C. Allmand: The De Re Militari of Vegetius

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Titel
The De Re Militari of Vegetius. The Reception, Transmission and Legacy of a Roman Text in the Middle Ages


Autor(en)
Allmand, Christopher
Erschienen
Anzahl Seiten
450 S.
Preis
€ 78,32
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Prietzel, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

In den Jahrzehnten um das Jahr 400 schrieb ein Autor namens Vegetius ein Werk „über das Kriegswesen“, das sich im Mittelalter einer beachtlichen Beliebtheit erfreute. Exemplare der Schrift waren weit verbreitet, viele Verfasser anderer Werke zitierten daraus, in mehreren Florilegien fanden sich einzelne Zitate. Jenseits dieser simplen und angesichts des Materials evidenten Feststellungen ist vieles ungewiss. Insbesondere ist nicht klar, warum ein Werk, dessen Gegenstand, das römische Heer, seit Jahrhunderten nicht mehr existierte, im Mittelalter überhaupt noch abgeschrieben, gelesen und exzerpiert wurde. Wie nahmen seine Leser den Inhalt genau auf? Dies will Allmand herausfinden.

Seine Leitfrage beantwortet Allmand im dritten und letzten Teil seines Buchs. Zu diesem Zweck bereiten die beiden ersten Abschnitte das Material auf. Der erste Teil behandelt die mittelalterliche Rezeption des Werks im engeren Sinn, das heißt die Frage, wie Besitzer und Leser das Werk wahrnahmen. Große Überraschungen enthält dieser Abschnitt des Werks nicht, aber er schafft auf breitester Materialgrundlage ein nuanciertes Bild und erlaubt es damit, das mittelalterliche Interesse am Text zuverlässiger und präziser einzuschätzen.

Aufbauend auf eigenen umfangreichen Handschriftenstudien untersucht Allmand zunächst die Randbemerkungen aller Art, wie sie sich in zwei Dritteln der insgesamt rund 200 Handschriften von Vegetius‘ lateinischem Text finden. Verständlicherweise brachten die mittelalterlichen Leser den einzelnen Kapiteln höchst unterschiedliches Interesse entgegen. So finden sich in Buch I des Werks, das allgemeinere Aspekte abhandelt, insgesamt deutlich mehr Leserkommentare als in Buch II, denn dieses befasst sich speziell mit den Strukturen der römischen Armee, die im Mittelalter nicht mehr aktuell waren.

Ferner geht es um die Frage, mit welchen anderen Texten das Werk zusammengebunden wurde. Am häufigsten ist dies bei den „Stratagemata“ des Frontinus der Fall, dem zweiten bedeutenden Werk über das Kriegswesen, das aus der Antike überliefert war. „De re militari“ wurde demzufolge vor allem als Sachbuch über Militär und Krieg wahrgenommen – das ist nur scheinbar banal, denn gerade in Klöstern schätzte man es auch aus spirituellen Gründen; der militärische Kampf gegen irdische Feinde entsprach dem geistlichen gegen den Teufel und die Sünde. Im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Schrift häufig gemeinsam mit dem „Policraticus“ des Johannes von Salisbury und dem Fürstenspiegel des Aegidius Romanus überliefert, das heißt mit zwei Texten, die sich ihrerseits auf das Buch des Vegetius gestützt hatten. Besitzer der Handschriften waren bis ins 12. Jahrhundert fast nur große geistliche Gemeinschaften, auch einige hochrangige Geistliche. Im 14. und 15. Jahrhundert entstanden erwartungsgemäß mehr Abschriften des Werks als zuvor und vor allem solche für Fürsten und Adlige, oft auch solche von Übersetzungen, die es seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundert gab.

Im zweiten Teil untersucht Allmand jene Texte, die auf „De re militari“ aufbauten. Zunächst geht es darum, wie Vegetius‘ Werk durch mittelalterliche Autoren von Johannes von Salisbury bis zu Niccoló Machiavelli aufgenommen wurde. Es zeigt sich immer wieder, dass diese Verfasser nicht nur oft Vegetius wörtlich wiedergaben, sondern dass überhaupt viele ihrer Darlegungen auf seine Gedanken zurückgriffen. Dies betrifft vor allem die Vorstellung, dass das Heer ein verlässliches Instrument des Monarchen sein müsse, was wiederum genau den Bestrebungen vieler Herrscher im 12. bis 14. Jahrhundert entsprach.

Als nächstes widmet sich Allmand den Übersetzungen des Werks, das ins Französische, Italienische, Spanische, Englische und Deutsche übertragen wurde. Es erweist sich, dass die Übersetzer den Text nach ihrem Dafürhalten anpassen, insbesondere an die jeweilige politische und militärische Situation. Dann wendet sich der Autor den Exzerpten unterschiedlichster Art zu, die aus „De re militari“ angefertigt wurden. Zweifellos handelt es sich jeweils um Zeichen der Wertschätzung für Vegetius, doch sind die Absichten der Exzerpierenden meist schwer zu interpretieren und jedenfalls nicht einheitlicher Natur. Großes Interesse am Text belegt auch der Befund, dass bis 1500 sieben Drucke des lateinischen Texts sowie einer der deutschen Übersetzung vorlagen und im 16. Jahrhundert weitere folgten.

Im dritten Teil geht Allmand nun der Leitfrage nach, wie genau der Einfluss des Werks von Vegetius auf die militärische Theorie und Praxis des Mittelalters aussah. Zunächst hält er einige allgemeine Punkte fest: Die Wirkung des Werks habe nicht zuletzt darauf beruht, dass es einen intellektuellen und rationalen Zugang zum Nachdenken über Krieg biete und auf diesem Feld keine Konkurrenz besaß. Auch habe es durch rationale Argumentation überzeugt und sein Stil, der zu pointierten Aussagen neige, habe die Aufnahme und Weitergabe seiner Aussagen erleichtert. Ferner sei „De re militari“ aufgrund seiner Thematik und Anlage offen dafür, in vielen anderen Zusammenhängen als den von Vegetius beabsichtigten genutzt zu werden.

Dann wendet sich Allmand einzelnen Themen zu, zum Beispiel dem Soldaten, dem Heerführer, Logistik, Strategie. Zunächst schildert er jeweils die einschlägigen Aussagen von Vegetius. Dann greift er auf das in den beiden ersten Kapiteln erarbeitete Material sowie Belege aus weiteren mittelalterlichen Texten zurück. Damit weist er die Auswirkungen von Vegetius‘ Werk auf mittelalterliche Autoren und damit auf das Denken dieser Zeit nach. Diese Ergebnisse stellt er wiederum in Zusammenhang mit allgemeinen Entwicklungen. Bei vielen dieser Themen zeigt sich, dass das Interesse der mittelalterlichen Leser und Autoren genau jenen Aussagen von „De re militari“ galt, welche den ab dem 13. Jahrhundert tatsächlich zu beobachtenden Tendenzen und Entwicklungen im Heereswesen entsprachen. Dies betrifft insbesondere den steigenden Einfluss der Könige und Fürsten auf das Heer und die verstärkten Anforderungen an die Disziplin.

Ein pointierter Schluss rundet die Erörterungen ab: Gerade die Schwächen und Auslassungen von „De re militari“ hätten sich für seine mittelalterliche Wertschätzung als Stärke ausgewirkt. Vegetius schreibe nicht über Taktik und alltägliche Detailprobleme, sondern über Grundsätzliches. Damit sei seine Schrift für Kriege in allen Zeiten benutzbar. So konnte sie auch zu spätmittelalterlichen Entwicklungen erheblich beitragen. Am Ende des 15. Jahrhundert aber hätten mittelalterliche Autoren begonnen, aufgrund eigener Erfahrungen selbst grundsätzliche Texte über Kriegführung zu verfassen.

Im Anhang finden sich eine Schautafel von lateinischen Begriffen und deren Übersetzung in den volkssprachlichen Versionen sowie eine Liste der Handschriften von „De re militari“. Durch diese Liste sowie das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis wird dieses Werk in Zukunft den Ausgangspunkt für jede weitere Beschäftigung mit dem Text darstellen.

Durch umsichtiges Vorgehen und präzise Argumentation sowie aufgrund einer äußerst breiten Materialgrundlage kommt Allmand zu überzeugenden Schlüssen darüber, welcher Rang „De re militari“ im mittelalterlichen Nachdenken über Kriegführung und Heerwesen zukam. Das Bild davon, wie die mittelalterliche Gesellschaft Krieg führte und mental sowie intellektuell mit ihm umging, ändert sich dadurch freilich nur punktuell. Der weiterführende Wert der Studie liegt eher darin, dass hier exemplarisch dargestellt wird, wie und warum ein antiker Sachtext im Mittelalter wirken konnte – und wie man dies herausfinden kann.