H.-E. Volkmann: Luxemburg im Zeichen des Hakenkreuzes

Cover
Titel
Luxemburg im Zeichen des Hakenkreuzes. Eine politische Wirtschaftsgeschichte 1933 bis 1944


Autor(en)
Volkmann, Hans-Erich
Erschienen
Paderborn 2010: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
582 S.
Preis
€ 46,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Werner, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Erst kürzlich haben Sven Reichardt und Wolfgang Seibel festgestellt, dass es noch immer „an soliden institutionengeschichtlichen Untersuchungen vieler zentraler Reichsbehörden und ihrer regionalen Dependancen“ sowie „an Studien zu den zahlreichen Sonderbehörden der NS-Zeit“ fehle. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges könne „in dieser Hinsicht nahezu als ‚terra incognita‘ bezeichnet werden“.1 So berechtigt diese Feststellung grundsätzlich ist, für die Besatzung und wirtschaftliche Ausbeutung Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg wurde dieses Desiderat von Hans-Erich Volkmann bereits im vergangenen Jahr eindrucksvoll geschlossen. Seine Studie über das Großherzogtum behandelt nicht nur die Institutionen der deutschen Wirtschafts- und Besatzungspolitik, sondern arbeitet auch detailliert die verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen heraus, die diese Politik prägten.

Volkmanns Arbeit stützt sich auf einige Vorarbeiten und die umfangreiche Archivaliensammlung des luxemburgischen Historikers Emile Krier, der selbst eine Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung des Großherzogtums im Zweiten Weltkrieg plante, jedoch 2002 überraschend starb. Unter Vermittlung des Niederländers Ger van Roon wurde Volkmann das Material zur Verfügung gestellt, das er als Grundlage für seine nach eigenen konzeptionellen Schwerpunkten ausgeführte Monografie nutzte. Sein Konzept einer „politischen Wirtschaftsgeschichte“ geht überzeugend auf. Im Mittelpunkt stehen „die Interdependenz von Politik, Kriegführung und Besatzungsherrschaft sowie der folgenwirksame Wandel der volkswirtschaftlichen Verhältnisse unter den Bedingungen des militärischen Konflikts“ (S. 5f.). Dabei konzentriert sich Volkmann gleichermaßen auf die Analyse der institutionellen Rahmenbedingungen wie auf die wirtschaftlichen und politischen Akteure der Besatzungsherrschaft.

Nach einem knappen Abriss der Entwicklung Luxemburgs bis 1933 und der wirtschaftlichen Beziehungen des Großherzogtums insbesondere zu seinem deutschen Nachbarn während der 1930er-Jahre schildert Volkmann die Genese der wirtschaftlichen Ausbeutungspläne Deutschlands und den Aufbau der Besatzungsverwaltung in Luxemburg. Ausgangspunkt bildet die Vorstellung der deutschen Führung, „dass Luxemburg zum Großraum Deutschland gehörte, und dass man sich dessen Wirtschaft für die eigene Kriegführung zunutze machen musste“ (S. 86). Gerade die luxemburgische Schwerindustrie weckte deutsche Begehrlichkeiten, die durch Rückgabeforderungen seitens früherer deutscher Besitzer noch verstärkt wurden. Indes erwies sich die Neugestaltung der Besitzverhältnisse als kompliziert, da die Ansprüche der Reichsgruppe Industrie mit denen der Vierjahresplanbehörde unter Hermann Göring – immer die Expansion der Reichswerke vor Augen – kollidierten. Volkmann erweitert hier den von Franz-Otto Gilles und Gerhard Otto geprägten Begriff des „verwalteten Beutepartikularismus“ 2, indem er für die ökonomische Ausbeutung Luxemburgs eine zunehmende Beteiligung regionaler Akteure nachweist. Tatsächlich bestimmten schließlich „regionale Gesichtspunkte, mit denen sich privatindustrielle Interessen und Machtgehabe der Gaufürsten vermengten […], die Festlegung des Verteilungsschlüssels“ (S. 107). Überhaupt betont Volkmann den hohen Stellenwert der Mittelinstanzen für die wirtschaftliche Ausbeutung Luxemburgs. Unabhängig von den Vorstellungen Hitlers, der sich möglicherweise mit „einer Juniorpartnerschaft des Großherzogtums zufrieden gegeben“ hätte, arbeiteten „die volkstumsorientierten nachgeordneten Parteidienststellen unterhalb der allerobersten Entscheidungsinstanz in Richtung Inkorporation, um im Falle eines entsprechenden Führerentscheids diesen möglichst komplikationslos umsetzen zu können“ (S. 81). Auf diese Weise wurden Tatsachen geschaffen, die auf eine „De-facto-Annexion“ (S. 171) des Großherzogtums hinausliefen.

Ein wichtiger Akteur dieser vorauseilenden Radikalisierung war Gustav Simon, Gauleiter des Gaues Koblenz-Trier und seit 1940 Chef der Zivilverwaltung (CdZ) in Luxemburg. Volkmann arbeitet differenziert dessen Geschick heraus, mit dem er zumindest bis 1942 die deutschen Wirtschaftsinteressen mit den Anforderungen einer administrativ beruhigten Besatzungspolitik vereinbaren konnte. Ob der kleinwüchsige Gauleiter jedoch mit seiner „Geltungssucht […] die Unscheinbarkeit seiner Erscheinung zu kompensieren suchte“ (S. 181), mag dahingestellt bleiben und erklärt weder seine taktischen Fähigkeiten noch sein politisches Durchsetzungsvermögen. Zwar bewies Simon „in seiner rassenideologischen Befangenheit keinerlei Verständnis für den nationalen Selbsterhaltungstrieb der Bevölkerung des Großherzogtums“ (ebd.), erreichte aber immerhin durch Rücksicht auf das im Vergleich zum Deutschen Reich relativ höhere Einkommens- und Lebensniveau in Luxemburg eine gewisse Beruhigung der Bevölkerung. Als CdZ stand Simon zudem für die Eingliederung Luxemburgs in das deutsche Zollgebiet, die „in Luxemburger Unternehmer- wie Arbeiterkreisen […] als unausweichlich, aber auch als wirtschaftlich sinnvoll erachtet wurde“ (S. 193). Zeitgleich forcierte Simon antijüdische Maßnahmen auf einem „schrittweisen direkten Weg“ (S. 224), um die rechtliche Angleichung Luxemburgs an die Verhältnisse im Reich zu beschleunigen. Widerstände des Reichinnenministeriums gegen das Tempo überwand der Gauleiter – hier schätzte er den hohen Stellenwert der antisemitischen Ideologie richtig ein – durch persönliche Intervention bei Hitler. Nicht zuletzt wirkten die „Arisierungen“ auf diese Weise als Hebel, Luxemburg sukzessive dem Deutschen Reich einzuverleiben.

Allerdings verhielten sich die Luxemburger gegenüber der Möglichkeit, jüdisches Eigentum zu erwerben, ausgesprochen zurückhaltend, „nicht zuletzt aus Opposition gegen die annexionistischen Bestrebungen des Reiches“ (S. 231). Diese Zurückhaltung wuchs sich mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im August 1942 zu offener Opposition aus. Während Simon Streiks mit standrechtlichen Erschießungen begegnete, versuchte er weiterhin, die Belastungen der Arbeiterschaft gering zu halten, indem er etwa Dienstverpflichtungen nur noch auf Arbeitsplätze innerhalb seines Gaues vornehmen ließ.

Breiten Raum nimmt in Volkmanns Darstellung die Verzahnung der verschiedenen wirtschaftlichen Akteure in ihrem Bemühen ein, das ökonomische Potenzial Luxemburgs systematisch und institutionell abgesichert auszubeuten. Die Komplexität der Entwicklung wird grandios erfasst, und die Rolle gerade konkurrierender Zugriffe, etwa bei den Bemühungen, das luxemburgische Bankensystem zu übernehmen, als motivierende und mobilisierende Faktoren deutlich herausgearbeitet. So profitierten beide Hauptkonkurrenten um die geldwirtschaftliche Vorherrschaft in Luxemburg, die Deutsche und die Dresdner Bank, von der Auseinandersetzung, da sie gezwungen waren, ihren ökonomischen Zugriff und die Zusammenarbeit mit der Zivilverwaltung ständig zu optimieren.

Während Steuer- und Verkehrswesen, ebenso wie das luxemburgische Handwerk und die Energiewirtschaft, weitgehend ausgespart bleiben, liegt der Fokus von Volkmanns Studie auf dem Bankwesen, der Arbeitskräftesituation, der Schwerindustrie sowie der Land- und Forstwirtschaft des Großherzogtums. In diesen Wirtschaftsbereichen wird die Radikalisierung der ökonomischen Ausbeutung im Verlauf des totalen Krieges besonders erkennbar. Wenn streckenweise die Quellenbasis der Argumentation offenbar stark an den Sammlungen Emile Kriers orientiert bleibt – so wird zum Beispiel die besondere Rolle der 1942 eingerichteten Gauwirtschaftskammer Koblenz-Trier allein aus der zeitgenössischen Literatur abgeleitet –, ist doch erkennbar, dass die regionalen Mittelinstanzen gerade keine „Phantome“ (Hans Mommsen) waren 3, sondern konstituierende Akteure der umfassenden wirtschaftlichen Ausbeutung des besetzten Großherzogtums.

Volkmanns Arbeit ist ein Meilenstein der Okkupationsforschung und in der Erfassung komplexer Zusammenhänge vorbildlich für weitere Studien. Der Fokus auf Institutionen und Akteure bedeutet keine politikgeschichtliche Verengung, sondern zielt in das Zentrum der deutschen Besatzungspolitik und die Verantwortung der politischen und wirtschaftlichen Akteure.

Anmerkungen:
1 Sven Reichardt / Wolfgang Seibel, Radikalität und Stabilität. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, in: dies. (Hrsg.), Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S. 7-27, hier S. 10.
2 Franz-Otto Gilles / Gerhard Otto, Verwalteter Beutepartikularismus. Finanz-, Verwaltungs- und Wirtschaftskontrolle und nationalsozialistische Besatzungspolitik in den von Deutschland besetzten Gebieten. Ein Tagungsbericht, Berlin 1991.
3 Hans Mommsen: Reichsreform und Regionalgewalten – Das Phantom der Mittelinstanz 1933-1945, in: Oliver Janz / Pierangelo Schiera / Hannes Siegrist (Hrsg.), Zentralismus und Föderalismus im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich, Berlin 2000, S. 227-237.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension