Sammelrez: Geschichte des politischen Islams in Deutschland

: Die vierte Moschee. Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus. Stuttgart 2011 : Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-94622-2 360 S. € 22,95

: Eine Moschee in Deutschland. Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam im Westen. München 2011 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-61411-8 316 S. € 19,95

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Frank Schellenberg, Institut für Politische Wissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Gleich zwei, im vergangenen Jahr erschienene Bücher wählen die Geschichte der Moschee des Islamischen Zentrums in München-Freimann als Aufhänger für ihre Erzählung der Geschichte des politischen Islams in Deutschland und widmen sich dabei einigen interessanten, bisher kaum beachteten Zusammenhängen. Die beiden Bücher des Historikers und Fernsehredakteurs Stefan Meining und des Journalisten und Sinologen Ian Johnson haben jedoch mehr als nur ihren Aufhänger gemein; auch ihre Intention und der grobe Aufbau sind beinahe deckungsgleich. Beide interessieren sich für die Instrumentalisierung und Politisierung des Islams in Europa seit den 1940er-Jahren und vereinen unter diesen Stichworten eine Vielzahl von Fakten, Anekdoten und Kurzbiographien, welche sich grob zu drei, mehr oder weniger eng miteinander verknüpften Geschichten zusammenfassen lassen:

Zunächst geht es um die nationalsozialistische Islampolitik und den Einsatz muslimischer Freiwilliger in der deutschen Armee. Nachdem sich die deutsche Führung im ersten Sommer des Krieges gegen die Sowjetunion in völliger Selbstüberschätzung und aufgrund ihres Rassendünkels noch gegen die Einrichtung von Freiwilligenarmeen gewehrt hatte, wurden ab dem Sommer 1942 vermehrt Gegner Stalins und Angehörige von Minderheiten aus der Sowjetunion in der nationalsozialistischen Armee eingesetzt. Unter ihnen nahmen die Muslime Zentralasiens und des Kaukasus eine Sonderstellung ein: Sie stellten die Mehrheit unter den Überläufern und genossen bei der nationalsozialistischen Führung das größte Vertrauen. Parallel dazu wurden in Deutschland Exilorganisationen gegründet, welche vorgeblich der nationalen Befreiung gewidmet waren, in erster Linie jedoch der politischen Vereinnahmung durch das NS-Regime dienten.

Die zweite Geschichte thematisiert das Fortleben dieser Strategie sowie der nationalsozialistischen Netzwerke im Kalten Krieg. Diejenigen muslimischen Emigranten, welche der Repatriierung und damit der Bestrafung durch Stalin entkommen waren, wurden in der Nachkriegszeit von bundesdeutschen und US-amerikanischen Geheimdiensten umworben und in verschiedenen Propagandaeinrichtungen eingesetzt. Die halbherzige Entnazifizierung Deutschlands ermöglichte es einigen der Architekten der nationalsozialistischen Islampolitik, auch nach dem Krieg ihre Tätigkeit fortzusetzen. Mithilfe der während des Krieges geknüpften Netzwerke traten sie schließlich sogar in Konkurrenz zu US-amerikanischen Diensten, da sie sich von der Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen sowjetischer Muslime nicht allein eine Schwächung der Sowjetunion, sondern auch die Unterstützung revisionistischer „deutscher Interessen“ erhofften. Der 1958 gegründete Verein Geistliche Verwaltung der Muslimflüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland e.V., aus dem später die Islamische Gemeinschaft Süddeutschlands und schließlich die bis heute bestehende Islamische Gemeinschaft in Deutschland hervorgingen, war ein direktes Ergebnis dieser Bemühungen und entwickelte sich zu einem wichtigen Organ der muslimischen Emigranten.

Im Jahr 1960 ging aus der Geistlichen Verwaltung eine Initiative zum Bau einer Moschee in München hervor. Dieses Ereignis steht im Zentrum der beiden Bücher und verbindet die verschiedenen Geschichten miteinander. In der Moscheebau-Kommission trafen – wohlwollend betrachtet von den westlichen Strategen – die muslimischen Veteranen des Zweiten Weltkrieges auf eine zunächst noch geringe Zahl junger arabischer Studierender und, in der Gestalt des ägyptischen Juristen Said Ramadans, auf einen frühen Repräsentanten des politischen Islams in Europa. Ramadan übernahm für einige Jahre den Vorsitz der Kommission und war mitverantwortlich dafür, dass die arabischen Studierenden bis zur Eröffnung der Moschee in München-Freimann im Jahre 1973 die alte Riege der muslimischen Emigranten aus der Führungsebene der Organisation verdrängen konnten. Seither wurden die Moschee und die dazugehörige Organisation von gebildeten arabischen und pakistanischen Muslimen dominiert, die ihre hegemoniale Stellung sowohl gegen die zentralasiatischen und kaukasischen Muslime als auch später gegen die immer größer werdende türkisch-muslimische Gemeinschaft in Deutschland abzusichern wussten. Die Moschee entwickelte sich zu einem wichtigen Ort muslimischen Lebens in Deutschland und zu einem Instrument der Organisation und Vernetzung. In der Zeit nach dem 11. September 2001 geriet die Organisation zeitweilig in den Blick der Ermittlungsbehörden. Vor allem der langjährige Vorsitzende Ali Ghaleb Himmat geriet in den Verdacht, al-Qaida und andere islamistische Terrororganisationen finanziell unterstützt zu haben.

Die genannten Hauptthemen und Eckdaten der Bücher sind wie gesagt weitgehend identisch, jedoch setzen die beiden Autoren jeweils unterschiedliche Schwerpunkte: Meining konzentriert sich beispielsweise stark auf die Geschichte islamischer Organisationen in Deutschland und nimmt dabei auch die Rolle und die Biographien deutscher KonvertitInnen mit in den Blick, während Johnson in stärkerem Maße versucht, die Entwicklung in die Geschichte des internationalen Islamismus einzubetten. Daraus ergibt sich auch die unterschiedliche Gewichtung der verschiedenen Teile in den beiden Büchern: Bei Johnsons bildet der Abschnitt über die Instrumentalisierung während des Kalten Kriegs mit mehr als sechzig Prozent eindeutig den Hauptteil des Werkes, während bei Meining das Verhältnis der einzelnen Teile deutlich ausgeglichener ist. Die überaus interessante Geschichte der nationalsozialistischen Instrumentalisierung macht bei beiden leider nicht einmal ein Fünftel aus. Meining gelingt es jedoch der Kürze zum Trotz, die konkurrierenden Positionen der Verantwortlichen des NS-Regimes zur Einrichtung von Freiwilligenarmeen in ihrem Wandel überzeugend und anschaulich darzustellen, was bei Johnson etwas untergeht.

Die Vorbehalte hinsichtlich der Seriosität der Bücher, welche sich aufgrund der Aufmachung und einiger allzu reißerischer Rezensionen einstellen, zerschlagen sich während der Lektüre trotz einiger recht ausgewogener und angenehm differenzierter Teile jedoch leider nicht. Die zugrunde liegende Intention, Hintergründe des zeitgenössischen Islamismus aufzuzeigen und Kontinuitäten in der Geschichte sichtbar zu machen, scheint die Darstellung allzu häufig zu beeinflussen. Vor allem Meining, der postuliert, er wolle mit seinem Buch „Ausgangs- und Knotenpunkte, Traditions- und Nebenlinien“ in der Geschichte des politischen Islams der Gegenwart aufzeigen, ohne welche die Analyse desselben „blind“ bleibe, scheint zu glauben, dass die Ausbreitung des politischen Islams erst durch die geschilderten, seiner Ansicht nach „katastrophalen Fehleinschätzung“ (S. 256) von Seiten der westlichen Politik möglich gemacht wurde. Um dies zu rechtfertigen, werden neben den Tatsachen immer wieder Verdächtigungen präsentiert, die zum Teil nur schwer nachvollziehbar sind. Das geht schließlich so weit, dass „die Freiräume und Freiheiten“, welche es den MuslimInnen ermöglichten, ihr religiöses Leben zu organisieren und Netzwerke zu bilden (S. 256) von Meining beinahe als Skandal aufgefasst zu werden scheinen. Johnson scheint bei seiner Recherche vor allem die unglückliche Rolle der amerikanischen Politik beim Aufbau des internationalen Terrorismus in Afghanistan im Hinterkopf gehabt zu haben, was zu einer ähnlich gefärbten Darstellung der Zusammenhänge in seinem Buch führt. Abgesehen von der Tatsache, dass beide Autoren sowohl die Existenz muslimischen Lebens in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg als auch frühere Instrumentalisierungsversuche des Islams zur Durchsetzung deutscher Interessen ignorieren, scheitern sie daran, ihren Brückenschlag von der anti-kommunistischen Instrumentalisierung der Muslime hin zur Ausbreitung islamistischer Ideen im Westen überzeugend zu begründen. Dabei wäre es überhaupt nicht notwendig gewesen, die Relevanz der Forschungsergebnisse durch die zwanghafte Konstruktion eines unmittelbaren Gegenwartsbezugs zu legitimieren.

Dieses Geltungsbedürfnis schlägt sich auch in dem für ein akademisches Publikum gewöhnungsbedürftigen Stil nieder. Den Autoren war es offenbar wichtig, eine Balance zwischen Informationsdichte auf der einen sowie Lesbarkeit und Spannung auf der anderen Seite zu erreichen. Bei beiden finden sich dementsprechend sowohl eher spröde Passagen, in denen Namen und Daten aneinandergereiht werden, als auch sehr bildhafte Beschreibungen von Charakteren und Schlüsselereignissen. Letzteres wirkt an manchen Stellen etwas bemüht, ist aber möglicherweise sinnvoll, um die Werke einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Einige ärgerliche Ungenauigkeiten lassen sich jedoch wohl kaum hinreichend mit dem Zielgruppenbewusstsein der Autoren erklären. Der stilistische Balanceakt gelingt Johnson etwas besser als Meining, der zum Teil in einen unangenehm mystifizierenden Stil abdriftet und dessen Abschweifungen manchmal eher deplatziert als bereichernd wirken.

Johnson trägt der breiten Zielgruppe auch dadurch Rechnung, dass er einige allgemeine Informationen zur Einführung für diejenigen LeserInnen gibt, welche noch nicht mit der Geschichte des Islams und moderner islamischer Ideologien vertraut sind. An Vergleichbarem findet sich bei Meining nur eine kurze Einführung zur Stellung der Frau im politischen Islam. Nicht nur für EinsteigerInnen in das Thema wäre außerdem eine genauere Definition dessen, was er unter Islamismus und politischen Islam versteht, wünschenswert gewesen. Wenig ansprechend ist auch die Zitierweise. Bei beiden Autoren finden sich Belege und Anmerkungen am Schluss des Buches; bei Meining wird die Handhabung dadurch erschwert, dass die Endnoten kapitelweise durchnummeriert und dadurch schlecht aufzufinden sind; Johnson verzichtet gar auf die Markierung derselben im Text.

Abschließend lässt sich sagen, dass sich die Relevanz der Bücher aus der Menge interessanter und bisher wenig beachteter Informationen, nicht aus der Aufdeckung überraschender, die Gegenwart erklärender Hintergründe oder Kontinuitäten ergibt. Wer es schafft, über die etwas reißerische Aufmachung und Berichterstattung hinwegzusehen, kann die Bücher vielleicht nicht mit Wohlgefallen, so doch zumindest mit einigem Gewinn lesen. Sehr lesenswert sind jeweils der erste Teil sowie die Informationen über die Lebensläufe und Wirkung einzelner Protagonisten wie Gerhard von Menden und Said Ramadan. Wer sich erst in geringem Maße mit der Geschichte des politischen Islams auseinandergesetzt hat und gesteigerten Wert auf eine „spannende“ Lektüre legt, dem sei eher das Buch Johnsons empfohlen. Das Buch Meinings liefert dagegen fortgeschritteneren LeserInnen etwas mehr Neues und bietet zum Teil einen etwas schärferen Blick auf wichtige Zusammenhänge.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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