N. Hodgin u.a. (Hrsg.): The GDR Remembered

Cover
Titel
The GDR Remembered. Representations of the East German State Since 1989


Herausgeber
Hodgin, Nick; Pearce, Caroline
Reihe
Studies in German Literature Linguistics and Culture Studies
Erschienen
Rochester, NY 2011: Camden House
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
£40.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ute Wölfel, University of Reading

Die Beschäftigung mit der DDR und dem Osten Deutschlands ist in Großbritannien kein vom politischen Kalender diktiertes Thema, sondern in der britischen Forschungslandschaft fest verankert; 20 Jahre Mauerfall und deutsche Vereinigung dienten daher als Anlass und nicht als Grund der Auseinandersetzung. Nick Hodgin und Caroline Pearce versammeln in dem Band „The GDR Remembered“ britische und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in ihren Beiträgen damit auseinandersetzen, wie seit der Wende an die DDR erinnert wird. Die Aufsätze sind in drei Bereichen gruppiert: Erstens Literatur und Film, zweitens Museen und Gedenkstätten sowie schließlich Ostalgie, Geschichtsschreibung und Generationengedächtnis. In dieser Dreiteilung spiegeln sich die derzeit dominanten Forschungsinteressen zum Gegenstand DDR, Wende und deutsche Vereinigung.

Die britische Perspektive auf die deutsche Teilung und Vereinigung ist seit jeher von produktiver Skepsis und von einem ausgesprochenen Interesse am Konfliktpotenzial der deutschen Zustände gekennzeichnet. Dementsprechend werden von Hodgin und Pearce Zweifel an der glatten Erfolgsgeschichte der deutschen Vereinigung vorausgeschickt und der Versuch angekündigt, die komplexen Auswirkungen der Vereinigung auf den Osten und den Westen Deutschlands zu betrachten. Im Fokus der Herausgeber stehen die konkurrierenden Erinnerungen an die DDR und deren kulturelle, soziale und politische Verortung.

Der erste Teil des Bandes, „Remembering the GDR in Literature and Film“, dokumentiert eine breit gefächerte Diskussion zur Reflexion der DDR in Literatur und Film seit der Vereinigung, wobei die gewählten Ansätze und Themen auf ein noch zu entwickelndes Potential deuten. Laura Bradley untersucht Erinnerungen an das DDR-Theater in filmischen und literarischen Nachwendetexten von Beteiligten – Andreas Dresens „Stilles Land“ (1992), Barbara Honigmanns „Alles, alles Liebe“ (2000) und Emine Sevgi Özdamars „Seltsame Sterne starren zur Erde“ (2003). Sie zeigt Theater als ein Perspektiv auf die DDR-Gesellschaft, das in den drei Texten verschieden nuancierte Erinnerungsbilder produziert. Die Frage, warum Theater solch eine Funktion bekommt, sollte jedoch über den autobiografischen Zusammenhang der Texte hinaus weiter diskutiert werden. Anna O’Driscall geht anhand von Christoph Heins „Frau Paula Trousseau“ (2007), Monika Marons „Endmoräne“ (2002) bzw. „Ach Glück“ (2007) und Christa Wolfs „Ein Tag im Jahr“ (2003) der Verbindung von Alter, Verlust und Melancholie in Nachwendetexten dieser Autorinnen und Autoren nach. In der Thematisierung von Aspekten wie der Funktionslosigkeit des Individuums, seiner Ohnmacht, seinem eigenen Scheitern verbunden mit dem Scheitern der Ideologien fungiert die Wende aber durchaus nicht als große Veränderung. Vielmehr scheinen sich in den literarischen Figuren Erfahrungen fortzuschreiben, die auch vor 1989 im Oeuvre dieser AutorInnen dargestellt wurden; so deuten sich hier Erzählmuster an, die anderen als den unmittelbar politischen Koordinaten folgen. Eine Außensicht auf die DDR wird in Stuart Parkes Aufsatz umrissen, der sich mit Texten über die DDR von Nicht-DDR-Autoren beschäftigt wie Martin Walsers „Die Verteidigung der Kindheit“ (1991), Jan Böttchers „Nachglühen“ (2008), Jacques-Pierre Amettes „La maitresse du Brecht“ (2003). Die Frage, welches DDR-Bild hier vermittelt wird – nämlich ein auf Gewalt- und Repressionsmechanismen fokussiertes –, impliziert die größere Frage, zu welcher Art Symbol die DDR in einer globalisierten Kulturlandschaft wird. Am Ende des ersten Teils steht Nick Hodgins Aufsatz zu Florian Henckel von Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“ (2006). Hodgin greift die Diskussion auf, ob der Film tatsächlich ein authentisches Bild der DDR vermittle und so ein Gegengewicht zur viel kritisierten Ostalgie schaffe oder ob er nicht vielmehr teilhabe an einer anderen Form der Nostalgie, nämlich der einer klaren Trennung von ‚Gut‘ und ‚Böse‘.

Teil zwei des Bandes beschäftigt sich mit „Remembering the GDR through Museums and Memorials“. Hier finden sich zum einen Fallbeispiele zur Entwicklung einer Erinnerungslandschaft, wie Günter Schlusches Aufsatz über die Gedenkstätte Berliner Mauer und Andreas Wagners Beitrag über Gedenkstätten in Mecklenburg-Vorpommern, und zum anderen Aufsätze, die ihre Funktionen und die ihnen untergründig eingeschriebenen politischen Erzählungen weiter reflektieren und kontextualisieren. Die Aufsätze in diesem Teil stehen in einem produktiven Gespräch und bieten einen breiten Einblick in Debatten zur deutschen Erinnerungskultur. Am Beispiel einer spezifischen Gedenkstätte und der Erinnerungslandschaft eines Bundeslandes erläutern Schlusche beziehungsweise Wagner politische Entscheidungen und kulturelle Praktiken, die bei der Entwicklung von Gedenkstätten ausschlaggebend waren. Ihre jeweiligen Darlegungen zu rechtlichen, politischen, städtebaulichen, architektonischen, kommunalen, touristischen, materiellen und finanziellen Bedingungen sowie die Diskussion der Funktionen von Gedenkstätten erlauben detaillierte Einblicke in Entwicklung und Veränderung dieses kulturpolitischen Bereichs seit 1989. Die Fallbeispiele verdeutlichen zugleich eine ost- und eine westdeutsche Perspektive, was existierende Konflikte gut veranschaulicht, wenn Schlusche ostdeutsche Gedenkpraktiken auf offizielle Vorgaben reduziert und heutige Praktiken aus der westdeutschen Tradition des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit herleitet. Wagner dagegen betont Anfänge eines von Bürgern getragenen Gedenkens in den späten 1980er-Jahren der DDR und erklärt Initiativen zur Neugestaltung der Gedenklandschaft aus dem Bedürfnis vieler Ostdeutscher, sich ihre Vergangenheiten selbst anzueignen.

Beide Aufsätze werden kommentiert und ergänzt von Pertti Ahonens Untersuchung zum Gedenken an die Berliner Mauer nach 1989, in der er eine Dominanz der westdeutschen und Marginalisierung der ostdeutschen Perspektive herausarbeitet. Trotz eines zunehmend integrativen Ansatzes bei der Konzeption von Gedenkstätten blieben Ost-West-Polarisierungen bestehen, zumal die Aufarbeitung der DDR noch immer einer Legitimierung der westdeutschen Demokratie diene. Auch Pearces Aufsatz zu Schwierigkeiten und Ungleichheiten bei der ‚doppelten Vergangenheitsbewältigung‘ führt die Diskussion um die Neugestaltung der ostdeutschen Gedenklandschaft nach 1989 weiter. Die Frage nach der Zulässigkeit des Vergleichs zwischen nationalsozialistischer und SED-Diktatur und seinen praktischen Schwierigkeiten wird hier auch im Zusammenhang europäischer Erinnerungspraktiken gesehen. Silke Arnold-de Simines Aufsatz über Museen zum DDR-Alltag schließlich ordnet die Debatte um eine gespaltene Erinnerungslandschaft in eine sich global verändernde Museumskultur ein und zeigt auf, dass nicht nur politische Interessen oder der Gegensatz von offizieller und privater Erinnerung zur Polarisierung der Erinnerungskultur führen, sondern auch sich wandelnde Museumskonzepte und globalisierte Erzählungen der Vergangenheit dazu beitragen.

Der dritte Teil des Bandes, „Ostalgie, Historiography, and Generational Memory“, führt die produktive Ausweitung des Blickes auf deutsch-deutsche Konflikte durch die Einbettung in radikalere und größere Erklärungszusammenhänge und Theoriemodelle weiter. Das verdeutlicht zunächst Mary Fulbrooks Generationenanalyse, die ostdeutsche Sichtweisen generationsspezifisch differenziert und dabei die DDR als Produkt generationenabhängiger Erfahrungen der deutschen Geschichte und ihrer Umbrüche im 20. Jahrhundert einordnet. Eine ergiebige Perspektive bietet auch Thomas Ahbes Aufsatz, wenn er deutsch-deutsche Konflikte herleitet aus der verschiedenen, in beiden deutschen Staaten politisch bewusst geförderten Selbstwahrnehmung als Arbeiter- beziehungsweise Mittelklasse-Gesellschaft; zugleich kam es nach der Wende nicht zur Verständigung über diese Identitätskonstrukte und ihre Werte. Die Renaissance der Totalitarismustheorie führte zur Marginalisierung ostdeutscher Identität und einer Diskursivierung, die letztlich die westdeutsche Identität legitimiert. Ahbe verzeichnet dabei nicht nur eine anhaltende Zersplitterung der Erinnerung an die DDR, sondern auch ein Manko für die politische Kultur des vereinigten Deutschlands. Die Frage nach dem Mangel nimmt auch Peter Thompson zum Ausgangspunkt in seiner lohnenden Interpretation von Ostalgie im Rahmen der Hoffnungsphilosphie Ernst Blochs. Diese ermögliche es, Ostalgie als Sehnsucht nach einer Zukunft zu verstehen, die in der Vergangenheit (der DDR) bereits verloren war. Davon ausgehend kann Ostalgie auf ihre vielschichtigen, auch widersprüchlichen Funktionen im vereinigten Deutschland befragt sowie gleichzeitig als eine Form des generellen ‚Unbehagens an der Moderne‘ herausgearbeitet werden. Schließlich zielen auch Stefan Bergers Ausführungen zur Geschichte der DDR-Geschichtswissenschaft auf die Frage nach dem Verlust, nämlich an Forschungsgegenständen und -methoden, der dem vereinigten Deutschland aus der radikalen Abwicklung der DDR-Geschichtswissenschaftler nach 1990 erwachsen ist. Welche Lücken bleiben, da die Chance der eigenen ‚Neuerfindung‘ den DDR-Historikern weitgehend genommen wurde?

Der Band zeigt die Erinnerungen an die DDR als bleibenden und wichtigen Bestandteil deutscher Identitätskonstruktion. Zugleich gelingt es vor allem im zweiten und dritten Teil diese Konstruktionen im Kontext größerer Zusammenhänge zu verorten. Eine solche Ausweitung des Blickwinkels auf soziopolitische Entwicklungen moderner Gesellschaften, Generationsgeschichte oder die Globalisierung von Repräsentationen gesellschaftlicher Erfahrungen ist aber genau das, was die anhaltende Beschäftigung mit der DDR und dem Osten Deutschlands produktiv hält und begründet.

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