K. Hammerstein u.a. (Hrsg.): Die Musealisierung der DDR

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Titel
Die Musealisierung der DDR. Wege, Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Zeitgeschichte in stadt- und regionalgeschichtlichen Museen


Herausgeber
Hammerstein, Katrin; Scheunemann, Jan
Erschienen
Berlin 2012: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carola S. Rudnick, Facts & Arts, Betzendorf/Lüneburg

Hier wird mehr als nur eine Tagung dokumentiert. Der mit einer gewissen Verzögerung veröffentlichte Band wirkt selbst wie ein seltenes Museumsobjekt, das die Debatte um eine angemessene Darstellung und Vermittlung von DDR-Geschichte in sich eingefroren hat und für spätere Zeiten zur Analyse freigibt. Die Leserinnen und Leser können eine von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderte und mit dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig im Juni 2010 durchgeführte Veranstaltung nachvollziehen, die primär als „Werkstattbericht“ vorführt, was in verschiedenen städtischen und regionalgeschichtlichen Einrichtungen facettenreich und nicht immer frei von massiven Problemen geschieht. Katrin Hammerstein und Jan Scheunemann als Herausgeber verdeutlichen, dass Museen vor ähnlichen Vermittlungsproblemen stehen wie DDR-Gedenkstätten. Auch dort wird um ein angemessenes Erinnern und Gedenken gerungen, um Geschichtsbilder und Interpretationen von deutschen Diktaturen. Und: Museen folgen der historisch-politischen Bildungsarbeit in Bezug auf Standards, auf diskursive und reflektierende (Re-)Präsentationsmethoden und auf erinnerungskulturelle Praxen. Man bekennt sich offen zu eigenen geschichtspolitischen Positionen, zu Nöten und Zwängen. Erkennbar wird: Museen und Gedenkstätten nähern sich an.

Martin Sabrow analysiert in seinem Eröffnungsbeitrag präzise das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Erklärung, didaktischer Vermittlung und biografischer Erfahrung, in dem sich zeithistorische Museumsarbeit bewege (S. 16f.). In diesem Spannungsfeld spricht er sich gegen normative Bewertungen und für eine Historisierung bzw. politische Entdogmatisierung aus (S. 22ff.). Für die Museumsarbeit leitet er daraus das Plädoyer ab, die unterschiedlichen Narrative und den jeweiligen Zeithorizont historischen Geschehens mit zu reflektieren und Räume für einen kritischen Dialog zu schaffen (Diskussionsteil, S. 38f.).

Damit positioniert er sich gegen Rainer Eckert, den Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, der gegenteilige Prämissen verfolgt (in der dokumentierten Diskussion mit Bernd Faulenbach und Karl Heinrich Pohl) – nämlich das (Fest-)Setzen von Begriffen wie „Friedliche Revolution“, das Ablehnen von Multiperspektivität, das Produzieren geschlossener Geschichtsnarrative. Das Zeitgeschichtliche Forum erzählt laut Eckert die DDR-Geschichte aus der Perspektive der Opposition und des Widerstands, mit dem Ziel, demokratische Identität zu stiften. Schließlich löst auch Eckerts Auffassung, die Aufgabe des Museums sei es, eine historische Großerzählung, einen Mythos durchzusetzen, herbe Kritik und Gegenrede aus. Dies findet nicht nur durch wichtige Podiumsbeiträge Eingang in die Dokumentation, sondern auch anhand alternativer Fallbeispiele.

So stellt Pohl den Auffassungen Eckerts ein studentisches kommunales Museumsprojekt im Dorf Sehestedt (Schleswig-Holstein) gegenüber, das geschichtsdidaktisch dezidiert „von unten“ konzipiert sei, die Dorfbewohner einbeziehe sowie Kontroversität und Ergebnisoffenheit, Gegenwartsbezug, Handlungs- und Empfängerorientierung, Individualisierung und Multiperspektivität zum Prinzip erhebe. Das Museum hat zwar keine DDR-Geschichte als Gegenstand, zeigt jedoch die vielfältigen Möglichkeiten kleinerer, ländlicher Einrichtungen auf.

Irmgard Zündorf unterstreicht in ihrem Beitrag über „DDR-Alltagskultur im Museum“, dass eine alleinige Fokussierung auf „Herrschaft“ und „Repression“ nicht zum tieferen Verständnis des Funktionierens der Diktatur führe, sondern dass gerade die Alltagsgeschichte wichtige Erkenntnisse über gesellschaftliche und individuelle Mechanismen offenbare. Die Thematisierung von „Mitmachbereitschaft“ und „Anpassungsdruck“ sei für historisches Lernen fruchtbar. Weder die öffentlich geförderten noch insbesondere die privaten Museen würden dieses Potenzial bislang aber ausschöpfen. Die Autorin moniert einen Beliebigkeit erzeugenden Objektfetischismus sowie einen Hang zur „ins Lächerliche“ umschlagenden Inszenierung ohne Erkenntnisgewinn (S. 107). Die Herausforderungen, die Alltagsgeschichte im Museum mit sich bringe, hätten noch keine hinreichenden Antworten gefunden (S. 105). In der anschließenden Diskussion wird noch einmal hervorgehoben, dass Alltagsobjekte auf geschichtswissenschaftliche Einbettung besonders angewiesen sind.

Nicht minder kritisch berichtet Karl-Siegbert Rehberg über die Verbannung von DDR-Kunst aus Museen und Galerien. Bei Präsentationen über Kunst des 20. Jahrhunderts oder deutsche Kunst nach 1945 würden DDR-Künstler weitgehend ignoriert; die Ausnahme seien nur solche Künstler, die schon vor 1989 über den Westen internationalen Ruhm erlangt hätten. Im Westen weniger prominente DDR-Künstler seien zusammen mit der politischen „Elite“ entsorgt bzw. ihre Werke als „Staatspropaganda“ marginalisiert worden. Hierzu hätten Akteure in den neuen Bundesländern selbst viel beigetragen, ergänzt Monika Flacke vom Deutschen Historischen Museum die Kritik am Kunst-Vergessen und am „sanften Entschwinden“ (Diskussion, S. 293). Von einem angemessenen Umgang mit „Kunst aus der DDR“ sei die (deutsche) Museumswelt weit entfernt, lässt sich die Debatte zusammenfassen.

Vor welchen Herausforderungen gerade lokale Museen stehen und welche uneinheitlichen Trends es bei der Darstellung von DDR-Geschichte gibt, dokumentieren die Beiträge der Museumsverantwortlichen über die jeweils eigene Einrichtung: von Falko Hohensee über das Kreisagrarmuseum Dorf Mecklenburg, von Christoph Kaufmann und Doris Mundus über das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig, von Siegfried Wagner über das Stadtmuseum Naumburg, von Holger Starke über das Stadtmuseum Dresden und von Ute Heckmann über das Stadtmuseum Gera. Susanne Köstering gibt außerdem einen Überblick zur Präsentation der DDR-Geschichte in brandenburgischen Museen. Allen Beiträgen aus der konkreten Museumsarbeit ist gemeinsam, dass die beschriebenen Ausstellungen Abstand nehmen von DDR-geprägten Geschichtsnarrativen. Ihr Reaktionsspektrum reicht von „Entideologisierung“ als Minimalanforderung bis hin zu postmodernen dekonstruktivistischen Neukonzeptionen, wie von Alfons Kenkmann in einem praxisübergreifenden Beitrag zur Museumspädagogik als „Geschichtenzerstörung“ eindrücklich gefordert.

Das Kreisagrarmuseum Dorf Mecklenburg markiert den einen Rand des Spektrums. Es habe seine Ausstellung über Landwirtschaft entideologisiert und vermeide Glorifizierungen der DDR als Arbeiter- und Bauernstaat. Die vorgestellten neuen Museumsinhalte wirken jedoch unverändert affirmativ und systemkonform, nur dass sich eben die politische Gegenwart gewandelt hat. Die Ausstellungen des Leipziger Stadtmuseums zeichnen ein ähnliches Bild; sie repräsentieren gegenwärtig dominante, lineare DDR-Geschichtserzählungen: Die Friedliche Revolution habe die marode DDR in die Demokratie geführt, der Aufstand von 1953 sei Vorbote zur Revolution 1989 gewesen, Leipzig sei „Heldenstadt“ usw. Der hehre Selbstanspruch, das „Konstruktive, Unfertige und Wandelbare unseres Geschichtsbildes“ diskursiv zum Ausdruck zu bringen (so der Museumsdirektor Volker Rodekamp, zitiert bei Kaufmann und Mundus, S. 150), wird von den Leipziger Ausstellungsmachern so nicht eingelöst.

Die einzige auf der Veranstaltung vorgestellte Einrichtung, der es zu gelingen scheint, den geschichts- und erinnerungspolitischen Trends eigenständiger zu begegnen, ist das Stadtmuseum Naumburg, das den anderen Rand des Spektrums bildet. Auf nur 60 Quadratmetern und trotz bislang dünner Lokalgeschichtsforschung schafft es dieses Museum offenbar, Geschichtsbilder kritisch zu reflektieren – durch harte Konfrontationen von Objekten, durch Entmythologisierung, durch eine konsequente Anwendung historisch-wissenschaftlicher Standards (Quellenkritik, Kontextualisierung). Anhand einzelner Sammlungsobjekte, wie zum Beispiel einer KZ-Uniform und ihrer Überlieferungsgeschichte oder dem Stalin-Porträt eines verarmten Künstlers, „irritiert“ der Museumsleiter Wagner die Besucherinnen und Besucher. Auf plastische Art wird die „große Geschichte“ mit der kleinen, örtlich-konkreten verzahnt.

Wagners Fazit zur Musealisierung der DDR lautet ebenso treffend wie selbstkritisch: „Die Friedliche Revolution als Heldengeschichte funktioniert didaktisch natürlich bestens […], das lassen auch wir uns nicht entgehen. Das Schurkenstück, das sich im Umfeld der ‚Wende‘ abgespielt hat, ist wohl noch länger nicht museumsreif. Wenn wir aber nur das zeigen, was offen vor uns liegt und was niemandem außer ein paar Ewiggestrigen wehtut, tappen wir dann nicht unweigerlich in eine weit offen stehende Affirmationsfalle?“ (S. 162) Viele museale und geschichtskulturelle Einrichtungen stecken noch in dieser Falle, wollen sich aber daraus befreien – das zeigt die vorliegende Publikation.

Der Dokumentation mangelt es leider an einem kritisch-analytischen Blick von außen auf die konkreten Museumsleistungen, wie es beispielsweise in einem Themenheft der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“1 und in anderen Sammelbänden2 inzwischen versucht wurde. Der Band von Katrin Hammerstein und Jan Scheunemann lädt eher zur weiteren Diskurs- und Feldanalyse ein – das ist durchaus als Verdienst zu bezeichnen.

Anmerkungen:
1 Wolfgang Benz, Die DDR als Museumsobjekt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 12 (2011), S. 995-1007; Christian Gaubert, Der DDR-Alltag im Kontext der Diktatur. Eine vergleichende Analyse der Dauerausstellungen des DDR-Museums Berlin und des Deutschen Historischen Museums, in: ebd., S. 1008-1024.
2 Vgl. etwa Volkhard Knigge / Ulrich Mählert (Hrsg.), Der Kommunismus im Museum. Formen der Auseinandersetzung in Deutschland und Ostmitteleuropa, Köln 2005 (rezensiert von Kristiane Janeke, 1.2.2006: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-068> [25.7.2012]).