Titel
Der erinnerte Ort. Geschichte durch Architektur. Zur baulichen und gestalterischen Repräsentation der nationalsozialistischen Konzentrationslager


Autor(en)
Klei, Alexandra
Reihe
Architekturen 7
Anzahl Seiten
617 S., mit 11 Farbfotos
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anke Binnewerg, Bauhaus-Universität Weimar

Mehr als 50 Jahre nach Auflösung des Konzentrationslagers Neuengamme konstatierten die Denkmalpfleger Manfred M. Fischer und Volker Konkording, dass auf dem dortigen Gelände „im Laufe der Jahrzehnte eine spezifische Mischung aus Denkmal (überliefertem und rekonstruiertem Gegenstand), Museum und Archiv herangewachsen“ sei.1 Der Zustand dieses Ortes wurde demnach nicht nur durch dessen Geschichte als Konzentrationslager und Gefängnis geprägt, sondern maßgeblich durch gedenkstättenspezifische Präsentationsformen. Der Untersuchung solcher Zusammenhänge widmet sich Alexandra Klei in ihrer jetzt als Buch erschienenen Dissertation, die am Lehrstuhl „Theorie der Architektur“ der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus entstanden ist. Nach dem theoretischen Teil „Gedenkstätten als Orte der Erinnerung“ werden darin die öffentlich zugänglichen Bereiche der Gedenkstätten Buchenwald und Neuengamme hinsichtlich ihrer Bezüge zur Geschichte der Konzentrationslager untersucht. Die ehemaligen Lager haben eine höchst disparate Geschichte und sind als räumliche Gebilde schwer fassbar. Es liegen einige wenige Arbeiten zu ihrer Architektur vor und diverse Beiträge zu ihrer Erinnerungsgeschichte; Verschränkungen beider Richtungen stehen noch aus.

Klei formuliert die Grundannahme, die ehemaligen Lagergelände seien als Ausstellungsflächen der KZ-Geschichte zu betrachten, als bewusst „hergestellte Orte“ beziehungsweise „Freiluftmuseen“. Dies leitet die Autorin aus dem Vorhandensein von Museen in den Gedenkstätten und der Musealisierung der gesamten Areale ab – sowie daraus, dass Objekte verschiedener zeitlicher und funktionaler Provenienz „wie in einer Sammlung nebeneinander stehen und zu einem Narrativ verknüpft“ werden könnten (S. 31). Die Ausstellungs-These bezieht sich zudem auf die seit den 1950er-/1960er-Jahren begonnene Praxis, die Gedenkstättengelände oder ihr direktes Umfeld explizit als Ausstellungsflächen zu konzipieren. Wurden den Besuchern dabei früher feste Perspektiven vorgegeben, handelt es sich neuerdings eher um Deutungsangebote, die ihre eigene Geschichtlichkeit nicht leugnen.

Die Analyse orientiert sich an den drei von Mechtild Gilzmer vorgeschlagenen Ebenen der Wirkung und Bedeutung von „materiellen Trägern nationaler Erinnerungskultur“: der Ebene der Produktion, des Produktes sowie der Rezeption.2 Dass Klei ihre Untersuchungen auf die Ebene der „tatsächlich erfolgten und umgesetzten Gestaltungen“ eingrenzt (S. 107) und weder „die Prozesse und Diskussionen“ einbezieht, „die zur Etablierung der Gedenkstätten führten, […] noch die Wirkungen, welche die Orte auf die Besucher/innen haben“ (S. 14-17), ist zumindest aus Sicht der Rezeptionsästhetik wenig plausibel. Fraglich ist auch, ob das für französische Nationaldenkmäler entwickelte Modell auf KZ-Gedenkstätten übertragen werden kann, denen ein ganz anderer Entstehungskontext zugrunde liegt (im Fall Neuengamme derjenige der Bundesrepublik und des Stadtstaats Hamburg, im Fall Buchenwald derjenige der DDR und seit 1990 des vereinten Deutschlands).

Kleis Untersuchung der „baulichen Relikte der ehemaligen Konzentrationslager in ihrer Verwendung und Präsentation in den heutigen Gedenkstätten“ (S. 15) tangiert die Bauten selbst überraschenderweise kaum, sondern ist fokussiert auf das komplexe System ihrer Zuordnung, Beschreibung und Erschließung mittels Hinweisschildern und Informationstafeln, Gedenkzeichen und Monumenten, Audioguides und sogar Postkarten. Begründet wird die „Aufnahme“ dieser Elemente „in die Betrachtung und den Begriff ‚Architektur‘“ (S. 63) damit, dass Gebäude und bauliche Überreste solcher „Zutaten“ bedürfen, um überhaupt als Teile der ehemaligen Lagerarchitektur erkennbar zu sein. Dementsprechend sind die jeweils mehr als 200 Seiten umfassenden Untersuchungen der Gedenkstätten Buchenwald und Neuengamme vorrangig als Bestandsaufnahme der Präsentationselemente zu verstehen. Die jeweils ermittelten Inhalte – die Bau- und Nutzungsgeschichte der Konzentrationslager-Zeit bis heute, knappe Beschreibungen des aktuellen Zustands, „Kennzeichnungen“ und „Präsentationen“ – werden auf drei Ebenen aufbereitet, was zu diversen Wiederholungen führt. Während der Analyse zu Buchenwald Gedenktafeln in Weimar vorangestellt sind, ist die Darstellung Neuengammes allein dem Bereich der heutigen Gedenkstätte gewidmet. Nicht betrachtet werden dagegen Gestaltungen mittels Bänken und Papierkörben, die Grünflächenpflege sowie Präsentationen der Orte in Besucher-Handreichungen und im Internet.

Mit „Kennzeichnungen“ sind die den Objekten zugeordneten Informations- und Gedenktafeln gemeint. So werden beispielsweise für das Ensemble der Unterkunftskasernen der SS in Buchenwald zwei Informationstafeln ermittelt, deren Standorte beschrieben und Mutmaßungen über die Frequentierung durch Besucher angestellt. Für die dem Haus Nr. 5 zugeordnete Tafel „Kaserne der SS-Wachmannschaften/Behelfslazarett, April/Mai 1945“ konstatiert Klei eine verhältnismäßig geringe Sichtbarkeit, kommt aber aufgrund der räumlichen Nähe zum Parkplatz zu dem Schluss, dies könne „die erste oder die letzte Tafel sein, die Besucher/innen zur Kenntnis nehmen“ (S. 194). Nach vollständiger Aufführung des Tafelinhalts hebt sie mithilfe der Textanalyse die Reduzierung auf ein singuläres Ereignis hervor – die Rettung zahlreicher befreiter Häftlinge: „Auf Darstellungen zu den hier stationierten Einheiten oder zu ihrer Verantwortung für die von den Amerikaner/innen vorgefundenen Zustände wird ebenso verzichtet wie auf Angaben zum Baujahr oder zu einer Beziehung zu den Nachbarhäusern.“ (S. 195) Weiterhin führt sie aus, durch die Inhalte dieser Tafel werde „der Besuch des Ortes […] mit dem beruhigenden Gefühl begonnen, beendet oder gerahmt, dass es Rettung, Hilfe und Überleben gab“ (ebd.). Diese Einschätzung widerspricht der tatsächlich sehr geringen Sichtbarkeit der Tafel. Zudem stellt sich die Frage, warum die Autorin entgegen ihrer Anfangsthese (S. 34) hier der Vorstellung eines festen Ausstellungsrundgangs und -narrativs aufsitzt.

Das jeweils folgende Kapitel „Präsentation des Ortes“ ist als Zusammenfassung der Analyse der Informationsschilder angelegt und enthält gestalterische Besonderheiten im Hinblick auf die aktuelle und historische Nutzung. Ebenfalls analysiert werden die historischen Abbildungen der Infotafeln; dabei ergeben sich Defizite bezüglich der verwendeten Quellen – das Gros stammt aus dem SS-Kontext – und der damit einhergehenden Perspektive. Auch hinsichtlich der Genauigkeit der Beschriftung, dem Verhältnis von Text- und Bildteil der Tafeln sowie der schwierigen Übertragbarkeit von Abbildungen auf den aktuellen Zustand der Orte liefert die Verfasserin nachvollziehbare Bewertungen: „Mit der unkommentierten Verwendung der Sicht der SS auf den Ort entsteht der Eindruck, das Lager sei leer und aufgeräumt gewesen, dann und wann hätten sich einzelne Personen darin aufgehalten, denen man das Häftlingsdasein und die elenden Bedingungen nicht ansieht.“ (S. 346) Insofern verwundert die losgelöste Verwendung von elf heutigen Fotos innerhalb der Publikation, die Motive aus den beschriebenen Gedenkstätten zeigen.

Als übergreifende Betrachtungen sind die Zusammenfassungen zu den beiden Gedenkstätten lesenswert. So offenbaren sich in Buchenwald in nicht gekennzeichneten Bereichen und nicht thematisierten Aspekten viele Lücken (wobei stärker anzuerkennen wäre, wie viele positive Veränderungen sich an diesem geschichtspolitisch besonders umkämpften Ort seit den 1990er-Jahren ergeben haben). Für die maßgeblichen Präsentationsarten in Neuengamme – die Kennzeichnung und Vorstellung vorhandener Gebäude, Nachzeichnungen nicht mehr vorhandener Gebäudestandorte und Bezeichnungen KZ-zeitlicher Funktionsbereiche – konstatiert Klei eine gewisse Unentschiedenheit, denn „für jedes der drei Darstellungsmittel“ müsse „festgestellt werden, dass es nicht vollständig angewandt wird“ (S. 521). Aber auch eine stringente Präsentation, wie sie im früheren Häftlingslager vorzufinden ist, hat den Nachteil der Vereinheitlichung ehemals verschiedener Funktionen, Bauformen, -volumen und Materialien (vgl. S. 333f., S. 523ff.).

Angesichts dieser Beobachtungen ist es schade, dass im Resümee nur punktuell ein Vergleich der Gedenkstätten erfolgt. Da auch keine anderen Beispiele einbezogen werden, bleibt die Hauptfrage offen, inwiefern die herausgearbeiteten Präsentationsweisen tatsächlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Ortsgeschichte zu sehen sind oder ob es sich um Formen handelt, die als ästhetische Moden derzeit in vielen Gedenkstätten üblich sind – beispielsweise die Markierung von Gebäudegrundrissen mittels Schlacke. Nicht klar wird in dem gesamten Band, auf welche Weise die komplexe KZ- und Nachnutzungsgeschichte der Bereiche und Objekte adäquat zu vermitteln wäre. Wahrscheinlich lässt sich dies auch nicht generell beantworten, sondern erfordert die nähere Untersuchung und Kritik von Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen.

Trotzdem ist es lohnend, sich ohne Lageplan, allein mittels der etwas sperrigen Gliederung, durch viele Seiten und hektargroße Flächen des Buchs zu lesen. Denn es beinhaltet präzise Aussagen zum Präsentationssystem von zwei Gedenkstätten, die bei der Konzeption ähnlicher Vorhaben hilfreich sein dürften. Für Buchenwald liefert Klei auf der Basis vieler neu für die Forschung erschlossener Quellen – eher am Rande – die erste Chronologie der Gedenkstättengestaltung. Auch die Überlegungen zur Darstellung von Personen und Personengruppen sind lesenswert, wären aber, da räumliche Fragen nicht explizit berührt werden, in einer separaten Publikation besser aufgehoben gewesen.

Ihrem Anspruch, die Leerstelle der „räumlichen Dimension von Erinnerung“ im Bezug auf NS-Gedenkstätten zu füllen (S. 17), wird Alexandra Klei nicht ganz gerecht. Fraglich ist, welche Vorteile die Interpretation von Gedenkstätten als Ausstellungen birgt. Ein Großteil der Gedenkstätten-Areale unterliegt bis heute dem Einfluss nichtintendierter Faktoren, was, im Gegensatz zu tatsächlich „ausgestellten Geländen“ wie Freilichtmuseen, Botanischen oder Zoologischen Gärten, zu etlichen nicht oder vage definierten Orten führt. Die baulichen Relikte sind eben keine mobilen, vielfältig gestaltbaren Sammlungsobjekte, sondern als Überreste der KZ- und der Nachgeschichte Artefakte mit höchst speziellen Entstehungs- und Rezeptionszusammenhängen.

Anmerkungen:
1 Manfred M. Fischer / Volker Konkording, Das ehemalige Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 56 (1998), Heft 1, S. 79-87, hier S. 79.
2 Mechtild Gilzmer, Denkmäler als Medien der Erinnerungskultur in Frankreich seit 1944, München 2007, S. 15.