Titel
Die Kreuzritter von Rhodos. Bevor die Johanniter Malteser wurden


Autor(en)
Losse, Michael
Erschienen
Ostfildern 2011: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
291 S.
Preis
€ 26,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jyri Hasecker, Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die spätmittelalterliche Geschichte der Johanniter, die durch die Herrschaft des geistlichen Ritterordens über die Insel Rhodos und weitere Stützpunkte in der Ägäis von 1310 bis 1522 gekennzeichnet ist, wird seit einiger Zeit von einem internationalen Forscherkreis systematisch untersucht. Für eine bilanzierende Gesamtdarstellung dieser Epoche wäre es an der Zeit. Michael Losse hat diese Lücke erkannt, vermag sie aber insgesamt, das darf vorweggenommen werden, mit der hier angezeigten Publikation nicht zu schließen.

Im ersten Teil bietet das Buch einen chronologischen Überblick über die erste Phase der Geschichte des Johanniterordens (S. 9–32). Sie reicht von der Gründung in Jerusalem um das Jahr 1100 über die Entwicklung der Hospitalbruderschaft zu einem mächtigen Ritterorden bis zum Rückzug aus dem Heiligen Land nach dem Verlust der letzten christlichen Festung 1291.

Die der kleinasiatischen Küste unmittelbar vorgelagerte Insel Rhodos sollte, nach einem Intermezzo auf Zypern, der neue Standort der Ordenszentrale der Johanniter, des „Konvents“, werden. Ereignisgeschichte und Struktur des ägäischen Ordensterritoriums, das sich in den 1440er-Jahren gegen Angriffe der ägyptischen Mamluken und 1480 gegen eine osmanische Belagerungsarmee behauptet hatte, dann aber doch 1522 von den Türken unter Sultan Süleyman erobert werden konnte, ist Gegenstand des zweiten Teils (S. 33–138).

Auf Rhodos, mit der gleichnamigen Stadt als Zentrum, entfalteten die Johanniter, vor allem unter Großmeister Pierre d’Aubusson (1476–1503) eine rege Bautätigkeit, so dass die Stadt am Ende des Mittelalters zu den stärksten Festungen am Mittelmeer zählte. Da die Brüder Bautraditionen aus ihren Heimatländern auf den Ordenssitz übertrugen, stellt Rhodos architektonisch noch heute eine abendländisch-gotische Stadt in einer ansonsten byzantinisch-griechisch geprägten Umgebung dar. Dadurch übt die bauliche Überlieferung der Johanniter auf Architektur- und Militärhistoriker einen besonderen Reiz aus. Losse legt auf „Städte, Burgen und Festungen der Johanniter auf Rhodos und dem Dodekanes“, so der Titel des dritten Teils des Buchs, sogar den Schwerpunkt seiner Darstellung (S. 139–254).

Der vierte Teil blickt aus auf die neuzeitliche Epoche, mithin die Herrschaft des Ordens über Malta von der Belehnung durch Karl V. 1530 bis zur Eroberung durch die Truppen Napoleons 1798 (S. 255–268). Zeitleisten führen die wichtigsten Eckdaten des Themas vor Augen. Zwei Glossare, zur Ordensstruktur und zur Festungskunde, sowie eine Auswahlbibliografie beschließen den Band.

Losse ist Burgenforscher und hat mit einer Reihe von Artikeln über die johanniterzeitlichen Wehrbauten auf Rhodos und den umgebenden Inseln an eine gelehrte Tradition angeknüpft, die mit den Namen Albert Gabriel, Stephen Spiteri und Elias Kollias verbunden ist. Seine Expertise kommt am deutlichsten im dritten Teil zum Tragen, der, basierend auf eigenen Forschungen, einen detaillierten Katalog von heute oft nur noch ruinösen Orten und Wehrbauten des Ordensstaats der Johanniter enthält. Gerade weil dieser Katalog auch die schlecht dokumentierten kleineren Besitzungen des Ordens wie Kos, Kalymnos und Leros berücksichtigt, erweist er sich als praktisches Hilfsmittel für die Arbeit mit Schriftquellen aus dem Kontext der Landesherrschaft der Johanniter, die den Bearbeiter bei der Identifizierung von Orten und Bauwerken immer wieder vor Probleme stellen. Interessant ist auch die von Losse hier vertretene These, wonach von Rhodos wegen seiner Frontstellung zu den Osmanen „Impulse für die Wehrbauentwicklung in ganz Europa [ausgingen]“ (S. 178). Die Bastion beispielsweise, „das wichtigste Element frühneuzeitlichen Festungsbaus“ (S. 181), sei erstmals im Festungsring der Stadt Rhodos (etwa zeitgleich allerdings auch in der Toskana) zum Einsatz gekommen. Im letzten Abschnitt dieses Teils, der der Rezeption der Ritterzeit in den Bauten des italienischen Besatzungsregimes (1912–1943) und in der Architektur des zeitgenössischen Massentourismus nachgeht, erweist sich Losse als hervorragender Kenner lokaler Gegebenheiten und Entwicklungen.

Die Teile, in denen der Autor nicht auf eigene Forschungen zurückgreift, können dagegen weitaus weniger überzeugen. Eventuell folgt Losse den Vorgaben des Verlags, wenn er seine Darstellung, abgesehen von den unumgänglichen Studien Anthony Luttrells, bevorzugt mit deutscher Literatur belegt. Dies führt aber unweigerlich dazu, dass das Buch bestenfalls für einzelne Aspekte des Themas den „fundierten, wissenschaftlich aktuellen Überblick“ (S. 8) bieten kann, der den Lesern im Vorwort angekündigt wird. Denn allein für Fragen zur spätmittelalterlichen Verfassung des Ordens hat man mit deutschen Beiträgen, in Form der im Text auch wiederholt zitierten Arbeiten des Hamburger Mediävisten Jürgen Sarnowsky, die erste Wahl getroffen. Die Außenbeziehungen des Ordens zur Hohen Pforte wurden bislang am gründlichsten in der französischen Monografie von Nicolas Vatin dargestellt, die sich auch intensiv der wichtigen Affäre um den 1482 kurzzeitig zu den Johannitern geflüchteten, osmanischen Thronprätendenten Cem widmet.1 Das von Losse in diesem Kontext zitierte populärwissenschaftliche Buch von Ernle Bradford aus dem Jahr 1972 ist weder einschlägig noch aktuell.

Ebenso unberücksichtigt bleiben die fundierten Studien, die in jüngerer Zeit zu einzelnen der nationalen Gruppen im Konvent von Rhodos, den „Zungen“, erschienen sind. Die Verhältnisse der englischen Zunge wurden von Gregory O’Malley beispielhaft untersucht2, die spanische Zunge ist Gegenstand einer 440 Seiten starken Monografie von Pierre Bonneaud.3 Beide Studien bleiben in Losses Buch unerwähnt. Fragen der Verfassung des Ordens zur Zeit der Präsenz im Heiligen Land im 12. und 13. Jahrhundert sollten nicht – wie von Losse stellenweise – anhand der marinehistorischen Publikation von Robert Dauber, sondern (wenigstens unter Verweis) auf die bei Brill erschienene Dissertation von Jochen Burgtorf behandelt werden.4 Auch auf diese wird der Leser nicht hingewiesen.

Da der Leser die Benutzung von genannten und anderen einschlägigen Untersuchungen nicht nachvollziehen kann, bleibt die Zuverlässigkeit einzelner im Text gebotener, extravaganter Informationen zweifelhaft. So unterscheidet Losse sachlich zwischen den Bezeichnungen „Kommende“ und „Präzeptorei“ für die lokale Verwaltungseinheit im Orden (S. 271), wobei die Begriffe nach herkömmlicher Auffassung synonym in Gebrauch waren: der erste in der vernakulären, der zweite in der lateinischen Überlieferung.

Vom Verlag im Klappentext als „umfassende Darstellung des Johanniter-Ordens auf Rhodos“ beworben, hält Losses Buch diesem Anspruch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht stand. Allein die auf Originalstudien des Autors basierenden Abschnitte sind aus der Perspektive des Forschers weiterführend. Der gebildete Rhodos-Reisende, der während seines Aufenthalts in der Ägäis mehr über die Geschichte der Insel im 14. und 15. Jahrhundert erfahren möchte, als den gängigen Reiseführer-Formaten zu entnehmen ist, dürfte dagegen angetan sein.

Anmerkungen:
1 Nicolas Vatin, L’Ordre de Saint-Jean-de-Jérusalem, l’Empire ottoman et la Méditerranée orientale entre les deux sièges de Rhodes (1480–1522), Louvain 1994, besonders S. 173–181, 188–197, 209–219.
2 Gregory O’Malley, The Knights Hospitaller of the English langue. 1460–1565, Oxford / New York 2005.
3 Pierre Bonneaud, Le prieuré de Catalogne, le couvent de Rhodes et la couronne d’Aragon (1415–1447), Le Vigan 2004.
4 Jochen Burgtorf, The central convent of Hospitallers and Templars. History, organization, and personnel (1099/1120–1310), Leiden / Boston 2008.