B. Schneidmüller: Grenzerfahrung und monarchische Ordnung

Titel
Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200–1500


Autor(en)
Schneidmüller, Bernd
Reihe
Beck’sche Reihe 1982
Erschienen
München 2011: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 14,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johanna Esser, Aachen

Nicht die Geschichte Europas will Bernd Schneidmüller, Mediävist in Heidelberg, erzählen, sondern Geschichte in Europa. Dieser Idee stringent in seinen einzelnen Kapiteln folgend, schafft Bernd Schneidmüller mit seinem Werk „Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200–1500“ einen umfassenden und abgerundeten Überblick über das Spätmittelalter, der Laien und Studienanfängern einen hilfreichen Einstieg in die Thematik bietet. In einem ersten einleitenden Kapitel unter der Überschrift „Europa um 1200“ macht der Autor seinen Leser mit dem Grundlagenwissen über das Mittelalter vertraut. Welche Epochengrenzen gibt es für das Mittelalter und wie sinnvoll sind solche Abgrenzungen überhaupt? Warum „Spätmittelalter“, und welches eigene Epochenverständnis bestand im Mittelalter? Hinzu kommen Informationen über Gesellschaftsstrukturen, Bevölkerungsdichte und Herrschaftsformen des Mittelalters. Explizit verweist Schneidmüller auf die Schwierigkeit des Terminus ‚Europa‘. So existierte, ganz anders als heute, der Begriff im Mittelalter nicht als politische, religiöse oder kulturelle Einheit, sondern war undefiniert und wurde variabel benutzt. Diese Feststellung ist Ausgangspunkt für das weitere Vorgehen Schneidmüllers und spiegelt sich unweigerlich in der Gliederung des Buches wieder.

Dem einführenden ersten Kapitel folgt unter der Überschrift „Geschichte in Europa 1200 bis 1500“ der Hauptteil des Werkes. Hier kombiniert Schneidmüller mit Hilfe von geschichtlichen Knotenpunkten die Grenzerfahrungen der Europäer im Spätmittelalter mit innereuropäischen Machtstrukturen. Die so entstandenen „Knoten“ verbinden historische Entwicklungsstränge aus den Jahrhunderten, die sich nebeneinander und – dies betont der Autor wiederholt – nicht miteinander entfalteten. Für das 13. Jahrhundert stellen dies die mongolische Expansion und die Absetzung Friedrichs II. durch Innozenz IV. dar. Das Ausbrechen der Pest und die Ordnung der Königreiche bilden den Knoten für das 14. Jahrhundert. Für das 15. Jahrhundert werden die Eroberung Konstantinopels und das Scheitern des Konziliarismus miteinander verknüpft. Wie Bernd Schneidmüller selbst erklärt, sind die drei konstruierten Knoten „nicht von ursächlichen Zusammenhängen im Sinne von Schnittfeldern, sondern aus bloßen Zufällen chronologischer Nähe verknüpft“ (S. 79). Demgegenüber bietet der Autor für jedes Kapitel verschiedene Entwicklungsschritte als Alternativen an. So gesellen sich die Themenkomplexe „Systematisierung von Herrschaft und Wissen im 13. Jahrhundert“, „Inszenierung von Gemeinschaft im 14. Jahrhundert“ und „Aufbrüche aus Europa im 15. Jahrhundert“ jeweils zu den drei Verknüpfungen. In seinem letzten Kapitel „Europa um 1500“ zieht Schneidmüller mit der Betrachtung des 15. Jahrhunderts ein Resümee für das Spätmittelalter. Hier werden Aspekte, wie Europa als Wirtschaftsgemeinschaft, hinterfragt und bewertet.

Die einzelnen Kapitel reichen weit über die bloße Beschreibung der historischen Ereignisse hinaus. Im Kapitel „Der erste Knoten: Der Sturm der Mongolen und die Absetzung des Kaisers“ geht Schneidmüller näher auf das Mongolenbild der Europäer und den Umgang mit dem Fremden ein. Die Absetzung Kaiser Friedrichs II. wird zum Anlass genommen, um Grundlagen über die Entstehung und Entfaltung des Kaisertums zu vermitteln. Dabei werden grundsätzliche Probleme, wie der Kampf um den universalen Geltungsanspruch zwischen dem Papst als Vertreter Gottes auf Erden und dem Kaiser als Spitze der weltlichen Hierarchie, eingehend erläutert. Neben einem ausführlichen und informativen medizingeschichtlichen Teil zum Thema „Pest in Europa“ widmet sich Schneidmüller in dem zweiten großen Themenkomplex „Die Erschütterung der Welt und die Ordnung der Königreiche“ auch Umweltkatastrophen und klimatischen Veränderungen der Zeit. Die sich in Europa vollziehenden Judenpogrome als Reaktion auf das Ausbrechen der Pest werden in einem eigenen Unterkapitel thematisiert. Dank des ausgeklügelten „Knotensystems“ ist es Schneidmüller möglich, innerhalb dieses Oberkapitels den Unterschied zwischen Beulen- und Lungenpest zu erklären und gleichzeitig die Goldene Bulle oder die monastische Erbfolgeregelung in Frankreich zu behandeln. Die Themenfelder des dritten Knotenpunktes sind inhaltlich am ehesten miteinander verwoben, weshalb Schneidmüller hier wohl auch mit wesentlich weniger Unterkapiteln auskommt als in den vorigen. Trotzdem fällt die Beschreibung der Vorgeschichte, der Ereignisse und der Reaktion der Europäer auf den Fall Konstantinopels ebenfalls sorgfältig aus. Das gilt ebenso für die Darstellung der Konzilien und die damit verbundene Frage nach der Einheit der Kirche und dem Autoritätsstreit.

Es ist bewundernswert, wie Bernd Schneidmüller es schafft, drei Jahrhunderte Geschichte auf knapp 280 Seiten darzustellen. Dass es ihm darüber hinaus gelingt, Seitenblicke auf Asien und Afrika zu werfen, beweist den raffinierten Aufbau des Buches. Zugegeben gerät sein Blick auf das Mittelalter an einigen wenigen Stellen so flüchtig, dass sich Kreuzzüge, Minnelyrik und Ritterturniere eine halbe Seite teilen müssen. Bei der Betrachtung des Gesamtwerks ist der Leser aber gerne gewillt darüber hinwegzusehen. Aktuelle Forschungsdebatten greift Schneidmüller nur selten auf, beispielsweise, wenn es um die Bewertung Friedrichs II. als weltoffenen, toleranten und modernen Herrscher geht – sie würden aber auch den Rahmen des Werks sprengen. Nebenbei gibt es auch noch nützliches Wer-wird-Millionär-Wissen (Wer war der Namensgeber Konstantinopels? Wie hieß die erste Station, die Vasco da Gama in Indien erreichte, und seit wann gibt es die Insel Sylt?). In klarer und verständlicher Sprache führt Schneidmüller sein Publikum durch das Spätmittelalter und bietet am Ende eine Zusammenstellung weiterführender Lektüre. Insgesamt gelingt ihm ein solider und höchst informativer Überblick über das europäische Spätmittelalter.

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