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Titel
A History of Communications. Media and Society from the Evolution of Speech to the Internet


Autor(en)
Poe, Marshall T.
Erschienen
Anzahl Seiten
337 S.
Preis
$ 85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Hepp, Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI), Fachbereich Kulturwissenschaften, Universität Bremen

Gute historische Darstellungen von Kommunikationswandel sind gerade im Hinblick auf die Einschätzung der aktuell fortschreitenden Mediatisierung von Kultur und Gesellschaft mehr als notwendig. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die meisten vorliegenden, übergreifenden Geschichten eher Mediengeschichten in dem Sinne sind, dass sie sortiert nach dem historischen Aufkommen einzelne Medien in ihren (Entstehungs-)Kontexten darstellen (Buch, Zeitung, Fernsehen, Telefon, Internet). Weniger fragen sie übergreifend danach, wie sich im historischen Verlauf die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Kommunikation transmedial geändert haben. Ein solcher medienübergreifender Blick erscheint aber notwendig, denn Medienkommunikationswandel bedeutet ja nicht die Abfolge von einem Medium zum anderen, sondern ist vielmehr ein additiver Prozess der Akkumulation und Ausdifferenzierung einer Vielfalt von Medien. Vor dem Hintergrund einer solchen Forschungslücke kommt eine Publikation wie „A History of Communications“ von Marshall T. Poe (2011) fast wie gerufen, auch wenn dieses Buch von einem wissenschaftlichen Außenseiter stammt. So ist Poe von Hause aus kein Kommunikations- und Medienwissenschaftler, sondern Journalist und Literaturwissenschaftler mit Schwerpunkt auf russische Literatur. Wir haben es also mit einem Buch zu tun, das sich erst einmal außerhalb des fachwissenschaftlichen Diskurses positioniert: Das Referenzschema, das den Ausgang bildet, ist das der klassischen Mediumstheorie von Harold Innis.1 Bereits jüngere Arbeiten aus dieser Tradition, wie die von Joshua Meyrowitz, werden nicht zur Kenntnis genommen. Zentrale Referenzautoren sind andere, beispielsweise Marx, Plato oder Tolstoy.

Ein solches Neu-Ansetzen hat aber eine positive Seite, indem mit ihm neue Wege der Kommunikationsgeschichtsschreibung beschritten werden. Hierzu zählt zunächst der theoretische Rahmen, den Poe in Weiterentwicklung der Überlegungen von Harold Innis entwickelt. Er selbst bezeichnet diesen als „push theory of media effects“ (S. 23). Im Kern steht dahinter eine zirkuläre Argumentation, die besagt, dass Medien entstehen, weil es bestimmte gesellschaftliche Bedarfe gibt („pull“), sobald sie aber einmal etabliert sind und Bestand haben, Medien als solche bestimmte Wirkungen entfalten: „media ‚push‘ societies and ideas in new directions“ (S. 11). Dieser Gedanke ist der klassischen Mediumstheorie von Innis entlehnt, wird aber zu einem Analyseschema um verschiedene Eigenschaften von Medien verfeinert. Zu diesen Eigenschaften zählen Zugänglichkeit („accessibility“), Privatheit („privacy“), Glaubwürdigkeit („fidelity“), Kapazität („volume“), Geschwindigkeit („velocity“), Reichweite („range“), Beständigkeit („persistence“) und Suchbarkeit („searchability“). Jeder dieser Eigenschaften entspricht ein unterschiedlicher Aufbau des durch das jeweilige Medium möglichen Kommunikationsnetzwerks, das als „pull“ soziokultureller Veränderungen aufkommt. Haben sich diese Kommunikationsnetzwerke aber etabliert, entfalten sie den erwähnten „push“ oder wie es später im Buch heißt „ought“ auf soziale Praktiken und in der Folge auch auf kulturelle Werte, die durch die Medien entsprechend geprägt werden.

Ausgehend von dem hier umrissenen theoretischen Rahmen wird die Kommunikationsgeschichte der Menschheit dann in fünf Etappen dargestellt: erstens die des „homo loquens“ („Zeitalter der Sprache“), zweitens die des „homo scriptor“ („Zeitalter des Manuskripts“), drittens die des „homo lector“ („Zeitalter des Drucks“), viertens die des „homo videns“ („Zeitalter der audiovisuellen Medien“) und fünftens schließlich die des „homo somnians“ („Zeitalter des Internets“). Jedes der Kapitel ist dabei auf systematische Weise analog aufgebaut: Zuerst einmal betrachtet Poe die „pull“-Faktoren, analysiert also, wie und warum zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Medium entstanden ist. Dann setzt er sich entlang der oben genannten Eigenschaften mit den Spezifika des jeweiligen Mediums auseinander, um so abschließend den „push“ zu diskutieren, den diese Medien entfalten. All dies ist eingebettet in eine Evolutionsnarration: Immer wieder geht es um grundsätzliche Bedürfnisse von Menschen, die sich aus der Evolutionsgeschichte der Menschheit erklären lassen und denen von Medien unterschiedlich entsprochen wird. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Den Erfolg audiovisueller Medien wie auch deren Inhalte erklärt Poe damit, dass sie dem Bedürfnis des Urzeitmenschen entsprechen, die eigene Aufmerksamkeit auf Abweichungen und Anomalien zu lenken, um zu überleben (S. 166f.). Genau dies bieten audiovisuelle Medien bei einer gleichzeitigen einfachen Zugänglichkeit. Abgeschlossen wird das Buch schließlich durch das Kapitel „The Media and Human Well-Being“, in dem sich Poe mit der Frage befasst, inwieweit die verschiedenen Medien zu einem gesteigerten Wohlbefinden der Menschen beigetragen haben. Seine Antwort ist ein klares „Ja“, was das materielle und reizmäßige Wohlbefinden betrifft, aber ein klares „Nein“ in Bezug auf das spirituelle Wohlbefinden.

Diese Darstellung macht deutlich, dass wir es bei dem Buch von Marshall T. Poe mit einer sehr umfassenden Erzählung zu tun haben, die mit durchaus befreiender Frische ihren Blick auf die Kommunikationsgeschichte der Menschheit lenkt. In seinem Versuch, stärker in Wechselverhältnissen von medienkommunikativem und soziokulturellem Wandel zu denken („pull“ und „push“), ist ein wichtiger Hinweis für die Theorieentwicklung des Medien- und Kommunikationswandels zu sehen. Ebenso wird an seiner Darstellung deutlich, dass das Konzept des Netzwerks in hohem Maße geeignet ist, historisch sehr unterschiedliche Formen von Medien in deren Spezifik und Prägekräften zu erfassen. Des Weiteren ist das Buch im positiven Sinne anregend. Es ermuntert, über den aktuellen Medien- und Kommunikationswandel stärker in einer historischen Kontextualisierung nachzudenken und hierbei an verschiedenen Stellen etablierte Argumentationspfade zu verlassen. Stimulierend ist es aber auch, weil das Buch immer wieder zum sehr deutlichen Widerspruch gegen seine Darstellungen provoziert; und hier komme ich zu den Kritikpunkten.

Grundlegend ist zuerst einmal zu sagen, dass die Darstellung von Poe die gleichen Probleme hat wie die Mediumstheorie überhaupt: Es wird in zu einfachen Phasenmodellen gedacht, die auf Leitmedien heruntergebrochen werden.2 Dies wird weiter noch durch den Evolutionismus von Poe verstärkt, der teilweise zu irritierenden Erklärungen gelangt, wenn Po beispielsweise den Rückgang der Geburtenquote in (auch medial) entwickelten Gesellschaften damit erklärt, dass die audiovisuellen Medien die angeborenen Grundbedürfnisse des Menschen so gut bedienen, dass Menschen ihre zeitlichen und finanziellen Ressourcen hierin investieren, statt in Kinder („Late-night television is a kind of birth control.“, S. 268). Hinzu kommen vielfältige begriffliche Unschärfen. Wenn Poe beispielsweise unter audiovisuellen Medien unter anderem Fernsehen, Radio und Film subsumiert und zwischen diesen Medien bestehende Differenzen nicht berücksichtigt, wird deutlich, dass er keinen klaren Medienbegriff hat. Schließlich ist im Hinblick auf viele Faktendarstellungen anzumerken, dass etliche Einschätzungen von Poe im besten Sinne spekulativ sind und wir in der aktuellen Forschung viele materialreiche empirische Gegenbeispiele finden. Aussagen beispielsweise wie diejenige, dass das Internet ein dialogisches Netzwerk sei und als solches zwangsläufig soziale Praktiken demokratisiere, erscheinen vor dem Hintergrund anderer bekannter aktueller Forschungen, beispielsweise von Manuel Castells3, im besten Falle als sehr vereinfachend.

Wir kann man nun ein solches Buch insgesamt würdigen? Meine Anregung ist die einer kritischen Lektüre, die für die eigene Theoriearbeit und Analyse sehr anregend sein kann. Wenn es aber um detaillierte und differenzierte historische Darstellungen geht, sind die bekannten Mediengeschichten wie beispielsweise die von Asa Briggs und Peter Burke oder Frank Bösch die besseren Bücher.4 Eine wirkliche Kommunikationsgeschichte, die wesentlich stärker transmedial argumentieren müsste als die beiden zuletzt genannten Bücher und auf der Basis einer historisch differenzierten Auseinandersetzung mit der Mediatisierung von Kultur und Gesellschaft stünde, bleibt ein Desiderat.

Anmerkungen:
1 Harold A. Innis, Empire and Communications, Oxford 1950; ders., The Bias of Communication, Toronto 1951.
2 Andreas Hepp, Medienkultur. Die Kultur mediatisierter Welten, Wiesbaden 2011, S. 16-21.
3 Manuel Castells, Communication Power, Oxford 2009.
4 Asa Briggs / Peter Burke, A Social History of the Media. From Gutenberg to the Internet, 3. Aufl., Cambridge 2009; Frank Bösch, Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt am Main 2011; vgl. Clemens Zimmermann: Rezension zu: Bösch, Frank: Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen. Frankfurt am Main 2011, in: H-Soz-u-Kult, 07.07.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-3-019> (11.04.2012).

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