Cover
Titel
The Art of Hearing. English Preachers and their Audiences, 1590-1640


Autor(en)
Hunt, Arnold
Reihe
Cambridge Studies in Early Modern British History
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 414 S.
Preis
84,99 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philip Hahn, Seminar für Neuere Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen

Die Kanzel war zweifelsohne eine der wichtigsten medialen Plattformen in der Frühen Neuzeit. Eines der kniffligsten Probleme der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Predigten stellt jedoch bekanntermaßen die Erforschung ihrer zeitgenössischen Wirkung dar. Zwar sind gedruckte Predigten zu allen erdenklichen Anlässen in beinahe unermesslicher Menge überliefert, doch sind Zeugnisse ihrer Rezeption durch die Hörer eher selten. Letztere wird daher meist vernachlässigt, oder es werden mangels anderer Quellen allein Rückschlüsse aus dem Inhalt der Predigten selbst gezogen – dies gilt nicht nur für England, sondern ebenso für den deutschsprachigen Raum.

Der Autor, Handschriftenkurator an der British Library, hat in dem von ihm ausgewählten Zeitraum, der das letzte Jahrzehnt der Regierung Elisabeths I. sowie die Ära der frühen Stuarts bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs umfasst, ein geeignetes Quellenkorpus identifiziert, mittels dessen sich die Wirkung von Predigten genauer erforschen lässt. In diesen Jahrzehnten wurde nämlich nicht nur eine intensive Debatte zur Wirksamkeit des Lesens und Hörens von Predigten innerhalb der anglikanischen Kirche zwischen Konformisten und den sogenannten Puritanern ausgetragen, sondern es sind auch – vor allem von den Letzteren – zahlreiche private Aufzeichnungen über gehörte Predigten aus dieser Zeit erhalten.

Hunts sieben Kapitel umfassendes Buch lässt sich grob in drei Teile gliedern. Die ersten beiden Kapitel sind der Theorie des Predigens und Predigthörens gewidmet, Kapitel 3 bis 5 wenden sich dann dem Weg von der gehaltenen bis zur gedruckten Predigt und den unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu, die sich Predigern in London und in der englischen Provinz boten. Die beiden letzten Kapitel zeigen auf, inwiefern eine solche Kontextualisierung zu einer neuen Interpretation des frühneuzeitlichen Predigens in theologischer und politischer Hinsicht führen kann.

Den Verlauf der Kontroverse um das Predigthören in England, die in den 1630er-Jahren zugunsten einer Öffnung puritanischer Geistlicher für den Druck von Predigten abebbte, nutzt der Verfasser zu einer kritischen Lektüre der Great Divide-Theorie Walter Ongs. Zwar lasse sich ein langfristiger Wandel hin zur Hegemonie des Sehsinns in der Neuzeit nicht leugnen, doch habe sich ein (instabiles) Gleichgewicht zwischen mündlicher und schriftlicher Kultur lange halten können. Dieser mit anderen jüngeren Forschungen im Einklang stehende Befund ist bei der Gattung der Predigt insofern von besonderem Interesse, als sich daran besonders gut beobachten lässt, wie im 17. Jahrhundert allmählich der Unterschied zwischen dem gehörten und dem gelesenen Wort zu verschwimmen begann und auch die Wahrnehmung dieser Differenz verloren ging.

Auf die im Titel des Buches genannte Kunst des Hörens geht der Verfasser dann im zweiten Kapitel näher ein. Aus der Sicht der Zeitgenossen ging es dabei in erster Linie um eine Kunst des Gedächtnisses, denn trotz des nicht minder verbreiteten Predigtschlafs befürchteten Prediger in erster Linie die Unfähigkeit der Zuhörer, das Gehörte zu memorieren. Unterschiedliche Techniken wie die Repetition nach der Predigt oder das Verfassen von Predigtnotizen sollten Abhilfe schaffen. Ursprünglich vor allem in puritanischen Kreisen praktiziert, fanden solche Techniken des Predigthörens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts allgemeine Verbreitung in England. Die meisten erhaltenen Aufzeichnungen stammen zwar von Universitätsabsolventen, doch gewähren im Rahmen von Gerichtsverhandlungen gegen Prediger hinzugezogene Zeugen sowie vereinzelte Predigtnotizen aus der Hand von weniger Gebildeten Einblicke in eine Zuhörerschaft, die die theologischen Ausführungen offensichtlich nur ansatzweise verstand oder ihnen einfach akustisch nicht folgen konnte. Selbst wenn sich gebildete Nonkonformisten gern über das quasi-phonetische Mitschreiben solcher Zuhörer lustig machten, so verdeutlicht die anscheinend weite Verbreitung solcher Praktiken, dass die gehörte Predigt allgemein als wichtig wahrgenommen wurde.

Kapitel 3 analysiert das vielschichtige Feld zwischen dem mündlichen Kanzelvortrag und der gedruckten Predigt. Trotz der enormen gedruckten Überlieferung dürfe man, so Hunt, nicht vergessen, dass nur ein Bruchteil der gehaltenen Predigten gedruckt worden sei. Die geringe Anzahl überlieferter Handschriften, Predigtkonzepte und -notizen vermittle ein verzerrtes Bild, da solche Aufzeichnungen nachweislich vielfach zirkulierten. Der Verfasser liest unautorisierte Mitschriften und Drucke als mitunter direktere Zeugnisse des mündlichen Vortrags, vergleicht Überarbeitungen, die auf die Zuhilfenahme von Kurzschrift-Mitschriften hindeuten, und verfolgt die Transformation von Predigten in Druckschriften quasi-oralen Stils mit Blick auf ihre Benutzung durch die Leser. Interessant sind auch die von Hunt beobachteten Rückkopplungseffekte wie etwa der Einfluss der Lektüre gedruckter Predigten auf die Erwartungshaltung von Predigthörern.

Der mittlere Teil des Buches stellt zwei stark kontrastierende Öffentlichkeiten frühneuzeitlichen Predigens in England einander gegenüber: Während Kapitel 4 das sogenannte sermon-gadding, den in puritanischen Kreisen weit verbreiteten Brauch, regelmäßig andere Prediger zu hören, beleuchtet und daraus Rückschlüsse auf die Flexibilität der Prediger in der Anpassung ihres Vortrags an die Zusammensetzung der Zuhörerschaft zieht, untersucht Kapitel 5 den Erfolg ländlichen Predigens. Gerade hier sei die Berücksichtigung handschriftlich überlieferter Predigten von Bedeutung, um zu erfassen, was in der englischen Provinz tatsächlich von den Kanzeln verkündigt wurde. Die bei Reformationshistorikern beliebte Frage des Erfolgs oder Misserfolgs der Reformation auf dem Land hält Hunt für falsch gestellt; ihn interessiert vielmehr, wie etwa das polarisierende Potential der Prädestinationslehre vor Ort für die nachbarschaftlich geprägten Verhältnisse aufbereitet wurde. Denn, so argumentiert er weiter in Kapitel 7, diese Lehre sei durch Predigten weitverbreitetes Allgemeingut gewesen, und alles andere als rein akademisch-theologische Spekulation, wie von einigen Historikern behauptet.

Auch werde die politische Bedeutung der Predigten an Gerichtstagen (Assize Sermons) und von der Kanzel außerhalb der St. Pauls-Kathedrale (Paul’s Cross) von der Forschung nach wie vor unterschätzt. Zwar ließen sich kaum aktuelle politische Konzepte identifizieren (und danach zu suchen, gehe an der Natur des Genres vorbei), doch habe die Verwendung konventioneller Gemeinplätze und Exempel aufgrund ihrer großen Bedeutung im zeitgenössischen Diskurs bei den Zuhörern ihre Wirkung nicht verfehlt und gleichzeitig die Prediger vor Verdächtigungen und Angriffen geschützt.

Ein Ausblick auf spätere Entwicklungen der Predigt in England rundet das Buch ab, das durchweg gründlich recherchiert, schlüssig argumentiert und sehr gut lesbar geschrieben ist. Es zeigt, wie weit die Erforschung frühneuzeitlicher Predigten in England gediehen ist. Bedauerlicherweise enthält das Buch keine umfassende Bibliographie; stattdessen ist nur eine Auswahlbibliographie der eingesehenen Handschriften beigegeben, und die zitierten Druckschriften sowie die Forschungsliteratur sind lediglich in den Fußnoten verzeichnet. Dennoch ist zu hoffen, dass die von dieser Arbeit ausgehenden Impulse in Methode und Fragestellung auch im deutschsprachigen Raum ihre verdiente Resonanz finden.

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