U. Fleckner u.a. (Hrsg.): Handbuch der politischen Ikonographie

Cover
Titel
Handbuch der politischen Ikonographie. 2 Bde., Bd. 1: Von Abdankung bis Huldigung, Bd. 2: Von Imperator bis Zwerg


Herausgeber
Fleckner, Uwe; Warnke, Martin; Ziegler, Hendrik
Reihe
Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
Erschienen
München 2011: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
1137 S., 1336 Abb.
Preis
€ 98,00 (ab 1.1.2012: € 128,00)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eveline G. Bouwers, SFB 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“, Universität Bielefeld

Ein Foto vom Dezember 1936, aufgenommen in einer Wochenschau von L.U.C.E. (der 1924 entstandenen Filmgesellschaft Italiens), zeigt Benito Mussolini auf dem Filmset von „Scipione l’Africano“ (1937). Umgeben von den Hauptdarstellern und Statisten ist der Faschistenführer der Mittelpunkt des Ganzen.1 Der Film, der die Geschichte des erfolgreichen Kampfes des römischen Feldherrn Scipio gegen Hannibal erzählt, entstand erst nach dem Italienisch-Äthiopischen Krieg von 1935/36, und auf Mussolinis Wunsch. Die Militärleistung der Römer wurde also auf die Kriegs- und Kolonialpolitik der Faschisten übertragen, wodurch die Leistungen des modernen Italien unterstrichen werden sollten. Mussolini, der im „Handbuch der politischen Ikonographie“ auch selbst vorkommt, folgte mit seiner Bildpolitik einer langen Tradition von Herrschern, die Visualität („Bildstrategien“, S. 8) zur Konsolidierung und Ausbreitung ihrer Macht eingesetzt haben.

Die Herausgeber Uwe Fleckner, Martin Warnke und Hendrik Ziegler sind nicht nur an Bildern interessiert, die im Zusammenhang mit der Politik entstanden sind. Vielmehr geht es darum, die „kulturelle, soziale und damit letztlich auch politische Verfasstheit“ von Bildern im historischen Verlauf zu zeigen (S. 7). Berücksichtigt sind Entwicklungen innerhalb von Sachbegriffen („Recht am eigenen Bild“), Medien („Denkmal“), Ereignissen („Exekution“), Ideologien („Nationalsozialismus“), Individuen („Brutus“) oder Gruppen („Polizei“). Zu den Themen, die aus Sicht der Neueren und Neuesten Geschichte von besonderer Relevanz sind, gehören (um einige Beispiele aus dem umfangreichen Spektrum zu nennen): „Affekte“, „Agitation“, „Anarchie“, „Arbeit“, „Aufklärung“, „Diktatur“, „Fortschritt“, „Frau“, „Industrie“, „Mauer“, „Minderheiten“, „Opposition“, „Parlament“, „Partei“, „Sozialismus“, „Terror“, „Verfassung“ und „Wahl“. Dass die Herausgeber und Autoren die Vielfalt visueller Kommunikationsformen politischen Charakters herausstellen sowie „Kontinuitäten und Brüche“ in deren Repräsentation analysieren, gehört sicherlich zu den Leistungen des umfangreichen Werks.

Doch erst einmal die (provokante) Frage: Brauchen wir ein derartiges Handbuch? Wie im Vorwort zu lesen ist, hat die Kunstgeschichte zwar die Existenz von Bildern politischer Funktionalität längst anerkannt; bisher fehlte jedoch eine zusammenfassende Übersicht (S. 9). Von Seiten der Historiker gebe es, so die Herausgeber, nur „gelegentlich“ Ansätze zu diesem Thema. Wenn man etwa an die Arbeiten von Peter Burke, Gerhard Paul, Bernd Roeck, Michel Vovelle und manchen anderen denkt2, kommen aber schon durchaus viele Forschungen zusammen, die zudem weitere Forschungen inspiriert haben. Andererseits verweisen die Herausgeber mit Recht auf eine Forschungslücke – ein vergleichbares, epochenübergreifend angelegtes Nachschlagewerk gab es bisher nicht. Auch wenn das „Handbuch“ weder einen kompletten noch einen systematischen Überblick zum Begriff und zum Gegenstandsbereich der politischen Ikonographie gibt, so zeigt es doch auf breiter Basis die Bedeutung politisch aufgeladener Bilder für die Konstruktion der Welt in Geschichte und Gegenwart.

Das Kompendium hat seine Wurzeln im Bildindex des Warburg-Hauses (S. 11), einer Sammlung von Bildern, die (seit der Zeit seines Stifters) unter Lemmata klassifiziert worden sind. Will man die Einteilung der Bände verstehen – und die Aufnahme von erst einmal befremdenden Themen wie „Bad in der Menge“ oder „bewaffnete Juden“ –, muss man auf Aby Warburg zurückgreifen. Dessen Versuch, die Psychologie der Kultur zu erforschen, führte zu einer Betrachtung von Bildern als Symbolen, die Spuren und Energien der Vergangenheit und des Gedächtnisses enthalten würden. Im Laufe der Zeit erhalte jedes Bild, so Warburg, verschiedene Assoziierungen; es sei ein „Dynamogramm“. Ein Bild wird unter dieser Perspektive zu einem produktiven Faktor seiner Gegenwart und aus Sicht späterer Generationen ein Leitfossil zur Offenlegung der Vergangenheit. Gerade deshalb sind Bilder auch herausragende Quellen für die Erforschung der Politikgeschichte.

Obwohl die Autoren erfolgreich die Vielfalt von Bildern mit politischem Assoziationsspektrum darlegen, bleibt die Frage unbeantwortet, welche Ikonographie eigentlich politisch ist (oder, als Kontrast dazu, nicht politisch). Die Herausgeber stellen zwar fest, dass nicht nur diejenigen Bilder und Bildakte aufgenommen sind, „wo das Informations- oder das Propagandaziel […] bereits erklärtermaßen dem Bereich des Politischen angehört“ (S. 7), aber an einem klaren Politikbegriff fehlt es. Tatsächlich konzentrieren sich die meisten Beiträge auf Bilder, die mit politischen Institutionen und Akteuren im Zusammenhang stehen, womit sie an Trends in der neueren Politikgeschichte vorbeigehen.3 Es gibt allerdings auch Beispiele, wo die Verbindung von politischen und ikonographischen Entwicklungen sehr wohl gelungen ist. Im Aufsatz „Agitation“ analysiert Frédéric Bußmann die Ikonographie emanzipatorischer Ideen – von Delacroix’ auf Barrikaden stehender Freiheitsfigur über Lissitzkys Entwurf einer Lenin-Tribüne bis zu Beuys’ Wahlplakat für die Grünen. Das Thema „Agitation“ wird in verschiedenen politischen und künstlerischen Zusammenhängen gezeigt, bei denen die Dynamik teils von der Ikonographie, teils vom Politischen ausging. Im Aufsatz „Tiervergleich“ verdeutlicht Wolfgang Brückle die Benutzung von Tieren für politische Zwecke. Dabei hat der Tiervergleich manchmal eine konstruktive Funktion, indem positiv bewertete Tugenden bestimmten Tieren zugeschrieben und auf den Menschen übertragen werden – wie bei der Sphinx von Giseh, die einen Löwen darstellen und auf den Pharao verweisen sollte. In anderen Fällen kann der Tiervergleich eine Herabwürdigung bedeuten (wie beim Schwein „Napoleon“ in Orwells „Animal Farm“ und den Verfilmungen dieses Buchs). Im Gegensatz zu den Aufsätzen von Bußmann und Brückle gilt für die meisten übrigen Beiträge, dass sie vor allem ikonographische und weniger politische Entwicklungen herausstellen.

Als zweiter Kritikpunkt ist zu nennen, dass thematisch unterschiedliche, jedoch historisch verbundene Bilder isoliert werden. Gillrays Karikatur „The Grand Coronation Procession“ (Bd. 2, S. 68), die eine bunte Parade von Napoleon-Anhängern zeigt, und Goyas „El Tres de Mayo“ (Bd. 2, S. 221), eine Ode an die spanischen Unabhängigkeitskämpfer, formten eine politische und künstlerische Antwort auf die Krönungsbilder und Schlachtgemälde der französischen Empire-Maler. Im „Handbuch“ werden sie allerdings getrennt behandelt. Auch zwischen der Fotomontage, die die Anwendung von Gewalt gegen Dominikaner während der Pariser Kommune zeigt (Bd. 1, S. 362), und Monets Gemälde „La Rue Montorgueil“ (Bd. 1, S. 327), welches das Fest „Friede und Arbeit“ vom 30. Juni 1878 zelebriert, fehlt der Zusammenhang, welcher die Genealogie der Dritten Republik visuell verdeutlichen könnte. Diese Beispiele zeigen, dass im „Handbuch“ tendenziell eine Dehistorisierung im Sinne einer Loslösung der Bilder vom sie hervorbringenden historischen Kontext stattfindet.

Zwar wird mehr Wert auf Entwicklungsprozesse gelegt als zum Beispiel in Gerhard Pauls Werk „Das Jahrhundert der Bilder“4 – es geht hier schließlich um eine epochenübergreifende thematische Analyse –, aber dabei wird, drittens, die Bildrezeption nicht überzeugend berücksichtigt. Wie etwa David Freedberg exemplarisch dargestellt hat5, ist das Wissen über die Beziehung von Betrachter und Bild notwendig, um die Bedeutung von Bildern in der Geschichte zu verstehen. Gerade bei politischer Ikonographie erscheint die Frage der ‚response‘ umso wichtiger. Schließlich sind viele der Beispiele für ein bestimmtes Zielpublikum geschaffen worden – den Hof, die eigene Nation oder das Ausland, die Wähler, Frauen, Sozialisten usw.

Zuletzt sind noch einige Bemerkungen bezüglich der Auswahl der Beiträge zu machen. Im Hinblick auf die Geschlechterrepräsentation ist festzustellen, dass Aufsätze wie „Politikerin“ und „Regentin“ zwar interessant sind, dass es aber durch die Darstellung der Frau als Sonderkategorie der Politikgeschichte nicht gelingt, den generellen Einfluss von Geschlecht auf die Entwicklung des politischen Bilds zu zeigen. Zweitens kann die Rezensentin sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine ausgesprochen ‚westlich‘ orientierte Auswahl vorliegt; die Bevorzugung Europas (jedoch nicht der Kolonien) und der Schwerpunkt auf den Epochen seit dem Mittelalter fördern zwar reichhaltiges Material zutage, haben aber auch eine Verengung des Begriffs der „politischen Ikonographie“ zur Folge – nämlich eine Fokussierung auf das Abendland. Drittens gibt es Themen, die merkwürdigerweise keinen Platz im „Handbuch“ gefunden haben. Für die Zeit nach 1750 sind hier „Bürger“ oder „Revolution“ zu nennen. Auch die großen ‚Ismen‘ der Moderne werden sparsam bedient: „Nationalsozialismus“ und „Sozialismus“ sind aufgenommen, aber „Antisemitismus“, „Faschismus“, „Kolonialismus“, „Kommunismus“ und „Liberalismus“ (sowie ihre jeweiligen Gegenbewegungen) nicht.

Ohne Frage zeigt das „Handbuch der politischen Ikonographie“ die Vielfalt politisch konnotierter Bilder auf – wie sie entstanden sind, wie sie benutzt wurden, welche geschichtlichen Kontinuitäten und Brüche in ihrer Darstellung es gab. Es vernachlässigt insgesamt jedoch den historischen Kontext. Das Werk wirkt stellenweise mehr wie ein Katalog − die Herausgeber nennen es ein „Text- und Bilderbuch“ (S. 7) –, weniger wie ein tatsächliches „Handbuch“ zur Orientierung wissenschaftlicher Arbeit. Ist das schlimm? Nicht unbedingt. Selbst wenn viele Beiträge für wissenschaftliche Zwecke zu anekdotisch wirken mögen, inspirieren sie nichtsdestotrotz zu weiteren Reflexionen über politische Ikonographie – sowohl als „historisches Bildphänomen“ wie auch als „methodisches Rüstzeug“ verstanden (S. 7). Sie sensibilisieren dafür, wie unsere Geschichte, Gegenwart und (vermutlich) auch unsere Zukunft von Bildern beeinflusst wurde und wird. Aby Warburg, der ja selbst eher ein assoziativer als ein streng systematischer Denker war, hätte es sich nicht anders wünschen können.

Anmerkungen:
1 Steven Ricci, Cinema and Fascism. Italian Film and Society, 1922–1943, Berkeley 2008, S. 89.
2 Peter Burke, Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin 2003; Gerhard Paul (Hrsg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006; Bernd Roeck, Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit, Göttingen 2004; Michel Vovelle (Hrsg.), Iconographie et Histoire des Mentalités, Aix 1979.
3 Im deutschsprachigen Raum beispielsweise: Ute Frevert / Heinz-Gerhard Haupt (Hrsg.), Neue Politikgeschichte. Perspektive einer historischen Politikforschung, Frankfurt am Main 2005; Thomas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 574-606.
4 Gerhard Paul (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder, 2 Bde., Göttingen 2008/09.
5 David Freedberg, The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response, Chicago 1989, S. xxii.