D. Thomas (Hrsg.): Museums in postcolonial Europe

Titel
Museums in Postcolonial Europe.


Herausgeber
Thomas, Dominic
Erschienen
London 2009: Routledge
Anzahl Seiten
146 S.
Preis
€ 97,81
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lotte Arndt, Institut für Soziologie, Université Paris VII Denis Diderot / Seminar für Afrikawissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Widerstände französischer Wissenschaftseinrichtungen gegen eine größere Durchlässigkeit ihrer disziplinären Grenzen treten im Kontrast mit den frankophonen Studien im anglophonen Raum umso deutlicher zu Tage. Der vorliegende Band ist für diese Tendenz ein gutes Beispiel: Als Direktor des Instituts für Frankophone Studien an der California Universität von Los Angeles beschränkt sich Dominic Thomas nicht auf literaturwissenschaftliche Untersuchungen. Vielmehr interessiert er sich für die französische Gesellschaft und ihre Kultureinrichtungen als einen postimperialen Raum mit vielfältigen Ausprägungen.

Im vorliegenden Band versammelt er als Herausgeber ein knappes Dutzend Beiträge, die sich mit der Neukonfigurierung der europäischen, in erster Linie aber französischen Museumslandschaft befassen. Der Fokus liegt auf aktuellen Neugründungen und Umfunktionierungen musealer Einrichtungen, die von den Autoren des Bandes vor dem Hintergrund der Geschichte des Ausstellens von Kolonialismus und Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert gelesen werden.

Thomas betrachtet die Museen in doppelter Hinsicht: Einerseits verfolgt er in seiner Einleitung retrospektiv die Funktion, die imperiale Politiken für die nationale Kohäsion gespielt haben: Bereicherung und Demonstration von Macht durch Eroberung, Ressourcenausbeutung, aber auch Export eines bestimmten Gesellschaftsmodells als anzustrebende Norm, wie im Falle Frankreichs, fungierten als zentrale Legitimationsnarrative. Andererseits ordnet er die Ausstellungen in Migrationspolitiken der Gegenwart ein. Die Neudefinition der Museen als Orte der Repräsentation von Diversität, im Rahmen eines zu Essentialisierungen tendierenden Multikulturalismus der globalisierten Gegenwart, wird in dieser Perspektive in ein Verhältnis zu Ausgrenzungspolitiken und Rassismus gesetzt.

Die im Band versammelten Beiträge lassen sich in diese beiden Stränge einordnen. Den Auftakt macht ein Überblickstext von Robert Aldrich, Professor für europäische Geschichte an der Universität Sydney und Autor zahlreicher Studien zu imperialen Spuren in Frankreichs vierter und fünfter Republik, der den Übergang beschreibt, den die Museen von der Funktion der Ausstellung des Imperiums zu ungelösten Fragen der postkolonialen Nachkriegsära durchlaufen: Zu letzteren gehört jene nach der Verfügung über die in den Sammlungen aufbewahrten Objekte, die zum Teil auf eine gewaltsame koloniale Aneignungsgeschichte zurückblicken und demzufolge die Frage nach ihrem weiteren Verbleib aufwerfen.

In den folgenden beiden Beiträgen wird die Bandbreite musealer Praktiken zwischen einer nationalen Einrichtung wie dem British Empire and Commonwealth Museum (Corinna McLeod) und der Entwicklung einer Sklavereiausstellung in einem Community-Ausstellungsraum in Hackney (Zoe Norridge) untersucht. Bezogen auf den britischen Kontext diskutieren die Beiträge höchst unterschiedliche Ausstellungspraktiken: Teil einer offiziellen staatlichen Erinnerungspolitik im ersten Fall, ist das zweite vorgestellte Projekt eine lokale, im Stadtteil verortete Lesart der Sklavereigeschichte. Beide Beiträge heben dabei die Ambivalenzen hervor, die den Ausstellungen eigen sind. McLeod erkennt im Umzug des British Empire and Commonwealth Museum von Bristol nach London trotz der damit einhergehenden Zentralisierung die Möglichkeit einer stärkeren Selbstreflexivität Großbritanniens in Bezug auf die Rolle, welche die imperiale Geschichte für die Konstituierung der britischen Nation spielt(e). Als einziger sich einer temporären Ausstellung widmender Beitrag des Bandes seziert Norridge hingegen in ihrer Analyse der Ausstellung abolition ’07 die Ambivalenzen einer auf Empathie und Einfühlung basierenden Vermittlung der Sklavereigeschichte, welche sie trotz ihrer Kritik als Ansatz grundsätzlich verteidigt.

Nach einem kurzen Aufsatz zu Museen in Brüssel (Véronique Bragard und Stéphanie Planche), der sich auf das in einem umfassenden Neudefinitionsprozeß befindlichen Musée Royal de l’Afrique Centrale in Tervuren konzentriert, widmen sich die abschließenden fünf Beiträge des Bandes Institutionen in Frankreich. Die beiden zentralen Neugründungen der vergangenen Jahre, das Musée du Quai Branly, MQB (2006) und die Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration, CNHI (2007), ersteres als Nachfolgeinstitution des 2003 geschlossenen Musée de l’Homme in der Tradition ethnologischer Museen stehend, letzteres als erste nationale Dauerausstellung in Frankreich, die sich der Migrationsgeschichte widmet, genießen dabei besondere Aufmerksamkeit. Die Bilanz, die die AutorInnen ziehen, ist erwartungsgemäß kritisch: Das Musée du Quai Branly ist fern davon, Frankreich den Weg in eine postkoloniale Ära zu zeigen, konstatiert Herman Lebovics. Der Text von Fassil Demissie untermauert diese Feststellung, indem er die Kontinuitäten kolonialer Repräsentationen zwischen dem ehemaligen Musée des Colonies, dessen Gebäude heute die CNHI beherbergt, und den Displays des MQB aufzeigt. Bennetta Jules-Rosette und Erica Fontana übertiteln ihren Beitrag mit „Zufallskunst“ und stellen damit eine ernstzunehmende Ausstellungskonzeption des Musée Branly in Frage. Mary Stevens Beitrag weist auf die Abwesenheit der Kolonialgeschichte in der CNHI hin: Untergebracht in einem der architektonisch am explizitesten vom französischen Kolonialstolz zeugenden Gebäude der französischen Hauptstadt, dem für die Kolonialausstellung von 1931 erbauten Eingangspalais an der Porte Dorée im Pariser Osten, fehlt in der Dauerausstellung der Institution jegliche Referenz auf die Kolonialgeschichte. Wie Dominic Thomas in seinem abschließenden Beitrag treffend bemerkt, entsteht dadurch eine Ambivalenz, die eine Migrationserzählung aus Subjektperspektive überdeckt durch eine Reduktion auf einen Objektstatus der imperialen und nationalen Ambitionen Frankreichs.

Der Band enthält eine Reihe interessanter Analysen, bleibt aber letztlich unentschlossen, ob er einen Überblick über postkoloniale Ausstellungspraktiken in Europa geben will – dazu sind die Beispiele zu selektiv und erscheinen in ihrer Auswahl fast zufällig. Eine begriffliche Reflexion, was „postkoloniale Museen“ genau meint, fehlt ebenso wie eine Begründung der Auswahl der diskutierten Ausstellungen. Vielmehr konzentriert sich der Band schwerpunktmäßig auf einige wenige Großprojekte in Frankreich. Die lesenswerten Beiträge in diesem Teil des Bands sind sich einig in der Feststellung, dass die französische Ausstellungspolitik in zahlreichen Aspekten einer kolonialen Tradition verhaftet bleibt, bzw. diese nicht hinterfragt. Die Autoren bleiben jedoch überwiegend bei einer relativ vorhersehbaren und in den vergangenen Jahren oftmals wiederholten Kritik, die sich in letztlich repetitiver Weise um die nationalen Großprojekte dreht. Dabei besteht keine Notwendigkeit, diese Kritik auch in englischer Sprache zugänglich zu machen, da zentrale Argumentationen im Jahr 2007 von breit rezipierten anglophonen AutorInnen wie Sally Price und James Clifford bereits veröffentlicht wurden. Vielmehr hätte es dem Band gutgetan, über die einschlägigen Großprojekte hinaus alternative Ausstellungsorte und Aneignungen von Orten visueller Vermittlung (post-)kolonialer Geschichte einzubeziehen und so über einen der bloßen Kritik verhafteten Blick hinausgehend Praktiken zu suchen, welche die nationalistische Hegemonie zu destabilisieren vermögen.