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Titel
Chlodwig I.. Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt


Autor(en)
Becher, Matthias
Erschienen
München 2011: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
330 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jennifer Vanessa Dobschenzki, Institut für Geschichte, Mittelalterliche Geschichte, Universität Regensburg

Zum 1.500-jährigen Todestag Chlodwigs ist nun die erste deutschsprachige Chlodwig-„Biographie“ erschienen. Während der ebenso schillernde wie polarisierende Frankenkönig in der französischen Geschichte und Geschichtswissenschaft spätestens seit dem groß gefeierten Jubiläum seiner Taufe 1996 seinen Platz gefunden hat1, spielte er in Deutschland eher eine Nebenrolle. Nun scheint also auch hierzulande das Interesse an Chlodwig gestiegen zu sein. Der Zeitpunkt scheint insofern günstig gewählt, da man sich – gerade in Zeiten der Euro-Krise – wieder auf gemeinsame, „europäische“ Wurzeln besinnen will.2

Dass es kein leichtes Unterfangen darstellt, eine Biographie über Chlodwig zu schreiben, macht Matthias Becher gleich zu Beginn in seiner Einleitung klar. Aufgrund der schlechten Quellenlage sei eine Charakterisierung nahezu unmöglich (S. 11), was zur Folge habe, dass „wir uns auf die Rekonstruktion seiner Taten beschränken müssen, bei seinen Absichten, Plänen und Zielen aber kaum einmal über plausible Vermutungen hinaus gelangen“ (S. 11). Vor allem die einzige zusammenhängende, aber stark legendarisch-idealisierende und erst Jahrzehnte nach Chlodwigs Tod entstandene Erzählung Gregors von Tours bereitet dem modernen Historiker immer wieder Schwierigkeiten, die schon bei der zeitlichen Einordnung von Chlodwigs Taten offenbar werden (S. 17–21). Um diesem „Übergewicht“ Gregors entgegenzuwirken, beginnt Becher seine Darstellung schon viel früher, nämlich mit dem ersten Auftreten der Franken in der römischen Historiographie. So nimmt denn auch ein Großteil des Buches eben diese Vorgeschichte ein (S. 23–143), was Becher damit begründet, dass es schon vor Chlodwig Frankenkönige gegeben und dieser seine Karriere auch als solcher begonnen habe. So werden die frühen Frankenkönige in den Blick genommen sowie Gregors Suche nach ihnen. Dabei wird sehr schnell deutlich, dass es dem Bischof von Tours in erster Linie darum ging, die Merowinger als einziges Königsgeschlecht darzustellen; andere Quellen, die nicht in dieses Konzept passen, ignorierte Gregor einfach (S. 107).3 Auch die angeblich sakrale Stellung der Frankenkönige wird einer kritischen Betrachtung unterzogen, die deutlich werden lässt, dass sowohl die angeblich göttliche Abstammung der Merowinger als auch deren lange Haare als äußeres Erkennungszeichen nicht unbedingt als Beweis für „germanisch-heidnisch sakrale Vorstellungen“ angeführt werden können (S. 116–119). Unter den Vorgängern Chlodwigs nimmt vor allem sein Vater Childerich eine wichtige Stellung ein, der sowohl als römischer Offizier als auch als fränkischer König agierte. Dies zeigt besonders sein Grab in Tournai: So wurde er nicht nur mit römischen Herrschaftsabzeichen, zum Beispiel dem Siegelring, bestattet, sondern auch mit germanisch-fränkischen Waffen wie der Wurfaxt, der so genannten „Franciska“ (S. 132–138).4

In den folgenden vier Kapiteln werden die wichtigsten Stationen der „Karriere“ Chlodwigs eingehend dargestellt, von denen hier nur die wichtigsten besprochen werden können. Die Eroberung des Syagrius-Reiches bildet den ersten Markstein im Aufstieg Chlodwigs (S. 144–152). In diesen Zeitraum fällt auch das Schreiben des Bischofs Remigius von Reims, das er an Chlodwig aufgrund der Übernahme der Belgica II richtete. Remigius – so Becher – agierte dadurch vor allem als Metropolit, der mit diesem Brief den geänderten Machtverhältnissen in seinem Bistum und seiner Kirchenprovinz Rechnung trug (S. 153–155). Natürlich wird auch die berühmt gewordene Beuteteilung von Soissons näher betrachtet, die zwar legendarische Züge aufweist, aber wohl einen realen Kern enthält (S. 158–161). Sie ist insbesondere in Bezug auf die Stellung des Königs aufschlussreich, da dieser (noch) an die Beuteverteilung durch das Los gebunden zu sein scheint.

Der vieldiskutierten Taufe Chlodwigs ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem Becher die drei entscheidenden Quellen (das Glückwunschschreiben des Avitus von Vienne, den Bericht Gregors, den Brief des Bischofs Nicetius an Chlodwigs Enkelin Chlodoswinde) ausführlich diskutiert (S. 174–203). Auch wenn viele Fragen weiterhin ungeklärt bleiben, etwa die genaue Datierung der Schlacht gegen die Alemannen, so sind gerade die politischen Implikationen der Taufe offensichtlich. Dass es vor allem das militärische Geschick Chlodwigs war, das ihm den Übertritt zum Christentum erleichterte, ist für seine Bekehrung ausschlaggebender als die Frage, „ob er sich während einer bestimmten Schlacht dazu entschieden hatte“ (S. 192).5 Hier wäre der Hinweis angebracht gewesen, dass Chlodwigs Entscheidung für das katholische Christentum in gewisser Weise eine Unterwerfung unter das in der Gallia nach dem Erlöschen des weströmischen Kaisertums entstandene neue politische Sinnsystem bedeutete, das ganz wesentlich auf dem (katholischen) Christentum basierte und als dessen wichtigste Exponenten die gallischen Bischöfe anzusehen sind.6

Weitere wichtige Bezugspunkte für Chlodwigs Aufstieg zum mächtigsten und schließlich einzigen Frankenkönig bilden die Kriege gegen Alemannen, Burgunder und Westgoten (S. 204–234). Letztere besiegte er 507 in der Schlacht bei Vouillé (oder: Voulon südlich von Poitiers), über die Gregor von Tours relativ knapp berichtet (S. 229). Auch wenn Chlodwig in der Folge den Westgoten oder den mit ihnen verbündeten Ostgoten wieder Gebiete abtreten musste, so stieg das Reich der Franken nun zur wichtigsten Größe neben dem Reich der Ostgoten (S. 234) auf. Die Verleihung des Ehrenkonsulats durch Kaiser Anastasius I. integrierte Chlodwig in die „Familie der Könige“ und erkannte seine machtpolitische Stellung offiziell an (S. 235–239). Uneingeschränkter Alleinherrscher im Frankenreich wurde er durch die Ausschaltung der fränkischen (Klein-)Könige (S. 251–258). Die Chlodwig von Gregor von Tours in den Mund gelegte Klage, es gäbe keine lebenden Verwandten mehr, die ihm bei Bedarf zu Hilfe hätten eilen können, deutet Becher als öffentlich zur Schau gestellte Trauer Chlodwigs, die als Geste der Versöhnung gedacht war, und verwirft damit Gregors Interpretation als List des Königs, um noch verbliebene Verwandte aus dem Weg räumen zu können (S. 258).

Nicht diskutiert wird das im Titel angekündigte, mit den Merowingern verbundene „Ende der antiken Welt“. Dieses angebliche Ende muss selbst erschlossen werden, was nur mit dem nötigen Hintergrundwissen möglich ist und auch dadurch erschwert wird, dass Becher, bis auf wenige Ausnahmen, nur Ereignisgeschichte bietet. Davon abgesehen wäre das Ende (besser: Transformation) der Antike erst über einen längeren Zeitraum hinweg fassbar und sollte nicht von einer einzigen Person/Dynastie abhängig gemacht werden. Becher widerspricht dem „Ende der antiken Welt“ auch insofern, dass er auf Kontinuitäten eingeht, etwa was die aus dem römischen Reich übernommene civitas-Struktur anbelangt oder die Bischöfe betrifft, die schon unter Konstantin dem Großen weltliche Aufgaben übernommen hatten und besonders in der Gallia an die Stelle weltlicher Herrschaftsträger traten (S. 239–250).

Matthias Becher lässt in seiner Chlodwig-„Biographie“ sämtliche relevanten Quellen zu Chlodwig (hagiographische, historiographische und normative Quellen sowie Briefe) ausführlich zu Wort kommen. Dadurch erweist sich die Darstellung nicht nur als sehr quellennah geschrieben, sondern auch als überaus benutzerfreundlich. Dies dürfte gerade Studierenden zugutekommen, die die Zeit der so genannten Völkerwanderung und der Merowinger oftmals als etwas chaotisch empfinden. Positiv hervorzuheben ist ferner das abschließende Kapitel, das neben Tod und Nachfolge Chlodwigs auch sein Nachleben bis in die Gegenwart hinein aufarbeitet (S. 265–282). Das von Becher vermittelte Chlodwig-Bild ist im Grunde ein positives, was nicht weiter verwunderlich ist, da er ja auch als einer der „bedeutenden Gründerväter Europas“ (S. 282) taugen muss. Wesentlich pragmatischer äußerte sich da etwa Bernhard Jussen, der den Aspekt der Gewalt mehr in den Vordergrund stellte und Chlodwig treffend als „warlord“ bezeichnete.7 Die Suche nach den Gründervätern Europas zeigt jedenfalls, dass die Schaffung eines Großreiches stets mit Gewalt verbunden war – das gilt für Karl den Großen ebenso wie für Chlodwig.

Anmerkungen:
1 Zum 1.500-jährigen Jubiläum der Taufe (die allerdings nicht letztgültig datiert werden kann) erschienen in Frankreich mehrere Monographien, von denen nur die wichtigsten genannt seien: Béatrice Chevallier, Clovis. Un roi européen, Paris 1996; Michel Rouche, Clovis. Suivi de vingt et un documents traduits et commentés, Paris 1996; ders. (Hrsg.), Clovis. Histoire & mémoire. Actes du Colloque international d’Histoire de Reims, 2 Bde., Paris 1996.
2 Schon in den 2007 erschienenen Sammelband „Sie schufen Europa“ wurde Chlodwig aufgenommen. Vgl. Bernhard Jussen, Chlodwig und die Eigentümlichkeiten Galliens. Ein warlord im rechten Augenblick, in: Mischa Meier (Hrsg.), Sie schufen Europa. Historische Portraits von Konstantin bis Karl dem Großen, München 2007, S. 141–155.
3 Becher spricht in diesem Zusammenhang von einer origo, also einer Herkunftserzählung, die Gregor in seinem Werk angeblich bietet (S. 108). Dies ist nicht ganz zutreffend, da Gregors Bericht von der Frühgeschichte der Franken keine origo gentis im eigentlichen Sinne darstellt, wie Alheydis Plassmann überzeugend nachgewiesen hat. Vgl. Alheydis Plassmann, Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen, Berlin 2006, S. 116–147, bes. S. 145.
4 Ob es sich bei der „Franciska“ tatsächlich um eine spezifisch fränkische Waffe handelt und diese somit eine Art „ethnischen Marker“ darstellt (siehe auch S. 143), ist schon seit einigen Jahren in Zweifel gezogen worden. Sogar Romanen hätten diese Waffe benutzt und außerdem handele es sich um eine Zuschreibung „von Außen“, also durch Nicht-Franken wie etwa Isidor von Sevilla. Vgl. Walter Pohl, Telling the Difference: Signs of Ethnic Identity, in: Walter Pohl / Helmut Reimitz (Hrsg.), The Construction of Ethnic Communities 300–800, Leiden 1998, S. 17–69, hier S. 33–40.
5 Hier folgt Becher einer Argumentation, die er schon an anderer Stelle vertreten hat. Vgl. Matthias Becher, Merowinger und Karolinger, Darmstadt 2009, S. 7.
6 Vgl. Jussen, Chlodwig, S. 149 (siehe Anm. 2).
7 Vgl. Jussen, Chlodwig, S. 154 (siehe Anm. 2).