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Titel
Jocelin of Wells. Bishop, Builder, Courtier


Herausgeber
Dunning, Robert
Reihe
Studies in the History of Medieval Religion 36
Erschienen
Woodbridge 2010: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
XIII, 202 S.
Preis
€ 61,85
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Lützelschwab, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

36 Jahre war er im Amt: Jocelin of Wells, 1206 zum Bischof von Bath geweiht und 1242 in Wells gestorben, gehört zu denjenigen englischen Oberhirten des 13. Jahrhunderts, die über lange Jahrzehnte hinweg Gelegenheit hatten, Netzwerke aufzubauen und ihren Einfluss in Kirche und Königreich an prominenter Stelle geltend zu machen. Heute ist Jocelin nur noch wenigen bekannt – zumeist sind es Kunsthistoriker, die seiner Person als Erbauer der Kathedrale von Wells mit ihrer spektakulären Westfassade anerkennend gedenken und dabei allzu häufig die Tatsache unerwähnt lassen, dass er an der Spitze des wohl unbeständigsten Bistums im mittelalterlichen England stand. Somerset mit dem Zentrum Wells war zwar schon 909 gegründet worden, doch hatte man 1090 den Bischofssitz nach Bath in die dortige Benediktinerabtei verlegt, eine Situation, die sich Ende des 12. Jahrhunderts zusätzlich dadurch verkomplizierte, dass der Bischof von Bath seinen Einfluss auf die mächtige Abtei von Glastonbury durch die Änderung seiner Titulatur in „Bischof von Bath und Glastonbury“ sinnfällig nach außen trug. Die Stellung von Wells blieb unklar: Bischofssitz war es nicht (mehr), allerdings verfügte man über ein Kapitel, das an den Bischofswahlen beteiligt war.

Vorliegender Sammelband, der die Beiträge einer Tagung dokumentiert, die anlässlich der 800. Wiederkehr der Wahl Jocelins zum Bischof 2006 in Wells stattfand, bildet den status quo der aktuellen Forschung ab. Dabei rücken die Geschichte der Person selbst, die Geschichte des Bistums Bath (das erst ab 1245 offiziell zum Doppelbistum von Bath und Wells werden sollte) und diejenige der Bautätigkeit in Wells ins Zentrum der Betrachtungen. Der Band ist in drei große Teile untergliedert: Während sich im ersten Teil („Bishop“) vier Beiträge mit biografischen Aspekten befassen, rücken im zweiten („Builder“) und dritten („Bishop’s Palace“) Teil zwei bzw. vier Beiträge Jocelins Bautätigkeit und deren noch heute sichtbare Zeugnisse – Kathedrale und Bischofspalast – ins Blickfeld der Betrachtungen. Die Ausführungen werden von 22 farbigen Abbildungen allerbester Qualität und einer Fülle an gleichermaßen eindrücklichen Zeichnungen, Aufrissen und erläuternden Tabellen begleitet.

Mit Ausnahme der eher archäologisch orientierten Artikel, in denen aktuelle Grabungsfunde dokumentiert werden, ruhen die Beiträge auf Vorarbeiten, die erstaunlich alt sind: Die noch immer maßgeblichen Untersuchungen gehen auf historisch interessierte Kanoniker zurück, die sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert der Sichtung der reichen englischen Kathedralarchive und der Publikation einschlägiger Arbeiten zur Geschichte „ihrer“ Institutionen widmeten. Nicholas Vincent, einer der derzeit besten Kenner des englischen Hoch- und Spätmittelalters, macht im ersten Beitrag (Jocelin of Wells. The making of a bishop in the reign of King John, S. 9–33) auf das Abhängigkeitsverhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt aufmerksam. Ihm geht es darum, die Erhebung Jocelins zu kontextualisieren und dabei insbesondere Licht auf die Kirchenpolitik Johanns Ohneland zu werfen. Zu Recht sieht er in der englischen Hierarchie des beginnenden 13. Jahrhunderts eine „semi-closed oligarchy“ (S. 15) am Werk, geprägt von internen Verwandtschaftsbeziehungen. Auch Jocelins Bruder Hugh of Wells hatte bischöfliche Würden inne: Seit 1209 amtierte er an der Spitze des Bistums Lincoln. Besonderes Gewicht wird auf das Faktum gelegt, dass mit Jocelin ein „Engländer“ an der Spitze des Bistums stand – fünf seiner insgesamt sechs Vorgänger stammten aus Frankreich und noch 1206 waren die meisten der 14 regierenden englischen Bischöfe entweder Anglonormannen oder Franzosen. Was führte zur Wahl Jocelins? Natürlich sind hier zunächst seine Nähe zum König und die Erfahrung innerhalb der Administration des Königreichs zu nennen, darüber hinaus ist es aber das, was Vincent in seiner unnachahmlichen britischen Diktion als „quality of smoothness and civility“ bezeichnet, darunter „fondness for hunting“ und „taste for conspicuous consumption“ (S. 20). Wir haben verstanden: Ein Intellektueller war Jocelin nicht, auch wenn Jane Sayers in ihrem Beitrag (Jocelin of Wells and the role of a bishop in the 13th century, S. 34–52) davor warnt, aus dem Fehlen von Predigten oder Traktatliteratur auf mangelndes kulturelles und intellektuelles Raffinement zu schließen.

Der Blick auf Jocelins Tätigkeit als Bischof wird darüber hinaus durch den Verlust der bischöflichen Register erschwert. Aussagen finden sich verstreut vor allem in den Chartularen der Jocelin unterstehenden Benediktiner- und Augustinerklöster. Von seinem Standesbewusstsein zeugt die Korrespondenz mit der päpstlichen Kurie. Als Jocelin 1219 auf die Titulatur als „Bischof von Bath und Glastonbury“ verzichten musste, bat er den Papst darum, fortan den Titel „Bischof von Bath und Wells“ tragen zu dürfen – alles andere würde auf eine Minderung seines Status hinauslaufen. Honorius III. beauftragte seinen Legaten Pandulf mit einer Untersuchung: Kurialem Procedere entsprechend versandete die Angelegenheit. Diana Greenway, als Editorin der beiden in der Reihe der ‚Fasti Ecclesiae Anglicanae‘ erschienenen Bände zu Bath und Wells bestens ausgewiesen, behandelt das Verhältnis Jocelins zu seinem Kathedralkapitel (Jocelin of Wells and his cathedral chapter, S. 53–66). Auch wenn Wells 1206 in rechtlichem Sinne nicht als Kathedrale fungierte, verfügte man dort doch über ein Kolleg von 58 Kanonikern. Damit war das Kapitel von Wells größer als die Kathedralkapitel von Lincoln mit 56 oder Salisbury mit 52 Mitgliedern. Greenway richtet den Blick nicht nur auf die personelle Zusammensetzung dieses Kapitels, sondern auch auf die Möglichkeiten des Bischofs zur Einflussnahme. Besonders hervorgehoben wird Jocelins Engagement in finanzieller Hinsicht. Zwar reduzierte er die Anzahl der Kanoniker im Laufe der Zeit auf 52, doch konnten sie sich an gesicherten und stabilen Einkünften erfreuen. Auch wenn die Autorin ihrer Sympathie für Jocelin mitunter allzu heftigen Ausdruck verleiht, bleibt doch festzuhalten, dass bei seinem Tod 1242 Wells über ein funktionierendes Kapitel verfügte, dessen zumeist universitär gebildete Mitglieder ihren liturgischen Verpflichtungen nachkamen.

Wells profitierte von der Präsenz des Bischofs in ökonomischer Hinsicht. Darauf macht Sethina Watson (The bishop and his cathedral cities, S. 67–98) insbesondere durch den direkten Vergleich mit Bath aufmerksam. Sie relativiert dabei zwar Jocelins Beitrag zur Gründung des städtischen Hospitals – die Initiative wird seinem Bruder Hugh zugeschrieben –, weist ihm aber eine maßgebliche Rolle in dem Bemühen zu, die ökonomisch stagnierende Region um Wells nicht zuletzt durch eine umfangreiche Bautätigkeit (zu der auch das Anlegen von Parks gehörte) zu fördern. Tim Tatton-Brown (Jocelin of Wells as a palace builder, S. 101–109) und Jerry Sampson (Bishop Jocelin and his buildings in Wells, S. 110–122) verweisen aus historischer Sicht knapp auf das architektonische Engagement Jocelins in Wells – unklar bleibt, wie stark Jocelin in das ikonographische Programm der Westfassade miteingebunden war –, während Alex Turner (Geophysical and geoarchaeological survey at the Bishop’s Palace, Wells, S. 125–136), Mark Horton (The location of Bishop Jocelin’s Palace at Wells, S. 137–153) und David Hill (Lichens on the stonework of the Bishop’s Palace, S. 154–168) die Ergebnisse der jüngsten Grabungskampagnen auf dem Gelände des Bischofspalastes zur Diskussion stellen. Matthew M. Reeve widmet sich abschließend der Frage nach der weiteren Nutzung und baulichen Erweiterung des Palastes durch Robert Burnell, Kanzler des Königreichs und Bischof von Bath und Wells von 1275–1292 (Robert Burnell and the transformation of Bishop Jocelin’s Palace, S. 169–196).

Die Beiträge des Sammelbandes gestatten interessante Einblicke in die bischöfliche Lebenswelt des 13. Jahrhunderts: Nicht alles konnte dabei berücksichtigt werden. Unklar bleibt, ob Jocelins Engagement in der königlichen Zentralverwaltung Ende der 1220er- und Anfang der 1230er-Jahre die Möglichkeit des Zugriffs auf finanzielle Ressourcen beinhaltete, die ihrerseits der Finanzierung des gewaltigen Kathedralbaus hätten dienen können. Der Wunsch nach einer umfassenden Biographie Jocelins of Wells bleibt. Vorliegender Sammelband weist den Weg.

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