D. Schmiechen-Ackermann: Diktaturen im Vergleich

Cover
Titel
Diktaturen im Vergleich.


Autor(en)
Schmiechen-Ackermann, Detlef
Reihe
Kontroversen um die Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
174 S.
Preis
€ 16,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Laurenz Müller

In einem schmalen Bändchen versucht Detlef Schmiechen-Ackermann einen kompakten Überblick über eines der bedeutendsten Forschungsfelder der historischen und politischen Wissenschaften der letzten Jahrzehnte zu geben: Die Diktaturforschung und insbesondere den Diktaturvergleich.

Seit rund achtzig Jahren ist die Auseinandersetzung mit den diversen Diktaturen des 20. Jahrhunderts aus der Geistes- und Sozialwissenschaft nicht mehr wegzudenken. Mit der Sowjetunion entstand nach dem Ersten Weltkrieg die erste 'moderne Diktatur’ und eröffnete damit die vom britischen Historiker Eric Hobsbawm als ‚Zeitalter der Extreme’ bezeichnete Epoche, die erst 1989/91 mit dem Zerfall des bolschewistischen Imperiums zu Ende ging.

In den 1920er und 30er Jahren stieg die Zahl der anti-demokratischen Regime in Europa stetig, und in diese Zeit fallen auch die Anfänge der modernen Diktaturforschung. Über die Jahrzehnte entwickelte sich daraus ein breiter und weitverzweigter Forschungsdiskurs, in dem das wissenschaftliche Argument jedoch zeitweise zweitrangig zu werden drohte: Der für eine Forschungsarbeit gewählte methodische Zugriff wurde zum politischen Bekenntnis. Seit dem Ende des real existierenden Sozialismus in Europa hat sich diese Politisierung abgeschwächt und der in der liberalen Öffentlichkeit lange Zeit nahezu tabuisierte Totalitarismusbegriff eine Renaissance erlebt. Damit erhielt auch die Frage nach den Chancen und Gefahren komparatistischer Untersuchung von Diktaturen neuerliche wissenschaftliche Aktualität.

Detlef Schmiechen-Ackermanns Buch ist in der von Arnd Bauerkämper, Peter Steinbach und Edgar Wolfrum herausgegebenen Reihe ‚Kontroversen um die Geschichte’ erschienen. Diese Reihe versteht sich als Studienliteratur. Daraus leitet sich Schmiechen-Ackermanns Bestreben ab, eine möglichst gut gegliederte und umfassende Darstellung der bisherigen Forschungskontroversen zu diesem Thema zu präsentieren. Er beschränkt sich dabei auf Arbeiten zu europäischen Diktaturen.

Schmiechen-Ackermann strukturiert die wissenschaftliche Debatte über den Charakter ‚moderner Diktaturen’ und deren Vergleichbarkeit in drei Richtungen: Erstens zeichnet er in wissenschaftshistorischer Perspektive den Verlauf der Diskussion von 1920 bis heute (die jüngsten von ihm berücksichtigten Publikationen stammen aus dem Jahr 2001) nach. Zweitens ordnet er die einzelnen Studien den verschiedenen methodischen Ansätzen und wissenschaftlichen Kategorien zu. Und drittens bietet er einen Überblick über konkrete Forschungsfelder und empirische Resultate, die mit den jeweiligen Zugriffen erzielt werden konnten.

Der Autor legt jedoch Wert darauf, diese drei Ebenen nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern auch ihre Verflechtungen und Rückwirkungen darzustellen. Will man der dynamischen Entwicklung des Forschungsdiskurses gerecht werden, ist eine solche Herangehensweise sicherlich notwendig. Es entstehen dadurch aber auch Wiederholungen – so insbesondere bezüglich der Kritik am Totalitarismusbegriff – die beim Lesen störend wirken. Verkompliziert wird die Struktur des Buches dadurch, dass der Überblick über die Kategorien, mit denen das Phänomen der europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu fassen versucht wird, immer noch von der methodischen Frage des Diktaturvergleichs überlagert wird.

Detlef Schmiechen-Ackermann diskutiert hauptsächlich drei Deutungsmuster zur Analyse von Diktatur: das Konzept des ‚Totalitarismus’, der ‚politischen Religionen’ und der ‚modernen Diktaturen’. Dabei stellt er keinen dieser Ansätze als homogenes Modell dar, sondern ist stark um Differenzierung bemüht. Beim Totalitarismuskonzept weist er beispielsweise auf zentrale Unterschiede in den grundlegenden Arbeiten von Hannah Arendt (‚Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft’) und der Studie ‚Totalitarian Dictatorship and Autocracy’ von Carl Joachim Friedrich und Zbigniew Brzesinski hin. Arendt habe als wohl erste Denkerin das Phänomen des Totalitarismus als eine neue, auf Ideologie und Terror basierende Form der Macht verstanden. Ihre Arbeit stelle damit bewusst eine abstrakte Skizze dieser neuen Staatsform dar und versuche, diese historisch-genetisch herzuleiten. Die Kritik an Arendts Studie, diese sei wenig empirisch und gehe von einem statischen Herrschaftskonzept aus, ist für Schmiechen-Ackermann zum einen nicht relevant und zum anderen ungerechtfertigt. Im Gegensatz dazu zeichne die genannte Arbeit von Friedrich/Brzesinski, die von einer apodiktischen Gleichsetzung von kommunistischer und faschistischer Diktatur ausgehe, ein explizit statisches Bild.

Zwischen den Zeilen wird bald sichtbar, dass Schmiechen-Ackermann kein Anhänger des Totalitarismus-Ansatzes ist. Er hält ihn insbesondere zur Beschreibung der sozialen Realität für unzulässig. In den Diktaturen des 20. Jahrhunderts sei «der Idealtypus der totalitären Herrschaft niemals vollständig und dauerhaft zu einem Realtypus» geworden (112). Und auch das Konzept der ‚politischen Religionen’, das bereits in den 1930 Jahren entwickelt worden war und gegenwärtig ebenfalls wieder stark beachtet wird, empfindet der Autor als unzureichend. Das Erkenntnisinteresse sei hier «auf einen bestimmten Sektor, nämlich auf die Erklärung von Symbolen und Charisma, von Mythen und liturgischen Formen» beschränkt (54).

Der adäquateste Begriff zur Erforschung von Diktaturen sei daher gegenwärtig die ‚moderne Diktatur’. Diese Kategorie bilde zwar einen sehr offenen Bezugsrahmen und basiere nicht auf einer ausformulierten Theorie, ermögliche aber gerade dadurch einen interdisziplinären Zugriff und erlaube, dass «die im Hinblick auf wichtige Untersuchungsfelder und spezifische Erkenntnisinteressen zweifellos vorhandene analytische Kompetenz der enger gefassten Konzepte des ‚Totalitarismus’ und der ‚politischen Religionen’ in diesen Bezugsrahmen produktiv integriert werden können» (147). Diese Wertung mag in einem gewissen Gegensatz zu dem Anspruch eines Studienbuches stehen; der Autor ist jedoch stark darum bemüht, bei allen präsentierten Kategorien Vor- und Nachteile aufzuzeigen. Mangelnde Ausgewogenheit kann ihm kaum vorgeworfen werden.

Wie bereits der Titel des Buches ankündigt, widmet sich Schmiechen-Ackermann insbesondere auch dem methodischen Ansatz des Diktaturvergleichs. Zentral ist dabei seine Auffassung, dass es keiner moralischen Erlaubnis für einen solchen Vergleich bedürfe, sondern einzig wissenschaftlicher Korrektheit. Er hält also sowohl den Vergleich zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion als auch einen solchen zwischen dem ‚Dritten Reich’ und der DDR oder zwischen der NS-Herrschaft und dem Italien unter Mussolini (den er unter der Kategorie ‚Faschismus’ abhandelt) für zulässig und notwendig. Dabei sei aber zentral, dass die komparative Forschung «auf einer reflektierten, überprüfbaren und in sich schlüssigen methodischen Grundlage» stattfinde und «nur vergleichbare Phänomene, die tatsächlich eine relevante Schnittmenge haben» zueinander in Relation gesetzt werden (144). Damit verbindet der Autor, der selber an einem komparativen Forschungsprojekt über die regionalen Parteiorganisationen von NSDAP und SED beteiligt ist, eine gewisse Skepsis gegenüber Forschungsanlagen, die Diktaturen integral miteinander vergleichen.

An dieser Stelle sei eine kritische Bemerkung zu Schmiechen-Ackermanns Darstellung des Faschismus-Vergleichs angefügt. Er verweist zwar darauf, dass sowohl in der italienischen als auch in der deutschen Forschung erhebliche Zweifel daran bestehen, ob sich der Nationalsozialismus und die Mussolini-Herrschaft unter dem Faschismus-Begriff subsumieren lassen. Diese Frage verweist primär auf den im italienischen Faschismus kaum vorhandenen Antisemitismus. Schmiechen-Ackermann schiebt diese breit geäußerte Kritik an am Faschismusbegriff etwas voreilig zur Seite, indem er auf einen Aufsatz von Enzo Calloti verweist, der in der Politik Mussolinis während den Kriegsjahren durchaus auch antisemitische Züge nachweist.

Und auch bezüglich eines zweiten Punkts hinterfragt er den Faschismusbegriff nur ungenügend. Eine besonders breite Rezeption fand dieser nämlich in der marxistischen Theorie: Die faschistische Herrschaft wurde in deren Interpretation als Versuch des Großkapitals gewertet, seine anachronistische Macht zu retten. Diese Interpretation gehörte nicht nur zum Standard der Geschichtswissenschaft in den Ländern des früheren Ostblocks, sondern wurde auch in der neomarxistischen Schule der westlichen Länder breit rezipiert (erinnert sei etwa an Max Horkheimers Diktum ‚Wer vom Faschismus redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen’). Diese, heute allgemein als falsifiziert geltende These bildete eigentlich die Grundlage des Faschismus-Begriffs, wird aber von Detlef Schmiechen-Ackermann überhaupt nicht diskutiert. Erstaunlich ist dies gerade deshalb, weil der Verfasser ansonsten umfassenden Begriffskategorien eher skeptisch gegenübersteht.

Insgesamt muss die Darstellung aber als umfassend und ausgewogen bezeichnet werden. Sie kann sowohl als Studien- als auch als Handbuch herangezogen werden und bietet dank der umfangreichen Literaturhinweise nicht nur eine gute Einführung, sondern auch eine wertvolle Orientierungshilfe in einer seit achtzig Jahren anhaltenden Kontroverse, die kaum mehr zu überblicken ist. So wird anhand der breit dargelegten Auseinandersetzung um die Vergleichbarkeit des Nationalsozialismus mit dem Stalinismus klar, dass diese in vielen Punkten ein politisch motivierter Streit um Begriffe und nicht eine heuristisch begründete, wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Erklärbarkeit historischer Ereignisse und Phänomene war.

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