V. v. Wiczlinski: Im Zeichen der Weltwirtschaft

Cover
Titel
Im Zeichen der Weltwirtschaft. Das Frankfurter Privatbankhaus Gebr. Bethmann in der Zeit des deutschen Kaiserreichs 1870–1914


Autor(en)
Wiczlinski, Verena von
Reihe
Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung e.V. 23
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
410 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Krause, Group Communications, Public Affairs / Historisches Archiv, Commerzbank AG

Das Frankfurter Bankhaus Gebr. Bethmann in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs ist Thema der 2007 als Dissertation angenommenen und für die Drucklegung überarbeiteten Studie Verena von Wiczlinskis. Den Hintergrund bildet der Aufstieg der Großbanken am Ende des 19. Jahrhunderts und der damit verbundene relative Bedeutungsverlust der Privatbanken. Anhand der reichhaltigen Überlieferung zu Gebr. Bethmann im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte fragt von Wiczlinski "nach der wirtschaftlichen und sozialen Anpassungsfähigkeit eines alten Unternehmens" (S. 19) im Kaiserreich. Dabei übernimmt sie die vor allem von Harald Wixforth und Dieter Ziegler vertretene These, dass es trotz der Dominanz der Großbanken einigen Privatbanken gelang, eine Nische für eine einträgliche Geschäftstätigkeit zu finden. Diese These modifiziert sie zugleich für Gebr. Bethmann dahingehend, dass dem Frankfurter Bankhaus nicht mangelnde Risikobereitschaft unterstellt werden könne, sondern sie stellt fest, dass Gebr. Bethmann angesichts einer knappen Kapitaldecke eine vorsichtige Geschäftspolitik verfolgt hätten (S. 61).

Die "Nische" des Bankhauses Gebr. Bethmann war die Beteiligung am deutschen Kapitalexport, der im Zeitraum zwischen 1880 und 1914 seinen Höhepunkt erreichte. Ausführlich und akribisch schildert von Wiczlinski das finanzielle Engagement des Bankhauses im europäischen Ausland, in Nordamerika, China, Afrika, Lateinamerika und im Osmanischen Reich. Bankgeschäfte bestehen aus vielen einzelnen Transaktionen, und von Wiczlinski unterzieht sich der Mühe, die zahlreichen Geschäfte des Bankhauses detailliert zu analysieren. Als wiederkehrendes Muster zeigt sich, das Gebr. Bethmann vor allem kleinere Unterbeteiligungen von meist größeren und befreundeten Privat- und Großbanken übernahmen. Dabei waren Gebr. Bethmann, wie von Wiczlinski mehrfach betont, sowohl der gute Name als auch die vielfältigen verwandtschaftlichen Beziehungen des Bankhauses auf den internationalen Kapitalmärkten äußerst nützlich. Demzufolge waren die Inhaber von Gebr. Bethmann sehr daran interessiert, dass ihr gutes "Standing" erhalten blieb.

Damit konnten Gebr. Bethmann am Ende des 19. Jahrhunderts noch auf einem hohen internationalen Niveau agieren. Die naheliegende Frage, ob dieses Geschäftsmodell nicht doch ein Auslaufmodell war, wäre nur mit einer weiterführenden Untersuchung über das Jahr 1914 hinaus zu klären. Als Realisten mussten die Inhaber von Gebr. Bethmann jedenfalls den schleichenden Bedeutungsverlust der Privatbankiers mehr oder weniger anerkennen. Eine Valorisationsanleihe des Staates São Paulo von 1908 zur Steuerung des Kaffeepreises etwa, die nur von Privatbankiers unter Mitwirkung von Gebr. Bethmann platziert wurde, blieb eine seltene Ausnahme und wurde in der Öffentlichkeit durchaus als Sensation empfunden. Weshalb an der Anleihe keine Großbanken beteiligt waren, bleibt in der Studie allerdings offen.

Breiten Raum nimmt die Einordnung des Kapitalexports im Rahmen des politischen Imperialismus ein. Von Wiczlinski unterscheidet hierbei zwischen unpolitischen und politisch beeinflussten Auslandsanlagen. An vielen Beispielen kann sie zeigen, dass die internationale Finanzwelt grundsätzlich an einer Zusammenarbeit über die Staatsgrenzen hinweg interessiert war. Die Geschäftspolitik der "Hochfinanz" orientierte sich in der Regel primär an politischer Stabilität und Berechenbarkeit und nicht an nationalen Standpunkten. Tatsächlich setzte sich bis 1914 jedoch der Primat der Politik durch. Die Globalisierung der Finanzwelt wurde zunehmend von einer Nationalisierung der Politik zurückgedrängt.

Diese sicherlich interessanten Zusammenhänge verweisen zugleich auf ein methodisches Problem des Buches. Die Perspektive der Arbeit schwankt zwischen den Polen (Finanz-)Imperialismus und Unternehmensgeschichte. Zumindest aus unternehmenshistorischer Sicht kommt die "Binnenperspektive" des Bankhauses zu kurz. Erst im letzten Abschnitt – seltsamerweise unter "Ergebnisse" – werden die Leitungsstrukturen näher untersucht. So erfährt der Leser im Schlusskapitel, dass Moritz von Bethmann häufig krank war und die Leitung der Bank nur eingeschränkt wahrnehmen konnte. Der als Teilhaber aufgenommene, familienfremde Franz Borgnis erwies sich als "Glücksgriff" für das Bankhaus (S. 333). Hier wäre sicherlich ein wichtiger Anknüpfungspunkt für weitere Fragestellungen gewesen.

Ähnliches gilt für das häufig zitierte Netzwerk des Bankhauses mit seinen internationalen Kontakten und Verwandtschaftsverhältnissen. Wie entscheidend prägten diese Familienbeziehungen aber tatsächlich die gegenseitige Beteiligung an Geschäften? So zeigen die Türkeigeschäfte, dass es durchaus zu Differenzen über die Informationspolitik zwischen den Bethmann-Häusern in Frankfurt und Paris kommen konnte (S. 253). Die Chance, das in der Forschung gängige Netzwerk-Modell empirisch zu überprüfen, wird nicht genutzt.

Ob dies womöglich der Quellenlage geschuldet ist, kann der Leser nicht beurteilen. Zwar nennt von Wiczlinski verdienstvollerweise im Anhang die von ihr benutzten Geschäftsakten, die gewiss eine beeindruckende Zahl an Quellen darstellen. Doch nach welchen Kriterien wurden die Akten ausgewählt? Und gibt es eventuell auch Quellen, die eben einen genaueren Einblick in die Binnenstrukturen des Bankhauses bieten könnten?

Damit hinterlässt das Buch einen durchaus zwiespältigen Eindruck. Einerseits bietet es einen faszinierenden, sehr informativen Einblick in die internationalen Geschäfte einer renommierten Privatbank im Deutschen Kaiserreich, andererseits bleiben die Handlungsspielräume und Strategien der handelnden Personen des Bankhauses, ebenso wie ihr sozialer Habitus, doch etwas unscharf.

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