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Titel
Ottonische Königsherrschaft. Organisation und Legitimation königlicher Macht


Autor(en)
Keller, Hagen
Erschienen
Anzahl Seiten
319 S., 11 Abb., Tafeln u. Karten
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Kriese, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt

Ähnlich Gerd Althoffs „Spielregeln der Politik im Mittelalter“ hat die Wissenschaftliche Buchgesellschaft nun auch einige Beiträge Hagen Kellers unter einem thematischen Schwerpunkt zusammengestellt. Im Gegensatz zu Althoffs „Spielregeln“ von 1997 steht Hagen Kellers „Ottonische Königsherrschaft“ jedoch nicht am Beginn eines aufblühenden Forschungsfeldes. Viel mehr ehrt die Aufsatzsammlung einerseits das Werk des jüngst Emeritierten und möchte andererseits, so die Wissenschaftliche Buchgesellschaft in ihrer Internetankündigung, die ausgewählten Beiträge einer „breiteren Öffentlichkeit“ vorstellen. Dabei soll die „Stimme eines Protagonisten der Neubewertung“ ermöglichen, „an wesentlichen Punkten den geistigen Prozess nachzuvollziehen, der eine Neubewertung des 10. Jahrhunderts bewirkte“ (Gerd Althoff, Vorwort, S. 7).

Gerd Althoff sowie verschiedene Mitarbeiter von Kellers Münsteraner Lehrstuhl haben sieben Aufsätze aus den Jahren 1982 bis 1997 ausgewählt, deren vier den Frühmittelalterlichen Studien entnommen sind (1982, 1985, 1989, 1995), einer aus den „Settimane di studio“ (1997) stammt sowie zwei in Festschriften veröffentlicht wurden (FS Tellenbach und FS Schwarzmeier von 1985 bzw. 1997). Die Beiträge sind nach inhaltlichen Schwerpunkten angeordnet und mit einem Personen- und Ortsregister versehen. Mitunter finden sich aktualisierende oder die Beiträge verklammernde Abänderungen zu den Ursprungstexten.

„Zum Charakter der ‚Staatlichkeit’ zwischen karolingischer Reichsreform und hochmittelalterlichem Herrschaftsaufbau“ (S. 11-21 aus dem Jahre 1989) eröffnet die Aufsatzsammlung. Der Beitrag übernimmt nahezu die Funktion einer Einleitung, treten doch die ursprünglichen Einflüsse und die zentralen Themenbereiche in Kellers Ottonenforschungen nachhaltig zu Tage: Im Anschluss an Gerd Tellenbach und vor allem Karl Schmid betont Keller die Unmöglichkeit, das Ottonenreich mit den Kategorien moderner Staatlichkeit zu beschreiben. Eine entsprechende institutionelle Durchdringung habe gefehlt bzw. sei gegenüber der Karolingerzeit gesunken. Dass sich gerade in dieser Periode die dauerhaften Reiche Mitteleuropas herausbildeten, liege vornehmlich begründet in ‚außerstaatlichen’ Phänomenen wie neuartigen Lebens- und Kommunikationsformen, wobei das ottonische Königtum sich und seinen Getreuen in den Reichsinsignien identitätsstiftende Symbole seiner Transpersonalität schuf. Die Herrschaftsfähigkeit der fideles schließlich wurde durch die Verleihung ehemals zentraler Herrschaftsmittel wesentlich gestärkt. Damit agierte dieser königsnahe Adel nicht mehr nur in Delegation, sondern zunehmend eigenständig oder besser als Teil seiner Gruppe, wurde aber konsensual an das Königtum gebunden. Der königliche Vorrang blieb dabei ungeschmälert - durch die gesteigerte liturgische Betonung desselben.

Der zweite Beitrag führt den Gedanken der fehlenden staatlichen Durchdringung in der Ottonenzeit fort („Grundlagen ottonischer Königsherrschaft“, S. 22-33 von 1985). Keller betont noch einmal die mit der anwachsenden Vergabe von Herrschaftsrechten einhergehende Stärkung der personalen Bindungen, deren Folge weniger ein Personenverbandsstaat als ein auf Gruppenbindungen basierendes System war. Die Königsherrschaft habe sich trotzdem objektiviert: als fürstliche Teilhabe am Reich, die ein virulentes Konfliktpotenzial aus der Karolingerzeit dämpfte. Da die Ottonen ihre Regentschaft aber nicht vornehmlich über Institutionen betrieben, könne, so Keller, eine adäquate Beschreibung dieser Periode auch nicht über die materiellen Herrschaftsformen erfolgen. Je schwächer diese sind, desto stärker müssten die ideellen Grundlagen von Herrschaft sein, zumal letztere aus den Quellen der Ottonenzeit sprächen: Transpersonalität und vicarius Christi-Vorstellung sowie als zentrale Herrschertugend die humilitas.

In „Die Gerechtigkeit und die Praxis königlicher Rechtswahrung im Reich der Ottonen“ (S. 34-50 von 1997) erfährt mit der Konfliktforschung ein jüngerer Forschungsansatz die Aufmerksamkeit Hagen Kellers. Die ottonische ‚Justiz’ dürfe nicht als institutionalisierte Verwaltung zur Rechtsprechung charakterisiert werden, vielmehr waren Konsens und Ausgleich zwischen den streitenden Parteien sowie Friedenswahrung die zentralen Elemente ottonischer Rechtspraxis. Das tatsächliche gerichtliche Verfahren hingegen erscheine als ultima ratio.

Indem als folgender Beitrag ein Aufsatz aus dem Jahre 1982 ausgewählt wurde, erscheinen die Wandlungen der Mittelalterforschung in den beiden letzten Jahrzehnten um so deutlicher. „Reichsstruktur und Herrschaftsauffassung in ottonisch-frühsalischer Zeit“ (S. 51-90) unterstreicht zudem die vielseitige Arbeitsweise Kellers. So arbeitet er hier ideengeschichtlich bei der Untersuchung der Herrschaftsauffassung, aber auch verfassungs- und landesgeschichtlich bei der Rekonstruktion der herrschaftlichen Durchdringung eines Territoriums durch das Königtum. Als Untersuchungsraum wählt Keller das Herzogtum Schwaben und verzeichnet die Königsferne des Dukats vor der Jahrtausendwende sowie die Integration in die königliche Machtsphäre seit den späten Ottonen. Von dort an stützte sich die königliche Herrschaftsführung verstärkt auf eine Einbeziehung aller Reichsteile, basierend auf den Ressourcen der ‚Reichskirche’, aber auch auf der intensivierten Teilhabe der Fürsten am Reich - ein gewandeltes Verständnis von der Königsherrschaft.

Im Mittelpunkt der Aufsatzsammlung steht ein gewichtiger Beitrag aus dem Jahre 1995, in dem Hagen Keller nicht zuletzt seine Positionierung in der nachfolgenden Fried-Althoff-Kontroverse vorwegnahm: „Widukinds Bericht über die Aachener Wahl und Krönung Ottos I.“ (S. 91-130). Ausgehend von den berühmten Ergebnissen Karl Schmids über die wahrscheinliche Thronfolgeregelung zu Gunsten Ottos I. in den Jahren 928/29 widmet sich Keller noch einmal der Widukind-Kritik. Dabei ist Keller vor allem an jenen Passagen im Bericht des sächsischen Historiographen gelegen, denen die Darstellungen anderer Quellen eindeutig entgegen stehen. Keller nämlich sucht nach der versteckten Botschaft, nach der Intentionalität der Quelle - und natürlich findet er sie. Der gesamte Bericht folge einer konkreten Strategie: der Darstellung einer spezifisch sächsischen Tradition und Herrscher-generatio (schließlich unter besonderer Beachtung der Liudolfinger), basierend auf einem göttlichen Heilsplan und der Gewissheit eines unmittelbaren, weniger eines theologisch überhöhten Gottesgnadentums. Die römische Bezogenheit des Kaisertums hingegen wird von Widukind verschleiert. Der Bericht stellt sich Keller als kritischer Appell an die junge Mathilde dar, welche bei Abschluss von Widukinds Werk die einzige nördlich der Alpen weilende Angehörige des Herrscherhauses gewesen zu sein scheint. Nicht durch bewusste Verfälschung, sondern durch das Weglassen von Fakten wollte Widukind die Begabte und ihre Umgebung aufmerksam machen auf das, was ihm als besonderer Appell wichtig schien. Mathilde und vielleicht unter ihrem Einfluss auch der junge Kaiser Otto II. sollten ermahnt werden, neben dem römischen Kaisertum das unmittelbare Gottesgnadentum und die Berufung ihrer Dynastie nicht zu vergessen.

Es folgt der Beitrag „Ottonische Herrschersiegel. Beobachtungen und Fragen zu Gestalt und Aussage und zur Funktion im historischen Kontext“ (S. 131-166 von 1997). Darin beschreibt Keller die ottonischen Siegel als Träger der Kommunikation zwischen Herrscher und Urkundenempfänger in einer Zeit schwacher institutioneller Durchdringung des Reiches. Die Siegel spielten nach Keller eine zentrale Rolle in der Herrschaftspropagation. Er analysiert die politischen Verhältnisse, in denen neue Siegelbilder Verwendung fanden, und kommt zu dem Schluss, dass die Einführung dieser neuen Typare jeweils eine Neuausrichtung der Herrschaftskonzeption begleitete. Dabei zeige sich die zunehmende theologische Fundierung auch in den Siegelbildern, deren neuartige Frontalität mit ihren halbfigürlichen (später auch thronenden) Herrscherdarstellungen bei offener Armhaltung immer ähnlicher den Darstellungen Christi wurden - der vicarius Christi-Vorstellung nicht unähnlich.

Beschlossen wird der Band durch den Beitrag „Herrscherbild und Herrschaftslegitimation. Zur Deutung der ottonischen Denkmäler“ (S. 167-183) aus dem Jahre 1985. Im Vergleich zur Karolingerzeit und zur Zeit nach dem Investiturstreit kann Keller die fast ausnahmslos liturgische Gebundenheit ottonischer Herrscherabbildungen herausstellen, welche zudem in ihren christusähnlichen Darstellungsformen den sakralen Charakter der Königsherrschaft, ja eine Stellvertretung zwischen dem geistigen und dem weltlichen Herrscher suggerieren.

Die Fachwissenschaft hat die vorliegenden Beiträge bereits bei ihrem erstmaligen Erscheinen rezipiert. Sieht man vom ehrenden Anlass - Kellers 65. Geburtstag - ab, dann scheint die Frage gestattet, warum die Beiträge noch einmal en bloc veröffentlicht wurden. Als ‚nachträgliche Monographie’ kann der Band kaum verstanden werden, auch wenn die fehlende institutionelle Durchdringung des Ottonenreiches, die transzendentale Ordnung und die auf konsensualen Bindungen basierende Herrschaftsausübung als Leitthemen den gesamten Band durchziehen. Für eine Monographie aber stehen die Beiträge zu deutlich nebeneinander - eine solche aber sollte dieser Band sicher auch nicht werden. Viel mehr hatten die Herausgeber ja eine Retrospektive und Zugänglichmachung für die breitere Öffentlichkeit geplant.

Als Rückblick auf Aspekte der Ottonenforschung in den letzten beiden Jahrzehnten, speziell zur königlichen Herrschaft, ist der Band hervorragend geeignet, finden doch unterschiedlichste Forschungsschwerpunkte ihre Anwendung. Neben den ursprünglich verfassungsgeschichtlich motivierten Gruppenforschungen der Tellenbach-Schmid-Schule (mit deren besonderer Beachtung liturgischer und bildlicher Quellen) finden auch jene Forschungsfelder ihre Betonung, denen sich Keller im Laufe seiner Karriere zunehmend zuwandte: Ideengeschichte, Konfliktforschung sowie der Komplex Mündlichkeit und Schriftlichkeit.

Und sind nun die Beiträge dazu geeignet, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen? Wird diese nach den ausgewählten wissenschaftlichen Grundlagentexten greifen, aufmerksam geworden durch eine der beiden großen Ottonen-Ausstellungen (Magdeburg 2000; Bamberg 2002) oder eine der jüngeren Synthesen zur Ottonenzeit? Die vorliegenden Aufsätze können solcherart geweckte Neugierde ganz sicher hervorragend stillen, wie sie auch Kellers eigenes kleines Büchlein über „Die Ottonen“ aus dem Jahre 2001 sehr gut ergänzen. Allerdings: Jene, die das Verlangen nach der Lektüre wissenschaftlicher Texte spüren, müssen oft selbst Geduld und Akribie aufbringen. So ist es bei den ausgewählten Arbeiten mitunter nicht einfach, zwei Paralleltexte zu lesen: Ca. 170 Seiten Text werden hier von 125 Seiten mit zum Teil ausführlichen Anmerkungen begleitet. Diese als Endnoten zu setzen ist ein unglücklicher Versuch des Verlags, eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen.

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