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Titel
Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007


Autor(en)
Bredekamp, Horst
Erschienen
Frankfurt am Main 2010: Suhrkamp Verlag
Anzahl Seiten
463 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Jäger, Historisches Institut, Universität zu Köln

Was machen Bilder? Diese Frage treibt die Kulturwissenschaften seit geraumer Zeit um. Dass Bilder in allen Kulturen und gesellschaftlichen Zusammenhängen relevant sind, braucht nicht mehr betont zu werden, aber wie sie „funktionieren“, wird lebhaft debattiert. Auch in der Geschichtswissenschaft werden vermehrt visuelle Quellen entdeckt und in die Analysen einbezogen. Theoretisch und methodisch wird mit einer Reihe von fächerübergreifenden Zugängen gearbeitet und experimentiert, die unter den Sammelbezeichnungen „Visual History“, „Historische Bildforschung“ und „Historische Bildkunde“ zusammengefasst werden können. Historiker beschäftigt dabei zwar die Frage, was Bilder machen, doch betrachten sie meist eher deren Entstehungsbedingungen und Verbreitungswege – seltener, wie auf Bilder reagiert wurde, und auch kaum, mit welchen Mitteln sie Wirkungen erzeugen.

Das aktive Element ist in der an Bildern interessierten Geschichtswissenschaft der Mensch, der ein Bildwerk wahrnimmt und dessen Handlungen sich in Quellen manifestieren. Dadurch gerät in den Hintergrund, dass das auslösende Moment das Bild selbst mit seinen spezifischen Fähigkeiten sein kann. Der weit über die Fachgrenzen hinweg renommierte Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat 2010 einen Band vorgelegt, in dem er seine bereits früher angedeuteten Überlegungen zur Bildaktivität1 ausführlich darstellt und begründet. Das Buch setzt einen gewichtigen Akzent – aber die Rolle von Bildern wird aus historiografischer Sicht nicht wirklich greifbarer oder operationalisierbarer.

Bredekamp begründet zunächst die gesellschaftliche und historische Relevanz, führt dann in das Denken über Bilder ein und skizziert Positionen seit der Antike. Gemeinsam sei allen Positionen – auch bildkritischen –, dass sie Bildern Wirkmächtigkeit zuerkennen würden. Es folgt ein Abschnitt, der erläutert, auf welche Weise zeit- und kulturübergreifend Bildern Eigenaktivität zugeschrieben worden ist (etwa durch die Ichform von Signaturen und begleitenden Texten). Dem schließen sich die drei zentralen Kapitel an, die genauer auf die von Bredekamp identifizierten Arten von Bildakten eingehen („schematisch“, „substitutiv“ und „intrinsisch“; dazu gleich mehr). Abgerundet wird die Arbeit durch ein Fazit und Nachwort, in dem der Autor noch einmal für eine intensive Beschäftigung mit Bildern plädiert (S. 326).

Bredekamp will vor allem ergründen, wie Bilder Handlungen provozieren, herausfordern oder erzeugen können. Der Terminus „Bildakt“ betont dabei die Eigenleistung des Bildes, auch wenn Bredekamp selber darauf hinweist, dass seine Ausführungen dem sehr nahe stehen, was sonst unter „Bildwirkung“ verstanden werde (S. 49). Der Begriff des „Bildakts“ ist in Anlehnung an den aus der Sprachwissenschaft stammenden Begriff des „Sprechakts“ entwickelt. Hierbei wird „Bild“ nicht als Analogie zum gesprochenen Wort verstanden, sondern ist an die Position des Sprechers gesetzt. Die Fragen nach Akteur- und Bildbegriff sind nicht ausgeklammert. Die Theorie des Bildakts erfordert für ihre Universalität einen weiten Bildbegriff, der alle materiellen Artefakte einschließt, die ein Minimum an Bearbeitung zeigen (S. 33f.). Zudem muss für Bilder ein gewisser Akteurstatus angenommen werden. Wichtig ist aber, dass Bildakte nicht zwangsläufig erfolgen: Von Automatismen ist nicht die Rede. Dass die möglichen Wirkungen andererseits nicht willkürlich sind, versteht sich hierbei von selbst. Da es sich aber immer nur um Möglichkeiten von Wirkungen handelt, ist das ganze Buch von Hinweisen auf Potenzial, Latenz sowie auf den aristotelischen Begriff der Energetik (nach Aby Warburg) durchzogen.

Die drei, leider nicht immer leicht nachvollziehbaren, zentralen Kennzeichnungen der Formen des Bildakts finden sich komprimiert am Ende des Abschnitts über Begriffe (S. 51ff.). Sie lassen sich nicht klar trennen und hängen teils auch vom Bildtypus ab: Der „schematische“ Bildakt ziehe seine Wirkkraft aus seiner Beispielhaftigkeit, aus der Verselbstständigung des Bildes durch Körperkomposition – das schließt etwa die so genannten Tableaux Vivants ein. Der „substitutive“ Bildakt erhalte seine Wirkkraft durch die Austauschbarkeit von Körper und Bild; er zeige sich in Religion, Naturforschung, Medien, Recht, Politik, Krieg. Bilderstürme, so könnte argumentiert werden, basieren genau hierauf: Bild und Körper sind im Akt der Zerstörung gleichwertig. Beim „intrinsischen“ Bildakt schließlich entstamme die Wirkkraft des Bildes seiner Form; das können die formalen Elemente eines Werkes sein (Punkt, Linie, Farbe, Materialität), aber auch das vermutete Eigenleben eines Bildes, das mehr als eine künstlerische Schöpfung zu sein scheint. Unklar bleibt hierbei, ob dies nicht doch Zuschreibungen der Betrachter sind oder ob Bredekamp tatsächlich annimmt, dass vom Bild selbst etwas ausgeht.

In den folgenden Kapiteln werden diese drei Grundformen eingehend beschrieben und mit Beispielen präzisiert. Stets wird hierbei ein sehr weiter Zeitraum abgedeckt, um die allgemeine Gültigkeit der Befunde nachzuweisen. Bredekamp formuliert einprägsam, doch die Mixtur aus unterschiedlichen theoretischen Feldern ist keine leichte Kost – gerade in den ersten Abschnitten.

Durch ihre Geschlossenheit vermag die Darstellung zu überzeugen, gleichzeitig aber wird sie dadurch zuweilen hermetisch. An zahllosen Stellen können zudem Widersprüche gegen Details und einzelne Elemente der Beweisführung vorgebracht werden. So meint Bredekamp, dass einer der Innovatoren der Fotografie, Daguerre, sein Verfahren habe patentieren lassen (S. 183). Das hat er nur für England und Wales veranlasst; im Rest der Welt war das Verfahren frei zugänglich. Dies ist eine die Argumentation nicht weiter belastende Ungenauigkeit. Anders ist es bei den Beispielen zum substitutiven Bildakt. Dort werden strafrechtliche Verfahren genannt (S. 197ff.), die im Vollzug der Strafe einen Austausch von Bild und Person erlaubten. Doch war dies nur bei bestimmten Vergehen und mit bestimmten Personen möglich – universell war ein solches Vorgehen im frühneuzeitlichen Rechtssystem nicht, und hier wäre es interessant zu erfahren, worauf dies zurückgeführt werden kann. Warum ist ein derartiger Austausch in der Mehrzahl der Strafverfahren kein gangbarer Weg gewesen? Bezüglich des intrinsischen Bildakts wiederum wird das „Modell“ als „eines der markantesten Elemente [dieses] Bildakts“ genannt (S. 288). Aber ist es wirklich die grafische Form (oder materielle Ausführung) des Modells, die Betrachter aktiviert? Hat hier nicht die Frage, die mit Hilfe des Modells bearbeitet wird, einen größeren Anteil – oder die Dynamik des Diskurses, in dessen Zusammenhang ein Modell eine Rolle spielt? Das sind nur drei Beispiele, die zu Nachfragen anregen und Präzisierungen wünschenswert machen.

Zudem: Das Potenzial von Bildern grundsätzlich anzuerkennen ist die eine Sache; Bildakte nachzuweisen hängt indes entscheidend davon ab, ob sich bestimmte Folgen direkt auf sie zurückführen lassen. Oft sind sie nur indirekt zu belegen, insofern sie eine quellenmäßig erfassbare Reaktion hervorgerufen haben. Bredekamp spitzt den Gedanken aber zum Ende seiner Ausführungen dahingehend zu, dass die Evolution gewissermaßen als unablässige Abfolge von (intrinsischen) Bildakten aufgefasst werden könne (S. 314), weil die sexuellen Auswahlmechanismen der Fortpflanzungen darauf basierten. Damit werden Bildakte gleichsam als ein festes Element der Natur und tendenziell als überhistorisch angesehen. Auch der Bildbegriff erhält damit noch eine weitere Dimension. Diskussionsbedürftig erscheint mir vor allem der umfassende Anspruch Bredekamps, durch die Theorie des Bildakts gleichsam für alle Kulturen und Zeiten gültige Wirkungs- bzw. Interaktionsweisen von Bildern identifizieren zu können. Dass Bilder menschliche Kultur begleiten und stets eine Rolle spielen, ist unbestritten, aber der Mehrwert der Theorie leidet darunter – gerade aus Sicht der Geschichtswissenschaft –, dass wenig an die Hand gegeben wird, was bei der konkreten Analyse einzelner Bilder und Bildphänomene im Zusammenspiel mit den anderen beteiligten Elementen helfen könnte.

Bei der Lektüre treten auch immer wieder Fragen auf, die mit den Nachweisen von Bildakten zu tun haben. Wo diese vorhanden sind, etwa bei der von Bredekamp sehr instruktiv beschriebenen Pazzi-Verschwörung im Florenz des 15. Jahrhunderts (S. 216ff.), wird klar ersichtlich, dass und wie Bildakte „funktionieren“. Aus dem Zusammenspiel aller verfügbaren Quellen wird die Dynamik der Ereignisse greifbar. Hier kann die Theorie des Bildakts einen Weg weisen; sie ist eine Aufforderung, nach handlungsleitenden oder -treibenden Elementen zu suchen und bildlichen Zeugnissen dabei besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Aber deutlich wird auch, dass Bildakte zwar stets als Möglichkeit einbezogen werden können, dass es freilich sehr darauf ankommt, diese in den Quellen tatsächlich belegen zu können. Die Potenziale von Bildern erlauben für sich genommen noch keine Schlüsse auf konkrete gesellschaftliche, soziale und kulturelle Beziehungen in historischen Abläufen. Damit ist das theoretische Instrument des Bildakts seltsam stumpf.

Bredekamp begründet nachdrücklich die Eigenmacht von Bildern. Bilder tun etwas, sie wirken. Sie sind Teile kommunikativen Handelns und daher aus historischen Abläufen nicht auszuklammern. Inwieweit eine Theorie des Bildakts die geschichtswissenschaftliche Arbeit am Einzelfall zu befruchten vermag, bleibt indes abzuwarten.

Anmerkung:
1 Z.B. Horst Bredekamp, Bildakte als Zeugnis und Urteil, in: Monika Flacke (Hrsg.), Mythen der Nationen: 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 2004, S. 29-66, oder ders., Bild – Akt – Geschichte, in: Clemens Wischermann u.a. (Hrsg.), GeschichtsBilder. 46. Deutscher Historikertag vom 19. bis 22.9.2006 in Konstanz. Berichtsband, Konstanz 2007, S. 289-309.

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