Titel
Envisioning Eden. Mobilizing Imaginaries in Tourism and Beyond


Autor(en)
Salazar, Noel B.
Reihe
New Directions in Anthropology 31
Erschienen
New York 2010: Berghahn Books
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 70,89
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Regina Bendix, Institut für Kulturanthropologie / Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität, Göttingen

Noel Salazars 2008 an der University of Pennsylvania abgeschlossene Dissertation erreicht die Leserin kontextualisiert von höchstem Lob. Altmeister Edward Bruner verfasste ein anregendes Vorwort für die Arbeit, die ihn zum anhaltenden, weiteren Brainstorming über die endlose Repetition in der Zirkulation von Kultur bei gleichzeitigem Wandel stimuliert habe; ein Who’s Who aus dem Bereich der Tourismusforschung – Nelson Graburn, Mike Robinson sowie Jafar Jafari – attestieren dem Werk innovativen Charakter; und eine leitende Persönlichkeit in der UNESCO schreibt gar: „This book is the reference for tourism imaginaries academia was waiting for“.1 Und Noel Salazar selbst? Sein flüssiger Schreibstil und eine Erzählweise, die sein forschendes Selbst inmitten des ethnographischen Tuns stets freundlich mit beleuchtet, lassen die Leserin bisweilen ein wenig nach Atem ringen. Sie fühlt sich ganz analog einer Touristin von der Reise und dem freundlichen Reiseleiter mehr als eingedeckt. Offensichtlich wünscht Salazar sich genau das, denn er nutzt die Reisemetaphorik ausgiebig, lädt ein „zu einer mentalen Reise, die einige interessante theoretische und methodologische Horizonte erkundet“ – und, fortfahrend im Register der ReiseleiterInnen, die Salazars Untersuchungsfeld darstellen, versichert, dass keine besonderen Kenntnisse notwendig seien außer einem offenen Geist, dass man einige bekannte Landschaften zu sehen bekommen werde, und auf dem Weg zum Reisehöhepunkt gälte es auch, etwas langweiligeres Hintergrundwissen abzuklopfen (S. xxii).

Der gebürtige Belgier schloss vor der kulturanthropologischen Promotion Masterstudiengänge in Psychologie (Leuven), Entwicklungs-Neuropsychologie (Essex) und „Cultures and Development Studies“ (Leuven) ab, und arbeitet zur Zeit als Marie Curie Fellow an der Universität Leuven. Sein Buch basiert auf teilnehmender Beobachtung und Interviews mit ReiseleiterInnen in Indonesien und Tansania. Die Wahl ergab sich durch verschiedene Zufälle, deren markantester gleichzeitig auch forschungsleitende Fragen ergab: Auszubildende ReiseleiterInnen aus den zwei Zielgebieten nahmen durch die Initiative einer NGO gemeinsam in Belgien an einem Training teil. Sie sollten so mit den Herkunftsregionen ihrer zukünftigen Klientel und mit Aspekten der professionellen Erzeugung von reisebegleitenden Narrativen und Imaginarien bekannt gemacht werden. Diese Konstellation bot in der Tat eine geradezu ideale Ausgangslage, um der Frage nachzugehen, wie Globalisierung konkret „funktioniert“ – im Zusammentreffen von mobilen Akteuren, die sich beruflich im Nord-Süd Gefälle bewegen, und einem Wirtschafts- und Erlebensbereich, der auf der Verlockung und Verführung von Destinationen und deren transportablen Imaginarien aufbaut. Anhand der beruflichen Sozialisation dieser Akteure möchte Salazar das von Robertson entworfene „Glokale“ konkretisieren, also die Funktionsweisen und Effekte des Zusammentreffens von Globalem und Lokalem an konkreten Orten beschreiben.2 Zugleich möchte er auch der Vorstellung von Globalisierung als einem ebenmäßigen „flow“ eine Alternative entgegenstellen: „Imaginaries do not flow like water in a river, but circulate like blood in a living organism – moving through well-established conduits, leaving certain elements behind and picking up new ones along the way, and continuously returning to their points of origin“ (S. 44). Inspiriert, wenn auch etwas stark metaphorisiert, ist diese Sicht durch Greg Urbans Vorarbeiten in dessen „Metaculture“.3 Weitere Impulse, insbesondere für die Analyse von Reiseleiter-Training und -Verhalten, hat Salazar aus dem Bereich der linguistischen Anthropologie und der Performanzanalyse erhalten, beides Blickwinkel, die sich besonders gut eignen für die genaue Beobachtung der „Entextualisierung“ (ein Begriff von Richard Bauman und Charles Briggs4) von lokalen Gegebenheiten in globalen Zusammenhängen.

Die Stärken des Werkes liegen in dieser engen Begleitung lernender tour guides und den Versuchen, ihre Aneignung und Verörtlichung scheinbar universeller touristischer Fantasien über narrative Rahmungen wiederzugeben. Zudem wird die Palette an spezifischen Sprechregistern durchleuchtet, die ReiseleiterIn und TouristInnen miteinander verbinden. Tourismuspraxen haben zwar bereits einiges an linguistisch-fokussierter kulturwissenschaftlicher Analyse erfahren (etwa durch Graham Dann oder Brian Moeran), die Pragmatik des tour guiding eröffnet eine schöne Erweiterung, wobei präzisere Aussagen zur Anlage und Aufbereitung des Datenkorpus hilfreich gewesen wären. Das Material wird nur hin und wieder hinzugezogen, nicht zuletzt weil Salazar gleichzeitig auch sehr breit informieren möchte über die jeweiligen nationalstaatlichen Kontexte, deren Tourismusentwicklung und -standing und die Rolle, die diese und weitere Faktoren wiederum im sich entfaltenden glokalen Aktionsradius der untersuchten Gruppen bilden.

Salazar verfolgt keine allzu enge Fokussierung; die vornehmlich den lose vergleichenden Erkenntnissen gewidmeten Kapitel „Verführung“, „Abbilden und Imaginieren anderer Welten“, „Rollen und Regeln des Reiseleitens“ und „Fantasie trifft Realität“ beinhalten neben einer Fülle an Daten aus Beobachtung und Gesprächen mit ReiseleiterInnen auch immer wieder kurze Ausflüge in die Sekundärliteratur. Zusammen mit zwei einleitenden und einem Schlusskapitel wächst so der Anspruch der Studie über die Erkundung von ReiseleiterInnen als Paradigmen eines glokalisierenden Imperativs hinaus. Das Spektrum an referierten Literaturen in „Envisioning Eden“, genauso wie etwa die im September 2010 in Lissabon von David Picard koordinierte Tagung „Tourism and the Seduction of Difference“ bezeugen, dass der kulturwissenschaftliche Zugang zu Tourismus sich im Lauf der letzten dreißig Jahre von einer kulturpessimistischen, die touristische Invasion ethnologischen Terrains verfluchenden Unternehmung in ein touristische Praxen und deren gesellschaftliche Implikationen durchdringendes kulturwissenschaftliches Forschungsgebiet verwandelt hat. Diese Zuwendung ist angesichts der individualpsychologischen bis globalwirtschaftlichen Macht des Tourismus gerechtfertigt. Und um Einblick genau in diese Entwicklung der Forschung zu bekommen, lohnt ein Blick in Salazars Studie, der man dennoch gerne eine etwas rigorosere redaktionelle Hand gegönnt hätte. Gerade weil der Autor die ganze Breite seiner Erfahrungen verarbeitet, bleiben manche der kurzen, bisweilen fast collageartig zusammengefügten Abschnitte außerhalb der Kernfragen der Studie. So fügt zum Beispiel das Kapitel „Fantasie trifft auf Realität“ spannendes Material aneinander in Abschnitten zu Macht, verdeckter Systemkritik, Schuldzuweisungen, Katastrophen in Reisegebieten und einheimischer Touristenkritik. Es mündet in die Erkenntnis, dass in der touristischen Begegnung nicht nur Menschen, sondern auch soziokulturell geprägte Imaginarien aufeinander treffen, dass das touristisch essentialisierte „Andere“ einem ebenso essentialisierten Bild des Okzidentalen begegne und dass diese Begegnung nicht unbedingt an hergebrachten Hegemonien rüttle, wie dies etwa Aihwa Ong vorgeschlagen habe (S. 169). Solche Argumentationen Salazars bestätigen sich auch in seinen Beobachtungen zur nur bedingt tourismuskritischen Haltung seiner Gewährspersonen – denn „nur bei verhaltener Kritik des globalen Tourismus und seiner prämodernen Fantasien“ (S. 169) könnten diese die modernen Lebensentwürfe und den kosmopolitischen Habitus realisieren, der ihnen durch diesen Arbeitgeber ermöglicht wird. Ein etwas stringenter gehaltener Text, weniger ‚sight seeing‘ und dafür tieferes Auskosten des interessant gewählten Feldes, hätten sowohl Salazars eigene Argumente wie auch seine Auseinandersetzung mit denjenigen im Feld der Tourismus- und Globalisierungstheorien deutlicher hervortreten lassen.

Anmerkungen:
1 Maria-Gravaris-Barhas wird auf dem Buchrücken zitiert.
2 Robert Robertson, Globalization. Social Theory and Global Culture, London 1992.
3 Greg Urban, Metaculture. How Culture Moves Through the World, Minneapolis 2001.
4 Richard Bauman / Charles L. Briggs, Poetics and Performances as Critical Perspectives on Language and Social Life, in: Annual Review of Anthropology 19, 1990, S. 59-88.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension