G. Ueberschär (Hrsg.): Handbuch zum Widerstand

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Titel
Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945.


Herausgeber
Ueberschär, Gerd
Erschienen
Berlin 2011: de Gruyter
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Müller-Botsch, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin

Das von Gerd R. Ueberschär unter Mitarbeit von Peter Steinkamp herausgegebene Handbuch umfasst 31 Beiträge über Bedingungen und Formen des Widerstands gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa zwischen 1933 und 1945 und versammelt damit eine in der bisher zum Thema erschienenen Literatur nicht erreichte Breite an Fallstudien in einem Band. In fünf Rubriken befassen sich Experten und Expertinnen aus unterschiedlichen europäischen Ländern und Wissenschaftsgenerationen erstens mit "Widerstand in den Gebieten und Ländern der 'Achsenmächte'" (mit Beiträgen zum Deutschen Reich, zu Italien, Österreich, Rumänien, Bulgarien und Ungarn); zweitens mit "Widerstand im besetzten Nord- und Westeuropa" (mit Darstellungen zu Dänemark, Norwegen, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und den Britischen Kanalinseln). In einem dritten Teil über "Widerstand im besetzten Ostmittel- und Osteuropa" finden sich neben einem Beitrag zum Widerstand im Protektorat Böhmen und Mähren weitere Darstellungen zu Polen, den besetzten Westgebieten der Sowjetunion, Transnistrien, Litauen, Lettland, Estland, den besetzten Kaukasus-Gebieten sowie der Slowakei. Viertens werden mit einem Beitrag zu den besetzten jugoslawischen Gebieten Kroatien, Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina und weiteren Beiträgen zu den besetzten jugoslawischen Gebieten Slowenien und Makedonien sowie zu Griechenland und Albanien der "Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa" dargestellt; ein fünfter Teil schließlich befasst sich mit "Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil" und umfasst das deutsche Exil in der Sowjetunion 1933-1945, die deutschsprachige politische Emigration nach 1933 in Mittel-, West- und Nordeuropa und in Übersee, Widerstandsaktivitäten des italienischen Exils sowie emigrierte und vertriebene Hitlergegner im militärischen Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus auf alliierter Seite.

In knappen, jeweils etwa zehn Seiten umfassenden Beiträgen werden zunächst stets Akteure, Formen und Entwicklung der Widerstandsaktivitäten in den einzelnen Ländern unter den jeweils spezifischen Handlungsbedingungen dargestellt. Hier wird auch das Spannungsverhältnis von Widerstand und Kollaboration länderspezifisch skizziert. Im Anschluss an die ereignisgeschichtliche Darstellung werden in jedem Beitrag die Rezeption des Widerstands seit Kriegsende, Forschungsgeschichte und Forschungsbedarf umrissen und grundlegende Literatur- und Quellenhinweise gegeben. Der Großteil der Überblicke ist verständlich geschrieben und aufgebaut, einige wenige Beiträge jedoch sind als einführender Überblick nur bedingt geeignet. Besonders die Aufnahme einer ganzen Reihe von Beiträgen zu Ost- und Südosteuropa stellt eine hervorzuhebende Neuerung gegenüber den bisher erschienenen Sammelbänden dar. Dass durchgängig in allen Falldarstellungen die – zum Teil sehr unterschiedliche – Entwicklung der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion um den Widerstand in den einzelnen Ländern von 1945 bis in die Gegenwart aufgezeigt wird, fällt ebenso besonders positiv auf. So ist für einige Länder teilweise eine Entmythifizierung früherer Darstellungen festzustellen, indem beispielsweise Grenzen des Widerstandes stärker als in den ersten Nachkriegsjahren thematisiert werden. Zugleich werden nach politischen Machtwechseln oder aber auch in der Folge sozial- und alltagsgeschichtlicher Diskussionen der vergangenen Jahrzehnte thematische Verschiebungen in den Widerstandsdiskussionen sichtbar sowie Erweiterungen des Personenkreises und der Handlungsformen, die zum Widerstand gezählt werden. Eine nützliche, vom Umfang her sinnvoll angelegte Auswahlbibliographie sowie ein Orts-, Länder- und Personenregister schließen den Band ab. Ein gründlicheres Lektorat wäre wünschenswert gewesen.

Wenngleich die Bedingungen und die Entwicklung der Widerstandsaktivitäten in den einzelnen Ländern und Regionen sehr unterschiedlich waren: der völlige Verzicht auf den Vergleich der Fälle – sei er einleitend, bündelnd, auf einzelne Regionen oder ausgewählte Fälle bezogen vorgenommen – ist eine empfindliche Lücke des Handbuchs. Vergleichende Beiträge bzw. eine Diskussion möglicher Vergleichskriterien, wie sie in früheren Sammelbänden zur behandelten Thematik durchaus begonnen wurde (nicht zuletzt auch durch einzelne Autoren des Bandes), fehlen leider. 1 Positiv gewendet stellt der Band gewissermaßen eine Aufforderung dar, vergleichende Diskussionen zu führen über Bedingungen, Formen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Widerstandes gegen Nationalsozialismus und Faschismus in den Ländern Europas. Die Beiträge des Bandes bilden für die Entwicklung vertiefender und vergleichender Fragestellungen eine beeindruckende quantitative und qualitative Bereicherung.

Anmerkung:
1 Vgl. etwa Bob Moore (Hrsg.), Resistance in Western Europe, Oxford 2000; Ger van Roon (Hrsg.), Europäischer Widerstand im Vergleich. Die Internationalen Konferenzen Amsterdam, Berlin 1985; Wolfgang Benz / Johannes Houwink ten Cate / Gerhard Otto (Hrsg.), Anpassung – Kollaboration – Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation, Berlin 1996; Michael Kißener / Harm-Hinrich Brandt / Wolfgang Altgeld (Hrsg.), Widerstand in Europa. Zeitgeschichtliche Erinnerungen und Studien, Konstanz 1995; Mechthild Gilzmer (Hrsg.), Widerstand und Kollaboration in Europa, Münster 2004; Werner Rings, Leben mit dem Feind. Anpassung und Widerstand in Hitlers Europa 1939-1945, München 1979.

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