J. R. Paas (Hrsg.): The German Political Broadsheet 1600–1700

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Titel
The German Political Broadsheet 1600–1700. Band 11: 1683–1685


Herausgeber
Paas, John Roger
Erschienen
Wiesbaden 2011: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
S. 367
Preis
€ 988,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Zsuzsa Barbarics-Hermanik, Insitut für Geschichte, Universität Graz

Im elften Band seines umfangreichen Editionsprojektes widmet sich John Roger Paas der Periode zwischen 1683–1685 und reproduziert dabei 323 Einblattdrucke, wovon 224, die mit dem Buchstaben P (P-3285 – P-3508) gekennzeichnet sind, in einer chronologischen Anordnung den Hauptteil bilden. Bei den übrigen 99 Blättern (PA-662 – PA-760) handelt es sich um Einblattdrucke, die entweder als Vorlage für jene im Hauptteil fungierten oder Nachstiche dieser darstellen. Ergänzend dazu befinden sich im Anhang zwei Listen von – durch den Autor so bezeichneten „vermissten“ – Einblattdrucken (PL-131 – PL-137) und Kopien (PAL-9 – PAL-10), die zwar noch in vier bereits publizierten Verzeichnissen und Katalogen erfasst sind, jedoch von Paas nicht mehr lokalisiert werden konnten. Dieser Aufbau und die damit verbundenen Ziffern mögen zwar für Kenner der vorangehenden Bände geläufig sein, erschweren jedoch die Arbeit jener Forscher/innen, die nur den vorliegenden Band aufgrund der behandelten Periode und Thematiken in die Hand nehmen, da sie für eine Erklärung auf den 1985 erschienenen ersten Band zurückgreifen müssen. Diese Problematik trifft auf das fehlende Register der reproduzierten Druckwerke ebenfalls zu, da es erst als Abschluss des gesamten Editionsprojektes mit verschiedenen Indices geplant ist.1

Die reproduzierten Einblattdrucke stammen aus 17 Ländern und dabei aus insgesamt 88, vom Autor persönlich aufgesuchten, Bibliotheken, Archiven und Museen, wobei jene in Deutschland und Österreich dominieren. Es ist besonders erfreulich, dass neben Nord- und Westeuropa sowie die USA auch Institutionen Ost- und Südosteuropas wie etwa Kroatien, Polen und Ungarn in die Sammeltätigkeit mit einbezogen wurden.

Diese regionale Vielfalt unterscheidet dieses Editionsprojekt des amerikanischen Germanisten und Literaturhistorikers Paas, grundsätzlich von jenem, das zur gleichen Zeit, in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre, in Hamburg gestartet wurde. Während sich Wolfgang Harms und Michael Schilling mit einem transdisziplinären Expertenteam in Hamburg und später in München auf die kommentierte Ausgabe einzelner Sammlungen konzentrierten2, überlässt Paas die Interpretation den jeweiligen Forscher/innen. Dies mag durchaus als Vorteil bewertet werden, da man dadurch von keinen vorweggenommenen Interpretationen und Kontextualisierungen beeinflusst wird. Die vom Autor verfassten kurzen thematischen Zuordnungen der jeweiligen Einblattdrucke sind allerdings nicht immer unproblematisch, da dabei die Einheit von Bild und Text als wichtigstes Merkmal illustrierter Flugblätter, die die Mehrheit der präsentierten Einblattdrucke ausmachen, nicht immer beachtet wird und auch Abweichungen zwischen den Daten und Informationen der kurzen Inhaltsangaben des Autors und der Quellentexte zu beobachten sind. So wird zum Beispiel von Paas angegeben, dass ein gewisser Assin am 18. März 1683 bei einem Scharmützel in der Nähe von Neuhäusel einer Gefangennahme entkommen wäre. Die Textteile der reproduzierten Einblattdrucke berichten jedoch darüber, dass er am 8. (sic!) März gefangengenommen worden wäre und man ihn am 18. März 1683 bereits nach Wien gebracht hätte (siehe: P – 3294, P – 3295, S. 44–45).

Durch die Konzentration auf die Jahre 1683–1685 machen jene reproduzierten Einblattdrucke die Mehrheit aus, die sich thematisch mit dem 1683 begonnenen Krieg gegen die Osmanen (1683–1699) beschäftigen, wobei der Schwerpunkt auf der zweiten Belagerung Wiens sowie auf den darauffolgenden Kriegshandlungen auf dem Gebiet der Ungarischen Krone liegt. Nur sechs Druckwerke befassen sich mit den Auseinandersetzungen Venedigs mit den Osmanen im östlichen Mittelmeerraum. Den Konflikt zwischen Frankreich und dem Reich thematisieren zwölf Druckwerke, drei widmen sich in Text und Bild der Hinrichtung von James Scott, fünf der Geburt zweier Monster und jeweils eines einem Feuer in Hamburg, dem Erscheinen des Messias bei den sephardischen Jüdinnen und Juden in Saloniki sowie der Ermordung eines venezianischen Dolmetschers in Istanbul.

Ein grundlegendes Problem der eher allgemein gehaltenen historischen Einleitungen und der vom Autor verfassten kurzen inhaltlichen Zuordnungen besteht darin, dass Paas die Sprache und Orthographie der reproduzierten Druckwerke einfach übernimmt (Mehmed IV. wird stets „Muhammad IV“, etc.) und deren Inhalte damit als „historische Gegebenheiten“ präsentiert. Es wird daher nicht einmal ansatzweise darauf hingewiesen, dass diese Druckwerke vielfach Produkte der kaiserlichen Propaganda darstellten, deren Hauptaufgabe nicht allein die war – wie der Autor angibt –, dass sie „readers timely news of military developments and the opportunity to have visual images of the major players on all sides“ (S. 7) lieferten, sondern mit deren Hilfe man in erster Linie für bestimmte politische Zwecke mobilisieren wollte. Dies wird nicht nur durch den Sprachgebrauch der reproduzierten Flugblätter, in denen stets vom „Türkischen Wüterich“, „grausamen Bluthund“, „Türkischen Mord=Säbel“, „Erbfeind Christlichen Namens“, „Blutdurstigen Turckischen Groß=Vezier“, etc. die Rede ist, sondern auch durch die zahlreichen satirischen Darstellungen und Spottgedichte unterstrichen. Dies zeigt weiter, dass die vom Autor anfangs formulierte These, wonach Flugblätter der 1680er-Jahre weniger satirisch gewesen wären, als jene aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, und dadurch vielmehr der reinen Informationsvermittlung gedient hätten (S. 7), kritisch zu hinterfragen wäre.3

Die ausschließliche Rezeption älterer Fachliteratur, vor allem jener, die zum 200-, 250-, bzw. 300jährigen Jubiläum der zweiten Belagerung Wiens 1883, 1933 und 1983 veröffentlicht wurden4, mag zusätzlich die Erklärung dafür sein, warum der Autor in seinen Texten stets mit der Dichotomie „Christentum versus Islam“, „Christen versus Türken“ operiert und nur selten die Bezeichnung Osmanen verwendet. Für die kommenden Bände, die ab 1686 weitere entscheidende Jahre der Auseinandersetzung der Heiligen Liga mit dem Osmanischen Reich behandeln werden, sollte man erwarten, dass diese Problematik sowie die häufig inkorrekte Verwendung der osmanischen Terminologie durch die Einbeziehung entsprechender rezenter Fachliteratur behoben wird.5

Zuletzt sollte allerdings betont werden, dass gerade das Zeitalter des „visual turns“ die hohe Aktualität und große Bedeutung vom Paas’ umfangreichen Editionsprojekt unterstreicht, wobei die reproduzierten Drucke dieses Bandes weniger die historische Wahrheit abbilden, sondern viel mehr jene „Visionen“ zeigen, die man 1683-1685 darüber hatte bzw. bewusst – auch visuell – konstruierte.

Anmerkungen:
1 John Roger Paas, The German Political Broadsheet 1600–1700, Volume 1, 1600–1615, Wiesbaden 1985, S. 29–30.
2 Siehe zum Beispiel: Wolfgang Harms (Hrsg.), Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Sammlung der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Teil 2. Historica, Tübingen 1980.
3 In der zweiten Hälfte der 1680er-Jahre und in den 1690er-Jahren ist die Anzahl satirischer Flugblätter sogar deutlich gestiegen. Vgl. Zsuzsa Barbarics, „Türck ist mein Nahm in allen Landen…“ Kunst, Propaganda und die Wandlung des Türkenbildes im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in: Acta Orientalia Academiae Scientiarum Hungaricae 54 (2001) 2f., S. 257–317, hier S. 303–309.
4 Zu dieser Problematik siehe: Maureen Healy, 1883 Vienna in Turkish Mirror, in: Austrian History Yearbook XL (2009), S. 101–113.
5 Dafür wären die Lemmata folgendes Werkes besonders hilfreich: Gábor Ágoston / Bruce Masters (ed.), Encyclopedia of the Ottoman Empire, NY 2009.

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