Cover
Titel
Fleeting Cities. Imperial Expositions in Fin-de-Siècle Europe


Autor(en)
Geppert, Alexander C. T.
Erschienen
Hampshire 2010: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
398 S.
Preis
65.00 £
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friedrich Lenger, Justus-Liebig-Universität Gießen

Die Druckfassung der Florentiner Dissertation von Alexander Geppert, für deren so sehr verspätete Anzeige nicht der Rezensent verantwortlich ist, behandelt die Berliner Gewerbeausstellung von 1896, die Pariser Weltausstellung von 1900, die jeweils in London veranstaltete Franco-British und die British Empire Exhibition von 1908 bzw. 1924 sowie die wiederum in Paris stattfindende Exposition Coloniale von 1931. Der zeitliche Schwerpunkt liegt damit auf einer Zeit, in der nicht selten schon der Niedergang des Ausstellungswesens beklagt wurde, doch weist der Autor zu recht daraufhin, dass die in diesen Diagnosen beklagte Kommerzialisierung der Großausstellungen diese von ihrer Geburt an begleitet habe. Zudem zeigen die zum Teil extrem hohen Besucherzahlen, dass die von einigen Kommentatoren konstatierte Ausstellungsmüdigkeit kein Massenphänomen war. Die Schwerpunktsetzung auf Ausstellungen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts verdankt sich aber nicht allein ihrer anhaltenden Bedeutung, sondern auch dem Umstand, dass die wichtigsten Weltausstellungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits gut erforscht sind.

Mit dieser Forschung, an deren bibliographischer Erschließung er maßgeblich mitgewirkt hat, ist Alexander Geppert bestens vertraut. Davon profitiert der Leser, auch wenn er gelegentlich den Eindruck gewinnen muss, diese Vertrautheit habe den Autor daran gehindert, seinen Untersuchungsgegenstand schärfer einzugrenzen und seine Darstellung auf klare, aus der Forschungslage abgeleitete Fragen zu beziehen. Stattdessen wimmelt es an Verweisen auf alle irgendwie wichtigen Ausstellungen von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, die in einem nützlichen Anhang aufgelistet sind, und an Versuchen der Theoretisierung. So findet sich z.B. im Schlusskapitel ein etwa zwanzigseitiger Abriss über „sites, cities, sights“. Ob hierzu der Rückgriff auf Henri Lefebvre unverzichtbar war, sei dahingestellt. In jedem Fall instruktiv, wenngleich nicht durchweg neu, ist die systematische Behandlung des Verhältnisses zwischen der Ausstellung und der Stadt, wobei die Impulse für die urbane Infrastruktur aber auch für die symbolische Topographie im Vordergrund stehen, der Ausstellung als Stadt, eine angesichts der Vielzahl und Anordnung der Exponate mehr als nur metaphorische Bezeichnung, und schließlich der Stadt als Ausstellung, worunter nicht zuletzt ihre Attraktionskraft für Besucher gefasst wird. Bezeichnend ist, dass in diesen instruktiven Abschnitten, die ebenso gut in einem Einleitungskapitel hätten platziert werden können, die untersuchten Ausstellungen keine herausgehobene Rolle spielen, sondern eher das ergänzen, was der Autor über die Ausstellungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiß.

Die daraus resultierenden Versuche, eine ungeheure Materialfülle zu bändigen, und die Vermischung von Quellenanalyse und Literatursynthese erleichtern die Lektüre nicht unbedingt und lassen für die eigentlichen Fallstudien vergleichsweise wenig Raum. Denn mit etwa 250 Textseiten, von denen nicht wenige teilweise von sehr nützlichen Plänen, Skizzen oder Fotografien eingenommen werden, ist dies ein erfreulich schlankes Buch. In allen Teilkapiteln erhellt es kundig die Umstände der Ausstellungsplanung, die Wahl und Gestaltung des jeweiligen Ausstellungsgeländes, die Hauptattraktionen und ihre Rezeption sowie die sich anschließenden Überlegungen zu Nachfolgeprojekten. Am Anfang steht die 2008 ja schon eindringlich von Thomas Großbölting analysierte Berliner Gewerbeausstellung von 1896, die bekanntlich anders als von Ausstellungsenthusiasten erträumt nicht zum Vorläufer einer deutschen Weltausstellung wurde. Gleichwohl lehnte sie sich eng an diese an und bot ihren Besuchern neben einer Kolonialausstellung, die wie ihre Vorbilder auch „Eingeborene“ zur Schau stellte, mit der Straße von Kairo eine Reise im Raum und mit Alt-Berlin auch eine solche in der Zeit an. Mit guten Gründen betont der Autor immer wieder die wechselseitige Beobachtung und enge Verflechtung der Ausstellungsmacher über alle Grenzen hinweg. Während Berlin an der Peripherie des „exhibitionary network“ verblieb und der Metropolencharakter der Reichshauptstadt wenig gefestigt erschien, nahm Paris ohne Zweifel eine Führungsposition ein. Geppert wirft einige Schlaglichter auf die dortige Weltausstellung von 1900, die mit der Übernahme der Hauptattraktionen von der World`sColumbian Exposition in Chicago 1893 signalisierte, dass die USA im Wettstreit um ein Höchstmaß an Modernität mittlerweile die Nase vorne hatte. So wurde denn zeitgenössisch auch durchaus ein Mangel an eigentlichen Neuheiten und Schlüsselattraktionen bemängelt, ohne dass etwa das Grundprinzip ernsthaft bemängelt worden wäre, in allen Ausstellungsbereichen die Hälfte des Raums für Frankreich und seine Kolonien zu reservieren. Rückblickend könnte man in der Durchführung der zweiten Olympischen Spiele der Moderne eine Innovation sehen, deren Tragweite 1900 in Paris aber noch nicht absehbar war. Schon vier Jahre später erlebte St. Louis die simultane Durchführung dieser beiden Großevents, aber noch 1908 waren die ganze zwei Wochen dauernden Olympischen Spiele lediglich Beiprogramm der 1908 in London veranstalteten französisch-britischen Ausstellung. Anders als der später in seinen Ursprungszustand zurückversetzte Treptower Park oder das Pariser Marsfeld war das Londoner Ausstellungsgelände im suburbanen Shepherd`s Bush von Beginn an als dauerhafte Anlage geplant. Bis zum Ersten Weltkrieg fanden denn auch jährlich Nachfolgeausstellungen statt, die indessen den Publikumserfolg (8,4 Millionen Besucher) der privat finanzierten französisch-britischen Ausstellung nicht wieder erreichten. Und diese war nicht allein Zeugnis der französisch-britischen Freundschaft, sondern vor allem eine typische Großausstellung des frühen 20. Jahrhunderts, die ihre Besucher mit einer 46 Meter hohen Riesenwippe und dem Exotismus ceylonesischer, senegalesischer oder auch irischer Dörfer anlockte.

Das britische und das französische Kolonialreich standen dann auch im Mittelpunkt der letzten beiden Ausstellungen, die Alexander Geppert näher betrachtet: die Londoner British Empire Exhibition von 1924 und die Exposition Coloniale in Paris 1931. Beide fanden in einiger räumlicher Distanz zum jeweiligen Stadtzentrum in Wembley bzw. Vincennes statt und beide waren mit mehr als 17 (bzw. nach der Wiedereröffnung im Folgejahr 27) und 33 Millionen Besuchern (Paris) enorme Publikumserfolge. Der Stolz auf die und das Interesse an den eigenen Kolonien, die den Besuchern im Medium der Ausstellung eine Reise um die Welt an einem einzigen Tag zu erlauben schien, war offenkundig groß. Und doch zeigten sich die ersten Risse in der ehemals so heilen Kolonialwelt. Nicht nur klagten Kritiker wie Gilbert Keith Chesterton, die Ausstellung in Wembley, die zehnmal mehr Raum beanspruchte als die erste Londoner Weltausstellung 1851, suggeriere, man könne von Europa absehen und nur das Empire erinnern. Vielmehr beschwerte sich auch die Union of Students of African Descent über die entwürdigende Zurschaustellung der „Eingeborenen“ in den einmal mehr dargebotenen „native villages“. Und der indische Widerstand gegen eine exotisierende Präsentation ging so weit, dass diese wichtigste aller britischen Kolonien sich an der Neuauflage der Ausstellung 1925 nicht mehr beteiligte. 1931 fand in Paris sogar eine regelrechte Gegenausstellung statt, deren antiimperialistischen Organisatoren einen an den PCF übergegangenen ehemaligen sowjetischen Ausstellungspavillon nutzen konnten, ein Detail, das die Ubiquität des Mediums im großstädtischen Raum gut zum Ausdruck bringt. - Insgesamt handelt es sich also um ein interessantes Buch zu einem wichtigen Thema.