: Judenjagd. Polowanie na Żydów 1942-1945. Studium dziejów pewnego powiatu [Jagd auf Juden 1942-1945. Forschungen über die Geschichte eines Kreises]. Warschau 2011 : Polish Center for Holocaust Research Association, ISBN 978-83-932202-0-5 262 S. 39,99 zł

: Jest taki piekny słoneczny dzień…. Losy Żydów szukających ratunku na wsi polskiej 1942-1945 [Es ist so ein schöner sonniger Tag… Schicksale von Juden, die in polnischen Dörfern zwischen 1942 und 1945 Rettung suchten]. Warschau 2011 : Polish Center for Holocaust Research Association, ISBN 978-83-932202-1-2 292 S. 39,99 zł

Gross, Jan Tomasz; Grudzińska-Gross, Irena (Hrsg.): Złote żniwa. Rzecz o tym, co się działo na obrzeżach zagłady Żydów [Goldene Ernte. Bericht darüber, was am Rande der Judenvernichtung geschah]. Krakau 2011 : Wydawnictwo Znak, ISBN 978-83-240-1522-1 205 S. 36,90 zł

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Grzegorz Rossolinski-Liebe, Berlin

Anfang 2011 erschienen in Polen drei beachtenswerte Publikationen, in denen das Verhalten der Polen gegenüber den Juden während des Zweiten Weltkrieges und die verschiedenen Formen der polnischen Beteiligung am Holocaust thematisiert werden. Diese Publikationen bringen den Stand der Forschung voran, ohne jedoch das Thema komplett oder auch nur annähernd vollständig zu erschöpfen. Sie hinterfragen das Bild des Holocausts als eines größtenteils deutschen Unterfangens, das sowohl in der deutschen als auch in der polnischen Forschung bis heute stark präsent ist. Die Existenz dieses Bildes hängt damit zusammen, dass die deutsche Holocaustforschung sich bis heute stark mit dem deutschen Okkupationsregime oder den deutschen Einsatzgruppen und Erschießungskommandos und weniger mit der Okkupationsbevölkerung beschäftigt und sich dadurch auf die Perspektive der deutschen Täter konzentriert. Die Perspektive der nicht-deutschen Täter (und teilweise auch jene der Opfer) wird dabei eher vernachlässigt. Die polnische Holocaustforschung dagegen verstand bis vor kurzem die Polen ausschließlich als Opfer des nationalsozialistischen Okkupationsregimes und den Judenmord als eine ausschließlich deutsche Angelegenheit. Alle drei Publikationen sind gegen diese anhaltenden Denk- und Forschungstendenzen geschrieben.1

Jan Tomasz Gross’ und Irena Grudzińska-Gross’ Publikation hat essayistischen Charakter, bleibt aber dabei faktenorientiert. Die Autoren diskutieren die Methoden der Aneignung des jüdischen Eigentums durch die Polen und erörtern die Auswirkung dieses Prozesses auf die Moralität der polnischen Ariseure. Die Autoren beginnen mit der Analyse eines Fotos, das eine Gruppe von Bauern mit Schaufeln und anderen Grabwerkzeugen hinter einer Reihe von Menschenknochen und Schädeln zeigt. Laut den Autoren handelt es sich hierbei um Schatzsucher auf dem Gebiet des ehemaligen Vernichtungslagers Treblinka. Unabhängig davon, ob die Beschreibung auf das Foto tatsächlich zutrifft oder nicht, ist das Bild ein sehr guter Ausgangspunkt für eine essayistische Studie über den Umgang der Polen mit dem Besitz lebender und ermordeter Juden. Das Durchsuchen ehemaliger Vernichtungslager nach goldenen Zähnen oder Ringen war in den ersten Nachkriegsjahren durchaus verbreitet, wurde aber später tabuisiert und kollektiv vergessen. Die Autoren betonen, dass das Graben nach übriggebliebenen Wertgegenständen der ermordeten Juden nicht von „demoralisierten Individuen“ praktiziert wurde, wie es nationalkonservative und rechte Historiker gerne betonen ohne dafür empirische Angaben zu liefern, sondern zumeist von ganz gewöhnlichen Menschen, häufig Bauern aus der unmittelbaren Umgebung der Lager. Entgegen der Behauptungen nationalkonservativer und rechter Historiker stellen die Autoren auch die nationale Widerstandsbewegung als einen der Profiteure dieser moralisch fragwürdigen Tätigkeit dar (GG: S. 43-52).

Einem ähnlichen Prozess der Tabuisierung und Verdrängung unterlag ein breites Spektrum von Arisierungstätigkeiten, die während des Krieges von Polen praktiziert wurden. Die Autoren merken an, dass die Vernichtungslager die regionale Ökonomie ankurbelten und die Lebensqualität ihrer Nachbarn erhöhten. Auf der einen Seite waren es ukrainische Wachmänner, die gerne Geld für Prostituierte (auch aus Warschau zugereiste) und Wodka ausgaben. Auf der anderen Seite wurde den durstigen und hungrigen Juden in den Güterwagen Wasser und Essen zu hohen bis sehr hohen Preisen verkauft (GG: S. 55-63).

Die Übernahme des Besitzes der in den Ghettos eingesperrten oder in die Vernichtungslager ausgelieferten Juden wurde von der lokalen Bevölkerung ebenso als eine wichtige Einnahmequelle verstanden. Diese Art des Bereicherns teilten Polen mit den deutschen Besatzern, deren politische Motivationen und persönliche Einstellungen zu den Juden sowohl vor als auch während des Holocausts bekanntermaßen durchaus profitorientiert waren. Die Arisierungsgier ließ die Okkupanten und die Okkupierten ein gemeinsames Ziel teilen ohne dabei jedoch die rassistisch-ideologischen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen zu nivellieren. Nicht selten verstanden die polnischen Täter, ähnlich wie die deutschen Besatzer, die Ermordung von Juden als einen selbstverständlichen Teil des Arisierungsprozesses (GG: S. 73-77). Die profitorientierten Morde wurden, ähnlich wie beim Durchsuchen des Geländes der ehemaligen Vernichtungslager, nicht von Individuen vom sozialen Rand, sondern von normalen, respektierten Mitgliedern der lokalen Bevölkerung praktiziert (GG: S. 91). Auch Folter und Vergewaltigung von Jüdinnen durch polnische Männer waren Teil der Holocaustrealität, die von der lokalen Bevölkerung ignoriert oder auch akzeptiert und toleriert wurde (GG: S. 99-107). Bei der Beschreibung der Einstellung der katholischen Kirche zur Frage der Arisierung konstatieren die Autoren, dass viele Priester grundsätzlich keine Einwände gegen die Benutzung der arisierten Kleidungstücke durch die Gemeindemitglieder hatten und ähnlich wie ein Teil des polnischen Untergrundes den Deutschen, insbesondere Hitler, dafür dankbar waren, dass sie für das „weiche und unsystematische polnische Volk“ die „brennende Frage“ gelöst hatten (GG: S. 181-189).

Während Gross’ und Grudzińska-Gross’ Publikation in einem eher essayistischen als empirisch-wissenschaftlichen Format geschrieben ist, wurden Grabowskis und Engelkings Arbeiten in erster Linie anhand von Archivquellen verfasst. Die Monographien beider Autoren basieren hauptsächlich auf den Beständen des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau, von Yad Vashem und des Instituts für Nationales Gedenken: Die beiden erstgenannten Institutionen besitzen eine große Sammlung von Berichten Überlebender. Am Institut für Nationales Gedenken können dagegen auch Akten von Strafprozessen gegen die Holocausttäter aus der Nachkriegszeit studiert werden. Durch die Kombination dieser Quellen konnten die Autoren auf die untersuchte Problematik sowohl aus der Perspektive der Überlebenden als auch der Täter, bzw. der oft mangelhaft durchgeführten Strafprozesse, blicken. Die Auswertung der Dokumente in dieser Kombination erweist sich als sehr fruchtbar; sie zeigt, dass insbesondere der in der deutschen Holocaustforschung verankerte Glaube, die Dokumente deutscher Täter wären die wichtigsten und „glaubwürdigsten“ Dokumente beim Studieren des Holocausts, in vielerlei Hinsicht nicht nur forschungsfeindlich- und hinderlich ist, sondern auch zur Verfälschung der Geschichte des Holocaust führen kann.

Grabowski konzentrierte sich ausschließlich auf den Kreis Dąbrowa Tarnowska im Generalgouvernement, ein relativ kleines Verwaltungsgebiet, das durchaus überschaubar ist und Grabowskis Arbeit zu einer fast mikrohistorischen Studie macht. In den Titel seiner Monographie nahm der Autor das deutsche Wort „Judenjagd“ auf, welches auch von Polen benutzt wurde, die den Deutschen bei „Judenjagden“ halfen, bzw. selbst „Judenjagden“ organisierten. Gejagt wurden vor allem jene Juden, die aus den Ghettos geflohen waren und sich in den Wäldern versteckten. Um die lokale Bevölkerung für die „Judenjagden“ zu motivieren, machten die deutschen Besatzer von zwei Methoden Gebrauch. Auf der einen Seite verhängten und vollzogen sie drakonische Strafen, einschließlich der Todesstrafe, gegen Individuen und Familien, die den Juden halfen oder sie versteckten. Auf der anderen Seite belohnten sie oft mit Zucker oder anderen Produkten jene Individuen, die Juden aufgriffen und sie zu Polizeistellen brachten oder selbst ermordeten. Aufgrund der „Judenjagden“ und anderer Formen der Judenverfolgung durch die lokale Bevölkerung entschieden sich manche Juden gegen eine Flucht aus den Ghettos bzw. für eine Rückkehr nach ihrer Flucht und nahmen eher den Abtransport in die Vernichtungslager in Kauf (G: S. 50).

Grabowskis Studie zeigt, dass sich ein breites Spektrum der polnischen Bevölkerung an den „Judenjagden“ und anderen Formen der Judenvernichtung beteiligte. Dazu gehörten sowohl die „blauen Polizisten“ (polnischen Polizisten) und der polnische Bau- und Ordnungsdienst, als auch gewöhnliche Polen, oft Bauern und geachtete Bürger (G: S. 57-58, 70, 105-119, 121-127).

Das Schicksal der aus den Ghettos geflohenen Juden und ihre Überlebensversuche auf dem Land sind eine weitere wichtige Fragestellung in Grabowskis Studie. Hier wird deutlich, dass es nur sehr wenige Polen gab, die für das Verstecken und die Verpflegung keine Bezahlung verlangten, und dass eine große Zahl der Helfer Juden nur dann versteckte und versorgte, wenn sie daraus Profit schlagen konnten. Nicht selten wurde denjenigen Juden, die nicht weiter zahlen konnten, das Versteck und die Verpflegung aufgekündigt. Eine nicht ermittelbare Anzahl an versteckten Juden wurde offenkundig auch von ihren polnischen „Helfern“ ermordet, nicht selten mit der Motivation, sich ihre Habseligkeiten anzueignen (G: S. 70, 136, E: S. 98). Grabowski beweist auch, dass die Mitglieder der polnischen blauen Polizei, ähnlich den Mitgliedern der deutschen Einsatzkommandos, zur Senkung der moralischen Schwelle regelmäßig vor den Erschießungen Alkohol konsumierten (G: S. 116).

Engelking schlug einen ähnlichen Weg wie Grabowski ein, setzte dabei aber andere Schwerpunkte. Sie schränkte ihren Untersuchungsraum nicht auf einen Verwaltungskreis ein, sondern erweiterte ihn auf alle polnischen Dörfer im Generalgouvernement. Sie untersuchte eine größere Zahl von Schicksalen, um sowohl typische Verhaltensmuster der Polen gegenüber den Juden, als auch Überlebensstrategien der sich versteckenden Juden herauszuarbeiten (E: S. 25-27). Die Autorin sammelte in ihrer Studie viele Schicksale und Fälle, die ein breites Spektrum an Verhaltens- und Überlebensmöglichkeiten zeichnen. Ihre Erkenntnisse decken sich mit jenen aus Grabowskis mikrohistorisch angelegter und Gross’ essayistischer Studie. Engelking kommt zu der Überzeugung, dass Habgier der häufigste Grund für die Ermordung oder das Übergeben der Juden an die Polizei war (E: S. 184, 219). Sie konstatiert aber auch, dass Bauern die „Judenjagden“ als eine Art Vergnügen oder Erholung betrachteten (E: S. 146). Im Gegensatz zu den beiden anderen Monographien führt Engelking psychologische Ansätze ein, die teilweise ein anderes analytisches Licht auf das Verhalten der Polen und Juden werfen (E: z.B. S. 95-96, 101-109).

Sehr interessant ist, was alle vier Autoren über den Spielraum der Versteck- und Rettungsmöglichkeiten herausgearbeitet haben. Für das Verstecken von Juden verhängten die deutschen Besatzer die Todesstrafe, welche zur Abschreckung häufig in „Sippenhaftung“ an der gesamten Familie vollstreckt wurde. Da aber die Zahl der deutschen Besatzer vor allem in den ländlichen Regionen gering war, waren sie bei der Judenverfolgung auf die Hilfe der lokalen polnischen Bevölkerung angewiesen. So war die größte unmittelbare Gefahr für polnische Judenretter meist nicht die deutschen Besatzer, sondern die polnischen Nachbarn. Gerade aus Furcht vor Denunziation verweigerten viele Polen geflüchteten Juden ihre Hilfe.

Alle drei Studien konstatieren übereinstimmend, dass der polnische Untergrund, insbesondere die Heimatarmee (Armja Krajowa, AK) und die Nationalen Streitkräfte (Narodowe Siły Zbrojne, NSZ) in den Judenmord weitreichend involviert waren (G: S. 118, E: S. 238-242). Wie diese empirisch gewonnene Erkenntnis mit der Praxis der postkommunistischen polnischen Verklärungsgeschichte zu vereinbaren ist, die den polnischen Untergrund uneingeschränkt als eine moralische Größe feiert, müsste noch in anderen Publikationen erörtert werden. Grabowski deutet noch eine weitere interessante Tendenz im Umgang mit dem Holocaust an, welche auch typisch für andere ostmitteleuropäische Länder ist: Sie beruht auf der Strategie, die wenigen Judenhelfer kollektiv zu feiern und sie als Repräsentanten der Nation anzusehen, über die Judenmörder jedoch zu schweigen oder sie als eine für die Nation nicht repräsentative unmoralische Minderheit zu betrachten. Gekoppelt an diese Tendenz ist die Praxis, nicht zu untersuchen, wieso die Judenrettung in einem Gebiet mit geringer deutscher Präsenz so schwierig war und wieso viele Menschen eher das Risiko auf sich nahmen, dem polnisch Untergrund zu helfen als den Juden und darüber hinaus noch die Judenhelfer massenhaft denunzierten (G: S. 153-156).

Zusammenfassend kann man feststellen, dass alle drei Publikationen trotz unterschiedlicher Herangehensweise zu ähnlichen Ergebnissen kommen und eine große Zahl von bislang vorausgesetzten Selbstverständlichkeiten hinterfragen. Sie werden wahrscheinlich keine zweite Debatte über den Holocaust in Polen auslösen, wie dies Gross’ „Nachbarn“2 vor einer Dekade tat, die Tatsache jedoch, dass eher nationalkonservativ argumentierende Historiker wie Piotr Gontarczyk oder Bogdan Musiał auf die besprochenen Publikationen mit einer regelrechten Holocaustfaktenphobie reagieren, ist ein Anzeichen dafür, dass die Bücher den Stand der Forschung vorangebracht haben und weitere politische Mythen erfolgreich hinterfragt haben.3

Anmerkungen:
1 Eine wichtige Ausnahme zu der deutschlandzentrierten Denk- und Forschungstendenz in Deutschland ist zum Beispiel Franziska Bruders Dissertation über die Organisation der Ukrainischen Nationalisten und den Holocaust in der Ukraine. Cf. Franziska Bruder, „Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben!“ Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) 1929–1948, Berlin 2007.
2 Jan Tomasz Gross, Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne, München 2001.
3 Für Piotr Gontarczyks Reaktion, siehe „Jak złapią za rękę“, Rzeczpospolita, 19-20. Februar 2011. Für Bogdan Musiałs Reaktion, siehe Bogdan Musiał: „‚Judenjagd‘ czyli naukowy regres“, Rzeczpospolita, 5-6. März 2011. Für Bogdan Musiałs Wahrnehmung des Holocausts, siehe Per Anders Rudling „Bogdan Musial and the Question of Jewish Responsibility for the Pogroms in Lviv in the Summer of 1941“, East European Jewish Affairs, Vol. 35, No. 1, June 2005, S. 69-89.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Weitere Informationen
Judenjagd
Sprache der Publikation
Land
Jest taki piekny słoneczny dzień…
Sprache der Publikation
Land
Złote żniwa
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension