Titel
Ludwig Bamberger. Revolutionär und Bankier


Autor(en)
Koehler, Benedikt
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Dickhaus, Historisches Institut Deutsche Bank AG

Ludwig Bamberger (1823-1899), hier im Titel plakativ als "Revolutionär und Bankier" vorgestellt, war ohne Zweifel eine bedeutende, interessante und wichtige Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts. Das rechtfertigt eine Darstellung seines Lebens. Das um so mehr als eine 'richtige' Biographie Bambergers nicht existiert. Zwar liegen mehrere Monographien, eine Vortragssammlung anläßlich seines 100jährigen Todestages wie auch einige Aufsätze zu Bamberger vor.1 Ferner wird er in zahlreichen Werken, sei es der Geschichte der Deutschen Bank, sei es Darstellungen über die Revolution von 1848/49 im Rhein-Main-Gebiet, sei es die Gründungsgeschichte der Reichsbank usw. usf. thematisiert. Doch abgesehen davon, daß man zögert die beiden genannten Monographien als Biographien zu bezeichnen, werden insgesamt bei der vorliegenden Literatur zumeist nur Ausschnitte oder einzelne Aspekte aus Bambergers Lebens- und Tätigkeitsbereich zur Sprache gebracht. Jetzt jedoch hat Benedikt Koehler die existierende Lücke gefüllt und eine umfassende Biographie Bambergers vorgelegt - zeitig zu seinem 100. Todestag.

Das Buch richtet sich selbstverständlich an Bambergers Lebenslauf aus und geht weitgehend chronologisch vor, wobei es jedoch auch zu thematischen Schwerpunkten und Überschneidungen kommt. In einem ersten Kapitel - der rote Bamberger - werden Bambergers Aktivitäten während der Revolution von 1848/49 geschildert. Die Emigrantenjahre in Zürich, Bern, Genf, London, Rotterdam, Antwerpen, Brüssel und Paris, die die direkte Konsequenz seiner politischen Rolle in den Jahren 1848/49 waren, sind dem zweiten Kapitel vorbehalten. Das dritte Kapitel ist mit 'Ein roter und ein weißer Revolutionär' überschrieben und stellt Bambergers Annäherung an Bismarck, seine Rückkehr nach Deutschland und die Zusammenarbeit mit Bismarck vom deutsch-österreichischen Krieg bis zur Reichsgründung dar. Das Thema des vierten Kapitels sind die Banken und geht weit über die eigentlichen Aktivitäten Ludwig Bambergers z.B. als einer der zwei maßgeblichen Gründungsväter der Deutschen Bank hinaus. In einiger Ausführlichkeit werden hier auch die Bankaktivitäten seines Bruders Heinrich und die Gründung der Banque Paribas vorgestellt. Das fünfte Kapitel - Währungsunion - rückt Bamberger selbst wieder stärker in den Mittelpunkt, in dem es sein Wirken bei der Schaffung der Reichsbank, der Mark-Währung und ihrer Anbindung an das Gold darstellt. Das sechste Kapitel ist v.a. seiner Tätigkeit als Reichstagsabgeordneter und Nationaliberaler gewidmet, wobei Bambergers wirtschaftsliberale Überzeugungen und die wachsende Entfernung zu Bismarck die wichtigsten Themen sind. Das letzte Kapitel entfernt sich wiederum stärker von Bamberger. Indem es die 'Goldene Internationale' thematisiert, wird hier eher Bamberger Umfeld, der familiäre und gesellschaftliche Hintergrund, sein Netzwerk dargestellt, und herausgearbeitet, welche Bedeutung es für ihn gehabt hat..

Biographien sind eine sehr schwierige Gattung. Ähnlich wie bei Unternehmensgeschichten haben hier Lesbarkeit, Unterhaltungswert, Verständlichkeit, vielleicht auch 'Lebendigkeit' und vielleicht auch eine gewisse Distanz zur 'Wissenschaft' oder zu wissenschaftlichen Diskursen einen hohen oder doch zumindest gewissen Stellenwert. Beide Gattungen tendieren dazu, die Bedeutung ihres Themas verzerrt darzustellen und vor lauter Darstellung ihrer Objekte keine oder nicht die wesentlichen Fragen zu stellen. Struktur und Gewichtungen werden oftmals nicht reflektiert und die Analyse kommt zu kurz. Während sie oftmals ein gewisser ahistorischer Duktus auszeichnet, verbleiben sie zumeist im Deskriptiven verhaftet. Nun muß ja Deskription nicht zwingend schlecht sein. Ganz im Gegenteil: oftmals wäre einer weiteren geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung schon viel geholfen, wenn es zahlreiche gute und zuverlässige Biographien (und Unternehmensgeschichten) gäbe, die mit entsprechender Deskription und Details aufwarten würden. Nur leider, leider - so scheint eine gewisse Leseerfahrung nahezulegen - gehen diese Gattungen anscheinend oftmals mit gewissen Qualitätseinbußen einher. Und diese sind meist solcher Art, daß die Neuheit der Informationen ernstlich diskreditiert wird.

So weit zur allgemeinen Problematik, zurück zu Koehler: Koehlers Werk ist insofern eine gelungene Lebensbeschreibung, als er durchaus die innere geistige und seelische Entwicklung seines Helden in die äußere Geschichte einbettet. Dabei bietet es der LeserIn auch durchaus einige neue Informationen, u.a. zur Bamberger'schen bzw. Bischhoffsheimer Familiengeschichte. Schließlich hat Koehler die dafür notwendigen Quellen wie vor allem die Briefwechsel Bambergers weitgehend gesichtet und (und wenn auch nicht immer wie allgemein üblich) zitiert. Allerdings hat er die entsprechende vorliegende Literatur nur recht eklektisch zur Kenntnis genommen: neuere Forschungen wurden wahllos neben älteren Werken zu Rate gezogen. So ist sein Standardwerk für die "deutsche Revolution" Veit Valentin von 1930. Das ist auch - neben stilistischen Schwachheiten, den fehlenden Fragestellungen und einer gewissen Oberflächlichkeit bzw. nicht immer ausreichenden Sorgfalt - die hauptsächliche Krux mit dem Buch. Als Ergebnis kommt es nämlich zu einigen Schwächen oder gar Falschheiten, die angesprochen werden müssen.

Als ein Beispiel: In dem Kapitel zu Banken wird festgehalten, daß das "was sich in Deutschland in den Jahren nach 1871 ereignete, (...) ein Wirtschaftswunder (war)." (129) Offensichtlich hat dieses bis 1900 dauert, denn kurz darauf heißt es, daß die "Kennzahlen volkswirtschaftlicher Statistiken" für diesen Zeitraum ein Wachstum der Streckenlänge verlegter Eisenbahngleise, ein Bevölkerungswachstum und ein Anstieg der Aktiengesellschaften zeigen. Zwar stimmen diese Kennzahlen, doch wird daraus noch lange kein Wirtschaftswunder, das von 1871 bis 1900 geht - zumal in Preußen die Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften erst 1870 aufgehoben wurde. Sollte man nun darüber hinweggehen? Zumal auf der folgenden Seite dann doch noch der Gründerkrach (wenn auch nicht die 'Große Depression' bzw. die 'Große Deflation') erwähnt wird? Ich denke 'nein'. So ignorant mit der existierenden und weitgehend akzeptierten Literatur umzugehen ist nicht nur per se ausgesprochen problematisch, sondern hat auch beträchtliche Implikationen. Weder Bismarcks Wandel zum Protektionismus wird so verständlich noch wird der Aufstieg der Deutschen Bank auf diese Weise richtig eingeordnet. Schließlich werden auch, und darauf kommt es vor allem an, die Leistungen Bambergers nicht korrekt dargestellt und verortet.

Ähnlich ist es auch in bezug auf die "Währungsunion". Zwar hat es ohne Zweifel eine verwirrende Vielfalt von umlaufenden Münzen gegeben, und daß nach der Reichsgründung eine Reformbedürftigkeit des deutschen Geldwesens vorlag, ist unbestritten. Doch daß im Rahmen eines Gold- oder Silberstandards auch 'ausländische' Münzen umlaufen können, und daß es möglich war, diese zum Edelmetallwert in Zahlung zu geben, wird nicht erwähnt. Die geldpolitischen Zustände waren keineswegs so chaotisch und desintegriert wie Koehler sie darstellt. Man mag Holtfrerichs Ergebnisse und Argumentation nicht überzeugend finden, doch allein die Tatsache, daß er 1993 die Frage stellte, "Did monetary unification precede or follow political unification of Germany in the 19th century?" 2 ist in diesem Zusammenhang schon aussagekräftig genug.

Insgesamt kann man das Werk durchaus - wie auch Richard Tilly in seiner Rezension festgehalten hat 3 - mit einigem Gewinn lesen, doch sollte man dafür - wie Tilly gleichfalls betont - schon ein "knowledgeable historian" sein, der sich nicht aufs Glatteis führen läßt. Ob man das jedoch immer voraussetzen kann und sollte, ist eine Frage, die ich hier nicht beantworten will.

Anmerkungen:
1 Zucker, Stanley: Ludwig Bamberger. German Liberal Politician and Social Critic, 1823-1899. Pittsburgh 1975; Weber, Marie-Lise: Ludwig Bamberger. Ideologie statt Realpolitik. Stuttgart 1987 (Frankfurter Historische Abhandlungen Bd. 28); Ludwig Bamberger: * 22. Juli 1826 in Mainz, + 14. März in Berlin. [Ansprachen und Vorträge zum 100. Todestag, von Christoph Buchheim, Helmut Mathy u.a.]. o.O. [Mainz] 1999.
2 Holtfrerich, Carl-Ludwig: Did Monetary Unification Precede or Follow Political Unification of Germany in the 19th Century?, in: European Economic Review 37 (1993), S. 518-524.
3 Tilly, Richard: Rezension Koehler, in: Financial History Review 6 (1999), S. 261-262.

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