K.Mühlberger u.a. (Hrsg.): Matrikel der Wiener Rechtswissensch. Fakultät

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Titel
Die Matrikel der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Matricula Facultatis Juristarum Studii Wiennensis. 1. Band: 1402–1442. Bearbeitet von Johannes Seidl unter Mitarbeit von Andreas Bracher und Thomas Maisel


Herausgeber
Mühlberger, Kurt; Seidl, Johannes
Reihe
Quellen zur Geschichte der Universität Wien, 6. Reihe, III. Abteilung 1
Erschienen
München 2011: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XXVIII, 153 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Gramsch, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die spätmittelalterliche Universität, die „Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden“, verstand sich in erster Linie als eine Eidgenossenschaft, die Männer von ganz unterschiedlicher regionaler und sozialer Herkunft zu einer Rechts- und Interessengemeinschaft verband. Die Matrikel, in der die auf die Universität eingeschworenen Personen verzeichnet wurden, besaß somit eine konstitutive Bedeutung für die Institution, als besonderes clenodium universitatis wurde sie gehütet und über die Jahrhunderte bewahrt. Diesem Umstand verdanken wir es, dass wir für fast alle deutschen Universitäten des Mittelalters umfassende Mitgliederverzeichnisse besitzen. Seit langem schon ediert, bilden sie die Grundlage aller universitätsgeschichtlichen Forschung, die sich in den letzten Jahrzehnten mit besonderem Eifer der Sozialgeschichte der Gelehrten angenommen hat. Neuherausgaben von universitätsgeschichtlichen Quellen sind hingegen rar geworden. Und doch gibt es auch auf diesem scheinbar „abgegrasten“ Feld noch einiges zu tun, wie die hier zu besprechende, höchst verdienstvolle Edition der Wiener Juristenfakultätsmatrikel beweist. Es handelt sich hierbei um eine Quelle, die, soweit ich sehe, für das nordalpine spätmittelalterliche Reich einzigartig ist.

Es ist hier nicht der Ort, grundsätzlich darüber nachzudenken, inwieweit das Führen von Fakultätsmatrikeln auch andernorts üblich war oder ob wir mit der Wiener Quelle einen Sonderfall vor uns haben. Wie der Herausgeber betont (S. IX), war das Anlegen einer gesonderten Matrikel in den Fakultätsstatuten nicht vorgesehen, auch die Statuten an anderen Universitäten forderten solches nicht. Dies hat zur Folge, dass wir in der Regel nicht wissen, welche Studenten sich für welche Studienrichtung entschieden. Eine gewisse Ausnahme machen dabei allein Prag, wo es im 14. Jahrhundert eine Juristenuniversität mit eigener Matrikelführung gab, und Köln, wo in der zentralen Matrikel vermerkt wurde, in welche Fakultät sich die Studenten einschrieben. In Köln immatrikulierten sich demnach im 15. Jahrhundert etwa 13 bis 15 Prozent aller Studenten in der Juristenfakultät, die somit unter den drei höheren Fakultäten die mit Abstand frequenzstärkste war (was der praktischen Bedeutung des Juristenstudiums entsprach). Für andere Universitäten lassen sich die Zahlen der Rechtsstudenten allenfalls grob abschätzen. Die Wiener Fakultätsmatrikel erlaubt es nunmehr, präzise Einsichten in das Studierverhalten mittelalterlicher, vorwiegend deutscher Studenten zu gewinnen und die Klientel einer Rechtsfakultät genauer kennenzulernen.

Die Edition beginnt mit einer Einleitung, in der die Quelle genauer vorgestellt und erste Hinweise zur Auswertung des Materials gegeben werden (Abschnitt „Statistik“ auf S. XIV–XIX). Den Hauptteil bildet der Text der Matrikel, die, nach Semestern geordnet, jeweils die Dekane, die Immatrikulierten und die Promovierten aufzählt. Regelmäßig werden die gezahlten Immatrikulations- und Promotionsgebühren vermerkt, während die Angaben zu den Personen (Adelstitel, Pfründenbesitz usw.), wie bei solchen Quellen üblich, nicht allzu vollständig sind. Ein Register der Vor- sowie der Zu- und Ortsnamen beschließt das Bändchen. Alles in allem ist die Edition sehr sauber gearbeitet, das Register ist sehr gut handhabbar. Ein wenig unbequem ist, dass im Register nach Vornamen der jeweilige Vorname nicht noch einmal in der Kopfzeile erscheint, so dass man zuweilen zurückblättern muss, um sich zu vergewissern, bei welchem Vornamen man sich befindet (etwa bei dem „Sammelbegriff“ Johannes auf S. 76–85).

Die Wiener Juristenmatrikel war als Quelle selbstverständlich schon lange bekannt. Eine systematische Auswertung steht – sehen wir von einer in Teilen publizierten Lizentiatsarbeit von Beat Immenhauser1 ab – jedoch noch aus. So seien an dieser Stelle nur noch einige kurze Anmerkungen dazu gemacht, welch reicher Erkenntniswert in dieser Quelle steckt.

Wichtige Einsichten vermittelt allein schon eine Auszählung der Einträge. Bei den Wiener Juristen immatrikulierten sich demnach innerhalb von 40 Jahren insgesamt 1.007 Personen. Gemessen an der Gesamtzahl der Wiener Studenten in dieser Zeitspanne (circa 12.500 Immatrikulationen) ergibt sich somit eine Juristenquote von 8 Prozent – kein überdurchschnittlich hoher Wert. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass die Zahl der Juristen absolut und relativ im Laufe der Zeit stark absinkt – man vergleiche hierzu nur die Figur 2 auf S. XV mit der entsprechenden Darstellung in Rainer C. Schwinges’ Grundlagenwerk „Deutsche Universitätsbesucher“2: Während die Einschreibezahlen bei den Juristen ab 1415 in der Tendenz um fast die Hälfte sinken, steigt die Gesamtfrequenz der Universität im selben Zeitraum um circa 30 Prozent an. Diese Beobachtung, dass die Zahl der Rechtsstudenten im 15. Jahrhundert gegen den allgemeinen Besuchertrend nicht nur nicht gestiegen, sondern sogar gesunken ist, lässt sich auch andernorts, etwa bei den Erfurter Juristen, machen und verdient künftig stärkere Beachtung. Da auch die Promotionen in der Matrikel lückenlos verzeichnet sind, lässt sich des Weiteren eine Promotionsquote bestimmen, die bei den Juristenbakkalaren mit fast 19 Prozent durchaus beachtlich ist. Eine eigene kleine Stichprobe, inwieweit diese Bakkalare sich in der Folge auch in der vatikanischen Überlieferung finden, mithin in der Kirche Karriere machten, zeigt freilich wieder einmal, dass der juristische Bakkalarsgrad, anders als der Lizentiaten- und der Doktortitel (schon im Mittelalter!), nur eine geringe karrierefördernde Wirkung hatte. Vielfältig sind ferner die weiterführenden Informationen zu den in der Matrikel genannten Einzelpersonen. Als Beispiel sei nur Johannes Tornow aus dem lausitzischen Luckau erwähnt, der 1411 nach Wien kam und 1420 das juristische Bakkalariatsexamen ablegte (1411 II 10 und 1420 II 26). Er hatte zuvor (1409/10) in Leipzig die Artes studiert, später ging er nach Leipzig zurück, wo er als decretorum doctor Rechtslehrer und auch Rektor wurde. Sein Wien-Studium war bisher unbekannt (die Universitätsmatrikel führt ihn als „Johannes Dornaw de Lusacia“). Die Belege der Fakultätsmatrikel sind zudem geeignet, ihn von einem Namensvetter abzugrenzen, der aus Stendal kam und 1429 in Erfurt das juristische Bakkalariatsexamen ablegte.3

Resümierend sei noch einmal der außerordentliche Wert der Quelle und der hier vorgelegten Edition für die spätmittelalterliche Universitäts- und Gelehrtengeschichte nicht nur Wiens betont. Wien war im Mittelalter die frequenzstärkste deutsche Universität, ihr Einzugsbereich reichte von Süddeutschland, über die österreichischen Länder, Böhmen und Schlesien bis Siebenbürgen. Die Besucherschaft dieser Hochschule besser kennenzulernen, verspricht somit eine Vielzahl neuer Einsichten in den Prozess der „Akademisierung“ der spätmittelalterlichen Gesellschaft, speziell dieser Landschaften inner- und außerhalb des Alten Reiches.

Anmerkungen:
1 Beat Immenhauser, Wiener Juristen. Zur Sozialgeschichte der juristischen Besucherschaft der Universität Wien von 1402 bis 1519, in: Mitteilungen der österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 17 (1997), S. 61–102.
2 Rainer C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert, Stuttgart 1986, S. 65.
3 Vgl. zu diesem zuletzt Marek Wejwoda, Die Leipziger Juristenfakultät im 15. Jahrhundert. Vergleichende Studien zu Institution und Personal, fachlichem Profil und gesellschaftlicher Wirksamkeit, Leipzig 2012, S. 110 (Biogramm Nr. 17).