Kirche im Nationalsozialismus

Kirche im Nationalsozialismus

Veranstalter
Nordelbisches Kirchenarchiv (11843)
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11843
Ort
Wanderausstellung
Land
Deutschland
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Schmidt

Ein halbes Jahrhundert nach dem Sieg der Kriegskoalition gegen die Hitler-Diktatur lassen sich von der historischen Aufklärung endlich auch gesellschaftliche Bereiche erfassen, die sich bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts und weit darüber hinaus einer kritischen Selbstbefragung - gelegentlich geradezu verstockt - verweigert haben. Zu ihnen gehört die Evangelisch-Lutherische Kirche. Was hierbei zu geschehen hat und wie vorgegangen werden sollte, hat jüngst in einer Arbeitstagung das Landeskirchliche Archiv Berlin-Brandenburg zu unserem Thema in einer eindrucksvollen Arbeitstagung programmatisch demonstriert (Tagung des Landeskirchlichen Archivs Berlin-Brandemburg 11.12.10.2002 zum Thema „Protestantismus - Nationalsozialismus - Nachkriegsgeschichte“): Die Aufarbeitung der Geschichte der Kirche muss bereits im 19. Jahrhundert ansetzen und dabei auch die Sozialisationsbedingungen der um 1890 geborenen späteren Leitfiguren aufhellen, also ihre Prägung durch das Wilhelminische Reich, die Jugendbewegung, den Nationalkonservativismus und das Weltkriegserlebnis.

Dass die von diesen Leitfiguren Repräsentierten, das Kirchenvolk also, in ihrer Mehrheit diesen Kurs für gut befanden, weist auf einen Konsens zwischen „oben“ und „unten“. Nur auf diesem Wege lässt sich begreifen, warum der deutsche Protestantismus sich als so offen und aufnahmebereit für den Nationalsozialismus und somit als eine seiner gesellschaftlichen Haupteinbruchsstellen erwies. Interdisziplinäre Forschungsansätze müssen sich aus den überkommenen, zu engen Forschungstraditionen (Theologie, Kirchengeschichte oder Geschichte von Institutionen) lösen mit dem Ziel, eine „Kulturgeschichte des Protestantismus“ zu erarbeiten. Dabei sind sowohl der Beitrag der Kirche zur Nazifizierung als auch der kirchliche Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufzugreifen, besonders aber die Frage, was denn die Kirche selbst nach 1945 getan oder unterlassen hat, ihre Geschichte kritisch und professionell aufzuarbeiten. Die Periode von 1870 bis 1970 - in ihrem Zentrum die Nazifizierung der Kirche - muss, so resümierte Manfred Gailus in die Thematik der Berliner Tagung einführend, als schwerste Identitätskrise des Protestantismus seit seinem Bestehen angesehen werden.

Auf diesem Hintergrund ist eine im Auftrag der Synode der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK) vom Nordelbischen Kirchenarchiv erarbeitete Ausstellung „Christen und Juden in Nordelbien 1933-1945“ kritisch zu betrachten, die seit Ende 2001 mit einem jeweils unterschiedlichen Beiprogramm in allen Teilen Nordelbiens gezeigt wird. Erst 1977 wurden die Landeskirchen Hamburg, Lübeck, Eutin, Holstein und Schleswig, ergänzt durch die Superintendantur Harburg der Hannoverschen Landeskirche, zur NEK zusammengeschlossen. Diese scheint also nunmehr entschlossen, die nationalsozialistische Geschichte ihrer Vorgängerkirchen aufzuarbeiten. Die interessierte Öffentlichkeit, insbesondere geschichtlich aufgeschlossene Jugendliche, sollen nach Absicht der Veranstalter erfahren, wie die Kirche ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Beitrag zum „Dritten Reich“ zu Beginn des 21.Jahrhunderts sieht und wie weit sie auf dem Stand der Forschung ist. Das Ergebnis der Besichtigung dieser Ausstellung ist jedoch enttäuschend: Die Veranstalter begeben sich der Chance einer „Historisierung“, indem sie ihre Exponate und sachlichen Hinweise chronologisch auf den Zeitraum von 1933 bis 1945 begrenzen. Der Besucher wird also nicht verstehen, warum das Desaster 1933 plötzlich über die Kirche hereinbrach, denn er wird ja darüber im Unklaren gelassen, dass die Irrwege, auf welche die Kirche jetzt geriet, lange vor 1933 ihren Anfang genommen hatten.

Ebenso fehlt eine chronologische Weiterführung von 1945 bis in unsere Zeit. Sie würde Hinweise darauf enthalten müssen, wie (defizitär) die Kirche nach dem Kriege mit dem Thema umgegangen ist, wie lasch und schonsam sie die „Entnazifizierung“ gehandhabt hat, wie uninteressiert sie sich gegenüber den Juden verhalten hat und welche kirchlichen Leitfiguren für diese Versäumnisse die Verantwortung tragen. Die Irrwege und Irrtümer, denen die Kirche verfallen ist waren (und sind?) ja mit dem Datum 1945 keineswegs beendet.

Unter den kirchlichen Leitfiguren verdienen die Hamburger Landesbischöfe der Periode von 1933-1945, Simon Schöffel und Franz Tügel, beide überzeugte Nationalsozialisten, aber auch ihre Nachfolger nach 1945 Theodor Knolle, Volkmar Herntrich und Karl Witte unsere besondere Aufmerksamkeit. Da die Ausstellung mit dem Jahre 1945 abbricht, erfahren wir über die drei Letztgenannten und ihre erfolgreichen Bemühungen, Belastete zu schonen und kritische Stimmen wie die des Kirchengeschichtlers Heinrich Wilhelmi zu unterdrücken, nichts. Immerhin werden aber wenigstens die beiden mit dem Nationalsozialismus verflochtenen Landesbischöfe vorgestellt: So wird über Tügel mitgeteilt, er habe als „DC-Pastor“ (für den Unkundigen bleibt unklar, was hier die Abkürzung DC für Deutsche Christen bedeutet) Simon Schöffel als Landesbischof abgelöst. Nicht gebracht wird der geradezu programmatische Satz Tügels am 5.3.1934 vor der Synode nach seiner Wahl: „Ich kenne nur einen Feind: Wer diesen Staat Adolf Hitlers nicht will. Mit solchen werde ich sehr kurz fertig. Das bin ich nicht nur meiner Kirche schuldig, sondern meinem Staat, meinem Volk und meinem wunderbaren Führer“. In einem Schreiben an den Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann (1900-1969) schrieb Tügel: „Ich gelobe Ihnen, als treuer Gefolgsmann unseres Führers, mein Amt im Sinne des Dritten Reiches zu verwalten“. Auch diese Aussage gehört in eine kritisch konzipierte Ausstellung. Die am 31.10.1941 von Pastor Heinrich Wilhelmi geübte Kritik an Tügels Verhalten zur Austreibung der Juden und den Umständen dieser Austreibung wird zwar gebracht, Tügels Antwort vom 28.11.1941 jedoch nur in einem Faltblatt zur Person an anderer Stelle: „Eine Verantwortung für die evangelischen Glieder der jüdischen Rasse habe ich nicht, denn die Getauften sind nur in ganz seltenen Fällen wirkliche Glieder der Gemeinde gewesen. Wenn sie heute mit in das Ghetto abwandern müssen, dann sollen sie dort Missionare werden. Nicht sie bedürfen der Seelsorge, sondern ihre unbekehrten Rassegenossen.“ Dieser Satz müsste aber als Ergänzung und Kontrast zur Kritik Wilhelmis in der Ausstellung selbst erscheinen, weil nur so die gegensätzlichen Positionen Wilhelmis und Tügels deutlich werden. Er würde den Ausstellungsbesuchern drastisch verdeutlichen, dass von 1934 bis 1945 ein notorischer, unbelehrbarer Antisemit die Hamburger Landeskirche leitete. - Die zum Verständnis der hamburgischen Kirche im Nationalsozialismus keineswegs unwichtige Person von Simon Schöffel, Vorgänger und Nachfolger Tügels im Amte des Landesbischofs, wird in der Ausstellung nicht eigens thematisiert, obwohl ja - wie gesagt wird - Tügel ihn als Bischof - wie die Ausstellung verharmlosend formuliert - „ablöste“. Der unkundige Besucher müsste erfahren, dass Schöffel im Mai 1933 der erste Hamburger Landesbischof wurde und in dieser Funktion das „Führerprinzip“ in der hamburgischen Kirche installierte; dass er darüber hinaus den Nationalsozialismus ausdrücklich begrüßt und sich mit dessen Blut-und-Boden-Ideologie identifiziert hat.

Nach seiner Wahl zum ersten lutherischen Landesbischof Hamburgs durch die Synode am 29.5.1933, also wenige Wochen nach der „Reichstags-brand-verordnung“, die die wesentlichen Grund-rechte der Weimarer Verfassung außer Kraft setzte, der Ver-kündi-gung des Er-mächti-gungsgesetzes und der „Gleich-schal-tung“ der Länder mit dem Reich, dem Boykott jüdischer Geschäf-te, der Verab-schiedung des „Ge-setzes zur Wiederher-stellung des Berufsbeamtentums“ und unmittelbar nach den öffentlichen Bücherverbrennungen bekundete Schöffel als Repräsentant einer protestantischen Landeskirche seine Freude über den nationalen „Auf-bruch“ und den „Weg zur Freiheit“, der mit der Machtübertragung an Hitler eröffnet worden sei. Der Ausstellungsbesucher wird in Unkenntnis gelassen über die reichskirchlichen Machenschaften Schöffels, mit denen er den Nationalsozialisten zuarbeitete, und ihm wird vorenthalten, dass der zweifach promovierte Kirchenhistoriker Simon Schöffel nach 1945 nicht einmal vor einer Geschichtsklitterung zurückschreckte, indem er das kirchliche Ermächtigungsgesetz von 1933, um seine eigene Position zu stärken, verfälschend auf das Folgejahr 1934, also in die Ära Tügel datierte. Der Ausstellungsbesucher sollte außerdem erfahren, dass Schöffel und sein von ihm stark protegierter Weggefährte Theodor Knolle, späterer Landesbischof, verhinderten, dass die Bekennt-nisgemein-schaft 1938 eine Solida-ritätserklä-rung für den Dahlemer Pfarrer Martin Niemöller heraus-gab, der als persön-licher Gefangener Adolf Hitlers im Kon-zentrationslager saß.

Die Forderung der Berliner Tagung, die Sozialisationsbedingungen der um 1890 geborenen kirchlichen Leitfiguren deutlich zu machen, wird durch die nordelbische Ausstellung nicht erfüllt. Statt einer im Grunde unkonzeptionellen und unprofessionellen chronologischen Aneinanderreihung von unkommentierten Fakten ohne Hintergrundinformationen wäre eine thematische Festlegung auf mehrere Schwerpunkte - einer von ihnen die Prägung durch Faktoren des Kaiserreichs - für die Besucher hilfreich gewesen. Den Angaben zur Vita Tügels - als Beispiel - fehlt die konzeptionelle Einbettung: Gezeigt wird auf einem Faltblatt ein Ausspruch von ihm, er sei bereits im Alter von sieben Jahren Antisemit gewesen und habe damals, dafür von einem Vater belobigt, einen gleichaltrigen „Nichtarier“ verprügelt - warum oder wieso? Hierüber wird nichts mitgeteilt.

Die für diese Ausstellung Verantwortlichen haben die Jahreszahlen ihres Ausstellungsmottos „Christen und Juden in Nordelbien 1933-1945“ allzu wörtlich genommen und sich zu wenig Gedanken über eine weiterführende, umfassende Konzeption gemacht, die auch den Hintergrund ausleuchtet und die sichtbar gemachten Linien bis in die Gegenwart verlängert. Anspruch und Umsetzung stehen also nicht im Einklang miteinander: Es fehlt eine nachvollziehbare Konzeption, den Anspruch, soweit er deutlich wird, umzusetzen. So erhält der „normale“, also geschichtlich und kirchengeschichtlich nicht eigens vorgebildete Besucher keine für ihn nützlichen Informationen, die Wege, die ihn veranlassen könnten, die Ausstellung ertragreich zu begehen, werden ihm nicht klar aufgezeigt. Angesichts der fehlenden Rücksichtnahme auf interessierte Besucher, die in diese spezielle Thematik erst einmal sachgerecht eingeführt werden müssten, und einer nicht erkennbaren didaktischen Leitidee wiegt es doppelt schwer, dass die Ausstellung von der Anzahl und Auswahl der Exponate her eher schlicht, wenn nicht gar armselig genannt werden muss. Der von der Synodalpräsidentin Elisabeth Lingner formulierte Anspruch, das Thema „Juden und Christen“ anschaulich und Empathie auslösend darzustellen und damit den Dialog zwischen den Generationen neu zu eröffnen, wird also nur halbherzig und ausgesprochen mittelmäßig eingelöst - am ehesten werden diesem Anspruch noch die neun als Begleitmaterial bereitgestellten Biographien gerecht. Im Gegensatz dazu ist z.B. das ausgelegte Fotoalbum der Pfadfinderschaft der Hamburger Paulus-Gemeinde nur für Besucher mit Vorkenntnissen interessant und weiterführend. Es fehlen hier jegliche Erläuterungen, z.B. über die Vereinnahmung der Jugendbewegung und der Jugendbünde durch den Nationalsozialismus. Auch wird lediglich die „männliche Seite“ dieser Vereinnahmung gezeigt. Es müßte begründet werden, warum dieses so ist und durch weitere geeignete Hinweise auf die Bevorzugung „männlicher Werte“ durch die Nationalsozialisten deren Menschenbild verdeutlicht werden.

Als nicht eingebunden in eine Gesamtkonzeption wirkt die Auswahl einzelner Personen zusammen mit der Präsentation der Jerusalem-Gemeinde. Ebenso wenig klar wird, warum eine Ausstellung zum Thema „Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933-1945“ die Zeichnungen Arthur Goldschmidts aus Theresienstadt einschließt; weil man sie gerade zur Verfügung hatte - oder aus - nicht erkennbaren - konzeptionellen Gründen? Nordelbische Christen, die von den Machthabern des sog. Dritten Reiches deportiert wurden, sind auch in anderen Lagern gequält und ermordet worden, andererseits kamen auch Menschen aus vielen anderen Regionen des nationalsozialistischen Machtbereichs nach Theresienstadt, darunter auch viele Tschechen.

Am Ende einer solchen Kritik erhebt sich die Frage nach den Gründen und tieferen Ursachen für die konstatierten Defizite: Die Nordelbische Kirche hat sich mit der Umsetzung ihres zu begrüßenden Synodalbeschlusses zweifellos übernommen. Sie hat eine 18 Monate währende Vorbereitungsperiode nicht genutzt, um in Kommunikation mit sachkundigen Menschen außerhalb einer historisch gewachsenen, von Verfilzung nicht freien administrativen kirchenamtlichen Monokultur eine überzeugende Konzeption zu erarbeiten, sie hat einen jungen, mit der Materie vorher nicht befassten Historiker mit der Umsetzung des Synodalbeschlusses beauftragt, der dieser Aufgabe allein nicht gewachsen war und sich gegenüber kritischer Unterstützung von außen abschirmte. Die Nordelbische Kirche ist allzufrüh allzu zufrieden mit sich und ihrer Leistung, die bei aller Anerkennung dafür, dass überhaupt etwas geschieht, nur zu einem halbherzigen, mittelmäßigen Resultat geführt hat. Ob es also gerechtfertigt ist, mit der Realisierung dieser nicht unproblematischen Ausstellung in optimistischer Formulierung von einer neuen Phase des Umgangs der Kirche mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu sprechen, lässt sich zur Zeit noch nicht begründet feststellen. Es ist leider auch nicht von der Hand zu weisen, dass dieses Projekt nur als Alibiveranstaltung dienen soll, um die Aufarbeitung der Geschichte der Kirche im 20.Jahrhundert mit einem möglichst geringen Aufwand und ohne einen dauerhaften schriftlichem Ertrag hinter sich zu bringen. - Die Ausstellung ist zur Zeit in verschiedenen Orten Schleswig-Holsteins zu sehen.

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