Cover
Titel
Roman Warships.


Autor(en)
Pitassi, Michael
Erschienen
Woodbridge 2011: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
191 S.
Preis
£ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Deutsche Schule Tokyo Yokohama

Die antike Militärgeschichte erlebt in den letzten Jahren eine wahre Renaissance. Neben der kulturwissenschaftlichen Ausdeutung militärischer Phänomene in der Nachfolge strukturalistischer bzw. poststrukturalistischer Theoreme1 hat sich insbesondere die angelsächsische Forschung auch vermehrt wieder um eine erneute Aufarbeitung der Taktik- und Strategiephänomene in der Nachfolge Delbrücks, Kromayers und Veiths bemüht, obgleich die großen Sammelbände an sozialwissenschaftlichen, ökonomischen oder politischen Rahmenbedingungen nicht mehr vorbeikommen.2

Zu den „heißen Themen“ zählt auch die antike Militärtechnik, die dank zahlreicher Neufunde, des Einbezugs naturwissenschaftlicher Methoden und der experimentellen Archäologie heute besser denn je erforscht werden kann. In Deutschland sind es vorrangig die militärisch genutzten Schiffe, welche durch die Nachbauten der in Mainz gefundenen spätantiken naves lusoriae sowie der in Oberstimm entdeckten Schiffe des 1. Jahrhunderts n.Chr. die Aufmerksamkeit auch und gerade der breiteren Öffentlichkeit auf sich gezogen haben.3 Insofern ist ein breiterer Überblick über die verschiedenen Formen römischer Kriegsschiffe, wie er nun mit der Arbeit von Michael Pitassi vorliegt, grundsätzlich zu begrüßen. Der Autor knüpft dabei an ein kürzlich im gleichen Verlag vorgelegtes Überblickswerk zur marinen Militärgeschichte Roms an4, betrachtet im vorliegenden Buch jedoch vor allem die technischen Aspekte der Kriegsschiffe sowie deren Entwicklung durch die Zeitläufte des Römischen Reiches von der Frühen Republik bis in die Spätantike hindurch.

Bereits ein kurzer Blick in die „Bibliography“ (S. 187f.) verdeutlicht, dass Pitassi sich anscheinend nur mit englischsprachigen Werken und dort bevorzugt mit Monographien auseinandergesetzt hat; ein Verdacht, der sich beim Durchblicken der Endnoten zu den einzelnen Kapiteln schnell bestätigt und den wissenschaftlichen Wert des Buches von Vorneherein mindert.5 Neben dem fehlenden Einbezug der reichen Literatur in den verschiedenen europäischen Kultursprachen vermisst man auch den Verweis auf die von der Europäischen Union länderübergreifend geförderten Online-Datenbank „Navis I. A Database on Ancient Ships“6, die mit wichtigen Informationen zu den einzelnen Schiffsfunden, Literaturrecherchemöglichkeiten und anderem mehr aufwartet.

Ein ähnlich erschreckendes Bild ergibt sich bei der Betrachtung des Umgangs mit dem antiken Quellenmaterial: Zwar mahnt Pitassi in den beiden ersten Kapiteln des ersten Teils „Interpretation“, die das antike Quellenmaterial – gegliedert nach griechisch-lateinischer Literatur, Ikonographie und Archäologie – vorstellt (S. 3–16) bzw. interpretiert (S. 17–36), zur Vorsicht bei der Nutzung der Zeugnisse: so beispielsweise hinsichtlich der unklaren Begrifflichkeiten bei der antiken Beschreibung römischer Militärschiffe, insbesondere des Rudersystems, oder der Aussagekraft antiker Bildnisse auf den verschiedensten archäologischen Materialien. Er selbst arbeitet jedoch in den folgenden Kapiteln zumeist sehr unkritisch, wenigstens quellennah. Überaus problematisch ist hierbei weniger die fehlende Einordnung in den größeren Forschungskontext und Erörterung der dort stattfindenden Kontroversen als vielmehr die oftmals grob fahrlässige fragmentarische Zitation der verwendeten Quellen und Forschungsliteratur, die einen jeden Wissbegierigen und Nachforschenden schier zum Verzweifeln bringt. Äußerst detailreich bietet der Verfasser sodann im dritten Kapitel einen Überblick über die einzelnen kriegsrelevanten Teile eines Schiffes vom Rammsporn bis hin zu den militärischen Aufbauten, der mit zahlreichen Schemazeichnungen bzw. Abbildungen aus dem antiken Material unterfüttert ist (S. 37–66).

Der zweite Teil des Werkes widmet sich darauf in diachroner Hinsicht den einzelnen Schiffstypen von der Frühen Republik bis in die Spätantike. Pitassi beschreibt dabei, wiederum unterlegt mit einer imposanten Fülle an Um- und Rekonstruktionszeichnungen, die einzelnen Schiffstypen der jeweiligen Epoche und mutmaßt aufgrund der von ihm zusammengetragenen antiken wie modernen Nachrichten jeweils auf Schiffsgröße, Bemannungsanzahl, Rudersystem oder Tiefgang, erläutert jedoch nicht, auf welche Berechnungen oder Abgleichungen von modernen Rekonstruktionsvorschlägen er seine Angaben stützt. Dieses Manko, das sich dem deutschsprachigen Leser vor allem beim völligen Übergehen der Forschungsergebnisse zur navis lusoria deutlich erweist, durchzieht das gesamte Werk. Auch die in vier Appendizes gebotenen Übersichten (S. 177–186) zu Schiffsbezeichnungen, zur chronologischen Entwicklung der einzelnen Schiffstypen, zu nautischen Termini sowie zu (nicht auf den neuesten Stand gebrachten) Aufstellungsorten archäologischer Schiffsfunde bzw. -rekonstruktionen können die dargebrachten Monenda nicht aufwiegen. Insofern ist dieses Werk für die breitere Leserschaft vielleicht ein Gewinn, als wissenschaftliche Referenz jedoch völlig ungeeignet.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu die Forschungsübersicht bei Victor D. Hanson, The Modern Historiography of Ancient Warfare, in: Philip Sabin / Hans van Wees / Michael Whitby (Hrsg.), The Cambridge History of Greek and Roman Warfare, Bd. 1, Cambridge 2007, S. 3–21, bes. 5–8 (mit weiteren Verweisen). Kulturgeschichtliche und wahrnehmungspsychologische Aspekte auch bei Harry Sidebottom, Der Krieg in der antiken Welt, Stuttgart 2008. Zur Kulturgeschichte der Schlacht vgl. die Tagung: Unbeschreibliche Gewalt. Die Kultur der Schlacht von der Antike bis zum 20. Jahrhundert (Minden, Arbeitskreis Militärgeschichte e.V., 05.11.2009–07.11.2009); dazu den Bericht von Gundula Gahlen, H-Soz-u-Kult, 30.11.2009 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2880>. Eine Publikation der Beiträge ist in Vorbereitung, darunter der des Rezensenten zu kulturgeschichtlichen Dimensionen antiker Schlachten.
2 Maßgebliche ältere Werke: Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bd. 1: Das Altertum, 2. Aufl., Berlin 1908; Johannes Kromayer / Georg Veith, Antike Schlachtfelder in Griechenland, 4 Bde., Berlin 1903–1931; dies., Heerwesen und Kriegführung der Griechen und Römer, München 1928. Neuere, angelsächsische Veröffentlichungen mit Schwerpunkt auf Taktik und Strategie (in Auswahl): Philip Sabin / Hans van Wees / Michael Whitby (Hrsg.), The Cambridge History of Greek and Roman Warfare, 2 Bde., Cambridge 2007; John Drogo Montagu, Battles of the Greek and Roman Worlds, London 2000; Fred Eugene Ray Jr., Land Battles in 5th Century B.C. Greece. A History and Analysis of 173 Engagements, Jefferson 2009; mit Schwerpunkt auf den politischen, sozialen sowie ökonomischen Rahmenbedingungen: John Rich (Hrsg.), War and Society in the Greek World, London 1995; Angelos Chaniotis / Pierre Ducrey (Hrsg.), Army and Power in the Ancient World, Stuttgart 2002; Hans van Wees (Hrsg.), War and Violence in Ancient Greece, London 2000; Paul Erdkamp (Hrsg.), A Companion to the Roman Army, Oxford 2007. Eine ausgewogene Darstellung bietet das kleine Bändchen der Reihe „Beck Wissen“ von Leonhard Burckhardt, Militärgeschichte der Antike, München 2008.
3 Vgl. zur diesbezüglichen Literatur die Sammelbesprechung des Rezensenten zu „Projekt Römerschiff“, in: H-Soz-u-Kult, 26.01.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-068> (05.08.2011) sowie (ergänzend) das praktische Erfahrung und antike Literaturangaben abgleichende Werk von Florian Himmler / Heinrich Konen / Josef Löffl, Exploratio Danubiae. Ein rekonstruiertes spätantikes Flusskriegsschiff auf den Spuren Kaiser Julian Apostatas, Berlin 2009.
4 Michael Pitassi, The Navies of Rome, Woodbridge 2009. Vgl. dazu die kritische Rezension von Michael B. Charles, in: Bryn Mawr Classical Review 2009.12.22 (<http://bmcr.brynmawr.edu/2009/2009-12-22.html>; 05.08.2011).
5 Es fehlt auch der Verweis auf die entsprechenden, obgleich in der Tiefe dürftigen Kapitel zu den maritimen Streitkräften im neuen zweibändigen Standardwerk von Sabin / van Wees / Whitby, Warfare: Bd. 1: Philip De Souza, Naval Forces, S. 357–367; Bd. 2: Boris Rankov, Military Forces, S. 30–75, bes. 55–58.
6 Vgl. <http://www2.rgzm.de/navis/home/frames.htm> (05.08.2011).

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