Cover
Titel
"Hört die Signale!". Die Deutschlandpolitik von KPD/SED und SPD 1945-1970


Herausgeber
Hübsch, Reinhard
Reihe
Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin
Erschienen
Berlin 2002: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
215 S.
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heike Amos, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Mit dem vorliegenden (Sammel-)Band über die Deutschlandpolitik von KPD/SED und SPD 1945 bis 1970 wird eine Reihe fortgesetzt, die sich bereits mit der Deutschlandpolitik der Christdemokraten und mit der der Liberalen im gleichen Zeitraum beschäftigte.1
Im Dezember 1998 luden der Südwestrundfunk und die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zu einem Symposium mit dem Titel „Die Deutschlandpolitik der Sozialisten und Sozialdemokraten in den 50er und 60er Jahren“ ein. Die Publikation dieser Veranstaltung besteht aus sechs Einzelbeiträgen mit jeweils anschließender Diskussion, der Dokumentation eines Streitgespräches zwischen den Autoren und einer weiteren Dokumentation einer Debatte, die im April 1961 – also noch vor dem Berliner Mauerbau – zwischen Redaktionsmitgliedern der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ und des Deutschlandsender der DDR zur Frage – „wie man den Gordischen Knoten der deutschen Politik friedlich lösen kann“ – geführt worden ist.

Die Auswahl der Autoren des Bandes ist insofern interessant, als neben dem Redakteur und Leiter der Landeskulturredaktion des Südwestfunks in Mainz, Reinhard Hübsch, drei ausgewiesene Wissenschaftler – davon zwei westdeutsche Historiker und ein ostdeutscher, Manfred Wilke, Gerhard Wettig und Günter Benser – sowie zwei Politiker – Akteure der Deutschlandpolitik, der (einstige) SED-Funktionär Herbert Häber und der SPD-Politiker Egon Bahr zu Wort kommen. Zentrales Thema der Autoren ist die Frage, welche Schritte die KPD, dann SED, auf der einen und die SPD auf der anderen Seite zwischen 1945 und 1970 unternahmen, um die deutsche Einheit zu befördern.

Reinhard Hübsch will im ersten Beitrag „’Eine Zusammenarbeit der beiden Parteien kann nicht in Frage kommen’ – SED, SPD und die deutsche Frage in den 50er Jahren“ (S. 9 ff.) Einblicke in deutschlandpolitische Konzepte der beiden Parteien geben. Es fehlt aber für ein Einführungskapitel die große Linie der Entwicklung. Hübsch verliert sich in Einzelaspekte wie die „SED-Deutschlandpolitik und das ‚Neue Deutschland’“ (S. 23) und strapaziert die Lektüre durch seitenlange Zitate aus bekannter Literatur. (S. 28-30 und 31-34).

Manfred Wilke befasst sich in seinem Artikel „Demokratie, Sozialismus und nationale Einheit“ (S. 43 ff.) mit dem unterschiedlichen Verständnis dieser Begriffe sowie mit den Voraussetzungen und Bedingungen für die nationale Einheit bei Kommunisten und Sozialdemokraten in den ersten Nachkriegsjahren in Deutschland. Treffend und prägnant werden die gegensätzlichen Inhalte herausgearbeitet: Demokratisierung bedeutete für die SPD parlamentarische Demokratie, Rechtsstaat, frei gewähltes Parlament und Parteienkonkurrenz, für die KPD/SED hingegen Etablierung eines kommunistisch dominierten antifaschistischen Blocks aller Parteien und zwar noch vor Parlamentswahlen sowie ein rein taktisches Bekenntnis zur parlamentarischen Republik auf dem Weg der Machteroberung im sowjetischen Auftrag.

Der SPD-Politiker Egon Bahr, in der zweiten Hälfte der 1960er und in den 1970er Jahren in die bundesdeutsche Regierungsverantwortung (Große Koalition, dann Kabinette Willy Brandt und Helmut Schmidt) eingebunden, unterteilt in seinem Aufsatz „Die SPD und ihre deutschlandpolitischen Konzepte in den 50er und 60er Jahren“ (S. 61 ff.) die Deutschlandpolitik seiner Partei in zwei große Abschnitte: Der erste reichte von 1945 bis zum SPD-Deutschlandplan 1959 und war bestimmt von dem Willen, Wiedervereinigung als unmittelbares erstes Ziel jeder deutschen Politik anzustreben. Die Rede Herbert Wehners am 30. Juni 1960 leitete den zweiten Abschnitt ein, stellte die SPD auf den Boden der von Adenauer geschaffenen Tatsachen und Verträge und eröffnete den „langen, ungewünschten, aber erzwungenen Umweg, trotzdem zur Einheit zu kommen“ (S. 62). Bahr resümierte, dass die Überlegung und SPD-Politik, den schmalen Weg der Erleichterungen für die Menschen in Ost und West einzuschlagen, ohne die sowjetischen Interessen und Befindlichkeiten zu verletzen („Wandel durch Annäherung“), sich als erfolgreich erwiesen haben, auch wenn heute, neben der deutschen Einheit, die angestrebte europäische Sicherheitsstruktur immer noch nicht geschaffen ist.

Über „Die Deutschlandpolitik der SED“ (S. 79 ff.) äußerte sich Herbert Häber in seinem Beitrag. Häber, seit 1951 (im Alter von 21 Jahren) Funktionär im Westapparat des ZK der SED – zunächst als Mitarbeiter, seit 1973 als Leiter der Westabteilung und von 1984-1985 als Mitglied des SED-Politbüros –, sprach von zwei während seiner „Arbeit nach Westdeutschland“ gewonnen Grunderkenntnissen: Zum einen will er „früh“ erkannt haben, dass die DDR die Bundesrepublik weder im technologisch-technischen noch im sozialen Niveau je übertreffen würde und zum anderen, dass die DDR für die Sowjetunion nie Partner, sondern „Kriegsbeute“ und Verfügungsmasse gewesen war. Das Hauptdilemma der SED-Westpolitik, so der ehemalige SED-Funktionär, sei der fundamentale Irrtum gewesen, zu glauben, „die Sowjetunion verfolge eine sozialistische Politik im Sinne von Gleichberechtigung und Interessenausgleich [...] Die russische Politik war [...] immer imperiale russische Politik, [...] es dominierten die russischen [...] Großmachtinteressen“ (S. 88). Anzunehmen ist, dass Häber diese Einsichten erst nach seinem Ausschluss aus dem SED-Politbüro im September 1985 gewann und keineswegs bereits in „frühen“, den 1950er oder 1960er, Jahren. Mit dieser Überzeugung wäre eine solche SED-Karriere und eine jahrzehntelange Leitungsfunktion im ZK-Apparat kaum möglich und auszufüllen gewesen.

Der einstige DDR-Historiker Günter Benser macht zu Beginn seines Aufsatzes „SED und SPD – Kontakte und Verbindungen in den 50er und 60er Jahren“ (S. 107 ff.) auf sein früheres berufliches Selbstverständnis als Mitarbeiter des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED aufmerksam. Er habe seine wissenschaftliche Arbeit mit einer direkten politisch-ideologischen Absicht verbunden. Benser verweist nachdrücklich auf die zwanzig Appelle und Offerten der SED an die SPD zwischen 1951 und 1966, die alle an mangelnder Gesprächsbereitschaft der Sozialdemokraten gescheitert waren. Er beharrt auf seinem Standpunkt von der Ernsthaftigkeit der Vorschläge seitens der DDR. Sie sollten Diskussionen über die deutsch-deutschen Verhältnisse in Gang setzen, hätten aber nicht das Ziel gehabt, operativ die deutsche Einheit herzustellen. Unbeantwortet blieben Nachfragen Bensers zum damaligen SPD-internen Umgang mit den SED-Offerten: Findet man die SED-Schreiben heute im Archiv der Sozialen Demokratie und tragen sie Bearbeitungsvermerke? Gibt es dokumentierte Meinungsbildungsprozesse in der sozialdemokratischen Parteiführung zu den einzelnen Offerten? Antworten dazu stehen noch aus.

Der Historiker Gerhard Wettig legt in seinem Beitrag „Das Bemühen der sowjetischen Führung und der SED um Sozialdemokraten und bürgerliche Oppositionskreise in Westdeutschland 1946-1953“ (S. 139 ff.) dar, dass die negativen Reaktionen der westdeutschen Arbeiterschaft und der SPD auf die nationalen Offerten der SED dazu geführt hatten, ihre Hoffnungen zunehmend auf bürgerliche Kreise in der Bundesrepublik (Nauheimer Kreis, Bund der Deutschen, Gesamtdeutsche Volkspartei) auszurichten. In seiner quellengesättigten (Unterlagen aus russischer Provenienz) Darstellung bleibt Wettig bei seinem (bekannten) Standpunkt, dass den sowjetischen bzw. SED-Angeboten jede Ernsthaftigkeit fehlte und der Westen zu recht daran gezweifelt hat, dass es mit dem Eingehen auf die SED-Vorschläge auch nur eine leise Möglichkeit zur Vereinigung beider Teile Deutschlands auf der Grundlage von freien Wahlen gegeben hätte.

Die verschiedenen Sichten auf die Deutschlandpolitik von SED und SPD in der Zeit von 1945/46-1970 kommen prononciert in der abschließend dokumentierten Diskussion zwischen den einstigen west- und ostdeutschen Politikern und Historikern zum Ausdruck, was die Lektüre auch dieses Abschnitts sehr interessant macht.

Anmerkungen:
1 Reinhard Hübsch, Als die Mauer wuchs. Zur Deutschlandpolitik der Christdemokraten 1945-1970, Potsdam 1998; Reinhard Hübsch, Jürgen Frölich, Deutsch-deutscher Liberalismus im Kalten Krieg. Zur Deutschlandpolitik der Liberalen 1945-1970, Potsdam 1997.

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