S. Biland: Deutsch-Konservative Partei

Titel
Die Deutsch-Konservative Partei und der Bunde der Landwirte im Württemberg vor 1914. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Parteien im Königreich Württemberg


Autor(en)
Biland, Stefan
Reihe
Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte 2
Erschienen
Stuttgart 2002: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Bösch, Seminar für mittlere und neuere Geschichte, Universität Göttingen

Regional- und lokalgeschichtliche Ansätze haben sich seit längerem in der Parteienforschung bewährt. Vorreiter waren dabei vor allem amerikanische Studien, die auf diese Weise Politik- und Sozialgeschichte fruchtbar verbanden.1 Die deutsche Parteienforschung tat sich dagegen etwas schwerer, über das Arkanum der Regierungen und Ausschüsse hinaus die regionalen Gesellschaftsbindungen der Parteien zu betrachten. Das gilt insbesondere für die liberalen und konservativen Parteien, die bisher kaum sozialgeschichtlich untersucht wurden.

Insofern ist es zu begrüßen, dass mit Stefan Bilands Stuttgarter Dissertation nun eine Arbeit erscheint, die die Deutsch-Konservative Partei und den mit ihr verbundenen Bund der Landwirte in Württemberg untersucht. Da die älteren Arbeiten zu diesem Themenbereich vor allem auf Berlin und Preußen blickten, verspricht dieser regionale Zugriff eine neue Perspektive.2 Die progressive Haltung der Württembergischen Konservativen und ihre gleichzeitige Schwäche bilden signifikante Auffälligkeiten. Immerhin konnte die Deutsch-Konservative Partei dort bis 1895 keinen einzigen Abgeordneten in den Reichs- oder Landtag einbringen, da mit der „Deutschen Partei“ eine nationalliberale Sammlungspartei das konservative Spektrum integrierte. Ein interessantes Untersuchungsgebiet ist Württemberg nicht zuletzt durch seine konfessionelle Zweiteilung, seine pietistischen Traditionen und die vergleichsweise späte Ausdifferenzierung des Parteienspektrums.

Gerade an letzteres knüpft Bilands Fragestellung an: Er will sowohl die verzögerte Formierung der Konservativen als auch den schnellen Erfolg des BdL erklären. Da er auf keine Partei- und Vereinsakten zurückgreifen kann, ruht sein Quellenfundament dabei auf Zeitungsberichten und Protokollen der Württembergischen Kammern. Den verzögerten Aufstieg der Deutsch-Konservativen Partei deutet Biland erstens als organisatorische und publizistische Dominanz der Liberalen. Die Konservativen hätten sich nach 1848 der liberalen Vereinswelt angeschlossen und mit der „Deutschen Reichspost“ nur ein süddeutsches Verlustunternehmen besessen, das keine 3000 Leser erreichte. Zweitens verweist Biland darauf, dass die Nationalliberalen sich kirchenpolitisch zurückgehalten haben und auf einen Ausgleich mit katholischen Kirche bedacht waren. Im Unterschied zum benachbarten Baden, wo insbesondere um die Schulfrage ein Konfessionskampf tobte, konnten die liberale Partei deshalb die konservativen Protestanten lange integrieren. Drittens führt Biland soziokulturelle Gründe für die Schwäche der Konservativen Partei an. Die Adligen und Pietisten hätten sich zunächst von jedem Parteiengagement fern gehalten und seien dann aus ihrer deutsch-nationalen Gesinnung heraus für die nationalliberale Deutsche Partei eingetreten, um einen Block gegen den „Partikularismus“ zu bilden.

Impulse zur 1876 erfolgten Gründung des „Württembergischer Verein der Deutschen Conservativen“ kamen deshalb von außen, besonders aus Baden. Vor allem die Angst, dass ähnlich wie in Baden die Konfessionsschule gefährdet sein könnte, führte zu der politischen Formierung. Die just eingeführte obligatorische Zivilehe bildete einen weiteren Anstoß. Die Konservative Partei vertrat zunächst jedoch fast nur auf das protestantische Stadtbürgertum Stuttgarts, insbesondere Kaufleute und Handwerker. Bis 1895 blieb sie ein Annex der Deutschen Partei und trat nur in wenigen Wahlkreisen an. Für ihre Unterstützung verlangte sie programmatische Zugeständnisse, wobei sie insbesondere den Schutz der evangelischen Kirche und des alten Mittelstandes forderte. Auffallend war zudem der Antisemitismus des ihr nahestehenden Pietistenblattes „Christen-Bote“, das sich zunehmend für Adolf Stoeckers Ansätze begeisterte. Seiner sozialpolitischen Integration der Arbeiterschaft standen die württembergischen Konservativen freilich skeptisch gegenüber. Ihre Organisation blieb schwach. Wie anderenorts waren der Landesverband mit der Berliner Zentrale kaum verbunden, machte nur sehr sporadisch Landesversammlungen und umfasste bis 1914 lediglich 2000-3000 Mitglieder, wie der Autor schätzt. Ein Pressearchiv und Wahlkreisregistraturen, die der Partei überhaupt erst eine gewisse Selbstbeobachtung ermöglichten, baute sie erst 1913 auf.

Den seit der Jahrhundertwende einsetzenden Aufschwung der Deutsch-Konservativen Partei ermöglichte erst ihre Symbiose mit dem 1893 gegründeten Bund der Landwirte, der sich in Württemberg Bauernbund nannte. Wie überall im Reich war der Kampf für Schutzzölle sein entscheidendes Mobilisierungspotential. Trotz formell getrennter Organisationen waren Partei und Bauernbund aufgrund ihrer personellen, publizistischen und agitatorischen Überschneidungen von außen nur schwer zu unterscheiden. Bei den Wahlen sollten gemeinsame Kandidaten, die vornehmlich vom Bauernbund kamen, ihre Ergebnisse bis 1912 auf 16 Prozent steigern. Mit 21.000 Mitgliedern gewährte der Bauernbund die nötige breitere Mitgliederbasis, die vor allem aus evangelischen Landwirten, Kaufleuten und Handwerkern bestand.

Schließlich stellt Biland an einigen Gesetzesdiskussionen heraus, dass die Württembergischen Konservativen deutlich progressiver waren als die Preußischen. So trat ihre Programmatik nicht für eine Einschränkung des Wahlrechtes ein. 1906 stimmten sie einer Verfassungsänderung zu, die die zweite Kammer zu einer reinen Volkskammer machte und die kommunale Selbstverwaltung stärkte. Bei der Schulreform von 1909 suchten sie ebenfalls einen Kompromiss mit Liberalen und Sozialdemokraten und stimmten gegen die Zentrumspartei für kleinere Reformen. Zudem betont Biland, dass der Antisemitismus eine deutlich geringere Rolle gespielt habe als bei den preußischen Verbänden.

Insgesamt bleiben die Ergebnisse der schmalen Studie jedoch etwas unbefriedigend. Das liegt nicht nur an der schlechten Quellenlage, die fast kein genaueres Bild über das Innenleben von Partei und Verband zulässt. Vielmehr leidet die Arbeit darunter, dass der Autor alle übergeordneten Forschungsdiskussionen zur deutschen Gesellschaftsgeschichte konsequent umgeht. Bisherige Ergebnisse zur Geschichte der Massenorganisationen, des Bürgertums, der Konfessionalisierung, der Parteien oder der Milieus werden nirgendwo aufgegriffen. Wichtige Arbeiten zur konservativen Massenmobilisierung, wie etwa von James Retallack, Jonathan Sperber oder Rudy Koshar, finden sich nicht einmal im Literaturverzeichnis, geschweige denn in der Argumentation. In Bilands Studie vermisst man selbst bloße Hinweise auf die neuen vaterländischen Vereine oder die Heimatbewegung, obwohl letztere gerade für Württemberg mit einer einschlägigen Studie untersucht wurde.3

Die Antworten, die Biland auf seine Untersuchungsfrage gibt, bleiben deshalb oft deskriptiv, zirkulär und schwach belegt. Dass die Konservativen erfolglos waren, weil die Liberalen reüssierten, ist kaum ein überraschendes Ergebnis. Die Gründe für die hohe Kompromissbereitschaft der Württembergischen Liberalen bleiben ebenso im Dunkeln wie die Gründe für das zurückhaltende Engagement der Pietisten. Zugleich fehlt der Studie der vergleichenden Blick in andere Regionen. Am stärksten ist Bilands Dissertation immer dann, wenn sie die Entwicklung im benachbarten Baden oder die Reichsverbände einbezieht. Dies geschieht allerdings so selten, dass der Wert des Buches insgesamt vor allem ein heimatgeschichtlicher bleibt.

Anmerkungen
1 Klassisch etwa zu Württemberg: David Blackbourn, Class, Religion and Local Politics in Wilhelmine Germany. The Centre Party in Württemberg before 1914, New Haven 1980.
2 Hans-Jürgen Puhle, Agrarische Interessenpolitik und preußischer Konservatismus im wilhelminischen Reich 1893-1914. Ein Beitrag zur Analyse des Nationalismus in Deutschland am Beispiel des Bundes der Landwirte und der Deutsch-Konservativen Partei, Hannover 1966.
3 A. Confino, The Nation as a Local Methaphor. Württemberg, Imperial Germany and National Memory 1871-1918, Chapel Hill 1997.

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