Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933 – 1938 – 1945

Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933 – 1938 – 1945

Veranstalter
Deutsches Historisches Museum
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.01.2013 - 10.11.2013
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Wichmann, Stiftung Berliner Mauer

Das Themenjahr „Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933–1938“ präsentiert mit zahlreichen Projekten in Berliner Museen, Gedenkstätten, Einrichtungen und Vereinen einen facettenreichen Rückblick auf die Stadt in der Zeit des Nationalsozialismus. Als Beitrag des Deutschen Historischen Museums und zentrale Portalausstellung fungiert seit dem 30. Januar im Erdgeschoss des Pei-Baus die gleichnamige Präsentation als thematische Klammer und Erkundungswegweiser für die diversen, thematisch sehr spezifischen Einzelprojekte in der Stadtlandschaft. Dazu gehören neben großen und kleinen Museen und Gedenkstätten auch Bezirkseinrichtungen, private Vereine oder Kunstprojekte. Für diese weitläufige, über Berlin verteilte Aus- und Darstellungsvielfalt einen gemeinsamen Einstiegspunkt zu finden, ist die besondere Aufgabe dieser Präsentation im DHM.

Daher weicht sowohl deren Entstehung als auch die Gestaltung von den „klassischen“ historischen Ausstellungen ab. Hier waren im Vorfeld zahlreiche Absprachen und Kooperationen mit den verschiedenen Einzelprojekten erforderlich, sowie eine Koordination der Projektpartner untereinander und mit der Kulturprojekte Berlin GmbH. Schon diese übergreifende Zusammenarbeit so zahlreicher und unterschiedlicher Kultureinrichtungen in der Hauptstadt ist als positiver Nebeneffekt der Portalausstellung herauszuheben. Diese soll nun aber nicht als erschöpfendes Kompendium fungieren, sondern die Besucher eben gerade in die anderen Häuser (ver-)leiten. Die daraus folgende Selbstbeschränkung muss nicht zu einer Simplifizierung führen.

Im Folgenden soll allein die Portalausstellung vorgestellt werden, sowohl das Themenjahr als auch die Einzelprojekte sind nicht enthalten. Allerdings dient die beispielhafte Nennung einiger Projektpartner und Themen nicht nur dem Nachweis, sondern will auch eben diese vielzitierte Vielfalt und Dezentralität verdeutlichen. Inwiefern man argumentieren kann, dass die Aufgabe einer solchen Portalausstellung zum Berliner Themenjahr eigentlich genuin eher bei der Stiftung Stadtmuseum liegen sollte als beim DHM als quasi nationalem historischem Museum, soll hier nicht vertieft werden. Möglicherweise wäre es eine Chance gewesen, die Stiftung Stadtmuseum als Portal zu einer solchen dezentralen Ausstellungslandschaft im Bewusstsein der Berliner wieder stärker sichtbar zu machen. Das DHM hätte mit einer Begleitausstellung den nationalen historischen Kontext vermitteln können. Davon abgesehen bedeutet es aber für die öffentliche Aufmerksamkeit des Themenjahres natürlich einen Gewinn, dass das DHM nun diese Portalausstellung beherbergt.

Noch vor Eintritt in die Ausstellung empfängt den Besucher eine wandgroße Berlin-Karte mit den Standorten der verschiedenen Projekte in der Hauptstadt zum Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“. Sie bietet einen lohnenswerten ersten Blick auf die zahlreichen Themen und Orte und die dezentral angelegte Vermittlungsperspektive. Diese Karte ist auch hilfreich, da eine Verortung der verschiedenen Projekte in der Ausstellung selber nicht mehr so offensichtlich ist.

Atmosphärisch wird der Besucher nach Eintritt in den Ausstellungsraum von einer Filminstallation mit dem rauschenden Berliner Verkehr der zwanziger und dreißiger Jahre eingestimmt, womit das Gefühl eines Stadtraumes erzeugt wird. Dazu trägt ebenfalls die Litfaßsäule bei, auf der ein ereignisgeschichtlicher Überblick die Jahre 1929 bis 1932 als Vorgeschichte präsentiert. Auch der erste Rundblick in die Ausstellung erinnert an das Flanieren in der Großstadt: Es gibt keinen eindeutigen Rundweg, stattdessen viele unterschiedliche Ecken, die um eine Art Mittelplatz drapiert sind. Klare Sichtachsen fehlen, dafür stimmen eine Vielzahl verschiedener Blickwinkel durch die bewusst nicht rechtwinklig gestellten Zwischenwände visuell auf ein Umhergehen ein. Auch dass kein hervorstechendes Exponat die Besucher anfangs heranzieht, befördert einen individuellen Weg durch diese Portalausstellung.

Insgesamt ist sie durch eine zurückhaltende Ausstellungsarchitektur und Farbgestaltung geprägt. Ein durchgehendes Lichtgrau ist als Grundton vorherrschend und bildet die Grundlage, auf der die einzelnen roten Boxen gut kontrastieren, welche jeweils eines der 39 Projekte vorstellen. Großformatige zeitgenössische Fotografien bilden visuelle Einstimmungen auf die verschiedenen Themensegmente, ergänzt durch gehängte Textilbahnen mit Überblickstexten. Aus dem annähernd ellipsenförmigen Mittelplatz, der sich aus der Anordnung der umgebenden Segmente ergibt, lässt sich die gesamte Ausstellung überblicken, was den angenehmen Effekt mit sich bringt, angesichts der Fülle der Themen dem Gefühl des Erschlagen-Werdens entgegenzuwirken.

Die einzelnen Abschnitte fassen verschiedene Projekte der „Zerstörten Vielfalt“ thematisch zusammen und beinhalten jeweils mehrere rote Boxen. Gerahmt werden diese durch ergänzende Vitrinen mit Originalobjekten vorwiegend aus dem DHM-Bestand. Deren zurückhaltende Gestaltung lässt der Konzentration auf die roten Boxen aber eindeutig den Vortritt. Dies hilft, den Gegensatz zwischen einer prinzipiell chronologischen geprägten Objektschau und den rein thematischen Zugängen der einzelnen Projekte zu mindern. Die Außenwände der Segmente sind vielfach mit Repros aus der ergiebigen hauseigenen Plakatsammlung versehen. Die Themen behandeln Aspekte aus dem gesamten Zeitraum des NS-Regimes und deren spezifische Auswirkungen auf die Reichshauptstadt, so beispielsweise „Razzia! Die Zerschlagung der Opposition“, „Ausgrenzung im Schatten der Olympischen Spiele“, „Flucht, Exil und Emigration“ und das „Novemberpogrom in Berlin“, aber auch abschließend „Krieg, Zwangsarbeit und Zerstörung“.

Das Kernstück dieser Portalausstellung stellen die roten Boxen der einzelnen Projekte dar. Hier hat das Ausstellungsteam um Kuratorin Simone Erpel vorab mit den einzelnen Projektträgern die jeweilige Gestaltung geplant und koordiniert, um trotz des starken Wiedererkennungseffektes (oder auch Uniformität) der Box diese individuell zu gestalten. So sind die Boxen nicht nur auf verschiedenen Höhen und Positionen angebracht, sondern als geschlossener Kubus, als Vitrine, als Rahmen oder als Multimediastation gestaltet. Zur genaueren Erläuterung des präsentierten Projekts sind jeweils an der Seite der Box herausnehmbare Objekttafeln angebracht mit den relevanten Informationen für den Besucher. Allerdings sind diese Objektkarten schwer wahrnehmbar und auch das Herausnehmen gestaltet sich teilweise schwierig. Daher bietet sich hier der Griff zu der im gleichen Format ausgegebenen Begleitbroschüre an, in der alle gezeigten Projekte jeweils mit einer Doppelseite vertreten sind.

In der Gestaltung und den Themen der roten Boxen offeriert sich dem Besucher die titelgebende Vielfalt. So finden sich korrespondierende Objekte wie das Teeservice aus den Hael-Werkstätten („Avantgarde für den Alltag – Jüdische Keramikerinnen in Deutschland 1919–1933“ / Bröhan-Museum) und der Teller zum Julfest 1941 („Hitlers Schreibtischtäter. Das SS-Amt Unter den Eichen“ / Kulturamt Steglitz-Zehlendorf). Einige alltägliche Objekte wie ein Wörterbuch und eine Taschenlampe zeigt das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Schöneweide und fragt direkt „Was hat das mit Zwangsarbeit zu tun?“, um damit auf einen Besuch vor Ort zu verweisen. Dass es manchmal die einfachen Gestaltungsideen sind, die sich herausheben, zeigen zwei weitere Projekte. So ist die Box zu der Open-Air-Ausstellung „Vergessene jüdische Architekten“ 1 als Rahmenmodell gestaltet, auf der umlaufend auf cremefarbenen Papierstreifen einzelne Architekten vorgestellt werden. Durch die auf der Spitze stehende, im Raum schwebende Hängung der Box findet die Gestaltung nicht nur einen interessanten Kontrapunkt zum Thema, sondern stellt auch einen visuellen Anziehungspunkt innerhalb der Portalausstellung dar. Das zweite Beispiel ist die als Guckkasten gestaltete Box, die einen Blick in die Zellenkeller des SA-Gefängnisses Papestraße darstellt. Die an Liebhaberpanoramen und Puppenstube erinnernde Gestaltungsidee wird dabei durch eine massive originale Zellentür eindrucksvoll konterkariert. Auch die Zusammenfassung mehrerer Boxen in einer Installation überzeugt, so etwa die vier Projekte zum zeitgenössischen Pressewesen, deren Boxen sich zu einer abstrahierten Rotationsdruckmaschine verbinden.

Heraus ragt im wortwörtlichen Sinn neben diesen Boxen der originale Pilzlautsprecher, der den Themenbereich „Machtergreifung“ mit seiner schieren Größe prägt und dem Besucher gleichsam visuell die Bedeutung der Propaganda für die damalige Zeit verdeutlicht. Etwas unglücklich erscheint, dass der Begriff „Machtergreifung“ als Oberthema hier so eine starke Renaissance findet, obwohl dessen Konnotationen einer aktiven Machteroberung als auch einer spezifischen westdeutsch-historiographischen Sichtweise sich nicht als hilfreich erweisen. Auch als zeitgenössischer Ausdruck hat er ja keinen dies rechtfertigenden Vorrang.2 In der bewussten Dekonstruktion der bekannten Propagandabilder vom Fackelzug am 30. Januar 1933 wird das Anliegen der Ausstellung deutlich, geläufige Geschichtsbilder zu hinterfragen. Die Originalfotos vom Fackelzug – schlechte, dunkle Aufnahmen, denen die Überzeugungskraft nicht nur aus technischer Mangelhaftigkeit fehlt – sind starke Bildobjekte, sie hätten auf der viel präsenteren Vorderseite dabei sogar noch deutlicher die ikonographische Präsenz der bekannten Fackelzugbilder gebrochen. Das Thema Propaganda spielt auch beim Thema Olympia 1936 eine beherrschende Rolle, und hier gelingt es mit der Präsentation der Exil- und Gegenpropaganda, die vielreproduzierten Olympia-Bilder in Berlin – von den meisten Besucher schon längst verinnerlicht – mit den Originalobjekten zu kontrastieren. Von dieser Themen- und Objektspannung wäre manchmal mehr wünschenswert gewesen.

Als verdienstvoll ist neben dem Vorstellen der verschiedenen Projekte vor allem die eindrucksvolle Thematisierung der „frühen Gewalt“ zu nennen, also den politischen Straßenkampf, den un- oder nur notdürftig gezügelten SA-Terror nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, die Rolle der Hilfs-Polizei bei der gewaltsamen Ausschaltung der politischen Gegner. Mit der Zellentür aus dem „wilden KZ“ in der Papestraße, einem Schlagstock und zwei Originalpistolen ist das Thema Gewalt auch in den Objekten sehr präsent. Wie stark die Durchsetzung der NS-Herrschaft bereits 1933/34 an rigorose Gewaltausübung gekoppelt war, wird in dieser Eindeutigkeit für manchen Besucher sicher als Ergänzung seines eigenen Geschichtsbildes wahrgenommen werden.

Die eigentliche Aufgabe, den Besucher auf weitere Exkursionen und Besuche in ganz Berlin zu schicken, erfüllt diese Portalausstellung. In ihrer klaren Konzentration auf die roten Boxen und ihrer Überschaubarkeit entlässt sie den Besucher eben nicht mit dem Gefühl, jetzt alles Wesentliche und hinreichend erfahren zu haben, sondern gibt eine Menge Anregungen zu weiteren Besuchen. Dazu trägt auch das handliche und unentgeltlich verteilte Begleitheft bei, das man sich nach Verlassen der Ausstellungsräume bequem in die Hand- oder Manteltasche stecken kann. Die weiteren Angebote, vom Audioguide über eine Kinderführung und umfangreiches Begleitprogramm, unterstützen diese Vermittlungsarbeit. Insofern ist das Versuchsmodell einer solchen Portalausstellung als gelungen umgesetzt und praktikabel einzuschätzen.

Anmerkungen:
1 Vgl. zu diesem Thema Myra Warhaftig: Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933. Das Lexikon – 500 Biographien, Berlin 2005.
2 Vgl. schon die Ausführungen von 1983 dazu von Norbert Frei: „Machtergreifung“. Anmerkungen zu einem historischen Begriff, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31, H. 1, S. 136–145.

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