Cover
Titel
"Arbeitsschlacht". Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933–1939


Autor(en)
Humann, Detlev
Reihe
Moderne Zeit 23
Erschienen
Göttingen 2011: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
808 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Hachtmann, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die „Arbeitsschlacht“, wie die Propagandisten der NS-Diktatur in dem für sie typischen martialischen Jargon die Beseitigung der Massenerwerbslosigkeit bezeichneten, und die schließlich alle Arbeitsmarktsegmente erfassende, rüstungsinduzierte Vollbeschäftigung hat seit jeher die Aufmerksamkeit der Historiker gefunden. Der Anspruch Detlev Humanns ist, hier nun eine Art definitiver Gesamtdarstellung vorgelegt zu haben. Um es vorwegzunehmen: Grundlegend neue Ergebnisse werden in der Dissertation nicht präsentiert, jedoch wird umfängliches und vielfach interessantes empirisches Material zur lokalen und regionalen Ebene der Arbeitsmarktpolitik ausgebreitet.

Die Arbeit ist in sieben große Teile gegliedert: Der Vorgeschichte und der Skizze der politischen Rahmenbedingungen folgen Passagen über „flankierende Maßnahmen“, also über die so genannte Doppelverdienerkampagne sowie andere Versuche, Frauen aus dem Erwerbsleben zu verdrängen, aber zum Beispiel auch ein aufschlussreicher Abschnitt zu „Aktionen über Schwarzarbeit“. Teil III widmet sich den Notstandsarbeiten, Teil IV dem Arbeitsdienst und Teil V der Landhilfe. In Teil VI wechselt Humann nach einer Skizze der Erhebungsmethoden und Aggregationen der Arbeitsmarktstatistiken, die er zu Recht unter „Propaganda“ subsumiert, die Perspektive. In einem relativ kurzen – und deskriptiv-additiv gehaltenen – Abschnitt thematisiert er den Medienrummel um die „Arbeitsschlacht“ (Plakate, Ausstellungen, Diavorträge, Filme usw.). Teil VII schließlich versucht die Arbeitsbeschaffung in den gesamtökonomischen Kontext einzubetten.

Der Wert der Arbeit liegt erstens in der – allerdings nur teilweise gelungenen – Bündelung der Ergebnisse der älteren Forschung. Zweitens, und dies ist das Hauptverdienst, geht Humann empirisch so gründlich wie noch niemand vor ihm auf die Notstandsarbeiten und vor allem auf die „Landhilfe“ ein. Zudem widmet er sich oft nur scheinbar peripheren Seiten der NS-Arbeitspolitik, die von der historischen Forschung bislang ignoriert worden sind. Dazu gehört etwa das schlichte Faktum, dass die Einstellung von Hausgehilfinnen durch ein Gesetz vom 12. Mai 1933 erheblich erleichtert wurde, indem diese aus der Arbeitslosenversicherung gänzlich herausgenommen wurden und überdies ihr Beitrag zur Invalidenversicherung gesenkt wurde. Ein anderer von Humann thematisierter Aspekt, dem die Forschung bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist die Schwarzarbeit; deren Bekämpfung habe sich angesichts eines massiven allgemeinen „Verfolgungsdrucks“, so das wenig überraschende Resümee, „im Wesentlichen auf Symbolpolitik“ beschränkt (S. 239f.).

Übersehen wurde von der bisherigen Forschung außerdem die nicht förmlich verfügte, aber offenbar breit praktizierte „Karteibereinigungsaktion“, mit der die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die Reihen der Arbeitslosen anscheinend ziemlich erfolgreich lichtete. Sie erfolgte, so Humann, nach einem vertrauten Rezept: Man unterbreitete den Erwerbslosen „möglichst unattraktive Arbeitsangebote“, machte deren Annahme zur Pflicht – und konnte dann wenig später den Landesarbeitsämtern die erfolgreiche „Bereinigung“ der Karteien und damit Senkung der Erwerbslosenstatistiken melden (S. 633). Interessant wird die Arbeit in vielen Fällen drittens dort, wo sie – oft detailgenau, manchmal geradezu minutiös – die groben Linien verlässt und die Vorgaben der Reichsinstanzen mit der vielfach ausgesprochen pragmatischen Umsetzung ‚vor Ort‘ konfrontiert.

Dennoch hinterlässt die Lektüre einen zwiespältigen Eindruck. Die im Resümee zusammengefassten zentralen Ergebnisse sind keineswegs neu. Auch im Detail bestätigt Humann zumeist die ältere Forschung. So umfangreich die Dissertation auf der einen Seite ist, so sehr fehlen auf der anderen Seite zudem oft naheliegende Tiefenbohrungen. Im Kapitel über „Doppelverdiener“ beispielsweise drängt sich die Frage geradezu auf, wie die (Groß-)Unternehmen auf diese Kampagne reagierten. Humann hätte dazu gar nicht die entsprechenden Debatten etwa in den Vorständen der wichtigen Konzerne aufarbeiten müssen; ein Blick in die einschlägigen Akten des Reichsstandes der Deutschen Industrie bzw. der Reichswirtschaftskammer und Reichsgruppe Industrie hätte hinreichend Aufschluss darüber geboten, dass die Wirtschaftsführer und Arbeitgeberorganisationen schon aus lohnpolitischen Gründen kein Interesse an einer nachhaltigen Verdrängung von Arbeiterinnen aus dem industriellen Produktionsprozess hatten. Erschwert wird die Benutzbarkeit der insgesamt eindrucksvollen empirischen Bestandsaufnahme schließlich dadurch, dass sich am Schluss des Buches lediglich ein Namensregister findet, nicht dagegen ein Ortsregister – was angesichts der vielen lokalen ‚Geschichten‘ nahegelegen hätte –, geschweige denn ein Institutionenregister.

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