D. Zhenglai (Hrsg.): Globalization and Localization

Cover
Titel
Globalization and Localization. A Chinese Perspective


Herausgeber
Zhenglai, Deng
Reihe
Series on Developing China Translated Research from China 3
Erschienen
Anzahl Seiten
259 S.
Preis
€ 71,12
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Dominic Sachsenmaier, School of Humanities & Social Sciences - SHSS/ Modern Asian History, Jacobs University

Bei „Globalization and Localization. The Chinese Perspective“ handelt es sich um den dritten Band einer Publikationsreihe, die explizit darauf abzielt, neue Ansätze aus den chinesischen Geistes- und Sozialwissenschaften einem internationalen Publikum zugänglicher zu machen. Dies gilt insbesondere für die recht dichte akademische Literatur, welche in den vergangenen Jahrzehnten die massiven Umwälzungen Chinas begleitete - teilweise in enger Kooperation mit Führungskräften aus anderen Sektoren. Der Herausgeberkreis dieser Reihe („Series on Developing China - Translated Research from China“) vertritt die These, dass Wissenschaftler und öffentliche Intellektuelle bei der Genese des sogenannten „chinesischen Modells“ eine entscheidende Rolle spielten. So sei beispielsweise ihre Funktion als Vermittler internationaler Ansätze und Perspektiven von großer Bedeutung gewesen. Dies sei ein weiterer Faktor für die Fähigkeit Chinas, nun einen neuen Weg zwischen internationalen Einflüssen, lokalen Kontinuitäten und neuen Experimenten zu beschreiten. Dieser Weg habe auch viele theoretische Ansätze zu wichtigen Aspekten der Globalisierung hervorgebracht – Ansätze, die bisher jedoch im Westen weitgehend ignoriert wurden.

Der vorliegende Band zum Thema „Globalisierung und Lokalisierung“ versammelt einen erlauchten Kreis von Sozialwissenschaftlern, welche mit wenigen Ausnahmen an chinesischen Universitäten lehren. Das Buch ist in drei Hauptteile geteilt, von denen im ersten drei Philosophen (Tong Shijun, Chen Lai und Wan Junren) einigen theoretischen Rahmenfragen zum Zusammenspiel von Globalisierung und Lokalisierung nachgehen. Themenkreise wie die Frage nach Homogenisierung und Pluralisierung oder der Gedanke der „Multiplen Universalismen“ werden teilweise unter sehr frischen Gesichtspunkten diskutiert und mit neuen Inhalten gefüllt.

Im zweiten Teil suchen Deng Zhenglai, Yu Keping, Zhao Tingyang und ZhangXudong chinesische Sichtweisen und Deutungsmuster der Globalisierung zu entwickeln, beziehungsweise die epistemologischen Möglichkeiten hierzu kritisch zu untersuchen. Der dritte Teil widmet sich mit Fallstudien dem Spannungsverhältnis zwischen Globalisierungs- und Lokalisierungsprozessen in China. Mit Blick auf die zunehmende Internationalisierung des Landes erörtern Wang Hui, Cheng Yung-nien, Ma Guoqing sowie (in einem gemeinsam verfassten Beitrag) Guanghua Wan, Ming Lu und Zhao Chen Probleme wie regionalspezifische Identitäten, wirtschaftliche Strukturen oder Wohlstandsgefälle innerhalb Chinas.

Ähnlichen Fragestellungen widmet sich auch der Beitrag Deng Zhenglais, eines Staats- und Rechtstheoretikers am Institut für Höhere Studien in den Sozialwissenschaften an der Fudan Universität. Ausgehend von den Potentialen der chinesischen Rechtsphilosophie skizziert Deng in seinem Beitrag - ebenso wie in der Einleitung zu dem gesamten Band - Perspektiven für die Zukunft Chinas und seiner globalen Verflechtungen. Der chinesische Weg der vergangenen Jahrzehnte, so Deng, zeige, dass rapide wirtschaftliche Entwicklung möglich sei, und damit verbunden auch die Verschiebung geo-ökonomischer Zentren. Dennoch blieben breite Facetten der gegenwärtigen Weltordnung vom Westen dominiert - zum Beispiel auf der Ebene internationaler Rechtsnormen, global operierender Institutionen sowie der allgemeinen Richtung intellektueller Ströme. Ein breites Spektrum gegenwärtiger akademischer Denkrichtungen zur nationalstaatlichen Souveränität lasse derartige globale Machtstrukturen außer Acht.

Laut Deng können jedoch Chinas Alternativen für die Zukunft weder in Anpassung noch Abschottung liegen, sondern allein in der aktiven Umgestaltung der gegenwärtigen globalen Ordnung samt ihrer Grundlagen. Deng betont in diesem Zusammenhang, dass viele Facetten westlicher Suprematie schon lange nicht mehr Folge direkter Machtausübung seien, sondern vielmehr ganz entscheidend von der Bereitschaft seitens Gesellschaften wie China abhingen, sich in entsprechende globale Strukturen und den ihnen zugrunde liegenden intellektuellen Deutungsmustern zu fügen. Bei aller Suche nach Alternativen mahnt Deng, dass China es sich keineswegs leisten könne, einer Strategie des globalen und lokalen „trial and error“ zu folgen. Hierzu seien alleine die umweltpolitischen und anderen Grenzen der - so Deng nach Ulrich Beck – „Weltrisikogesellschaft“ zu eng gesteckt. Schon allein aufgrund der fragilen globalen Rahmenbedingungen seines wirtschaftlichen Aufschwungs dürfe China seinen zukünftigen Weg durch die Welt nicht alleine machtpolitisch definieren, sondern müsse sich auch von ethisch-normativen Gesichtspunkten leiten lassen.

Auch in den anderen Artikeln werden die Möglichkeiten von Lokalisierung und Lokalismen keinesfalls als Programm einer Abschottung vom Westen und anderen Erdteilen erörtert. Am ehesten durchdrungen von der Annahme zeitloser kultureller Konstanten bleibt das Kapitel des Pekinger Philosophen Zhao Tingyang, der die potentielle Bedeutung konfuzianischer Werte bei der Suche nach neuen globalen und regionalen Ordnungen unterstreicht. Dabei ist es sicherlich wichtig, innerhalb der Philosophie auch mit außerwestlichen Denksystemen der Frage nach den ethischen Grundlagen einer Welt jenseits des Nationalismus und des Internationalismus nachzugehen. Doch bleiben Zhaos Thesen zu kulturellen Eigenheiten Chinas und des Westens auf beiden Seiten oftmals recht stereotypisierend. Auf die Komplexität der Frage, mit welchen Attributen Chinas Kultur und Gesellschaft heute versehen werden können, macht unter anderem Zhang Xudong (New York University) in seinem Beitrag aufmerksam.

Wie Yu Keping (Peking) in seinem kritischem Überblick über aktuelle politikwissenschaftliche Debatten zu Themen der Globalisierung zeigt, gehen viele wichtige Deutungsmuster in China eher von globalen und lokalen Wandlungsprozessen als von lokalen Kontinuitätsräumen aus. Yu betont vor allem das steigende Interesse an den Ambivalenzen der Globalisierung wie zum Beispiel den Zusammenhängen zwischen globaler ökonomischer Vernetzung und der zunehmenden Ausprägung spezifischer, regional umgrenzter Wirtschaftsmodelle. Dass diese nicht unbedingt national einheitlich sein müssen, unterstreicht Cheng Yung-nien (Singapur), indem er in seinen Thesen zur Genese des chinesischen Modells die regionalen Unterschiede Chinas hervorhebt. China sei geprägt von verschiedenen ökonomischen Teilregionen wie etwa Zhejiang oder der Perlenfluss- und das Yangtzedelta, welche allesamt spezifische wirtschaftliche Muster und eigene Verflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft aufwiesen. Auch der Pekinger Literaturwissenschaftler Wang Hui betont, dass die Muster der chinesischen Vergangenheit keineswegs einen horizontal integrierten Raum gebildet hätten. Vielmehr habe China von jeher eine Gesellschaft verschiedentlich verwobener kultureller, politischer und wirtschaftlicher „Intra-Systeme“ dargestellt. Wang sieht in entsprechenden theoretischen Ansätzen eine vielversprechenden Weg dazu, Themen wie die Frage nach der Stellung Tibets anzugehen, welche vor allem seit dem Aufkommen moderner Nationalismen im 20. Jahrhundert mit neuer politischer Brisanz gefüllt wurden.

Zusammenfassend gesprochen, bietet der Band wichtige Einblicke in die interdisziplinärgeführten akademischen und teilweise auch öffentlichen Debatten zur Zukunft Chinas im Zeitalter der Globalisierung. Für weniger mit China vertraute Leser mag auffällig sein, dass die intellektuellen Referenzpunkte der einzelnen Beiträge nahezu ausschließlich auf China und den Westen beschränkt bleiben. Während sich die Autoren des Bandes teilweise ausführlich mit Denkern wie zum Beispiel Habermas oder Rawls auseinandersetzen, bleiben Ansätze aus Südasien, Afrika oder Lateinamerika recht marginal. Dieses Gefälle ist den Autoren nicht nur bewusst, sondern bildet auch einen zentralen Gegenstand der in verschiedenen Beiträgen artikulierten Kritik an einer stark vernetzten, jedoch weiterhin vom Westen dominierten Welt, innerhalb derer sich China neu verorten müsse.

Ein Manko des Bandes sind die teilweise schwerfälligen englischen Übersetzungen der einzelnen Kapitel; auch ist der Index mit seinen etwa 25 Einträgen durchaus noch ergänzungs- und verbesserungswürdig. All dies ändert jedoch nichts an der Qualität der Beiträge und der Stellung ihrer Autoren innerhalb der wissenschaftlichen Landschaften Chinas. Der Band fügt sich gut in eine wachsende Reihe englischsprachiger Übersetzungenjüngerer chinesischer Publikationen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es bleibt zu hoffen, dass derartige Übersetzungen auch von einem Fachpublikum jenseits der Grenzen von Sinologie und Chinaforschung rezipiert werden.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/