Cover
Titel
Justinian. Das christliche Experiment


Autor(en)
Leppin, Hartmut
Erschienen
Stuttgart 2011: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
€ 27,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dariusz Brodka, Instytut Filologii Klasycznej, Uniwersytet Jagielloński, Kraków

Die Herrschaft Justinians stand in den letzten zwei Dezennien immer wieder im Fokus der modernen Forschung1, einen wirklichen Neuansatz bietet dabei aber lediglich die Untersuchung von Mischa Meier.2 Mit der Arbeit von Hartmut Leppin erhält die Forschung nun eine weitere wichtige Darstellung zu diesem Kaiser, die trotz ihres eher einführenden Charakters einen ausgezeichneten Beitrag zur Erforschung der Regierung Justinians bildet.

Das Buch ist als eine Synthese konzipiert, die die moderne Forschung in ihrer ganzen Breite berücksichtigt, so dass sie zu jedem Aspekt den neuesten Forschungsstand bietet. Leppin wendet sich aber weniger an den Spezialisten, sondern eher an ein breiteres Publikum, so dass er sich in den Anmerkungen auf Verweise auf die wichtigsten Arbeiten beschränkt. Hervorzuheben ist Leppins Intention, Justinians Handeln nicht aus moderner, vernunftorientierter und dadurch nicht selten anachronistischer Perspektive zu betrachten. Zu Recht setzt er voraus, dass die Motivationen der Menschen des 6. Jahrhunderts und folglich ihr Tun nicht nur durch das Diesseits, sondern wesentlich auch durch das Jenseits bedingt waren. So betont er ausdrücklich, dass die Furcht vor Gottes Strafe bei einem Menschen des 6. Jahrhunderts ernst genommen werden und als ein wirklicher verhaltensbestimmender Faktor betrachtet werden müsse (S. 26). Daher rechnet Leppin zu den wichtigsten Motivationen Justinians zum einen das Streben, vor Gott geläutert dazustehen, was sich aber ganz unterschiedlich habe manifestieren können, und zum anderen seinen Willen, dem Reich eine Ordnung im christlichen Sinne zu geben (S. 26f.). So werden hier die Handlungen Justinians anders als in den meisten früheren Arbeiten weniger durch machtpolitische Ansprüche, als vielmehr durch Justinians Orientierung an religiösen Rechtfertigungen erklärt. Aus dieser Voraussetzung resultiert die Stärke dieses Buches, da auch in aktuellen Darstellungen der Herrschaft Justinians vielfach unbeachtet bleibt, dass sich Justinians persönliche Religiosität zu einem wesentlichen politischen Faktor objektivierte.3

Die Herrschaft Justinians wird von Leppin chronologisch dargestellt: Er beginnt mit einem Kapitel zur Regierung Justins I.: „II. Der Neffe (518–527)“ (S. 29–88); in ihm wird Rolle und Stellung Justinians im Machtgefüge unter der Herrschaft seines Onkels klar bestimmt. Darüber hinaus werden hier auch die wichtigsten politischen und religiösen Probleme besprochen, mit denen sich Justinian später als Alleinherrscher auseinandersetzen musste. Vorgestellt werden vor allem der miaphysitische Streit und das Konzil von Chalkedon, in dem die größten Spaltungen unter den damaligen Christen ihren Ursprung fanden. Die Regierungszeit Justinians behandelt Leppin in fünf Kapiteln, die jeweils eine Periode der Herrschaft betrachten: die Jahre 527–532 („III. Herrschaftsantritt in einer misstrauischen Welt“, S. 92–148), 532–536 („IV. Ein Kaiser setzt sich durch“, S. 149–180), 536–542 („V. Die Welt gerät aus den Fugen“, S. 206–250), 542–553 („VI. Auf dem Irrweg zur Ordnung“, S. 251–315) und 553–565 („VII. Ende und Isolation“, S. 316–334). In jeder Periode werden die einzelnen Aspekte der Innen- und Außenpolitik systematisch dargelegt, wobei Leppin die Entwicklung der historischen Prozesse klar veranschaulicht.

Die grundlegenden Züge der gesamten politischen Tätigkeit Justinians erkennt Leppin bereits in den ersten Jahren seiner Alleinherrschaft, er kann daher stets auf die Kontinuitäten in seiner Politik verweisen. Mit guten Gründen geht Leppin davon aus, dass der Einsatz für den wahren Glauben ein zentraler Punkt der Politik Justinians gewesen sei (S. 92); diesen Gedanken hebt er immer wieder hervor. Im Fokus der Darstellung Leppins steht so die Religionspolitik, wobei ihre Kontinuität sehr stark akzentuiert wird (vgl. S. 341). Als ihr Hauptziel bestimmt Leppin das Streben nach der Glaubenseinheit (S. 94). So betont Leppin, dass Justinian zwar von Anfang an Anhänger der Beschlüsse von Chalkedon gewesen sei, seine ganze Religionspolitik habe aber immer auch eine Bereitschaft erkennen lassen, sich gegenüber den Miaphysiten zu öffnen. Dafür sprechen laut Leppin zahlreiche Tatsachen: Zu verweisen sei hier auf die unscharfe Interpretation des Häretikerbegriffs zu Beginn der Herrschaft (S. 92f. u. 341) und auf das Religionsgespräch von 532/33, zu dem sowohl die Miaphysiten als auch die Chalkedonier eingeladen wurden (S. 95ff. u. 341). Danach kam es allerdings zu einer Periode der Verhärtung der Politik gegenüber den Miaphysiten, deren Gipfelpunkt das Konzil von 536 darstellte, dessen Beschlüsse Verfolgungen der Miaphysiten auslösten (S. 181ff. u. 188ff.). Seit den 540er-Jahren erkennt Leppin in Justinians Politik erneute Versuche einer Wiederannäherung an die Miaphysiten. In diesem Sinne deutet er den Drei-Kapitel-Streit und die Entscheidungen des Fünften Ökumenischen Konzils von Konstantinopel im Jahr 553 (S. 293ff. u. 303ff.). Laut Leppin liegt es nahe, auch Justinians Hinwendung zum Aphthartodoketismus gegen Ende seines Lebens als Bemühen um eine solche Annäherung zu verstehen (S. 332f. u. 341). Insgesamt sei aber sein Streben nach der Einheit der Kirche gescheitert, Justinian habe letztlich nur die Spaltung des Christentums weiter befördert (S. 308 u. 342).

Einen weiteren wichtigen Aspekt in Leppins Untersuchungen bildet der Umgang Justinians mit den verschiedensten Katastrophen, sei es mit denjenigen politischer Natur wie dem Nika-Aufstand (S. 142ff.), sei es mit Pest, Erdbeben, Überschwemmungen oder anderen natürlichen Phänomenen (S. 206ff.). Leppin stimmt mit Meier darin überein4, dass die kontingenten Umstände, vor allem die Verdichtung der Katastrophen in den Jahren 540–542, das politische Handeln Justinians wesentlich beeinflussten (S. 241 u. 346). Dabei macht Leppin auf Justinians Religiosität aufmerksam; dieser habe auf die Katastrophen vor allem mit religiösen Maßnahmen reagiert. Ähnlich wie Meier geht Leppin zu Recht davon aus, dass Justinian die Welt vor allem mittels religiöser Deutungsmuster wahrgenommen habe. Während aber Meier einen Bruch in der Politik Justinians in den 540er-Jahren nachzuweisen sucht, wertet Leppin diese Umbrüche vorsichtiger und betont die Kontinuität in den umfassenden Reformprojekten Justinians (S. 241). Auch im Fall des religiösen Verhaltens Justinians spricht Leppin nicht von einem radikalen Bruch: Er erkennt so Demut und Buße bereits in Justinians Haltung zu Beginn seiner Herrschaft, obwohl diese Aspekte in Justinians Kaiserkonzeption im Laufe der Zeit auf Grund der religiösen Interpretation der Katastrophen immer stärker in den Vordergrund getreten seien (S. 288).

Einen weiteren Bereich, auf den sich Leppins Interesse konzentriert, bildet die Gesetzgebung. Leppin zeigt hier eine starke Kontinuität in Justinians Politik auf. Immer wieder erscheinen bestimmte Themen in Justinians Gesetzen, die es erlauben, die wichtigsten, insbesondere innenpolitischen Ziele des Kaisers zu definieren. Deutlich und überzeugend wird aufgezeigt, dass es dem Kaiser vor allem um gesetzliche Einschärfung christlicher Normen und Praktiken im Alltag ging (vgl. S. 337). Stets treten die Fürsorge für die Schwächeren, das Streben nach der richtigen kirchlichen Organisation, der Versuch, Korruption und Machtmissbrauch bei hohen Beamten zu bekämpfen, zutage (S. 106ff. u. 170ff.). Als eine generelle Tendenz erweist Leppin zudem das Streben nach mehr Verlässlichkeit und Transparenz bei gleichzeitiger Bewahrung ökonomischer Interesse des Kaisers (S. 110).

Behandelt werden auch Justinians Kriege: Leppin betont zwar die Größe einzelner Siege, er verweist aber vor allem auf die katastrophalen Folgen der Kriege sowohl für das gesamte oströmische Reich als auch für die einzelnen eroberten Provinzen. Neue Mächte an der Peripherie des Reiches sollten nach Justinians Tod dann diese Erschöpfung Ostroms ausnutzen: die Franken, die Langobarden und die Araber. Im Kontext des Vandalenzuges äußert sich Leppin auch zur viel diskutierten Frage der recuperatio imperii in der justinianischen Ideologie und plädiert für die These, dass es Justinian damals lediglich um eine Strafaktion gegen die Vandalen und möglicherweise um eine Reinstallierung Hilderichs, nicht aber um eine von vornherein geplante „Befreiung“ Afrikas gegangen sei (S. 157). Es bleibt aber dennoch zweifelhaft, ob solch ein großangelegtes, riskantes und schwieriges Unternehmen mit derart begrenzten Zielen hätte geplant und begonnen werden können. Nach Leppin gibt es aber erst im Fall des Krieges gegen die Ostgoten Indizien dafür, dass Justinian die Rückeroberung umsichtig geplant und insofern eine recuperatio imperii angestrebt habe (S. 165).

Leppins Monographie geht somit weit über die Grenzen sowohl einer einführenden Darstellung zur Epoche Justinians als auch einer bloßen Biographie des Kaisers hinaus. Der Untertitel des Buches: „Das christliche Experiment“ dürfte den Inhalt besonders treffend charakterisieren: Es geht hier sowohl um Justinian als auch um sein Streben danach, die Gesellschaft neu, unter christlichen Vorzeichen zu ordnen. Ohne Zweifel gelingt es dem Verfasser, sein Ziel überzeugend zu verwirklichen und eine gut lesbare Synthese auf der Basis der modernen Forschung vorzulegen. Leppins Buch ist eine tief greifende, mit großer Gelehrtheit geschriebene Studie, die sowohl alle Aspekte der Politik Justinians klar erörtert, als auch die Dynamik des Geschehens und die weitreichenden religiösen, politischen und sozialen Transformationsprozesse im 6. Jahrhundert darstellt. Es wird der Forschung zweifellos viele neue wichtige Impulse geben.

Anmerkungen:
1 Vgl. nur John Moorhead, Justinian, London 1994; Berthold Rubin, Das Zeitalter Justinians, Bd. 2, aus dem Nachlass hrsg. von Carmelo Capizzi, Berlin 1995; James S. Evans, The Age of Justinian, London 1996; Guy Gauthier, Justinien. La rêve impérial, Paris 1998; Pierre Maraval, L’empereur Justinien, Paris 1999; Otto Mazal, Justinian I. und seine Zeit, Köln 2001; Michael Maas (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Age of Justinian, Cambridge 2005.
2 Mischa Meier, Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen 2003.
3 Vgl. dazu meine Rezension zu Maas, Justinian, in: Sehepunkte 6 (2006), Nr. 1, 15.01.2006 <http://www.sehepunkte.de/2006/01/8472.html> (20.01.2012).
4 Meier, Das andere Zeitalter.

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