J. Roesler; D. Semmelmann: "... ohne Energie geht gar nichts!"

Titel
"... ohne Energie geht gar nichts!". Die ostdeutsche Energiewirtschaft von den Kombinaten zur VEAG (1980-2001)


Autor(en)
Roesler, Jörg; Semmelmann, Dagmar
Herausgeber
VEAG Vereinigte Energiewerke AG
Erschienen
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Hübner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Dieses Buch handelt vom Übergang der ostdeutschen Elektroenergiewirtschaft aus den zentralverwaltungswirtschaftlichen Zusammenhängen der DDR in den marktwirtschaftlichen Wettbewerb des europäischen Strommarktes. Beschrieben wird die Entwicklung der Kombinate Braunkohlekraftwerke und Verbundnetze Energie in den achtziger Jahren, ihre Umwandlung in die Vereinigte Kraftwerks AG und in die Verbundnetz Elektroenergie AG im Jahre 1990, deren Fusion zur Vereinigte Energiewerke AG (VEAG) 1991, dann, 1994, ihr Verkauf durch die Treuhandanstalt an ein aus der Preussen-Elektra AG, den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken AG und der Bayernwerk AG bestehendes Konsortium und schließlich der zweite Verkauf an die kurz zuvor vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall übernommenen Hamburgischen Electricitätswerke AG im Jahr 2001.

Es geht also zum einen um Unternehmensgeschichte im engeren Sinne, zum anderen, im weiteren Sinne, um eine Systemtransformation, gezeigt am exemplarischen Fall ehemals staatseigener Stromversorger und Netzbetreiber. Am 31. Dezember 1989 beschäftigten diese beiden DDR-Kombinate mehr als 23.000 Personen; Ende 2000 bot die VEAG noch etwa 5.900 Menschen Lohn und Brot. Diese auf S. 150 zu findende Angabe weicht allerdings von den im Anhang angeführten Zahlen ab (S. 185-188). Dort ergibt sich aus einfacher Addition per 31. Dezember 2000 ein Stand von 5401 Beschäftigten der VEAG-Betriebe. Die Differenz mag darauf zurückzuführen sein, daß in einem Fall die Mitarbeiter der Hauptverwaltung mitgezählt wurden, im anderen jedoch nicht.

Wie dem auch sei, der drastische Personalabbau wirft ein Schlaglicht auf die biographische und soziale Dimension des hier dargestellten Vorganges. Ihm haben sich der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler und die besonders mit Oral-history-Studien ausgewiesene Historikerin Dagmar Semmelmann arbeitsteilig genähert: Ersterer im nüchternen Stil einer auf die schriftliche Quellenüberlieferung gestützten Unternehmensgeschichte, die andere eher narrativ, auf der Grundlage von Zeitzeugenaussagen und Interviews. Das verleiht der Darstellung eine innere Spannung, die Leser nicht als nachteilig empfinden werden. Allerdings kann man geteilter Meinung sein, wenn die Autoren in der Einleitung anmerken: „Zeitzeugenaussagen rangieren hier nicht als bloße Illustration der aus schriftlichen Quellen gewonnenen ereignisgeschichtlichen Aussagen, sondern werden in ihrer selbständigen Geltung für das Verständnis des Untersuchungsgegenstandes ernst genommen“ (S. 10). Näher besehen, halten Roesler und Semmelmann diesen Anspruch nicht durch. So ernst solche Texte auch genommen werden mögen, bilden sie kein Äquivalent zu konventionellen Darstellungsformen, sondern geraten immer wieder in eine illustrierende Funktion. Diese freilich kann recht nützlich sein. Der Wert zitierter Interviewpassagen als Quelle erschließt sich aber nur im Kontext des darstellenden Teils. Von einer selbständigen Geltung zu sprechen, zielt an diesem Zusammenhang vorbei.

Der Band ist plausibel in drei chronologisch aufeinanderfolgende Teile gegliedert, von denen jeder mehrere nach Themenschwerpunkten geordnete Kapitel umfaßt. Im ersten Teil behandeln die Autoren die Entwicklung der beiden Kombinate Braunkohlenkraftwerke und Verbundnetze Energie in den achtziger Jahren. Zunächst geht es um die Kombinatsbildung, dann um die Energielücke, die der DDR nach zwei Ölpreisschocks schwere Probleme bereitete. Vor allem verzögerten sich Neuinvestitionen in Kraftwerksanlagen. Untersucht werden Führungsstile und Planungspraktiken unter dem Vorzeichen eines allgegenwärtigen Ressourcenmangels. Auch die üblichen Produktionskampagnen und die gut funktionierende betriebliche Sozialpolitik rücken ins Blickfeld. Nicht zuletzt wird die hohe Schadstoffemission der Kohlekraftwerke auf unzureichende Investitionen zurückgeführt.

Der ebenso kurze wie ereignisreiche Zeitraum zwischen der „Wende“ im Herbst 1989 und der Verschmelzung von Kraftwerks- und Netzsparte zur VEAG im Jahr 1991 ist Gegenstand des zweiten Teils. Ein von der Regierung Modrow zunächst favorisiertes Joint Venture-Modell, das gemischte staatlich-private Unternehmen vorsah, erwies sich spätestens seit den März-Wahlen von 1990 als Illusion. Im Juni 1990 stellte die Regierung de Maizière mit ihrem Treuhandgesetz die Weichen für die Privatisierung. Unter Federführung der Treuhandanstalt erfolgte zunächst die Umwandlung der Kombinate in Aktiengesellschaften. Schwierige Stromvertragsverhandlungen führten im August 1990 zu einer Vereinbarung über die Kapitalanteile am ostdeutschen Stromverbund. In der Frage der künftigen Betriebsverfassung und der gewerkschaftlichen Interessenvertretung setzte sich das bundesrepublikanische Mitbestimmungs- und Tarifmodell durch. Ein in den Belegschaften stark verankertes Berufsethos, auf das die Verf. prononciert eingehen, ermöglichte in diesen turbulenten Monaten stabile Betriebsabläufe.

Im dritten Teil geht es um die Entwicklung der VEAG von 1991 bis 2001. Zu Beginn fiel die Entscheidung für die weitere Stromerzeugung aus ostdeutscher Braunkohle und damit für die Rekonstruktion oder auch die Stillegung, aber auch für den Neubau von Kraftwerken sowie für den Aus- und Umbau der Verteilernetze. Im einzelnen gehen die Autoren auf das Schicksal der einzelnen Kraftwerke ein, untersuchen Beschäftigung und Betriebsorganisation. Im wesentlichen erfolgte der mit den Umstrukturierungen verbundene Personalabbau durch eine einvernehmliche Lösung der Arbeitsverträge, durch Ausgründungen sowie durch Altersübergangs- und Vorruhestandsregelungen. Weitere Belegschaftsreduzierungen konnten durch einen erheblichen Anstieg der Teilzeitquote gebremst werden. Ausbildungsaktivitäten und betriebliche Sozialleistungen der VEAG finden relativ ausführliche Berücksichtigung. Der Band schließt mit einem Überblick zu betriebswirtschaftlichen Entwicklungen und unternehmensstrategischen Entscheidungen, darunter besonders auch zu den Verkäufen an neue Investoren.

Sachlich in der Darstellung, ist das mit Schwarz-Weiß-Fotos und graphischen Darstellungen gut illustrierte Buch für einen größeren Leserkreis bestimmt. Aus diesem Grunde verzichteten die Verf. auf Quellennachweise. Man mag das, besonders im Hinblick auf Zitate, bedauern. Teils in den Text integriert, teils auch an separater Stelle finden sich zahlreiche Interviewpassagen, die das Ganze durchaus auflockern. Der Anhang enthält eine Übersicht zu den einzelnen VEAG-Betrieben, darunter zur Bauzeit und Inbetriebnahme, zur maschinellen Ausstattung und zu den Leistungsdaten sowie zur Personalentwicklung zwischen 1989 und 2000. Eine Zeittafel zeigt den Wandel in der Organisationsstruktur der ostdeutschen Energiewirtschaft zwischen 1970 und 2000 und erleichtert den Lesern die Orientierung. Alles in allem gewährt der Band am Beispiel der VEAG interessante Einblicke in die Wirtschaftsgeschichte der späten DDR und der östlichen Bundesländer.

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