St. Laube: Fest, Religion und Erinnerung

Titel
Fest, Religion und Erinnerung. Konfessionelles Gedächtnis in Bayern von 1804 bis 1917


Autor(en)
Laube, Stefan
Reihe
Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 118
Erschienen
München 1999: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
CIV + 440 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nils Freytag, Historisches Seminar, Universität München

Angesichts der mittlerweile weitverästelten historischen Festkulturforschung überrascht es, daß konfessionelle Feiern und Jubiläen bisher so stiefmütterlich behandelt worden sind, zumal Religion gerade im öffentlichen historischen Gedenken sichtbar wird. Diesem Forschungsfeld widmet sich Stefan Laube in seiner Dissertation am bayerischen Beispiel des 19. Jahrhunderts nun erstmals systematisch, indem er katholische und evangelische Jubiläen von Heiligen- und Bistumsjubiläen über Papstgedenken bis hin zu Reformations-, Gustav-Adolf- und Lutherfesten untersucht. Laube ordnet sein umfangreiches archivalisches und gedrucktes Quellenmaterial in fünf chronologischen Abschnitten um die entwicklungshistorische Problemstellung der Steuerung und Disziplinierung von Massenreligiosität (S. 12f.).

Eine erste Phase vom Augsburger Afrajubiläum (1804) bis zum Reformationsgedenken von 1830 stellt Laube unter das Signum "religiöser Erneuerung" nach dem epochalen Umbruch von Säkularisation und Mediatisierung. In der Regel von unten angeregt, begründeten beide Kirchen ihre feierlichen Ambitionen den bayerischen Behörden gegenüber mit festverwurzelten Traditionen sowie mit der seit 1818 verbrieften Religionsfreiheit. Ein markanter Unterschied zwischen katholischen und protestantischen Jubiläen lag dabei in dem Stellenwert, den die Geistlichkeit ihnen einräumte: Für viele evangelische Pfarrer waren Reformationsgedenken einzigartiger Gipfel konfessioneller Erinnerung, während es zahlreiche regionale katholische Heiligenjubiläen gab. Die jüngere kirchliche Tradition bedurfte offenbar einer intensiveren Historisierung, die sich immer wieder in zahlreichen Predigten und Flugschriften niederschlug. Über die gebildete Vermittlung der jeweiligen Konfessionshistorie hinaus war die Selbstdarstellung in Prozessionen oder Umzügen beiden Konfessionen selbstverständlich. Gelegentlich aber verzichteten protestantische Gemeinden auch auf öffentliche Inszenierungen, um die Spiritualität der eigenen Religiosität zu betonen: Diese Rücksicht nach außen korrespondierte dann mit einer intensiven Entfaltung liturgischer Traditionen nach innen.

Das Jubiläumsjahrzehnt bis zur Revolution von 1848/49 sieht Laube von der platzgreifenden Rekonfessionalisierung bestimmt. Die protestantische Erinnerungspraxis dokumentiert er am 300. Todestag Luthers (1846), aus dessen Anlaß staatlich nicht genehmigte Feiern in Nürnberg, Erlangen und Fürth stattfanden. Hierbei veranschlagt Laube die politische Motivation der vormaligen Reichsstadt Nürnberg zur konfessionellen Renitenz - mitgetragen vom Magistrat - gegen die bayerische Landesherrschaft zu gering; in den neubayerischen Gebieten trugen zuallererst Pastoren und konfessionsbewußte Honoratioren den Protest. Hinzu trat als wichtiges Element der Appell an nationale Leidenschaften, wie beim Bonifatiusfest in Neustadt an der Saale (1841), an dem Ludwig I. noch ganz unter dem Eindruck der Rheinkrise teilnahm. Seine Anwesenheit war eine große Ausnahme, hielten sich bayerische Könige und Regenten bei öffentlich-kirchlichen Auftritten doch ansonsten sehr zurück. Was Laube ein wenig unterschätzt, sind Ansätze einer nationalen Ökumene, gerade wenn man sich des romantisch inspirierten Engagements Ludwigs I. und Friedrich Wilhelms IV. zugunsten des Kölner Doms erinnert. Dies mag als Signal gelten, daß die Nationsidee zumindest gleichrangig neben das konfessionelle Bekenntnis trat.

Eine dritte Phase siedelt Laube zwischen 1869 und 1881 an, in der er katholische Gedenken - Prozessionen, Papstjubiläen und Heiligenfeste - analysiert. Dabei wird zu Recht hervorgehoben, daß die nachrevolutionäre Vereins- und Versammlungsgesetzgebung beiden Kirchen neue Spielräume eröffnete, aber auch Konfliktpotential heraufbeschwor. Entscheidend war in diesem rechtlichen Kontext der elastische Begriff der "Herkömmlichkeit", welcher religionspolitischen Sprengstoff in sich barg. Er bot dem Obrigkeitsstaat der Reaktions- und Kulturkampfära eine hervorragende Plattform, um mißliebige kirchliche Veranstaltungen zu verbieten. Nationale Leidenschaften überlagerten kirchliche Feiern nun auch in Bayern endgültig, denn die Kontroverse zwischen Nation und Konfession prägte während des Kulturkampfs nahezu jede katholische Veranstaltung. Die seit dem Pontifikat Pius' IX. begangenen Papstjubiläen geronnen in Bayern ebenso wie Wallfahrten und Fronleichnamsprozessionen zur konfessionspolitischen Massendemonstration gegen Staat und Verwaltung. Gerade das Beispiel der Papstjubiläen belegt, wie sehr am Horizont die Konturen einer Personalisierung auch kirchlicher Feiern mittlerweile aufschienen. Freilich lassen sich Reichweite und Grenzen einer Einhegung von Massenreligiosität wohl noch griffiger an jenen Veranstaltungen erkunden, die nicht von oben inszeniert wurden. Zu denken ist etwa an die vielen spontanen Wallfahrten im Umfeld der zahlreichen Marienerscheinungen jenes Jahrzehnts, die eben auch gegen den ausdrücklichen Widerstand des katholischen Pfarrklerus stattfinden konnten.

Für den Zeitraum zwischen Luthers 400. Geburtstag (1883) und dem 40jährigen Priesterjubiläum Pius' X. (1908) stellt Laube eine regelrechte Schwemme konfessioneller Jubiläen fest, was er mit dem Bedürfnis nach Orientierung in einer Epoche beschleunigter Modernisierung und der Ausprägung sozialmoralischer Milieus erklärt. Historische Erinnerung wurde nun im kirchlichen Bereich immer stärker personalisiert: Waren zunächst noch Ereignisse und Institutionen gedenkenswert, so rückten jetzt historische Figuren und katholische Heilige ins Zentrum wilhelminischer Feierwut. Gleichzeitig entfaltete damit die in das historische Personal projizierte bürgerliche Tugendhaftigkeit eine große Reichweite. Sie gipfelte in der mythisch-männlichen Verklärung Luhers, Gustav Adolfs oder zahlreicher katholischer Heiliger, wobei die von vielfältigen Laieninitiativen und Festkomitees getragenen Feiern immer stärker in religiösen und weltlichen Teil auseinanderdrifteten.

Die letzte Phase während des Ersten Weltkriegs ist rasch umrissen. Das Reformationsjubiläum von 1917 stand ganz im Zeichen eines konfessionellen "Burgfriedens" und unter dem alles überwältigenden Eindruck von Krieg und massenhaftem Tod. Weder staatliche Restriktionen noch offener konfessioneller Zwist begleiteten das Gedenken, und das, obwohl der Weltkrieg immer wieder mit dem Dreißigjährigen Krieg parallelisiert wurde. Die Erinnerung an den Glaubenskrieg des 17. Jahrhunderts sollte den Gemeinden offensichtlich helfen, auch in aussichtsloser Lage auf einen Erfolg zu hoffen. Die durch ein intensives Engagement außerkirchlicher Einrichtungen getragenen Gedenken richteten sich allerdings stärker nach innen; es gab kaum öffentliche Umzüge.

Einmal abgesehen vom oft überbordenden Anmerkungsapparat, der den Lektüregenuß ebenso mindert wie die sprachliche Verkomplizierung von Sachverhalten, hinterläßt die Untersuchung einen zwiespältigen Eindruck. Wenn Laube die konfessionellen Jubiläen einesteils als "Seismographen des politischen Zeitgeistes" (S. 419) versteht, dann sind die Lücken nach der Julirevolution von 1830, der Reaktionsepoche sowie des Jahrzehnts zwischen 1908 und 1917 bedauerlich. Zudem werden Unterschiede zwischen katholischen und protestantischen Gedenken kaum herausgearbeitet, was daran liegen mag, daß die jeweiligen Jubiläen oft weit auseinanderlagen. Beiden Einwänden hätte etwa durch eine Analyse der Haltungen beider Konfessionen zu nationalen Feiern abgeholfen werden können. Zudem bestätigt die Studie über weite Strecken lediglich Bekanntes, was Laube selbst einräumt (S. 420), und differenzierte Antworten auf die Fragen nach Steuerung und Disziplinierung von Massenreligiosität bleiben leider auch aus. Andernteils bietet er erstmals eine Zusammenschau konfessioneller Jubiläen im 19. Jahrhundert und fügt diese durchaus plausibel in epochale sozialgeschichtliche Entwicklungen ein. Gerade in Phasen verstärkter weltanschaulicher Konfrontationen - in Bayern die Ära Abel, der im Vergleich zu Preußen zurückhaltender geführte Kulturkampf und die 1890er Jahre - offenbart sich der Zugewinn des Blicks auf Funktionen konfessionell-historischer Gedächtnisse.

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