Cover
Titel
Kriegsbühnen. Theater im Ersten Weltkrieg. Berlin, Lissabon, Paris und Wien


Autor(en)
Krivanec, Eva
Reihe
Postcolonial Studies 37
Anzahl Seiten
375 S.
Preis
€ 33,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nic Leonhardt, Institut für Theaterwissenschaft, LMU München

Theater ruht nie. Theater ist ein Umschlagplatz für Gleichzeitiges und Ungleichzeitiges, Verhandlungsspielraum, Reflexionsmaschine und Experimentierfeld. In Zeiten des Friedens und des Krieges. Kriegsbühnen, Theater im Ersten Weltkrieg nimmt Eva Krivanec in ihrem gleichnamigen Buch ins Visier und widmet sich den Theater- und Alltagskulturen vierer Metropolen bis zum Kriegsende 1918. Als „Beitrag zu einer europäischen Theater- und Kulturgeschichte, die über einen einzelnen lokalen und nationalen Kontext hinausgehen will“ (S. 11), projektiert Krivanec, die an der Universität Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaft lehrt, ihre Studie, in der sie nach dem Einfluss des „Großen Kriegs“ auf Theatergenres, Spielpläne, Stücke und Inszenierungen fragt (S. 24).

Angelehnt ist „Kriegsbühnen“ an die immer noch unerreicht gründliche Theater- und Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs in Deutschland, „Kriegstheater“, des Historikers Martin Baumeister.1 Krivanec erweitert den Fokus um drei weitere Städte. Neben Berlin bindet sie noch Wien, Paris und Lissabon ein. Grund für ihre Auswahl ist, dass diese Städte nicht nur kulturelle Metropolen, sondern auch „politische (und militärische) Schaltzentralen im Ersten Weltkrieg“ seien, an denen sich „ideologische wie ästhetische Ähnlichkeiten und Differenzen“ (S. 10) herausarbeiten ließen. Es ist ein Verdienst dieser auf Krivanecs Dissertation aufbauender Publikation2, unzählige Stücke aus der Zeit des Ersten Weltkrieges zusammengetragen zu haben. Der Umfang des Materialkorpus ist beachtlich und man hätte gern Zugriff auf die Datenbank, in der Krivanec für die Kriegsjahre 90.000 Datensätze erfasst hat. Nun ist es weder Aufgabe eines Buches noch medial kompatibel, diese Datenbank mitzuliefern. Allerdings wäre eine Übersicht über die behandelten Theatertexte ein guter Dienst am Leser gewesen.

Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel. Im ersten beleuchtet Krivanec das Verhältnis von Stadt, Nation und Theater seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, um das theaterkulturelle „Klima“ in den untersuchten Städten, aber auch die je spezifischen und konkurrierenden Urbanisierungsmaßnahmen verständlich zu machen. Zu diesen Themen sind in den vergangenen Jahren wertvolle Arbeiten erschienen. Gerade wegen der guten Aufarbeitung zum Verhältnis von Stadt, Nation und „Massenkultur“ um die Jahrhundertwende hätten einige Textpassagen durch entsprechende Verweise leicht gekürzt werden können.3 So braucht es doch recht lange, bis man sich zum eigentlichen Schwerpunkt des Buches, den Kriegsbühnen, vorgearbeitet hat.

Im zweiten Kapitel, „Kriegsmobilmachung auf den Bühnen“, werden stereotype Zuschreibungen und nationale Propaganda in Theatertexten und Aufführungen diskutiert, darüber hinaus aber auch neueste Waffen und Kriegstechniken und ihre dramaturgische Implementierung. Kapitel drei, „Die ‚geeinte Nation’ auf der Bühne“, bespricht die Bezüge und Wiederaufnahmen des historischen Dramas des 19. Jahrhunderts sowie die Geschlechterverhältnisse in Krieg und Gesellschaft (hier zeigt sich erneut die enge Anlehnung an Baumeister). Inhaltlich taugen, das zeigt Krivanec schön auf, keineswegs nur explizit auf den zeitgenössischen Krieg gemünzte Stücke zur Mobilmachung oder Verarbeitung der Kriegsgeschehnisse; auch bereits im Jahrhundert zuvor im Kontext der Nationenbildung produzierte Vorlagen werden in den Kriegsjahren wiederverwertet, um patriotische Gesinnungen zu schüren. Diese stofflichen und politischen Brücken zwischen den Kriegsjahren und dem 19. Jahrhundert hätten durchaus noch stärker konturiert werden können.

Was wurde gespielt kurz vor dem Krieg, in den Kriegsjahren und danach? Insbesondere in den Kapiteln „Die scheinbare Rückkehr zur Normalität“(4), „Ungleichzeitigkeiten am Theater“ (5) und „Kriegsmüdigkeit und soziales Aufbegehren“ (6) beantwortet Krivanec diese Fragen, entlang von Operette, Kabarett, Revue, Gesangsposse, Drama, Kriegsausstellungen und dem politischen Steuerinstrument der Zensur. Die nicht zu unterschätzende Ausbreitung von Kriegstheater – verstanden als Theater von und für Soldaten in den Kriegsgebieten – klammert Krivanec aus. Kapitel sieben befasst sich mit den Tendenzen der sogenannten Theater-Avantgarde, die hier als „zwischen ästhetischer und politischer Revolution“ angesiedelt, aber doch als (künstlerisch produktives) ‚Outcome’ aus den Kriegsjahren eingestuft wird. Dass sich technologische Finessen und das Aufbrechen von Strukturen und (ästhetischen) Konventionen, wie sie für die Vertreter der Theater-Avantgarde programmatisch sind, bereits in den Kriegsspektakeln, Revuen und Ausstattungsstücken der Jahrhundertwende zeigen, ist ein zwar nicht neuer, aber immer noch zu wenig bearbeiteter Befund, insbesondere im Kontext einer transnationalen Theater-, Technik- und Kulturgeschichte.

Eine Untersuchung von Theater- und „Populärkultur“ kommt nicht ohne die Besprechung intermedialer Referenzen aus, gilt doch Theater einerseits als Bezugsmedium und verhandelt andererseits immer auch Themen des Krieges anderer populärer Medien.4 Eva Krivanec nennt (Kriegs-)Filme, Zeitungsberichte, Plakate oder Kriegsblätter, setzt sie aber nur marginal zum Theater in Bezug. Dies gilt auch für die abgedruckten Bildquellen, Plakate, Theaterzettel/Programmhefte, Szenenbilder, architektonischen Zeichnungen oder Fotografien von Personen, die als historische Quellen längst anerkannt sind, die aber hier leider nur einen illustrativen Wert zugewiesen bekommen. An dieser Stelle sei noch kritisch angemerkt, dass die im Buch abgedruckten Bildmaterialien häufig aus Sekundärquellen übernommen wurden. Wissenschaftlich historiografisch eleganter und „sauberer“ wäre es sicherlich, die Aufbewahrungsorte der Originale zu annotieren.

In „Kriegsbühnen“ jongliert Krivanec mit Quellenmaterialien – Tageszeitungen, Zeitschriften, Regiebüchern, Theateralmanachen – in drei unterschiedlichen Sprachen; deren Übertragung in ein stilgerechtes Deutsch ist ein lobenswertes Surplus dieses Buches. Angesichts der offenkundigen Sprachkenntnisse Krivanecs wäre eine analytisch präzise Besprechung der jeweiligen Kriegs- und Nationalrhetoriken zusätzlich bereichernd gewesen. Die größte Stärke des Buches – der synchrone Vergleich der vier Städte – gerät zuweilen zu einer Herausforderung für den Leser (vielleicht auch für die Autorin selbst). Oft findet der Wechsel zwischen den Beispielen und den geografischen Zentren so abrupt statt, dass man argumentativ, epistemisch und geografisch doch in einen leichten ‚Taumel’ gerät. Eva Krivanec liefert eine Menge Splitter mit Erkenntnispotenzial, die sie nicht immer reflektierend synthetisiert. Gelegentlich wünscht man sich inhaltlich präzisere, theoretisch fundiertere, aber auch formale Klammern (etwa in Form von Marginalien oder Zwischenüberschriften), die die wertvollen Informationen klarer zusammenführen und dem Leser die Zusammenhänge oder auch Unterschiede verdeutlichen.

Die zweifelsohne anspruchsvolle komparatistische Anlage der Studie birgt die Gefahr einer zu additiv deskriptiven und quantitativ wie qualitativ ungleichen Besprechung der einzelnen Städte und ihrer Theaterkulturen (Lissabon etwa wirkt oft wie ein Appendix). Krivanec verweist zu Recht auf die hoch internationale Praxis von Theater seit dem späten 19. Jahrhundert und den Austausch der Städte untereinander. Wenn sie jedoch auf den „schlagartigen“ Abbruch der internationalen Wege durch „Diskurse nationaler Reinheit“ oder die „nachhaltige Beschädigung“ der Austauschbeziehungen im Verlaufe der Kriegsjahre hinweist, hätte man diese These gern durch mehr Referenzen und Erörterungen belegt. Gerade diese Dynamiken und Verschiebungen sind dringend gründlicher zu untersuchen, will man nicht die Geschichte von (Kriegs-)Theater als nationale Geschichten weiterschreiben. Hier liegt Potenzial für weitere Forschungsarbeiten.

Orthografisch ist Krivanecs Buch tadellos. Es sei an dieser Stelle jedoch die generelle Bemerkung erlaubt, dass das Einsparen von Lektoraten, wie es sich seit einigen Jahren im deutschsprachigen Verlagswesen beobachten lässt, letztlich zulasten der Qualität der Publikationen geht. Im vorliegenden Fall hätte sich durch ein abschließendes Lektorat die Anzahl der sprachlichen und inhaltlichen Redundanzen verringern lassen; ebenso hätten das wechselnde Subjekt – „dieses Buch“, „meine Arbeit“, „wir“, „man“– oder problematische Formulierungen („süßlicher Friedenskitsch“, S. 187) vermieden und ein teils qualitativ changierender Reflexionsgrad und sprachlicher Duktus an- beziehungsweise ausgeglichen werden können.

„Viel gibt es noch zu tun für eine wirklich transnationale, europäische Kultur- und Theatergeschichte des frühen 20. Jahrhunderts“ (S. 346), formuliert Krivanec im Schlussabsatz ihres Buches. Es enthält viele Ansätze zum Weiterarbeiten in diese Richtung, die sie nur selten selbst aufgreift, obwohl sie zu Anfang genau dieses Anliegen zu ihrem Programm gemacht hat. Immer dann, wenn auf den 345 Seiten zuvor transnationale Vernetzungen und Beziehungen angerissen werden, wird der Faden doch sehr national/lokal weitergesponnen. Dies hat insofern seine Berechtigung, als es durchaus notwendig ist, die je lokalen Theaterkulturen zu Kriegszeiten aufzuarbeiten, was Krivanec verdienstvoll tut. Eine transnationale oder globale Kulturgeschichte auch des Theaters steht allerdings vor der schwierigen, jedoch keineswegs unlösbaren Aufgabe, den transnationalen Vernetzungen und den lokalen Bindungen gleichermaßen Rechnung zu tragen.5

Anmerkungen:
1 Martin Baumeister, Kriegstheater. Großstadt, Front und Massenkultur 1914–1918, Essen 2005.
2Eva Krivanec, Krieg auf der Bühne – Bühnen im Krieg, angenommen 2009 an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
3 Vgl. u.a. Kaspar Maase, Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850–1970, Frankfurt am Main 2001; Clemens Zimmermann, Die Zeit der Metropolen. Urbanisierung und Großstadtentwicklung, Frankfurt am Main 1996.
4 Nic Leonhardt, Piktoral-Dramaturgie. Visuelle Kultur und Theater im 19. Jahrhundert (1869–1899), Bielefeld 2007; vgl. die Rezension dazu von Jan Lazardzig, in: H-Soz-u-Kult, 13.12.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-213> (15.05.2013).
5 Vgl. für die Geschichtswissenschaft u.a. Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003; vgl. die Rezension dazu von Vanessa Ogle, in: H-Soz-u-Kult, 10.09.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3857> (15.05.2012); s.a. Dominic Sachsenmaier, Global Perspectives on Global History. Theories and Approaches in a Connected World, Cambridge 2011.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension