K. Orth: Autonomie und Planung der Forschung

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Titel
Autonomie und Planung der Forschung. Förderpolitische Strategien der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1949–1968


Autor(en)
Orth, Karin
Reihe
Studien zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 8
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralph Jessen, Historisches Institut, Universität zu Köln

Mit dem Buch von Karin Orth liegt der achte Band der „Studien zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG) vor, die Ernst-Ludwig Winnacker im Jahr 2000 als Präsident der DFG initiiert hatte und die in den Folgejahren unter Leitung von Rüdiger vom Bruch und Ulrich Herbert erarbeitet und publiziert wurden. Während sich die bisherigen Bände auf die Förderungsaktivitäten der DFG in bestimmten Forschungsfeldern konzentrierten – „Ostforschung“, Vererbungswissenschaft, Landwirtschaftswissenschaft, Volkskunde, Sprach- und Krebsforschung waren zum Beispiel Gegenstand monografischer Studien – und dabei den Zeitraum von 1920 bis 1970 umspannten, um so die nationalsozialistische Zeit in längerfristige Kontexte und Prozesse zu integrieren, setzt die Arbeit von Karin Orth in sachlicher und zeitlicher Hinsicht andere Akzente. Ihr geht es nicht um die Rolle der Forschungsgemeinschaft bei der Entwicklung einzelner Wissenschaftsgebiete, sondern um die Organisationsgeschichte der DFG, um ihren Platz im Ensemble öffentlicher Forschungsförderung und wissenschaftspolitischer Beratungs- und Entscheidungsgremien, um die hierbei relevanten Akteurskonstellationen sowie um den Wandel der förderungspolitischen Strategien in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik. Sie verfolgt also die Institutionalisierung jenes Förderungsinstrumentariums, das bis heute einen Großteil der universitären Drittmittelforschung trägt.

Auch wenn die Autorin einleitend auf herrschaftssoziologische und netzwerkanalytische Konzepte verweist, die ihr Projekt inspirieren, bewegt sich die Arbeit doch meist in den Bahnen einer klassischen Organisationsgeschichte – was dem empirischen Ertrag keinen Abbruch tut, der Darstellung aber einen recht deskriptiven und passagenweise etwas kleinteiligen Charakter gibt. Dazu mag auch der opulente Quellenfundus der DFG, der relevanten Bundesministerien und diverser Universitätsarchive verführt haben, auf dessen Basis Karin Orth mit großer Sachkunde die Verästelungen der Organisationsbildung, der Entscheidungsprozesse, der Personalverhältnisse und der Planungskalküle erschließt.

Obwohl der Name der 1949 als „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ gegründeten und 1951 in „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ umbenannten Organisation eine unmittelbare Kontinuität zur gleichnamigen Förderungseinrichtung aus der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus vermuten lässt, handelt es sich um eine Neugründung der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit, deren spezifisches Profil sich erst in einem mehrjährigen Konstituierungsprozess in Abgrenzung zu konkurrierenden Konzepten herausbildete. Umstritten war dabei weniger die Notwendigkeit einer zentralen Forschungsförderungseinrichtung, als vielmehr ihre konkrete Ausgestaltung, und zwar – so Orth in ihrer Rekonstruktion dieser ersten Phase der Nachkriegs-DFG-Geschichte – in dreifacher Hinsicht: Erstens hätten die Bundesregierung unter Adenauer und auch einige mächtige Repräsentanten der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung – namentlich Werner Heisenberg engagierte sich hier sehr – gern eine weit stärkere Stellung des Bundes gegenüber den Ländern und der Selbstverwaltung der Wissenschaften gesehen, als dies die Bundesländer, die Notgemeinschaft/DFG und die Universitäten akzeptieren wollten. In etwa den gleichen Frontlinien verlief die Auseinandersetzung um die Reichweite der mit der finanziellen Förderung verknüpften Steuerungsabsichten: Gegen die Vision einer Verbindung aus zentralisierter wissenschaftlicher Politikberatung und „planender“, das heißt inhaltlich gestaltender Forschungsförderung behielt zunächst das DFG-Konzept einer strikt individualisierten „Drittmittelförderung“ im „Normalverfahren“ die Oberhand, das ganz auf die einzelne „Forscherpersönlichkeit“ und seine „freie Fantasie“ setzte. Auch die Einführung der DFG-Schwerpunktverfahren im Jahre 1953 änderte hieran zunächst wenig. Und schließlich war der Stellenwert der „angewandten Forschung“ strittig. Aus Sicht der Ordinarien, die die frühen DFG-Geschicke prägten, stand der Primat der Grundlagenforschung außer Frage und gern hätte man die „Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung“ (FhG) geschluckt oder aufgelöst. Dieses Ansinnen scheiterte nicht zuletzt deshalb, weil sich die FhG mit dem jungen Verteidigungsministerium eine Quelle zur Finanzierung sehr spezieller Formen „angewandter Forschung“ sichern konnte. Orths akribische Quellenstudien zeigen, wie sehr die „neue“ DFG der 1940er- und 1950er-Jahre einem „humboldtianistischen“ (Olaf Bartz) Wissenschaftsverständnis verbunden blieb, dessen Beschwörung von Autonomie, Individualität und Zweckfreiheit sich in doppelter Absetzung zu Nationalsozialismus und DDR legitimieren konnte.

Ab Mitte der 1950er-Jahre änderte sich dies. Zum einen deshalb, weil die jetzt einsetzende und nicht mehr endende „Rückstandsdebatte“ („Sputnikschock“) die Suche nach neuen Instrumenten koordinierter Forschungsförderung stimulierte. Zum anderen, weil mit dem neuen „Atomministerium“ unter Franz-Josef Strauß die „Keimzelle“ eines Bundesforschungsministeriums entstanden war, das der DFG und anderen Selbstverwaltungsorganisationen der Wissenschaft Konkurrenz zu machen drohte. Orth arbeitet heraus, wie die DFG auf die geänderte Situation mit einer stärker proaktiven Fokussierung ihrer Förderungspolitik reagierte: Das „Großgeräteprogramm“ rüstete die naturwissenschaftlichen Forschungsressourcen auf, eine „Denkschriftenreihe“ der DFG benannte förderungswürdige Zukunftsfelder der Forschung und das DFG-Schwerpunktverfahren entwickelte sich zum strukturbildenden Instrument einer Förderungspolitik der „beschränkten Planung“. Dass hiervon die Naturwissenschaften weit mehr als die Geisteswissenschaften profitierten, lag nicht nur an bewusster Prioritätensetzung und den gänzlich anderen Strukturen wissenschaftlicher Arbeitsteilung im Feld der „big science“, sondern auch daran, dass die geisteswissenschaftlichen Disziplinen fast durchweg außerstande waren, die neuen Förderungsmittel produktiv zu nutzen: Mit antiquierten Editionsprojekten ließen sich die Geldströme jedenfalls nicht anzapfen.

Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre erreichten Planungseuphorie und Gestaltungsoptimismus auch bei der DFG ihren relativen Höhepunkt. Die immer neu beschworene Gefahr eines nachhaltigen Rückstandes gegenüber West und Ost – eine historische Re- und Dekonstruktion dieses Topos wäre wohl eine eigenständige Untersuchung wert – stimulierte jetzt weitreichende Konzepte einer rationalen, zielgerichteten Forschungsförderung, die mal mehr auf wissenschaftsimmanente Selbststeuerungsprozesse, mal mehr auf externe „Finalisierung“ und Planung setzte. Die DFG sah sich dabei einem expansiv agierenden Bundesforschungsministerium gegenüber, das einerseits immer mehr eigene, thematisch fokussierte Förderprogramme auflegte und sich andererseits bemühte, die Selbstverwaltungseinrichtungen der Wissenschaft – neben der DFG, der Max-Planck-Gesellschaft und der Westdeutschen Rektorenkonferenz ist vor allem der Wissenschaftsrat zu nennen – an sich zu binden. Auch wenn sich diese „Heilige Allianz“ der Selbstverwaltungsorganisationen durch bessere Kooperation und Koordination gegen den staatlichen Dominanzanspruch zur Wehr zu setzen versuchte, führte die „Verflechtung der Sphären“ von Wissenschaft und Politik, so Karin Orth, dazu, dass sich „eine Art wissenschaftlich-politischer Komplex“ (S. 170) herausbildete, dessen Steuerungsansprüche sich weit von jenem aus der Distanz fast rührend erscheinenden Ideal individualisierter und autonomer „Forscherpersönlichkeiten“ entfernt hatten.

Die wachsende Verzahnung der Wissenschaftsorganisationen lässt sich auch daran ablesen, dass die Initiative zur Einrichtung der „Sonderforschungsbereiche“ – dem Förderinstrument der DFG, das aus dem Geist dieser Zeit geboren wurde – ursprünglich vom Wissenschaftsrat ausging. Dieser hatte 1967 erstmals vorgeschlagen, an den Hochschulen wissenschaftliche Schwerpunkte zu bilden; eine Idee, die zu derselben Zeit in der „III. Hochschulreform“ der DDR mit weit größerer Konsequenz und sehr zweifelhaften Auswirkungen umgesetzt wurde. In der Bundesrepublik stieß sie dagegen auf den Widerstand der Universitäten, die ihre Autonomierechte hochhielten und auf die Gleichheit aller Universitäten pochten. Erst in Gestalt der DFG-Sonderforschungsbereiche gewann das Instrument thematisch fokussierter Forschungsförderung (und -steuerung) ein akzeptiertes und zukunftsträchtiges Format, das sich vor allem auf Kosten des älteren Schwerpunktverfahrens etablierte.

Karin Orth hat ein ungemein faktenreiches und informatives, dabei aber immer lesbares Buch über die Geschichte der DFG im Kontext der bundesrepublikanischen Forschungspolitik der „Boom-Ära“ geschrieben. Auch wenn sich die Darstellung gelegentlich zu sehr im Detail verlieren mag und man sich gewünscht hätte, dass die einleitend entwickelten analytischen Kategorien die Darstellung stärker strukturiert hätten, bleibt der rote Faden durchgehend erkennbar. Karin Orths Studie zeigt schlüssig, wie sehr weitreichende Weichenstellungen in den Gründungsjahren von einzelnen Schlüsselakteuren im Schnittbereich von Politik und Wissenschaft abhingen, verfolgt aber auch, wie sich diese Sphären zunehmend verzahnten und letztlich einen hybriden „politisch-wissenschaftlichen Komplex“ entstehen ließen, dem zunehmend Steuerungsaufgaben gegenüber der universitären Forschung zugeschrieben wurden, die deren Autonomieansprüche immer brüchiger werden ließen. Dass „Planungs“-Ansprüche letztlich doch begrenzt und zudem an wissenschaftliche Selbstverwaltungsorganisationen gebunden blieben, unterscheidet die Geschichte der bundesrepublikanischen Forschungsförderung allerdings grundsätzlich von jener der DDR.

Die vorliegende Studie ist ein gelungener Beitrag nicht nur zur Geschichte der DFG, sondern auch zur allgemeinen Geschichte der Forschungs- und Wissenschaftspolitik der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit. Und sie ist eine ausgezeichnete Basis für die noch ausstehende Erkundung der Zeit nach dem Boom und dem Ende der großen Planungsvisionen: zur Entwicklung der DFG-Förderung in der Massenuniversität seit den 1970er-Jahren, zu ihrer Rolle bei der Integration der ostdeutschen Wissenschaftler und Universitäten nach 1989 und zu ihrer Bedeutung bei der Initiierung einer auf Ungleichheit und Wettbewerb setzenden Wissenschaftskultur seit den 1990er-Jahren.

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