N. Benseddik: Esculape et Hygie en Afrique

Cover
Titel
Esculape et Hygie en Afrique. Bd. 1: Recherches sur les cultes guérisseurs. Bd. 2: Textes et images


Autor(en)
Benseddik, Nacéra
Reihe
Mémoires de l’Académie des inscriptions et belles-lettres. N.s. 44
Erschienen
Paris 2010: de Boccard
Anzahl Seiten
Bd. 1: 377 S., Bd. 2: 297 S.
Preis
€ 150,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Eingartner, Klassische Archäologie, Universität Augsburg

Nach der Vorlage des monumentalen Werkes von Marcel LeGlay zum so genannten afrikanischen Saturn aus den Jahren 1961–661 bietet der hier zu besprechende Band den zweiten groß angelegten Versuch, den Kult einer bzw. zweier im römischen Nordafrika intensiv verehrter Gottheiten in Gestalt des Aesculapius und der Hygia auf der Basis sämtlicher zur Verfügung stehender Zeugnisse darzustellen. Anders als im Fall des so genannten afrikanischen Saturn ist der Kult der beiden Heilgötter jedoch nicht auf den Maghreb beschränkt. Er findet sich vielmehr in fast allen Teilen des Imperium Romanum, wenngleich sich die meisten Hinterlassenschaften in erster Linie von Seiten der Inschriften auf die iberische Halbinsel und das westliche Nordafrika konzentrieren. Dies muss speziell mit Blick auf letztere Region nicht sonderlich verwundern. Denn bereits im vorrömischen Karthago belegte der mit dem griechischen Asklepios gleichgesetzte phönizisch-punische Eshmoun hinter Baal Hammon und Tanit Pene Baal den dritten Rang im Pantheon der Stadt. An der geschilderten Konstellation änderte sich auch nach der Eroberung Karthagos durch die Römer wenig, als Baal Hammon mit Saturn, Tanit mit der Dea Caelestis und Eshmoun/Asklepios mit Aesculapius identifiziert wurden. Dabei haben sich Saturn und die Dea Caelestis nach Auskunft der überaus zahlreich überlieferten Heiligtümer, Votivstelen etc. zu den mit Abstand wichtigsten Gottheiten im gesamten Nordafrika entwickelt. Welche Rolle daneben Aesculapius als ein weiterer Vertreter der so genannten afrikanischen Religion spielte, wurde indes, falls man sich überhaupt dafür interessierte, eher unterschiedlich beurteilt. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die Menge der auf den Kult bezogenen Materialien gerade im Vergleich zu Saturn und der Dea Caelestis deutlich geringer ausfällt. Andererseits gibt es nicht wenige, ebenso mit einem punischen Substrat versehene Götter wie Melqart/Herkules oder Shadrapa/Liber Pater, die hinsichtlich der mit ihnen zu verbindenden religiösen Zeugnisse dem Aesculapius kaum nachstehen. Angesichts dessen stellt sich die Frage nach dem wirklichen Stellenwert des Heilgottes und seiner Kultgenossin Hygia um so dringlicher, zumal beide im Gegensatz zu den meisten übrigen Gottheiten nicht nur im zivilen, sondern auch im militärischen Milieu verwurzelt sind.

Die Arbeit von Nacéra Benseddik ist in zwei Bände untergliedert, von denen der erste mit dem Titel „Recherches sur les cultes guérisseurs“ dem eigentlich inhaltlichen Teil des Werkes entspricht. Dieser fußt wiederum auf dem nach Art eines Kataloges konzipierten zweiten Band mit dem Titel „Textes et images“, in dem das für den Kult der Heilgötter in Nordafrika relevante archäologische und epigraphische Material zusammengestellt ist.

In der Einleitung zu Band 1 (S. 17–25) erörtert Nacéra Benseddik die Beweggründe für ihre Beschäftigung mit den Heilgöttern in Nordafrika. Hier ergibt sich vor dem Hintergrund der eingangs skizzierten Voraussetzungen vor allem das Problem, inwieweit insbesondere Aeculapius als eine importierte eher griechisch-römische oder durch die Verschmelzung mit dem phönizisch-punischen Eshmoun und eventuell mit noch anderen berberisch-numidischen Vorläufern als eine eher „afrikanische“ Gottheit wahrgenommen wurde. Da die literarischen Quellen im Wesentlichen schweigen, ist eine Antwort auf die Frage allein von dem im Katalog gesammelten archäologisch-epigraphischen Material zu erwarten. Nach der Masse der dem zivilen Bereich entstammenden Denkmäler zu urteilen scheint das Pendel zugunsten der indigenen Komponente auszuschlagen. Zieht man stattdessen das militärische Umfeld ins Kalkül, wofür der größte und bekannteste Sakralbau der Heilgötter in Lambaesis Pate steht, so differenziert sich das Bild. Denn dort überwiegen trotz mancher afrikanischer Einflüsse in der Vergesellschaftung von Aesculapius und Salus bzw. Hygia klar die klassischen Züge des Kultes. Auch setzt sich diese Variante der Religion im Gefolge der von Lambaesis abkommandierten militärischen Einheiten offenbar vielerorts durch. Der daraus resultierende ambivalente Charakter der Heilgötter mutet deshalb einmalig unter den in Nordafrika gepflegten Kulten an, was zu ergründen das vorrangige Ziel der Arbeit von Nacéra Benseddik ist.

Die Abhandlung erstreckt sich auf insgesamt neun übergeordnete, das Thema systematisch erschließende Kapitel. Passend dazu sind die ersten vier Abschnitte dem allgemeinen Verständnis des Gegenstandes gewidmet, indem der Reihe nach die Herkunft und das erste Auftreten der Heilgötter in Nordafrika (S. 27–50), deren hier entwickelte Eigenschaften und ikonographische Umsetzung (S. 51–84) sowie die Spuren und die Verteilung des Kultes (S. 85–121 bzw. 123–141) aufgezeigt werden. In den beiden anschließenden Kapiteln geht Nacéra Benseddik in jeweils vertiefter Form auf das Wesen des griechisch-römischen und „afrikanischen“ Aesculapius ein (S. 143–240 bzw. S. 241–300). Die drei letzten Abschnitte sind der Verwendung des Wassers im Kult (S. 301–318), dem Verhältnis des Aesculapius zum Christentum (S. 319–329) und dem Weiterleben der Heilgötter in der naturreligiös geprägten Glaubenswelt des Maghreb (S. 331–353) vorbehalten. Die Zusammenfassung am Ende des Werkes bringt einen Ausblick auf die Beziehungen zwischen Medizin, Magie und Religion, wie sie bis heute den Umgang mit der ärztlichen Kunst bei den islamischen Völkern bestimmen (S. 355–367).

Das Zentrum des auf ziviler Ebene in Verbindung mit dem „afrikanischen“ Aesculapius ausgeübten Kultes war zweifellos Karthago. Darüber hinaus wurde der hier erstmals dem Eshmoun angeglichene Gott hauptsächlich in den aus alten berberisch-punischen Siedlungen erwachsenen römischen Städten im westlichen Teil der Africa Proconsularis verehrt. In den Focus der militärischen Komponente der Religion rückt dagegen Numidien mit dem von der Legio III Augusta betriebenen Heiligtum in Lambaesis. Dort tritt Eshmoun hinter dem rein griechisch-römischen Aesculapius weitgehend zurück, in welcher Gestalt dieser zusammen mit Hygia von den aus aller Welt herbeiströmenden Soldaten importiert wurde. Der Sakralbau selbst erweist sich nicht nur als die dauerhafteste Verehrungsstätte der Heilgötter in Nordafrika, sondern auch als Ausstrahlungsort für die Propagierung des Kultes entlang der Okkupationswege bis zu den entferntesten Stationen am Limes Tripolitanus (Gholaia).

Der soweit herauspräparierte, abweichende Charakter des griechisch-römischen und des „afrikanischen“ Aesculapius wird von Nacéra Benseddik auch anhand der sich jeweils in der Organisation des Kultes niederschlagenden Modalitäten genauer beleuchtet. Dabei ist für ersteren zwangsläufig von dem 161/2 n.Chr. wahrscheinlich in Reaktion auf die gleichzeitig aus dem Orient eingeschleppte Pest gegründeten Heiligtum in Lambaesis auszugehen. Der hier als einziger in Nordafrika im dorischen Stil errichtete Tempel knüpft unmittelbar an klassische griechische Sakralbauten an. Ebenso ungewöhnlich ist das von einer Via Sacra beherrschte Temenos mit der den Zugang markierenden Propyläenarchitektur sowie dem zu einem ausgedehnten Thermalkomplex überleitenden Abaton. Das Ensemble stellt somit eine bewusste Reminiszenz an das bekannte Heiligtum des Asklepios in Epidauros dar. Dass dies kein Zufall ist, wird zudem durch eine Weihinschrift aus Gammarth mit der Schlussformel „Aesculapio ab Epidauro“ unterstrichen. Von außen herangetragen sind auch die in den zahlreichen Kapellen zu beiden Seiten der Via Sacra angerufenen Gottheiten. Die meisten von ihnen wurden von den in Lambaesis stationierten Soldaten aus ihren Heimatländern mitgebracht.

Über die in dem Heiligtum in Lambaesis abgehaltenen Riten informieren weder archäologische noch epigraphische Quellen. Nicht viel anders verhält es sich mit den Kultstätten, welche nach Nacéra Benseddik dem „afrikanischen“ Aesculapius zuzurechnen sind. Anhaltpunkte für die Liturgie finden sich allein in der berühmten Lex Sacra des Heilgottes aus Thuburbo Maius, einer ursprünglich numidisch-punischen und erst relativ spät romanisierten Stadt im Hinterland Karthagos. Gemäß dem Text mussten die Gläubigen mehrere Bedingungen erfüllen, bevor sie barfüßig zwischen Schranken hindurch ein Podium besteigen durften, welches der Auftraggeber der Inschrift auf Veranlassung des Aesculapius errichtet hatte. Die Bedingungen umfassen eine dreitägige sexuelle Enthaltsamkeit sowie den Verzicht auf Schweinefleisch, Bohnen und einen Barbier bzw. ein öffentliches Bad.

Unter den reichsweit zur Religion der Heilgötter überlieferten Vorschriften ist das Entbehren von Speisen nur in der Lex Sacra von Thuburbo Maius genannt. Für Nacéra Benseddik ist dies ein Indiz für eine speziell in Nordafrika unter punischem Einfluss praktizierte Variante des Ritus. Allerdings berichtet Gellius (10,15,11–15) von fast zum Verwechseln ähnlichen Verboten auch im Kult der Flamines in Italien. Zu berücksichtigen wäre auch ein Befund im so genannten temple anonyme in Althiburos. Der dort vor dem Podium des Tempels verlaufende, von Schranken begleitete und mit einem Wasserbecken ausgestattete Weg wirkt wie eine Illustration der in der Inschrift in Thuburbo Maius geschilderten Einrichtungen. In dem Heiligtum in Althiburos wurde Aesculapius in Kombination mit Jupiter und Mars verehrt, wobei das durch den Kriegsgott betonte militärische Element an die Situation in Lambaesis erinnert. Insofern ist eine strikte Trennung des Kultes in eine „afrikanische“ und griechisch-römische Komponente zumindest im rituellen Bereich eher schwierig.2

Dennoch ist daran, dass der Heilgott seinen Anhängern in Nordafrika mit einem doppelten Gesicht begegnete, nicht zu rütteln. Dies wird am eindringlichsten durch den klassischen Aesculapius von Lambaesis unter Beweis gestellt, während der Platz, den das „afrikanische“ Pendant unter den mehr oder minder romanisierten Gottheiten der Region einnahm, noch genauer zu bestimmen wäre. Die Grundlagen dafür geschaffen zu haben, ist aber nur eines von mehreren bleibenden Verdiensten, welche sich Nacéra Benseddik mit ihrer Arbeit erworben hat.

Anmerkung:
1 Marcel LeGlay, Saturne africain. Monuments, 2 Bände, Paris 1961 und 1966; ders., Saturne africain. Histoire (BEFAR 205), Paris 1966.
2 Johannes Eingartner, Templa cum Porticibus. Ausstattung und Funktion italischer Tempelbezirke in Nordafrika und ihre Bedeutung für die römische Stadt der Kaiserzeit, Rahden/Westfalen 2005, S. 88–90.

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