D. Halikiopoulou: Patterns of Secularization

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Titel
Patterns of Secularization. Church, State and Nation in Greece and the Republic of Ireland


Autor(en)
Halikiopoulou, Daphne
Erschienen
Farnham 2011: Ashgate
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
€ 66,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marian Burchardt, Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig

Der jüngere religionssoziologische Diskurs zu Fragen von Säkularisierung und Säkularismus ist in erster Linie von einer scheinbar unaufhaltbaren Flut von Beschwörungen der „Wiederkehr der Religion“ sowie ideologiekritischen Einlassungen zu den Machtwirkungen säkularer Wissensregime geprägt. Von der einstigen Hegemonie säkularisierungstheoretischer Positionen ist kaum mehr als ein Schatten übrig geblieben und selbst Versuchen einer kritischen Rekonstruktion solcher Positionen haftet - trotz der im europäischen Kontext relativ klaren Datenlage - inzwischen der Nimbus des Ewiggestrigen an. Vor diesem Hintergrund erscheint Daphne Halikiopoulous Studie „Patterns of Secularization. Church, State and Nation in Greece and the Republic of Ireland“ ungemein erfrischend.

Dies hat verschiedene Gründe. Einerseits stellt ihre Studie Kritiken der klassischen Säkularisierungstheorie in Rechnung: sie geht von vornherein von einer Pluralität möglicher Entwicklungspfade aus und rekonstruiert die von ihr bearbeiteten Fälle – Griechenland und Irland – konsequent aus ihrer kontingenten historischen Logik heraus; sie berücksichtigt – wie vielfach eingefordert – bei der Operationalisierung des Säkularisierungskonzepts die Verschiedenheit jeweils zentraler religiöser Praktiken in den untersuchten religiösen Traditionen (Orthodoxie und Katholizismus) und vermeidet damit Methodenartefakte; und sie nimmt bereits dem Design nach die jüngere Forderung nach vergleichenden Ansätzen auf. Sie geht damit über klassische Formulierungen hinaus, ohne aber andererseits in geläufige Polemiken einzustimmen.

Halikiopoulou positioniert sich damit im Spektrum der kritischen Rekonstruktion und bietet gleichzeitig eine Weiterentwicklung der von David Martin entwickelten Theorie des „cultural defense“. Diese besagt, dass in Gesellschaften mit starken Verflechtungen von Religion und nationalen Identitäten Säkularisierungstendenzen schwächer ausfallen, da Kirchen ihre Macht über ihre Funktion als Trägerinnen und Symbole nationaler Einheit bzw. Unabhängigkeit und weniger über ihr Verhältnis zum Staat entfalten. Solche Verflechtungen liegen wiederum typischerweise in Ländern mit kolonialer Vergangenheit vor, in denen die Religion der Imperialmacht von der der Unterworfenen verschieden ist. Dies ist sowohl in Irland wie auch in Griechenland der Fall. Während beide Länder im 20. Jahrhundert tatsächlich durch eine – im europäischen Vergleich – besondere religiöse Vitalität gekennzeichnet waren, zeichnete sich aber in Irland in den letzten zwei Jahrzehnten ein starker Rückgang ab, während die Lage in Griechenland äußerst stabil erscheint.

Das Ziel des Buches ist die Entschlüsselung dieses Rätsels, der es sich über die Ausgangshypothese nährt, dass in Bezug auf das Verhältnis von Kirche, Staat und Nation Säkularisierung wahrscheinlicher ist, wenn a) Kirchen Modernisierungshindernisse darstellen, und b) sich die Wahrnehmung äußerer Bedrohung abschwächt.

Das Buch besteht aus sechs Kapiteln sowie einer Zusammenfassung, die jeweils vergleichend angelegt sind. Die ersten beiden Kapitel rekapitulieren die Säkularisierungsdebatte und zeichnen die historische Genese und Konsolidierung des Verhältnisses von Staat, Nation und Religion und deren Kristallisierung im „cultural defense“-Modell nach. Die beiden folgenden Kapitel sind der Analyse des Verhältnisses von Kirche und Staat bzw. Kirche und Nation gewidmet. Das fünfte Kapitel untersucht am Beispiel des Bildungssystems das Verhältnis von Religion und Nation im Diskurs des Staates, während das sechste Kapitel die Perspektive wechselt und nach der Bedeutung nationalistischer Mobilisierung im Diskurs der Kirche fragt.

Schritt für Schritt wird nun deutlich, wie sich der relativ dramatische Rückgang der Religiosität in Irland einerseits aus der spezifischen Form der katholischen Kirche als „moralisches Monopol“ (S. 61) und andererseits aus der Transformation eines religiösen in einen zivilen Nationalismus erklärt. Dabei steigt die katholische Kirche insbesondere im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der britischen Imperialherrschaft und des Verschwindens der irischen Sprache zunächst zum Symbol für den Unabhängigkeitskampf und die Kontinuität des Irentums auf. Gleichzeitig wird sie zu einer Art „Staat im Staate“, der über die Kontrolle der Bildungs-, Gesundheits- und Wohlfahrtsinstitutionen alltagsweltliche Lebenszusammenhänge maßgeblich bestimmt, hierbei aber insbesondere auf die Ausformung von Subjektivitäten über die Durchsetzung doktrinär abgesicherter religiöser Moralnormen abstellt. Die katholische Kirche ist damit zunächst vom Staat eher unabhängig und bedarf zur Erfüllung ihrer Rolle eines umfassenden Stabs von Angestellten. Diese Situation wird der Kirche später zum Verhängnis, da immer weniger Menschen in katholische Hierarchien zum Ausfüllen der Positionen rekrutiert werden können und da die Kirche gerade durch ihre Abhängigkeit von prinzipiell unverhandelbaren Doktrinen in eine rein konfrontative und defensive Haltung zu Modernisierungsprozessen gerät. Halikiopoulou schließt daraus, dass die katholische Kirche zum Modernisierungshindernis wird und deshalb dem Modernisierungsprozess quasi zum Opfer fällt.

Parallel dazu wird die Wahrnehmung äußerer Bedrohung durch Großbritannien – insbesondere seit den Fortschritten im nordirischen Friedensprozess – immer schwächer, wozu auch die positive Bewertung der Europäisierung Irlands entscheidend beiträgt. Die sich damit zunehmend lockernde Bindung von Katholizismus und Nationalismus findet ihren Ausdruck im staatlichen Geschichtsdiskurs, der immer weniger auf Religion rekurriert, während der Kirchendiskurs unbeirrt auf Moraldoktrinen fokussiert, in Bezug auf die Nationalismusproblematik jedoch von einem Versöhnungsethos durchzogen ist.

Spiegelbildlich dazu zeigt die Untersuchung des griechischen Falles, warum dort nun gerade keine Säkularisierungstendenzen festzustellen sind. Dazu stellt Halikiopoulou zunächst das anders gelagerte Verhältnis zum Staat heraus, dem die orthodoxe Kirche prinzipiell untergeordnet ist und deren Hauptfunktion in der Beschaffung nationalstaatlicher Legitimität besteht. Wichtig ist nun die Beobachtung, dass die Kirche durch die geringere Bedeutung von Doktrinen dem Staat gegenüber prinzipiell kompromissbereit auftritt, wodurch sie auf staatlich initiierte Modernisierungsprozesse auch flexibler reagieren kann. Unhintergehbar ist hingegen die Verstrickung der Orthodoxie mit der Idee der griechischen Nation bzw. des Hellenismus, die sich im charismatisch geprägten Helden- und Opferkult, in der Stilisierung des orthodoxen Klerus als Retter und Beschützer gegen Feinde wie in dessen Versprechen der Schicksalhaftigkeit und Zeitlosigkeit des Griechentums spiegelt. Dabei schafft es die Kirche, vor allem vor dem Hintergrund der Konflikte mit der Türkei und der Zypernfrage, aber auch der durch den Zerfall Jugoslawiens und durch die ambivalente Positionierung zur EU aufgelösten Unsicherheiten ihre Bedeutung für die Nation permanent plausibel zu machen.

Die Studie ist konzeptionell durchdacht und theoretisch kohärent aufgebaut und äußerst lesbar geschrieben. Die Darstellung der religiösen Nationalismen macht die verschiedenen Verläufe in hervorragender Weise argumentativ plausibel. Gleichwohl wäre die Herstellung von Bezügen zu umfassenderen Theorien des katholischen bzw. orthodoxen Weges in die Moderne an manchen Stellen wünschenswert gewesen. Hingegen erscheinen die Ausführungen zum Verhältnis von Religion und Modernisierung phasenweise holzschnittartig. Die Frage der Flexibilität bzw. Unfähigkeit der Verarbeitung der Moderne wird durch das gelieferte Material nur in Teilen beantwortet. Dabei verweist der Begriff der Modernisierung hier auf ein grundlegenderes konzeptuelles Problem: Während die Studie zwar im Prinzip Kritiken an klassischen, modernisierungstheoretischen Varianten der Säkularisierungstheorie aufnimmt, hält sie dem Duktus nach am klassischen Modernisierungskonzept fest. So gerät der griechische Fall dann zur „Ausnahme“ von einer allgemeinen Regel, der sich nur solange halten kann, solange kontingente historische Bedingungen ihn ermöglichen. Damit erscheint Säkularisierung wiederum als ultimativer Fluchtpunkt, auf den geschichtliche Bewegungen zufließen, wenn ihr denn keine Hindernisse in den Weg gelegt werden. Auch wenn Europa zweifellos säkularer wird, scheint eine solche Perspektive universalistischen Epistemologien verhaftet, die schwer begründbar sind.

Dennoch hat Daphne Halikiopoulou ein vor allem durch seinen theoretischen Beitrag überzeugendes Buch abgeliefert, das für ReligionssoziologInnen und vergleichende KulturwissenschaftlerInnen wie auch für NationalismusforscherInnen aufschluss- und lehrreich ist.

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