J. Kurunmäki u.a. (Hrsg.): Rhetorics of Nordic Democracy

Titel
Rhetorics of Nordic Democracy.


Herausgeber
Kurunmäki, Jussi; Strang, Johan
Reihe
Studia Fennica Historica, Bd. 17
Anzahl Seiten
297 S.
Preis
€ 35,18
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Brandenburg, Nordeuropa-Institut, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Sammelband „Rhetorics of Nordic Democracy“, herausgegeben von Jussi Kurunmäki und Johan Strang, setzt sich zum Ziel, der Konzeptualisierung von Demokratie in Nordeuropa nachzugehen. Im Mittelpunkt steht der Begriff der „Nordic Democracy”. Die Beiträge wollen herausarbeiten, auf welche Weise und mit welcher Bedeutung der Begriff von verschiedenen historischen Akteuren angewendet wurde. Zugang soll eine Orientierung an der Begriffsgeschichte leisten, die es laut Kurunmäki und Strang erlaube, den Konstruktionsbedingungen und wechselnden Bedeutungszuschreibungen dieses zentralen Begriffs nachzugehen.

Einer Einleitung von Kurunmäki und Strang, die neben dem Versuch einer Synthese der Beiträge des Bandes auch eine Übersicht über diejenigen Texte enthält, die seit den 1930er-Jahren den Begriff der „Nordic Democracy” maßgeblich geprägt haben, folgen zehn Beiträge, die sich als Einzelstudien dem Themenfeld aus verschiedener Richtung nähern.

Zwei Beiträge konzentrieren sich dabei auf die Zwischenkriegszeit, in der der Begriff in Skandinavien auf dem politischen Feld zunächst von Seiten der Sozialdemokratie eingeführt wurde. Der Beitrag von Jussi Kurunmäki verortet die entstehende Rhetorik einer „Nordischen Demokratie“ im Kontext der Krisen der Demokratie in den 1930er-Jahren. In Schweden habe der Begriff nicht nur der Abgrenzung gegenüber den aufkommenden totalitären Systemen in Europa gedient, sondern gleichzeitig die Verhandlung von Demokratie maßgeblich geprägt. Anfangs habe der Begriff der Sozialdemokratie erlaubt, sich sowohl in ihrem Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie als auch zur Konzeption des Nationalen neu zu positionieren. Während die Rhetorik der „Nordic Democracy” eine Nationalisierung der Sozialdemokratie ermöglicht habe ohne explizit auf das Nationale Bezug nehmen zu müssen, habe diese mit dem Verweis auf das „Nordische” und auf damit verbundene historische Narrative schließlich im Angesicht der europäischen Katastrophe ebenso den Konservativen die Möglichkeit eröffnet, sich zu demokratisieren. Johan Strangs Beitrag vertieft diesen Blick auf Schweden in der Zwischenkriegszeit, indem er die Positionen von vier Intellektuellen (Ingemar Hedenius, Herbert Tingsten, Alf Ross und Gunnar Myrdal) aus dem philosophischen Umfeld des sogenannten Wertenihilismus beschreibt. Der Beitrag von Jan Hecker-Stampehl arbeitet daraufhin die Bedeutung und Funktion der Rhetorik von der „Nordic Democracy” im Zusammenhang mit der Besatzung Dänemarks und Norwegens im Zweiten Weltkrieg heraus. Sie habe zu einer nationalen und regionalen Identitätsbildung beigetragen und die Diskussion über ein zukünftiges Nachkriegseuropa entscheidend geprägt.

Drei Beiträge versuchen der Konstruktion des Begriffes bzw. seiner rhetorischen Anwendung größere historische Tiefe zu verleihen. Jeppe Nevers fokussiert dabei auf das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert und untersucht das Demokratieverständnis dänischer Sozialisten. Ruth Hemstad betrachtet die Entwicklung des sogenannten „Skandinavismus” seit dem 19. Jahrhundert und arbeitet an dessen Krisen und Scheitern ein Weiterleben zentraler Aspekte in der Rhetorik der „Nordic Democracy” heraus. Peter Hallbergs Beitrag hingegen nimmt die Reformdiskussion im Schweden des 18. Jahrhunderts in den Blick: Auch wenn sich im Kontext dieser Diskussionen weder der Begriff der Demokratie noch der „Nordic Democracy” in ihrer modernen Verwendung nachweisen lasse, so sei – nach Hallbergs Meinung – bereits damals Demokratie als „rhetorical concept“ gebraucht und mit Begriffen verbunden worden, die später als Kernelemente der „Nordic Democracy” gegolten hätten, etwa „transparency, popular participation, […] liberty as non-domination“ (S. 235). Ebenso seien in der Reformdiskussion des 18. Jahrhunderts historische Narrative als Argument etabliert worden, die diese Kernelemente ausdrücklich originär den skandinavischen Ländern zuschreiben würden.

Zwei Beiträge beleuchten, wie außerhalb der nordeuropäischen Länder von einer „Nordic Democracy” gesprochen wurde: Carl Marklund analysiert, wie der Begriff im anglo-amerikanischen Kontext im Zusammenhang mit der Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit wahrgenommen wurde. Im Zentrum des US-amerikanischen Interesses habe die angenommene Fähigkeit der am schwedischen Modellfall entwickelten „Nordic Democracy” gestanden, Gegensätze der Moderne und Konflikte der Modernisierung zu moderieren und zu harmonisieren, weshalb ein innenpoltischer Blickwinkel die Rezeption der skandinavischen Demokratien in den Vereinigten Staaten gelenkt hätte. Peter Stadius wiederum untersucht die Wahrnehmung der skandinavischen Länder und Finnlands aus dem Blickwinkel spanischer Betrachter um 1900.

Petri Koikkalainen konzentriert sich auf die Nachkriegszeit und untersucht die Funktion des Begriffs im Kontext des Kalten Krieges und der besonderen innen- wie außenpolitischen Situation Finnlands. Dabei zeigt er auf, dass die Rhetorik der „Nordic Democracy” es erlaubt habe, sich als Brückenbilder zwischen den ideologischen Blöcken zu verorten; auf diese Weise sei es gelungen, Finnland rhetorisch aus seiner peripheren geopolitischen Position ins Zentrum weltgeschichtlicher Entwicklungen zu rücken. Gleichzeitig habe sich aber auch gegenüber der Sowjetunion die Möglichkeit ergeben sich als vorgeblich neutrales nordeuropäisches Land darstellen können, das den politischen Traditionen der „Nordic Democracy” verpflichtet sei.

Zuletzt richtet Norbert Götz seinen Blick auf die Entsendung von skandinavischen und finnischen Parlamentariern in den Völkerbund und die Vereinten Nationen und untersucht, welche Rolle die „Nordic Democracy” als Modellfall und Vorbild der Demokratisierung für die Konstruktion eines nordeuropäischen Selbstbildes spielte.

Auswahl und thematische Orientierung der Beiträge erscheinen, wie oft bei Sammelbänden, willkürlich; auch kommt es zu inhaltlicher Redundanz. Dementsprechend gelingt es dem einleitenden Beitrag von Kurunmäki und Strang auch nur bedingt, die einzelnen Beiträge zusammenzuführen. Vielmehr kommt den Beiträgen die Aufgabe von Einzelfallstudien zu, die größere historische Linien mehr andeuten als herausarbeiten können. Ambivalent muss die starke Fokussierung der Beiträge auf Schweden und Finnland gewertet werden. Zwar erklärt sich dies zum einen durch die Veröffentlichung in der finnischen Reihe „Studia Fennica” als auch durch die personelle Zusammensetzung der Herausgeber und der Beitragenden, zum anderen wurde auf diese Weise der Tatsache Rechnung getragen, dass Schweden in verschiedenen Kontexten zum Modellfall der „Nordic Democracy” stilisiert wurde; so unter anderem auch immer wieder in Zusammenhang mit der Diskussion des skandinavischen Wohlfahrtsstaates auf internationaler Ebene – in Selbst- und in Fremdsicht. Genau diese Kommunikationszusammenhänge, die Schweden in der nationalen, interskandinavischen und anglo-amerikanischen Diskussion als Modell etablierten, kommen jedoch zu kurz. Die Diskussionen in Dänemark und Norwegen werden nur am Rande behandelt; auf Island wird nur verwiesen.

Ein grundsätzliches Urteil über die einzelnen Beiträge zu fällen steht dem Rezensenten dagegen nur bedingt an. Aus seiner persönlichen Situation gesprochen seien die Beiträge von Hecker-Stampehl, Hemstad und insbesondere Koikkalainen hinsichtlich Qualität und ihres Erkenntnisgewinns hervorgehoben. Kritisch gesehen werden könnte hingegen, dass die in einigen Beiträgen erarbeitete historische Tiefendimension und konstatierten Traditionslinien zu eingeschränkt auf den Begriff der „Nordic Democracy” der Zwischenkriegszeit zulaufen. Auch wenn dies im Rahmen eines Sammelbandes schwierig umzusetzen ist, wäre es wünschenswert gewesen, gerade jene Traditionslinien genauer zu verorten. So hätten Linien des 19. Jahrhunderts, auf die Nevers in seinem Beitrag zum Teil auch verweist, umfangreicher herausgearbeitet werden können. Lohnend hätte es auch sein können, die Betrachtung um den dänischen Reformer N.F.S. Grundtvig und den „Grundtvigianismus“ zu ergänzen. Um es verkürzt zu sagen: Nicht alles, was die Begriffe „nordic” und „democracy” enthält, läuft auf den späteren Gebrauch von „Nordic Democracy” hinaus.

Ein weiterer Punkt erscheint dem Rezensenten kritikwürdig: Für die Herausgeber wie für mehrere Beitragende scheint die sogenannte Begriffsgeschichte wie sie von Koselleck, Brunner und Conze in den „Geschichtlichen Grundbegriffen” etabliert wurde, von zentraler Bedeutung für die Konzeption des Sammelbandes zu sein. Im Zuge poststrukturalistischer Theoriediskussionen ist jedoch die Begriffsgeschichte durchaus in die Kritik geraten. Deshalb hätte sich der Rezensent gewünscht, dass gerade dieser Sammelband – zumindest in der Einleitung – versucht hätte, einen Beitrag zur theoretischen Diskussion um die Begriffsgeschichte zu leisten. Dass dies nicht geschah mag damit zusammenhängen, dass die Beitragenden verschiedenen (nationalen) Fachzusammenhängen entstammen, in denen die Methoden- und Theoriendiskussionen anders gelagert sind. So stellt sich ein Unbehagen hinsichtlich zentraler „analytischer” Begriffe des Sammelbandes ein, denn Begriffe wie „speech acts”, „narrativ” und insbesondere das omnipräsente „rhetorics” bleiben unerörtert. Die Grundintention ist zu erahnen: die Sprache ist nicht hintergehbar und Kommunikation bringt Begriffe erst hervor. Können aber begriffsgeschichtliche Ansätze die Kommunikationssituationen, die diese Begriffe hervorbringen, ausreichend erfassen? Da „speech acts”, „narrativ” und „rhetorics” auch auf poststrukturalistische Positionen verweisen, hätten Alternativen diskutiert bzw. die getroffene methodische Wahl zumindest begründet werden können. Zudem sind Zweifel angebracht, ob die Auffassung, dass jegliche Wirklichkeit und somit auch jeglicher Begriff durch Sprache und Kommunikation erst etabliert wird, konsequent in der Konzeption des Sammelbandes durchgehalten wird.

Um ein abschließendes Fazit zu ziehen: Die Mehrzahl der Beiträge liefern dem interessierten Leser Einblick in ein spannendes Themenfeld. Während also aus der Bewertung der einzelnen Beiträge heraus der Sammelband unbedingt zu empfehlen ist, zeigen sich auf Ebene der Gesamtkonzeption Schwächen, die besonders hinsichtlich der mangelnden theoretischen Reflektion grundlegender Natur sind.

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