Titel
Dueling Students. Conflict, Masculinity, and Politics in German Universities, 1890–1914


Autor(en)
Zwicker, Lisa Fetheringill
Erschienen
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
$ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Aleksandra Pawliczek, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

An Forschungsarbeiten zu studentischem und verbindungsstudentischem Alltag im Kaiserreich fehlt es nicht, und es ist nicht einfach, neue Aspekte hinzuzufügen, zumal einige Arbeiten nach wie vor den Status von Standardwerken genießen. Lisa F. Zwicker gelingt dies durch eine vorsichtige, an vielen Stellen überzeugende Kritik der etablierten Standpunkte und deren Erweiterung durch universitäre und autobiographische Quellen, die mit dem Bild der ultrakonservativen, radikalnationalistischen, antikatholischen und antisemitischen Studenten bisher oft nicht in Übereinstimmung gebracht werden konnten.

Der duellierende, trinkende, unpolitische Student, der eine enge Bruderschaft in seiner Studentenverbindung kultiviert, ist nur eine Ausprägung der studentischen Realität. Die damit einhergehende reaktionäre, stark männlich und protestantisch geprägte Ideologie gipfelt in einem elitären Anspruch, die „geistige Aristokratie der Nation“ zu sein und damit zahlreiche gesellschaftliche Gruppen – Frauen, Katholiken, Juden, Sozialdemokraten, aber auch Angehörige der Mittelklassen – aus der nationalen Gemeinschaft auszuschließen. Vor allem den Antisemitismus und Rassismus haben Forscher als das konstituierende Moment für die Entwicklung der deutschen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg beschrieben, zu einem Zeitpunkt, als diese radikalisierte geistige Elite in politische Schlüsselpositionen gelangte. So suchte Norbert Kampe eine Erklärung für das kritik- und widerstandslose Verhalten des akademischen Milieus gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie in den studentischen Erfahrungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts.1 Fritz K. Ringer polarisierte die politischen Ansichten der „unpolitischen Universitätsprofessoren“, die als Lehrer von Studentengenerationen zu Trägern gewisser „modernistischer“ bzw. „orthodoxer“ Gesinnungen wurden.2

Diese Darstellungen haben das Bild von der wilhelminischen Universität geprägt. Lisa F. Zwicker verfolgt ein anderes Ziel. Ohne das vorherrschende Forschungsbild grundsätzlich in Frage zu stellen, konzentriert sie sich auf die sehr divergenten Stimmen, wie der katholischen, der jüdischen, der protestantischen und der freistudentischen Vereinigungen aus dem studentischen Milieu und entwirft damit erfolgreich ein viel facettenreicheres Bild „der“ Studenten vor 1914. Ihre Darstellung relativiert die Kausalitätslinie von der radikal politischen Sozialisation im Kaiserreich hin zum rechtsradikalen Gedankengut, indem sie die verschiedenen reformatorischen Optionen nachzeichnet, die vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Verfügung standen.

Zwickers Aufmerksamkeit gilt vor allem den am politischen Diskurs ihrer Zeit beteiligten organisierten Studentenverbindungen. Sie prüft zunächst das Ideal des Studentenlebens zwischen einem ritualisierten Alltag und dem Selbstverständnis als Abbild der Nation en miniature. Das Duell als studentische Erfahrung übersetzt sie dabei auch metaphorisch auf das politische Terrain: als Gefecht über politische Ideen in einer durchaus als pluralistisch zu bezeichnenden Umgebung. Sie zeigt eine starke Politisierung der Verbindungsstudenten bis hin zum parteipolitischen Aktivismus bei den Wahlen 1912, konstatiert aber dennoch eine weitgehende Parteiferne trotz Politiknähe.

Es handelt sich nicht um eine strukturelle Analyse. Weder versucht Zwicker, Korporationsgeschichte neu zu schreiben, noch will sie Universitätsentwicklungen detailliert nachzeichnen. Zwickers Systematik nimmt Phänomene in den Blick, die als Ergänzung und Differenzierung der existenten Studien betrachtet werden können. Ihre gut lesbare Darstellung wirkt dadurch illustrativ, ja nahezu eklektisch. Das Verhältnis zum Duell und anderen korporativen Traditionen, die Frage des Frauenstudiums, des Kulturkampfes im studentischen Milieu und die „Judenfrage“ werden als Parameter herangezogen, um anwachsende reformatorische Bestrebungen der einzelnen Studentenverbindungen abzubilden. Das ist keine Schwäche der Untersuchung, im Gegenteil: Zwickers Absicht ist so einleuchtend wie kompliziert. Sie konzentriert sich auf die Frage des „liberal-demokratischen“ bzw. „illiberalen“ Gedankenguts und präsentiert es als zwei Seiten einer Medaille. Damit bietet sie einen Gegenentwurf zu Konrad Jarauschs Studie über den akademischen Illiberalismus der Studenten vor 1914.3

Ihr Bild des korporierten Studenten ist pluralistisch: Die traditionell konservativen und nationalistischen Corps werden nur am Rande betrachtet; dem stark antisemitisch geprägten Verein deutscher Studenten widmet Zwicker mehr Aufmerksamkeit, spielte er doch eine wichtige Rolle bei der Betrachtung studentischer Radikalisierung. Interessanterweise kommt sie bei der Analyse der Publikationstätigkeit des Vereins zu der Erkenntnis, dass um 1900 eine Wende in dessen Rhetorik zu beobachten war, vor allem auch im Hinblick auf das Thema Antisemitismus, das aus dem Vereinsorgan, den „Akademischen Blättern“, nahezu verschwand. Diese Wende der studentischen Mentalität unterstrich noch die Gründung der Freistudentenschaft, die durch ihre Kritik an Verbindungstraditionen, ihre Hochschätzung der akademischen Freiheit, ihr Inklusionsprinzip gegenüber Juden, Frauen oder Linksliberalen eine Herausforderung für die etablierten elitären Verbindungen darstellte und Grundlagen für die Hochschulreformen nach 1918 schuf – letztlich aber an der protestantischen Einengung ihrer „progressiven Ideologie“ scheiterte. Ähnliche Tendenzen wiesen auch die Burschenschaften auf, die in ihren Abgrenzungsbestrebungen gegenüber den anderen Vereinigungen ihre völkische Orientierung zunehmend ablegten und an die Tradition des nationalen Liberalismus anzuknüpfen versuchten, welchen sie mit einem starken Antikatholizismus verbanden. Nichtduellierende Katholiken wurden als eine ernste Herausforderung für die (kultur)protestantische geistige Hegemonie an den Universitäten wahrgenommen. Und obgleich selbst traditionell und religiös orientiert, boten katholische Verbindungen ein konkurrierendes Modell zum national-protestantischen Studentenleben, das nicht wenige (katholische) Sympathisanten fand und das herkömmliche Verständnis der Verbindungskultur in Frage stellte.

Für ihren Nachweis der Liberalisierungstendenzen an deutschen Universitäten vor dem Ersten Weltkrieg findet Zwicker zahlreiche Belege. Und obwohl dies überzeugt, irritiert die fehlende Diskussion bzw. Definition der von ihr zentral verwendeten Begriffe „liberal“ und „demokratisch“. Zwar erklärt sie eingangs den zeitgenössisch geltenden Zusammenhang von Liberalismus und Elitismus oder auch Antikatholizismus. Auch benennt sie rassisch und religiös exklusive Elemente als einen Bestandteil progressiver ökonomischer und sozialer Ideen. Doch wirken die Termini zuweilen unpräzise, erinnern sie doch stark an ihren heutigen Sinngehalt. Es hätte die Lesbarkeit der Arbeit gefördert, wenn die Begrifflichkeiten schärfere Konturen erfahren hätten. Denn die Charakterisierung des Wilhelminischen Kaiserreichs als einer „zunehmend demokratischen und reformorientierten Gesellschaft“ (S. 7, 39, 48, 77, 80, 197) erscheint angesichts seiner hierarchischen, ja autoritären Elemente zumindest problematisch. Ebenso heikel wirkt die von Zwicker gezogene „liberal-demokratische“ Parallele zwischen der Gesellschaft und der Universität vor 1914. Ist eine protestantisch definierte und nationalistisch verengte „freie Wissenschaft“, sind Gruppierungen, die auf den Ausschluss von Juden bestehen oder beispielsweise mit einer antikatholischen Rhetorik auftreten noch als „liberal“ oder gar „demokratisch“ zu bezeichnen? Ist das Duell nicht ebenso eine Komponente der stark militarisierten wilhelminischen Realität wie ein Exklusionsmechanismus? Zwicker beschreibt gegenläufige Tendenzen, die bei einigen Verbindungen zu beobachten waren, und diese Absicht ist überaus verständlich – aber als Gegenentwurf zu den elitären Corps wird die Freistudentenschaft dadurch nicht zwingend selbst eine demokratisch gesinnte Organisation.

Zwickers Untersuchung lässt zudem Studentenverbindungen unbeachtet, die in ihrem Selbstverständnis weitgehend unpolitisch waren – die Turnerschaften, Sängerschaften, Landmannschaften. Das ist schade, denn eben diese Organisationen könnten für ihre Thesen von Bedeutung sein. Um die ideologische Diversität des studentischen Alltags noch breiter zu fassen, und um die Konfliktlinien – zwischen Juden und Antisemiten, zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Nationalradikalen und Nationalliberalen – in einen Kontext zu stellen, der erkennen lässt, dass die Gräben auf allen Seiten und aus unterschiedlichen Motivationen heraus gegraben wurden.

Das Bild, das nach der Lektüre von Zwickers Arbeit bleibt, ist für die Studentengeschichte dennoch überaus „progressiv“: die ideologischen Prädispositionen der gesellschaftlichen Eliten des Kaiserreichs waren keineswegs so radikal-konservativ, dass ihre Verschmelzung mit dem nach 1933 propagierten Weltbild als eine zwingende Option erklärt werden könnte. Vielmehr müsste in diesem Sinne der stark radikalisierende Impetus des Ersten Weltkrieges einer noch genaueren Betrachtung unterzogen werden.

Anmerkungen:
1 Norbert Kampe, Studenten und „Judenfrage“ im Deutschen Kaiserreich. Die Entstehung einer akademischen Trägerschicht des Antisemitismus, Göttingen 1988.
2 Fritz K. Ringer, The Decline of the German Mandarins. The German Academic Community 1890–1933, Cambridge 1969.
3 Konrad H. Jarausch, Students, Society and Politics in Imperial Germany. The Rise of Academic Illiberalism, Princeton 1982.

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