Titel
Creating Catholics. Catechism and Primary Education in Early Modern France


Autor(en)
Carter, Karen E.
Erschienen
Notre Dame, Ind. 2011: University of Notre Dame Press
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 29,88
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Fritz Osterwalder, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Bern Email:

Die zentrale Bedeutung der Herausbildung flächendeckender Bildungsinstitutionen in der Neuzeit und im Übergang zur Moderne für die historische Bildungsforschung wird zunehmend auch von der Geschichtswissenschaft und ihrer Thesenbildung beachtet. Für den erfolgreichen Modernisierungsprozess der westeuropäischen Gesellschaften dürften die die gesamte Bevölkerung zunehmend erfassenden Bildungseinrichtungen und ein entsprechender Erziehungstypus eine wesentliche Voraussetzung gewesen sein. Konfessionalisierung und Säkularisierung der Gesellschaften verliefen im Beschulungsprozess eng ineinander verschränkt. Im Rahmen der bis heute weitgehend auf die deutschsprachige Historiographie beschränkten Diskussion über die Rolle und den sozialen Ort der Konfessionalisierung im Modernisierungsprozess ist die zentrale Bedeutung der Schule, insbesondere des niederen Schulwesens unbestritten. Sowohl die Perspektive auf den Konfessionalisierungsprozess von oben – wie sie Heinz Schilling 1 vorschlägt – wie auch jene, welche die lokale Herausbildung von Konfessionskulturen von unten betont – wie Heinrich Richard Schmidt 2 – rücken die Entwicklung des ländlichen niederen Schulwesens in der frühen Neuzeit neuerdings zunehmend in den Fokus der Forschung.

Die vorliegende Arbeit “Creating Catholics“ reiht die Entwicklung des Katechismusunterrichts und des niederen Schulwesens in Frankreichs im 17. und 18. Jahrhundert in die katholische Reform und den Konfessionalisierungsprozess in der Folge des Tridentinums ein und schließt damit gezielt an die Debatte über Modernisierung und Konfessionalisierung an. Stand in der französischen Historiographie bislang vor allem das höhere städtische Schulwesen und damit die Entwicklung des städtischen Bürgertums im Zentrum, so werden in dieser Studie die bäuerlich-dörfliche Bevölkerung und die sogenannten „petites écoles“ (ländliche Schulen des niederen Standes) in den Fokus genommen. Untersucht werden dabei die Schulen und der kirchliche Katechismusunterricht in den nordost-französischen Diözesen Auxerre, Reims und Châlons. Stellt Auxerre in Burgund eher eine kleine und ärmliche Diözese dar, so ist Reims die größte Diözese in der französischen Kirche überhaupt, zusammen mit der anderen Diözese in der Champagne, Châlons, gilt sie als eine reiche und sehr entwickelte Einheit. Bei dieser Auswahl fehlen insbesondere sowohl die ländlichen Gebiete des Südostens und des Südwestens, in denen nicht nur unterschiedliche katholische Strömungen, sondern auch die Konfrontation mit der anderen Konfession, den Hugenotten, Spuren hinterlassen haben dürften.

Carter stützt ihre Untersuchung auf ein sehr reiches Quellenmaterial, insbesondere auf die diözesenspezifischen Katechismen und die bischöflichen Visitationsberichte über Kirchgemeinden und Schulen wie auch bischöfliche Enquêten über den Stand des religiösen Gemeindelebens. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass sich im 17. und 18. Jahrhundert in den ländlichen Regionen flächendeckende, weitgehend der ganzen Bevölkerung verfügbare religiöse und säkulare Schul- und Katecheseinstitutionen herausbildeten als Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen von Eltern, Schulmeistern, Dorfräten und Gemeindepriestern, das Dorfleben zu regeln. Diese lokalen Akteurkonstellationen, ihre pädagogischen Institutionen und ihre Programme sind dann aber entsprechend Carters These wiederum in das große Reformprogramm der Kirche eingeordnet, aber vollständig vom Staat und der Herausbildung seiner Verwaltungsinstitutionen und ihren Bestrebungen zur Disziplinierung der Bevölkerung unabhängig geblieben (S. 17).

Die Untersuchung ist in vier großen Schritten angelegt. Im ersten werden die verschiedenen Katechismen der Diözesen, ihr Inhalt, die Lehrmethode und die Ziele der Katechese vorgestellt. Carter geht davon aus, dass die Katechismen im 17. Jahrhundert bereits ihre konfessionell- und innerkonfessionell-differenzierenden Inhalte weitestgehend verloren haben (S. 33). Die Katechese wird eingeordnet in eine „science of salvation“, eine pädagogisierte Religion. Das Ziel des Lernens, des Memoralisierens des Katechismus habe nicht allein in der dogmatischen Kenntnisvermittlung, sondern vielmehr in der Einführung in eine tugendhafte, christlich-kirchliche Lebensführung bestanden. Carter sieht diese pädagogische Perspektive der Bischöfe und ihres Katechismusunterrichts in Kongruenz mit der modernisierenden Pädagogik John Lockes, nur „they might have had a slightliy different idea of what virtue was“ (S. 79). Dies mag aber nicht nur äußerst fragwürdig erscheinen angesichts der Tatsache, dass Locke sich ausschließlich auf die Erziehung der Gentry ausrichtete, sondern auch angesichts seiner expliziten Abwendung von der pädagogischen Buchtradition und seiner theologischen Orientierung auf Vernunftreligion und öffentliche Tugend.

Im zweiten Schritt wird die Implementierung dieses Programms in den drei Diözesen nachgezeichnet. Dabei markiert Carter zwei Etappen: In der ersten wurde der Klerus selbst, die Dorfpriesterschaft durch eine Systematisierung der Ausbildung „professionalisiert“ (S. 113). In der zweiten Etappe wurde der wöchentliche Katechismusunterricht von einer Stunde durchgesetzt – wobei sich vor allem die Kinder der ärmsten Schichten entzogen (S. 131).

Im dritten Schritt wird die Entwicklung der Tätigkeiten des zentralen Akteurs der dörflichen Schulen, des Schulmeisters, dargestellt. Carter beschreibt diese Entwicklung im Spannungsfeld von zentralen kirchlichen Anforderungen durch den Bischof – der immer mehr seine Zuständigkeit durchsetzt –, des Dorfpfarrers – der mit dem Schulmeister zusammenarbeitet – und der dörflichen Bevölkerung, aus deren Reihen der Schulmeister im allgemeinen stammte, der er vertraglich verbunden war und der die Schule im allgemeinen auch finanziell unterstand (S. 167).

Im vierten Schritt wird die Realität der „petites écoles“ beschrieben. Während der Staat durch ein königliches Edikt von 1698 die Gemeinden verpflichtete, Schulen für Knaben und Mädchen einzurichten, war es die Akteurkonstellation von Bischof, Dorfpfarrer, Schulmeister und Dorfautoritäten, die auf eigene Initiative, ohne Unterstützung durch den entstehenden Verwaltungsstaat dieses Projekt realisierte. Im Gegensatz allerdings zu den kirchlichen Vorschriften und den bisherigen schulhistorischen Annahmen verfügten nur wenige Gemeinden über getrennte Schulen für Knaben und Mädchen, nur ein ganz kleiner Anteil der ländlichen Schulen wurde von Schulorden betrieben. Die Erfolge dieser frühen konfessionellen Beschulung werden in der Großzahl der die Dorfbewohner erfassenden sakralen Dienste im ausgehenden Ancien Régime gesehen.

So bedeutsam und erhellend die unmittelbaren Ergebnisse der Arbeit sind, so sinnvoll ihre Einordnung in die Konfessionalisierungsdiskussion wäre, so fragwürdig scheint allerdings die Art und Weise, wie sie durch Karen E. Carter vorgenommen wird. Zum einen ist zu bemerken, dass die drei Diözesen kaum repräsentativ für ganz Frankreich sind. Viel einschränkender für die Bedeutung der Ergebnisse ist allerdings die Tatsache, dass die Befunde überhaupt nicht auf die politischen und kirchlichen Kontexte bezogen werden. Im französischen Katholizismus von der Kirche schlechthin zu sprechen, ist in einem doppelten Sinn sehr fragwürdig. Zum einen war die französische katholische Kirche seit dem 15. Jahrhundert dem König unterstellt. Mit den gallikanischen Artikeln von 1682 wurde diese Orientierung unter Louis XIV und Bossuet noch einmal verstärkt. Von daher erscheint es wenig sinnvoll, wenn Karen E. Carter den Aufbau des niederen Schulwesens in den drei Diözesen als Eigenleistung einer kirchlich dominierten Akteurkonstellation gegen die staatliche Erfolglosigkeit ausspielt (S. 173, 230).

Darüber hinaus wird aber auch die Einheitlichkeit und Handlungsfähigkeit dieser kirchlichen Organisation weitgehend überschätzt. Die großen Spannungen, die regional aber auch zwischen lokalen Geistlichen und Bischöfen und der unterschiedlichen theologischen und ekklesiologischen Orientierungen wirkten, werden vollständig ausgeblendet. Die von Karen E. Carter bearbeitete Zeitspanne kennt zwei große Konfliktherde und Oppositionsbewegungen in der gallikanischen Kirche. Zum einen wirkt seit Beginn des 17. Jahrhunderts der sogenannte Richerismus, der in der lokalen Geistlichkeit bis zur Revolution eine große Anhängerschaft besaß und nicht nur die päpstliche, sondern auch die königliche Macht in der Kirche in Frage stellte. Und zum andern wirkte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit einer ähnlichen Anhängerschaft in der niederen Geistlichkeit der Jansenismus, der im 18. Jahrhundert zu einer mächtigen politischen Oppositionsbewegung wurde und eine eigene mehr oder weniger politische Theologie artikulierte. Bedeutsam ist nun, dass gerade in der Champagne der Jansenismus in der niederen und mittleren Geistlichkeit besonders stark vertreten war, und der Bischof von Châlons sur Marne – eine der drei Diözesen, die Karen E. Carter untersucht – und spätere Cardinal Louis Antoine de Noailles sich im Show-down des Konflikts zwischen König/Kirchenführung mit dem Jansenismus offen gegen den König stellte. Der Jansenismus tritt innerhalb des gallikanischen Katholizismus in Frankreich zunehmend wie eine eigenständige Konfession auf, die nota bene eine eigene Orientierung auf Erziehung und die Schulen artikuliert. Es wäre also auch gezielt zu fragen, inwiefern in den verschiedenen bischöflichen Katechismen unterschiedliche inner-katholische Differenzen hervortraten und inwiefern in Katechese und der Expansion des niederen Schulwesens Richerismus und Jansenismus zur Geltung kamen und ihre eigenen „konfessionellen“ Einflusssphären markierten.

Anmerkungen:
1 Heinz Schilling/Stefan Ehrenpreis (Hrsg.), Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel, Münster/New York/München/Berlin 2003.
2 Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, in: Historische Zeitschrift, Bd. 265, 1997, S.639-682.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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