: Der endlose Weg der Utopie. Eine kritische Untersuchung zur Geschichte, Konzeption und Zukunftsperspektive utopischen Denkens. Darmstadt 2001 : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 3-534-15640-4 621 S. € 49,90

: Utopica. Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit. München 2001 : Orbis Verlag, ISBN 3-572-01238-4 328 S. € 9,95

: Pribers Paradies. Ein deutscher Utopist in der amerikanischen Wildnis. Frankfurt am Main 2000 : Eichborn Verlag, ISBN 3-8218-4193-1 340 S. € 27,50

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Dr. Volker Ackermann, NRW Hauptstaatsarchiv/Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Wolf Biermann vermutete nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaftssysteme in Europa, das groß angelegte Tierexperiment am lebendigen Menschen sei beendet. Der real existierende Sozialismus verstand sich als Verwirklichung des seit dem 19. Jahrhundert entwickelten utopischen Projekts einer auf Gemeineigentum gegründeten Gesellschaft, die Wohlstand, Glück und menschliche Vervollkommnung versprach. Mit der Wende von 1989 hat die auch schon zuvor geführte Diskussion um Begriff, Bedeutung und Zukunft und des utopischen Denkens an Aktualität gewonnen. Während Joachim Fest 1991 mit seinem kleinen Buch 'Der zerstörte Traum' Utopien generell unter Totalitarismusverdacht gestellt und das Ende des utopischen Zeitalters ausgerufen hat, bemüht sich Deutschlands profiliertester Utopie-Forscher Richard Saage um den Nachweis, dass nach 1989 lediglich die autoritär-etatistische Linie des utopischen Denkens an ihr Ende gekommen sei, und dass man immer noch Utopien brauche, um die Probleme des 21. Jahrhunderts lösen zu können.

1. Theologische Ehrenrettung utopischen Denkens

Ausdrücklich Stellung in dieser Kontroverse bezieht nur das erste der anzuzeigenden Bücher: 'Der endlose Weg der Utopie. Eine kritische Untersuchung zur Geschichte, Konzeption und Zukunftsperspektive utopischen Denkens.' Es ist ein typisch akademisches Erzeugnis, entstanden an der Augustana (Theologische Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Neuendettelsau) und erschienen 2001 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Edition Universität. Offensichtlich hat kein Lektor dem Autor Friedemann Richert geraten, seine durchweg klugen Bemerkungen in ein menschenfreundliches Deutsch zu übersetzen. So muss man denn eine dickleibige Dissertation von 621 Seiten mit sage und schreibe 2.385 Anmerkungen durchackern (Anmerkung 2117 umfasst knapp zwei Seiten!) und eine etwas gestelzt wirkende Gelehrsamkeit ertragen; es wimmelt nur so von 'sponte suae'' ,per se', 'sive' und ,via', und leider spielt Richert auch häufig den semantischen Joker 'qua' aus: "Auf diese Weise gewinnt Lyotards ästhetische Utopie eine formale Rahmenfunktion für gesellschaftliches Bewußtsein, dessen inhaltliche Füllung aber nur via negationis qua Auschwitz auszumachen ist." (S. 344). Hochtrabende Formulierungen wie diese liebt der Autor ebenso sehr wie das 'Würdigung' genannte Verteilen von Zensuren an die von ihm besprochenen Denker Ernst Bloch, Jürgen Habermas, Hans Jonas, Robert Spaemann, Jean-Francois Lyotard sowie Karl Popper. Letzterer etwa wird schroff abgekanzelt: er habe die Gefahren von Atomkraftwerken oder der Gentechnologie nicht erkannt, und überhaupt sei sein Utopiebegriff "reduktionistisch-defizitär" (S. 398). Schlimm ergeht es auch Friedrich-Wilhelm Marquardt, der 1997 den bisher einmaligen Versuch unternommen hat, eine theologische Utopie zu entwerfen: sein Utopiebegriff sei "zu wenig reflektiert", er nehme keine Kenntnis vom politologischen, philosophischen und geschichtswissenschaftlichen Utopiediskurs der Gegenwart, und schließlich unterschlage er die "Ambivalenz menschlichen Lebens" (S. 558).

Gute Noten dagegen erhält Joachim Fest: seinen Argumenten könne "schwerlich widersprochen" werden, und nach der Lektüre seiner Bücher werde es auch einem Befürworter utopischen Denkens schwerfallen, zumindest das totalitäre Utopiepotential in Abrede zu stellen (S. 399). Aber zu einer entschiedenen Abkehr vom utopischen Denken mag Richert sich denn doch nicht durchringen. Als Ausdruck menschlichen Sehnens und Hoffens gehöre es auch weiterhin zum Kernbestand zumindest der westlichen Welt, versichert er, um sogleich eine wichtige Einschränkung zu machen: die Utopie sei nämlich auf die Theologie verwiesen. So lautet das Ergebnis seines mit Platon beginnenden Ganges durch die Utopiegeschichte, der über die Diskussion neuerer Utopieentwürfe in der Philosophie und über die neuere Kritik am utopischen Denken in der Frage gipfelt, wie das Verhältnis von Utopie und Eschatologie zu bestimmen sei.

Letzte und ernste Dinge werden also verhandelt. In allen utopischen Entwürfen geht es darum, entweder durch genetische Manipulation oder durch Pädagogik - manchmal auch durch eine Kombination von beiden - einen 'neuen Menschen' zu schaffen, der nicht auf eine göttliche Macht angewiesen ist, sondern allein aus seiner eigenen Kraft die Welt vernunftgemäß gestaltet. Dies steht in krassem Widerspruch zur christlichen Lehre von der Erbsünde und vom Reich Gottes, das eben nicht so detailliert ausgemalt werden soll, wie es viele Utopisten mit ihren Wunschräumen und Wunschzeiten getan haben. Im Hinblick auf die göttliche Gestaltungsfreiheit bleibt ja ganz bewusst offen, wann und wie Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Not und Leid ein Ende haben werden. Kein 'homo faber' erschafft daher eine neue Welt, sondern lediglich ein "cooperator Dei" tritt für ein besseres menschliches Zusammenleben ein. Im Gegensatz zur Utopie sieht Eschatologie stärker die Ambivalenz der menschlichen Natur und weicht auch dem Problem des Todes nicht aus. Kritisch steht es der These gegenüber, Geschichte sei machbar und bewege sich auf ein bestimmtes Ziel hin. Oder in den Worten Richerts, die ganz offenkundig nur von wenigen verstanden werden wollen: "Eschatologisch informierte Praxis, die glaubt, das Telos der Geschichte tragen zu können, ist apokalyptischer Chiliasmus, der destruiert und nicht befreit." (S. 516).

Drei Kardinalfehler kreidet Richert dem utopischen Denken an: 1. es setzt ganz auf die autonome Vernunft und gibt ihr einen allgemeinen Geltungsanspruch, 2. es rechnet nicht mit menschlichen Pathologien, Affekten und Trieben, und 3. ist es auf einen unveränderbaren Endzustand fixiert. Wenn utopisches Denken überleben will, muss es alle drei Grundannahmen über Bord werfen und gewissermaßen bei der Theologie in die Schule gehen. Die autonome muss durch eine christlich konzipierte Vernunft ersetzt werden, das statische durch ein bewegliches Ideal von Gesellschaft. Dieses 'bewegliche Ideal' ist, und das kommt einigermaßen überraschend, der demokratische Verfassungsstaat. Im demokratischen Verfassungsstaat - der allerdings deutlich vom Reich Gottes als der besten Form gelingender Vergesellschaftung unterschieden bleiben soll - sieht Richert die plausibelste Rahmengröße für politisches Handeln; an ihm sollen sich daher utopische Visionen und Inszenierungen orientieren: "Utopie wird so zu einem reflexiv-diskursiven Geschehen in Bezug zum Verfassungsstaat, das thematisiert, ausspricht und in Bilder kleidet, was via Sozialkritik [warum nicht 'qua'?] als je notwendig erkannt wird." (S. 592). Bemerkenswert ist dieser Satz insofern, als die Kritik am demokratischen Parteienstaat und am Parlamentarismus zu einem Topos der Utopietradition gehört. Erinnert sei hier an einen Kultautor der grün-alternativen Bewegung, den englischen Sozialreformer William Morris, der in seinem 1890 erschienenen Roman 'Kunde von Nirgendwo' das Parlamentsgebäude in London zu einem Magazin für natürlichen Dünger umgestalten wollte. Aber ungeachtet des sympathischen Bekenntnisses zum demokratischen Verfassungsstaat muss doch die Frage erlaubt sein, warum es sich überhaupt lohnt, weiterhin an Utopien festzuhalten, wenn die Eschatologie die möglicherweise vorhandenen Bedürfnisse doch offenbar viel besser befriedigt?

2. Utopiekritik als Intellektuellenschelte

So erstaunlich ist es allerdings auch wieder nicht, dass der Versuch zur Rettung utopischen Denkens ausgerechnet von katholischer Seite aus unternommen wird, denn von dort kommt es ja her. Nicht erst mit dem katholischen Märtyrer Thomas Morus, sondern bereits drei Jahrhunderte früher mit Joachim von Fiore lässt Ferdinand Seibt die Reihe der Utopisten beginnen. In seinem nach knapp 30 Jahren neu aufgelegten und aktualisierten Buch 'Utopica. Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit' will er zweierlei zeigen: 1. Utopien entstanden nicht erst in der Renaissance, sondern bereits im Mittelalter gab es das planende, konstruierende und Gegenwelten erfindende Denken; erst mit Morus sei die Opposition gegen die dreigeteilte Ständegesellschaft hinzugekommen. 2. Auf der Landkarte der europäischen Utopie sind nicht nur das antike Griechenland, England, Frankreich und Italien zu finden, sondern auch Deutschland. Widerlegt ist damit die These, dass Griechen, Angelsachsen, Franzosen und Italiener nahezu die einzigen Völker seien, die freie Regierungen und Utopien schufen; die bislang kaum bekannte oder fast vergessene deutsche utopische Denken entfalte sich mit der Reformation in Mitteleuropa, in deren Verlauf Schwärmer und Täufer, Rebellen und Professoren ihren Traum vom irdischen Paradies verwirklichen wollen.

Seibt sieht utopisches Denken als Teil eines Säkularisierungsprozesses, in dem sich Intellektuelle seit dem 12. Jahrhundert aus den Bindungen der religiös gerichteten älteren Geistigkeit lösten, von der kirchlichen Hierarchie, dem aristokratischen Herrschaftsanspruch und der bürgerlichen Arbeitswelt abgrenzten. Die Geschichte der klassischen Utopie spiegele den Aufstieg, die Herrschaft und den Niedergang des europäischen Intellektualismus wider (S. 249). Und so endet das Buch denn auch mit einer milden Intellektuellenschelte: sie seien zwar das Salz der Erde, aber Salz allein sei eben nicht zu genießen. (Wer die tiefe Verunsicherung deutscher Intellektueller nach der 'Wende' von 1989 nachempfinden will, braucht nur das Doppelheft der Zeitschrift 'Merkur' vom September/Oktober vergangenen Jahres aufzuschlagen: 'Zukunft denken. Nach den Utopien').

So wie Richert deckt auch Seibt den grundlegenden Konstruktionsfehler aller Utopien auf: die irrige Annahme, der Mensch sei allein durch seine Vernunft bestimmt und ganz auf ein Leben in der Gemeinschaft gerichtet; in der christlichen Lehre von der Erbsünde sieht er ebenfalls das entscheidende Kriterium, das Christen von Utopisten trennt. Einen "großartigen intellektuellen Irrtum" will er zeigen, wie es im Vorwort von 1972 heisst. Das Buch verdankt seine Entstehung, so verrät Seibt, der Anteilnahme seiner Studenten in München und Bochum, die ihm die Aktualität des Themas bewiesen habe. Der Untertitel von 'Utopica' lautete ursprünglich 'Modelle totaler Sozialplanung' knapp 30 Jahre später in der aktualisierten Neuausgabe 'Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit'. Zur Zeit der Studentenrebellion wurde das bereits in den 1950er Jahren erschienene Hauptwerk des Philosophen Ernst Bloch, 'Das Prinzip Hoffnung', verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert. Dennoch sah Seibt schon damals die Zeit der klassischen Utopie zu Ende gehen: an die Stelle der optimistischen Weltenharmonie sei das Schreckbild vom totalen Staat getreten, die klassische europäische Utopie sei in ihrem anthropologischen Optimismus durch Darwin und Freud widerlegt und in ihrer literarischen Gestalt durch Huxley und Orwell in die absurde Ironie geführt, und an die Stelle der Utopisten seien die Futurologen und Technologen getreten. Im Vorwort zur Neuauflage 2001 dagegen liegt der Akzent nicht mehr auf der Auseinandersetzung mit '1968', sondern auf der Tatsache, dass auch die Deutschen Teil an der Utopietradition haben, und dass die Epochenschwelle der Neuzeit um 1500 in Frage gestellt wird. Die Entdeckung des lange verkannten utopischen Potentials der deutschen Reformation dient nicht, wie Seibt ausdrücklich hervorhebt, "der Verherrlichung dieses oder jenes Flügels im Gesellschaftsprozess", sondern der Darstellung eines "großartigen intellektuellen Irrtums" (S. 11). An der Skepsis des Autors Utopien gegenüber kann also kein Zweifel sein; ihm geht es nicht um eine theologische Ehrenrettung utopischen Denkens, sondern um einen Beitrag zur Einsicht in die Geschichte Europas.

3. Utopie als Paradies, von dem man wenig weiss

Bevorzugter Wunschraum vieler Utopisten war lange Zeit das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die 'United States of Utopia'. Auf diesem Experimentierfeld versuchte im 18. Jahrhundert auch ein Deutscher, den man durchaus als 'Intellektuellen' bezeichnen kann, sein irdisches Paradies zu errichten. Davon handelt Ursula Naumanns Buch 'Pribers Paradies. Ein Deutscher Utopist in der amerikanischen Wildnis' (Frankfurt am Main 2001). Die Autorin muss sich in einer ähnlichen Lage befunden haben wie Thomas Manns Romanheld Felix Krull, der beim Vorstellungsgespräch mit dem Direktor eines vornehmen Pariser Hotels nach seinen - kaum vorhandenen - Kenntnissen der italienischen Sprache gefragt wird: "Worauf es ankam, war, aus einem Nichts an Material etwas für den Augenblick hinlänglich Blendendes zu machen."

Über ihren Helden selbst kann Naumann nämlich nur verzweifelt wenig erzählen; spärliche Zeugnisse, Aktenstücke und Briefe berichten von Johann Gottlieb Prieber, einem 40jährigen angesehenen Advokat aus Zittau (Oberlausitz), der im Jahre 1753 Frau, Kinder, Beruf und Heimat verlässt, im wilden Hinterland von Georgia und South Carolina eine ideale Republik gründet und nach deren Scheitern spurlos verschwindet. In der späteren Geschichtsschreibung erscheint Priber als Visionär und Kommunist, als Jesuit und Ketzer, als Spion in den Diensten des französischen Erzfeinds, als Anhänger der Vielweiberei, als Aufrührer und Naturmensch; man vergleicht ihn mit Campanella, Thomas Morus und Rousseau. Ob nun Bösewicht oder Lichtgestalt - Priber jedenfalls hat die einzige säkulare, naturrechtlich begründete Kommune des 18. Jahrhunderts gegründet. Es ist, wie es im Klappentext heisst, eine abenteuerliche Geschichte voller Lücken und Rätsel, ein höchst lebendiges, detailfrohes Fresko von den Schrecken und Wundern des 18. Jahrhunderts im engen Deutschland und im weiten Amerika.

Wie sieht Pribers Paradies aus? In der von ihm selbst geleiteten Republik gibt es keine Herrschaft; alle Bewohner, ob Farbige oder Weisse, sind gleich, ebenso gleich und einförmig sind Häuser, Möbel und Kleidung. Alle Güter sind gemeinsam, und jeder arbeitet nach seinen Fähigkeiten für das Wohl der Republik. Frauen und Männer leben nicht in der Ehe zusammen; die Kinder gehören der Republik, die sie versorgt und unterrichtet. Als einziges Recht gilt das Recht der Natur. (S. 228f). Originell ist das alles nicht, oder höchstens der Gedanke der Rassengleichheit. Naumann lobt es immerhin als ein intelligent konstruiertes System, das sie in bestimmte Geistesströmungen des 18. Jahrhunderts einzuordnen versucht. So habe sich Priber bei der anthropologischen Begründung seiner Gesellschaftsordnung eng an das 'socialitas-Konzept' des deutschen Naturrechtlers Samuel Pufendorfs angeschlossen. Aus der Gleichheit als Rechtsnorm folgere er die Abschaffung des Privateigentums und die Konformität etwa in der Kleidung; die Abschaffung der Familie werde entschädigt durch das Recht auf freie Liebe. Priber stelle sich seine Republik als wirtschaftliches Unternehmen gleichberechtigter Partner vor, die ihren Besitz vergesellschaftet haben.

So weit, so gut. Aber über eines kann das nicht hinwegtäuschen: allzu häufig müssen intelligente Vermutungen die Lücken in der Überlieferung schließen. Gibt es gar zu viel Ungewissheit, fühlt sich die Autorin auch schon mal versucht, "in die falsche Sicherheit historischer Phantasien" zu flüchten (S. 87). Problematisch ist etwa ihr Zitat eines Berichts nach einer Übersetzung, die sie selbst an einigen Stellen korrigiert hat - wie sie einräumt "ein notwendigerweise inkonsequentes Verfahren, das sich nur ästhetisch rechtfertigen lässt." (S. 172). An einer anderen Stelle wird die lückenhafte Überlieferung durch Analogiezauber im Anschluss an eine aufgefrischte Karl-May-Lektüre wettgemacht (S. 206).

Wenn auch inhaltlich manche Fragen offen bleiben, so lässt man sich doch gern durch schöne Form hinlänglich blenden. Erschienen in der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen 'Anderen Bibliothek', ist das Buch reich an Bildern und Karten und überhaupt ästhetisch sehr ansprechend. Außerdem kann Naumann einfach gut schreiben, ihr gelingen oft glänzende Formulierungen, von denen einige nicht vorenthalten werden sollen. So schildert sie die Kleiderordnungen in Zittau, "in denen Protektionismus und patriarchalisch-bürokratischer Regelungswahn sich komisch-schrecklich vermischen." (S. 27). Der englische Aristokrat James Edward Oglethorpe gefällt sich am besten im Halbprofil mit hochmütig emporgerecktem Kinn: "Im Alter war er dann nur noch Kinn und Nase" (S. 71), und auf S. 289 kann man sich anhand einer Zeichnung davon überzeugen, wie sehr dieses Apercu zutrifft. Über die Zeitungsmeldungen in der South-Carolina Gazette heisst es: "ihre Auswahl erscheint oft so mysteriös wie die heutiger Nachrichtensendungen." (S. 96). Der Artikel 'Colonie' in der großen französischen Enzyklopädie der Aufklärung "verstrickt den Benutzer sanft in den Ordnungswahn der Vernunft." (S. 209). Naumanns Originalität zeigt sich auch darin, dass sie auf die Idee gekommen ist, in einem Konversationslexikon den Begriff 'Unwissenheit' nachzuschlagen (S. 53). Amüsant zu lesen ist die Beschreibung der von ihr aufgesuchten Archive in London und Aix-en-Provence: das eine will benutzt werden, das andere hortet seine Schätze durch ein ausgeklügeltes System von Bestellmöglichkeiten (S. 208, 217). Alles in allem hat Naumann ein hochinteressantes, brillant geschriebenes Buch veröffentlicht und eine spannende Geschichte erzählt, die allerdings in keinster Weise als Plädoyer für künftig zu schaffende irdische Paradiese missverstanden werden kann.

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