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Titel
Globalisierung. Literaturen und Kulturen des Globalen


Autor(en)
Reichardt, Ulfried
Erschienen
Berlin 2010: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Peter E. Fäßler, Universität Paderborn

Berichte über die Weltfinanzkrise und denrasanten wirtschaftlichen Aufstieg Chinas beherrschen derzeit die Globalisierungsdebatte. Daraus auf eine ausschließlich ökonomische Qualität der Globalisierung zu schließen, greift indes zu kurz. Denn allein die medialeVermittlung der beiden eingangs aufgeführten Vorgänge, die dadurch wachgerufenen Stereotype wie jenes vom skrupellosen Spekulanten oder von der „gelben Gefahr“ machen deutlich: Globalisierung ist immer auch ein kulturell geprägter Trend; umgekehrt unterwirft sie unsere kulturellen Ausdruckformen einem erheblichen Transformationsdruck. Damit erweist sich die Globalisierung als ein genuines Untersuchungsfeld der Kulturwissenschaften, welches dieseseit geraumer Zeit auch mit großem Erfolg bestellen. Die Früchte ihrer Bemühungen, die empirischen Befunde und theoretischen Einsichten finden Eingang in den akademischen Lehrkanon, was an der wachsenden Zahl einschlägiger Studienbücher abzulesen ist. Ein solches gilt es zu besprechen.

Ulfried Reichardt hat sich mit seinem Werk ein doppeltes Ziel gesetzt. Zum einen möchte er die maßgeblichen kulturtheoretischen Erklärungsansätze zum Thema Globalisierung vorstellen, zum anderen die vielfältigen kulturrelevanten Aspekte jenes säkularen Trends aufzeigen. Für das anspruchsvolle Unterfangen ist der in Mannheim lehrende und forschende Amerikanist bestens ausgewiesen.So hat er einschlägige Publikationen vorgelegt 1 und leitet seit einigen Jahren gemeinsam mit drei weiteren Kollegen/-innen das interdisziplinär angelegte Promotionskolleg „Formations of the Global: Welterfahrungen – Weltentwürfe – Weltöffentlichkeiten“ 2,bei dem etliche interessante Forschungsprojekte angesiedelt sind.

Die Studieneinführung deckt ein weitgefächertes Themenspektrum ab. Es reicht von der Begriffs- und Definitionsebene über die historisch-ökonomische Dimension der Globalisierung bis hin zum eigentlichen Anliegen, den kulturwissenschaftlichen Theorieangeboten und den kulturellen Facetten von Globalisierung.Auf seiner eindrucksvollen Tour d’horizon streift der Autor kenntnisreich und verständlich Klassiker der Soziologie (McLuhan, Castell), verweilt ausführlich bei der transdisziplinär rezipierten Komplexitäts- und Netzwerktheorie und leitet gekonnt über zu kulturwissenschaftlichen Konzepten wie jenes des Strukturalismus oder der Semiotik.Allein der Abschnitt über „Standardisierung, Differenzierung, Hybridisierung“ überzeugt nur bedingt. Das ist aber weniger dem Autor als vielmehr dem Umstand anzulasten, dass die Diskussion unter einer semantischen Unschärfe leidet. Zusätzlich zu den hier genannten Begriffen werden Termini wie „Homogenisierung“ oder „Heterogenisierung“ in die kontroverse Debatte geworfen, ohne dass immer klar wäre, was diese der naturwissenschaftlich-technischen Fachsprache entlehnten Begriffe im sozio-kulturellen Kontext eigentlich genau bedeuten.

Anschließend geht Reichardt auf zahlreiche Aspekte der kulturellen Globalisierung ein. Im Kapitel „Medien und Medienwelten“ greift er Netzstrukturen und Medienerscheinungen auf, die aus der Globalisierung hervorgegangen sind, aber ihrerseits den Trend vorantreiben. Unter der Überschrift „Kulturelle Globalisierung und Populärkultur“ betrachtet der Autor den Siegeszug von Popmusik, Comic-Helden oder Hollywoodfilmen, diskutiert diese unter den vielfach, meist aber voreilig bemühten Schlagworten „Homogenisierung“ bzw. „Amerikanisierung“ und stellt das spannende Konzept der En- und Decodierung kultureller Botschaften vor. Weiterhin befasst sich Reichardt mit nahezu sämtlichen Bereichen menschlichen Kulturschaffens, als da wären „Nationalphilologien und Globalisierung“ sowie Literaturen, Musik, Kunst und Filme des Globalen. Den Themenreigen beschließen zwei Kapitel über Lebensformen, die in hohem Maße von der Globalisierung geprägt werden: Einerseits die „globale Stadt“, wobei der Autor an das global-city-Konzept von Saskia Sassen anknüpft, anderseits der „Kosmopolitismus“.

Das Studienbuch weist die dem Reihenkonzept eigenen Vorzüge auf. Die Gesamtkonzeption ist bestens nachvollziehbar, die einzelnen Kapitel beginnen mit schlüssig erläuterten Abbildungen, welche das jeweils zu behandelnde Thema auf anschauliche Weise erschließen. Randständige Stichworte lenken die Aufmerksamkeit auf zentrale Aspekte, erleichtern den raschen, gezielten Zugriff auf bestimmte Inhalte und wohl auch die Klausurvorbereitung. Selbiges gilt für den Fragenblock am Ende eines jeden Kapitels. Zahlreiche annotierte Literaturhinweise, umfangreiche Auflistungen wichtiger Periodika, Onlinequellen, wissenschaftlich einschlägiger Netzwerke, Master-/ Graduiertenprogramme und Forschungseinrichtungen sowie ein im Anhang enthaltenes Glossar runden den Studienbuchcharakter ab.

Es ist nun das besondere Verdienst Reichardts, dass er dieses bewährte Format mit vorzüglichen und vor allem anregenden Inhalten füllt. Bei den Abbildungen etwa bedient sich der Autor keineswegs hinlänglich bekannter und damit ermüdender Vorlagen. Vielmehr wählt er ungewohnte Globalisierungsmotive – genannt sei Mona Hatoums „PlottingTabel“ als Einstieg in das Kapitel über „Repräsentationen des Globalen“ – und vermag so des Lesers Neugierde zu wecken. Auch die Frage- bzw. Aufgabenstellungen zeugen von didaktischem Geschick, wenn es um das Problem der Vielsprachigkeit als sinnvolles Kriterium für Weltliteratur geht. Erfreulich oft lässt der Autor anregende Betrachtungen einfließen, wie man sie in einem Studienbuch nicht unbedingt erwartet. Seine Interpretation des 2006 in die Kinos gelangten Films „Babel“ bietet ein erhellendes Beispiel für den gelungenen künstlerischen Umgang mit dem Thema Globalisierung.

Bei so viel Licht bleibt ein wenig Schatten nicht aus. Das bezieht sich zum einen auf fehlerhafte Detailinformationen. Martin Waldseemüller zeichnete keineswegs die erste Weltkarte, ihm wird hingegen der erste kartographische Eintrag Amerikas zugeschrieben. Des Weiteren konstituierte sich die UNO nicht im Jahre 1948, sondern bereits zwei Jahre zuvor. Auch die Behauptung, das vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges erreichte Welthandelsvolumen sei erst Mitte der 1970er Jahre übertroffen worden, ist in dieser Form nicht haltbar. Gemeint ist wohl die Welthandelsquote, d. h. die Relation von Welthandelsvolumen zu globaler Güterproduktion.

Zum anderen stolpert der Leser über die eine oder andere problematische Aussage. Es erscheint wenig hilfreich, die Globalisierung mit dem Aufbruch des modernen Menschen aus dem Hochland Ostafrikas vor rund 100.000 Jahren einsetzen zu lassen. Eine solche Argumentation läuft auf die analytische Entwertung des Begriffes hinaus. Im Übrigen steht diese „Aufbruch aus dem Hochland“-These im Widerspruch zu der bereits auf der folgenden Seite geschilderten Auffassung, dass der Beginn der Globalisierung sinnvollerweise um 1500 zu datieren wäre. Vertretbar, aber diskussionswürdig ist der Standpunkt, den Auftakt zur Moderne im Zeitalter von Renaissance, Reformation und Entdeckungen zu sehen. Hier wäre ein Hinweis auf andere Forschungspositionen angebracht, die dem 19. Jahrhundert sowohl hinsichtlich der Globalisierung als auch der Moderne eine prominentere Bedeutung einräumen.3 Weiterhin legen Reichardts Ausführungen die Schlussfolgerung nahe, der Washington Consensus habe zahlreiche Staaten in die Schuldenfalle getrieben. Diese Argumentation verkehrt in einigen Fällen Ursache und Wirkung. Zumindest Mexiko und Argentinien saßen bereits in der Schuldenfalle, als ihre Regierungen den Internationalen Währungsfonds um finanzielle Unterstützung ersuchten. Dass der IWF seine Hilfszusagen an Bedingungen knüpfte, eben den Washington Consensus, ist zwar vielfach kritisiert worden, kann aber sicher nicht als Ursache für die Schuldenkrise verstanden werden. Schließlich sei noch kritisch angemerkt, dass der im Text verwendete Begriff „De-Globalisierung“ nicht weiter hinterfragt wird. Reichardt blendet damit die aktuelle Debatte darüber aus, ob es sich tatsächlich um eine angemessene Begrifflichkeit für die Entwicklung in der Zwischenkriegszeit handelt.4

Dennoch: Ulfried Reichardt skizziert einen souveränen, verständlichen Überblick über die wichtigsten kulturwissenschaftlichenTheorien und Forschungsansätze zum Thema „Globalisierung“. Kenntnisreich schildert er die zahlreichen Facetten einer kulturellen Globalisierung, setzt gelungene didaktische Akzente und animiert so Studienanfänger und Fortgeschrittene zum eigenständigen Weiterdenken. Ein Studienbuch im besten Sinne des Wortes!

Anmerkungen:
1 Ulfried Reichardt (Hrsg.), Die Vermessung der Globalisierung. Kulturwissenschaftliche Perspektiven, Heidelberg 2008.
2http://www.phil.uni-mannheim.de/pk_globalisierung/startseite/index.html (letzter Zugriff: 07.01.2011).
3 Beispielsweise: Kevin O’Rourke / Jeffrey F. Williamson, Globalization and History. The Evolution of a Nineteenth Century Atlantic Economy, Neudr., Cambridge/Mass. 2001.
4 Neuerdings auch Isabella Löhr, Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte. Neue Strukturen internationaler Zusammenarbeit 1886-1952, Göttingen 2010.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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