt-Haus in Berlin-Dahlem ein, lehrte an der Sozialen Frauenschule und am Pestalozzi-Fröbel-Haus, publizierte in verschiedenen Zeitschriften und schuf sich damit ein typisches weibliches bürgerliches Berufsfeld, welches stark vom Ausbau und der Professionalisierung der Sozialarbeit und dem Arbeitsstil der bürgerlichen Frauenbewegung geprägt war.

Der Beginn des Nationalsozialismus beendete die sozialen Tätigkeiten von Heuss-Knapp schlagartig und das Problem der Familienernährung trat in den Vordergrund, da Theodor Heuss alle seine Posten verloren hatte. Sie tat dies mit Radio-Werbung und konnte so die Familie bis 1945 durchbringen. Nach 1945 änderte sich die Situation für Heuss-Knapp wieder schlagartig, denn Theodor Heuss kehrte in die Politik zurück und stieg schnell auf. Auch Elly Heuss-Knapp ging in die Politik und errang ein eigenes Landtagsmandat in Württemberg-Baden, wo sie für die liberale Partei antrat. Einen entscheidenden Impuls bekam das Leben von Elly Heuss-Knapp 1949, als sie als erste ‚First Lady‘ die Zusammenarbeit mit Antonie Nopitsch aufnahm, die in Bayern einige Müttererholungsheime aufgebaut hatte und nun versuchte, diese Idee auf die gesamte Bundesrepublik auszuweiten. Die Zusammenarbeit dieser beiden Frauen führte schließlich zur Gründung des Müttergenesungswerkes und der dazugehörenden Elly-Heuss-Knapp-Stiftung, die das finanzielle Startkapital zusammenbrachte. Durch Radiobeiträge und Haussammlungen konnte das Genesungswerk seine erfolgreiche Arbeit aufnehmen. Elly Heuss-Knapp starb am 19. Juli 1952 an einem Herzleiden im Alter von 71 Jahren.

Der Anspruch des Autors, seine Protagonistin konsequent in ihrer Beziehung zu ihrer Umwelt zu analysieren führt leider dazu, dass Heuss-Knapp erst spät als eigenständig handelnde und denkende Person deutlich wird, davor dominieren die sie beeinflussenden Männer ihre Biographie (vor allem ihr Vater, ihr Ehemann, Friedrich Naumann und Albert Schweitzer). Sie wird häufig lediglich als Folgende, nicht als Agierende dargestellt, so wenn Goller schreibt, dass sich Heuss-Knapp am neuen Pflegesystem von Schwander „beteiligt“ (S. 69/70), oder deutlich macht, dass es der Vater war, der ihr ihr Engagement ermöglichte und Naumann, der ihr das Problembewusstsein dazu verlieh (S. 74). Es ist selbstverständlich, dass andere Menschen immer einen entscheidenden Anteil an der Formierung eines Lebensweges haben, es ist aber erstaunlich zu sehen, dass hier durch die Darstellung des Autors geschlechtsspezifische Vorstellungen über ein weibliches Leben ungefiltert in den Text fließen. Darüber hinaus fokussiert der Autor so stark auf die soziale Prägung seiner Protagonistin, dass er andere Lebens- und Arbeitsfacetten nur sehr begrenzt wahrnimmt. So ist es mehr als merkwürdig, dass Goller zum Beispiel nicht auf die Studienzeit von Heuss-Knapp zu sprechen kommt, die sie als eine der ersten Studentinnen ab 1905 in Freiburg verlebte. „Ich stehe in der Sonne und fühle meine Flügel wachsen“2 schrieb sie am 17. Juli 1905 an Walter Leonie, einem Straßburger Freund und formulierte hier sehr präzise ihr selbständig Werden, ihr Herauswachsen aus den Straßburger Kreisen. Auch die Zeit des Nationalsozialismus, in der sie zur alleinigen Familienernährerin wurde, wird vom Autor lediglich auf elf Seiten abgehandelt. Von ihrer Berufstätigkeit – für welche Firmen machte sie Werbung, in welcher Art? – weiß der Autor nichts zu berichten. Nichts davon, dass sie ab 1936 sogar Reklamefilme für Nivea- oder Milupa Produkte drehte und als eine der wichtigsten Reformerinnen der deutschen Werbung galt.3 Warum aber verschweigt er diese Tätigkeit? Passt diese selbstständige, sich überhaupt nicht um soziale Belange kümmernde Heuss-Knapp nicht in das Konzept der sozial tätigen Frau?

Auch die spannungsreiche Beziehung von Heuss-Knapp zur bürgerlichen Frauenbewegung wird viel zu wenig ausgeleuchtet und diskutiert. Der Autor verlässt sich auf die ablehnenden Aussagen seiner Protagonistin (und deren Ehemann) zur bürgerlichen Frauenbewegung, ohne diese einzuordnen und zu interpretieren. Dabei wäre dies ein spannender Punkt gewesen, denn Heuss-Knapp übernahm offensichtlich Arbeitskonzepte und -themen der Frauenbewegung und versuchte diese in ein protestantisches Arbeitsumfeld zu integrieren bzw. arbeitete bei der Fortentwicklung dieser Konzepte aktiv mit. Dabei geht es um mehr als lediglich das soziale Abfedern gesellschaftlicher Probleme, hier geht es um das aktive Herstellen eines professionellen weiblichen Berufsfeldes. Der Blick auf Heuss-Knapp als Protagonistin der sozialen Arbeit ist zwar spannend und sicher auch für das Leben von Heuss-Knapp prägend, allerdings sollte hier nicht übersehen werden, dass dahinter eine Struktur sichtbar wird, die als typisches weibliches bürgerliches Lebensmodell gedeutet werden kann. Dass dieses Konzept eine klare Arbeits- und Thementeilung zwischen den Geschlechtern vorsah, liegt in der Geschlechterpolarität dieses Lebenskonzeptes begründet. Dieses für eine aktive Bürgerin des 20. Jahrhunderts aus zu buchstabieren, eventuell sogar die Ehe der Heussens als bürgerliche Normalehe zu beleuchten, wäre ein sehr lohnendes Unterfangen gewesen.

Anmerkungen:
1 Elly Heuss-Knapp, Reform der Hauswirtschaft, in: Gertrud Bäumer (Hrsg.), Der Deutsche Frauenkongreß, 27.2.–2.3.1912. sämtliche Vorträge, Leipzig 1912, S. 6–11.
2 Margarethe Vater (Hrsg.), Bürgerin zweier Welten, Elly Heuss-Knapp. Ein Leben in Briefen und Aufzeichnungen, Tübingen 1961, S. 48.
3 Siehe: Ernst Wolfgang Becker, Theodor Heuss. Bürger im Zeitalter der Extreme, Stuttgart 2011, S. 90.

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