R. Riemer: Frankfurt und Hamburg vor dem Reichskammergericht

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Titel
Frankfurt und Hamburg vor dem Reichskammergericht. Zwei Handels- und Handwerkszentren im Vergleich


Autor(en)
Riemer, Robert
Reihe
Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 60
Erschienen
Köln 2011: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
560 S.
Preis
€ 69,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Brandt, FernUniversität Hagen

Bei dem hier zu besprechenden Buch von Robert Riemer handelt es sich um eine 2006 eingereichte Greifswalder Dissertation, in der auf der Grundlage von Reichskammergerichtsprozessen die beiden Handels- und Gewerbestädte Frankfurt am Main und Hamburg verglichen werden. Im ersten Teil seiner Arbeit wertet der Autor diese Prozesse mit Hilfe der in der Reichskammergerichtsforschung bewährten statistischen Methoden sowie auf der Basis ausgesprochen umfangreicher Vorarbeiten – Findbüchern, in denen die Reichskammergerichtsprozesse Frankfurts und Hamburgs formal erfasst und partiell inhaltlich aufbereitet sind – aus.1 Im zweiten Teil werden einige ausgewählte Fälle kontextualisiert, deren Verlauf mittels der Inhaltsangaben in den Findbüchern sowie auf Basis eigener Quellenstudien referiert werden; abschließend stellt Riemer dann – auf der Grundlage eigener Quellenstudien – exemplarisch je einen Handels- und ein Handwerksprozess aus beiden Städten näher vor.

Riemer kann statistisch nachweisen, dass das Reichskammergericht (RKG) bei den Bewohnern beider Städte eine nicht geringe Akzeptanz hatte, und das trotz stetig, während der gesamten Frühen Neuzeit steigender Appellationssummen. Prozessgegenstand waren überwiegend Geldgeschäfte, ökonomische Konflikte in Handel und Handwerk sowie Familienangelegenheiten, bei denen es aber im Rahmen von Erbschaftsangelegenheiten meist auch um das „liebe Geld“ ging. Unter den Prozessparteien dominierten eindeutig – unabhängig von ihrem rechtlichen Status – Kaufleute und andere wohlhabende Einwohner, die im weitesten Sinne zur ökonomischen und politischen Oberschicht der Städte gezählt werden können. Knapp zehn Prozent der Kläger und Appellanten waren Zünfte und Handwerker mit unterschiedlichstem sozialen Status; auch Frauen und Juden lassen sich als Prozessparteien nachweisen. Frankfurt hatte bei geringerer Einwohnerzahl insgesamt ein höheres Prozessaufkommen als Hamburg, was unter anderem an der räumlichen Nähe zu den unterschiedlichen Sitzen des RKG – vor allem Speyer und Wetzlar – lag. Die meisten Prozessparteien verfolgten die Absicht, die Entscheidungen der kommunalen, von den Stadträten beherrschten Gerichtsbarkeit einer Revision zu unterziehen und diese Rechtsprechung ob ihrer echten oder vermeintlichen Parteilichkeit einer Kontrolle durch Institutionen des Reichs zu unterwerfen. Prozessierende Räte wiederum versuchten das Gericht zum Schutz ihrer Interessen und Privilegien zu nutzen. Die RKG-Prozesse belegen, so das Resümee des Autors, für beide Städte eine „massive Verrechtlichung des Geschäftslebens“ (S. 358) und die volle Integration nicht nur Frankfurts, sondern auch Hamburgs in die verfassungsrechtlichen Strukturen des Alten Reiches.

Etliche der statistisch erhobenen Ergebnisse Riemers decken sich mit dem Bild, das die ältere Forschung schon seit längerem von Handel und Gewerbe in beiden Städten zeichnet; manches Detail ist für die weitere Forschung sicher sehr hilfreich. Ob es aber der quantitativen Auswertung von über dreitausend RKG-Prozessen bedurfte, um beispielsweise konstatieren zu können, dass die Stadt am Main im Vergleich zu Hamburg „eindeutig […] als binnenländischer Handelsplatz“ (S. 291) eingestuft werden kann, ist doch fraglich.

Interessanter wäre da schon eine eingehende Diskussion der auf der Basis der RKG-Prozesse aufgestellten These von der massiven Verrechtlichung des Geschäftslebens während der Frühen Neuzeit gewesen. Letzteres hätte aber den Autor genötigt, die aktuelle wirtschaftshistorische Forschung zu Handwerk, Handel und Kaufleuten zur Kenntnis zu nehmen, was jedoch weitgehend unterblieben ist und überrascht, da die eminente Bedeutung ökonomischer Prozessgegenstände von Riemer deutlich herausgestellt wird. Auch bei den lokalgeschichtlichen Kontextualisierungen wäre so manche Ausführung zu Frankfurt sicher anders ausgefallen, wäre nicht ein selektiver Umgang mit der Frankfurt betreffenden Literatur gepflegt worden: Das Finanzinstrument des Wechsels, um nur ein Beispiel zu nennen, war in Frankfurt bereits seit dem Spätmittelalter bekannt und auf den Märkten etabliert.2 „Populär“ wurde es nicht erst im 17./18. Jahrhundert, wie unter dem Eindruck der RKG-Prozessakten sowie unter Berufung auf meist ältere Literatur gleich mehrfach behauptet wird. Und da der Autor auch noch die unschöne Idee hatte, große Teile des Textes in Fußnoten zu verbannen – darunter nicht wenige interessante Prozessschilderungen –, gestaltet sich die Lektüre der von Michael North betreuten Dissertation nicht gerade flüssig.

Anmerkungen:
1 Inge Kaltwasser (Bearb.), Inventar der Akten des Reichskammergerichts 1495–1806. Frankfurter Bestand, Frankfurt am Main 2000; Hans-Konrad Stein-Stegmann (Bearb.), Findbuch der Reichskammergerichtsakten im Staatsarchiv Hamburg, 4 Teile, Hamburg 1993–1995.
2 Michael Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, Stuttgart 1998, S. 479–487.

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