F. Biller: Kultische Zentren und Matronenverehrung

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Titel
Kultische Zentren und Matronenverehrung in der südlichen Germania inferior.


Autor(en)
Biller, Frank
Reihe
Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption 13
Erschienen
Rahden/Westf. 2010: Verlag Marie Leidorf
Anzahl Seiten
350 S., 27 Taf.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Reinard, Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Biller legt mit seiner Arbeit, eine im Jahr 2005 an der Universität Osnabrück eingereichte Dissertation, eine ausführliche Untersuchung des Matronenkultes in der südlichen Germania inferior vor. Das Leitthema der Studie stellen die kultischen Beziehungen zwischen Zentrum und Umland dar. Biller schöpft für seine Untersuchung alle verfügbaren Quellen aus, wobei er sowohl die epigraphischen Zeugnisse als auch die archäologischen Funde und Befunde umfassend auswertet. Diese werden dem Leser nach einer kurzen Einleitung (S. 13ff.) sowie knappen Bemerkungen zu Quellenlage (S. 21ff.) und Forschungsstand (S. 23ff.) in einem ausführlichen Katalog (S. 29–264) vorgestellt.

Biller gliedert die archäologischen und epigraphischen Zeugnisse nach ihrer geographischen Herkunft:1 Zunächst werden die vici von Nettersheim, Jülich und Zülpich, anschließend die Tempelbezirke von Nideggen-Abenden, Katzvey, Zingsheim, Nöthen/Pesch und Eschweiler-Fronhoven besprochen.2 Dabei ist der Katalogteil zu jedem Ort in fünf Unterkapitel strukturiert: „Befunde“, „Funde“, „Inschriften“, „Umgebung des vicus bzw. Tempelbezirks“ und „Auswertung der Funde und Befunde“; die „Funde“ werden zudem stets in „Kleinfunde“ und „Steindenkmäler ohne Inschrift“ unterteilt. Der Katalog an sich darf alleine bereits als Forschungsgewinn angesehen werden, da Biller teilweise unpublizierte Funde vorlegt (z.B. S. 102, 137, 168 u. 174), bisherige Fehldeutungen von Funden und Befunden sowie irrtümliche Lesungen von Inschriften richtigstellt (z.B. S. 32, 74 u. 160), aus eigenen Feldforschungen resultierende Neufunde anzeigt (S. 137) und ein nach 1963 offensichtlich verschollenes Inschriftenfragment bespricht, welches er im Jahr 2003 im Depot des in Nettersheim ansässigen Naturzentrums Eifel wiederentdeckte (S. 193). Ferner erörtert Biller mit großer Ausführlichkeit die archäologischen Befunde der jeweiligen Orte. Seine detaillierten Überlegungen zur Ausdehnung der vici und zum Straßennetz der untersuchten Region stellen einen weiteren Mehrwert der Arbeit dar: So zeigt Biller beispielsweise, dass der antike Name Marcomagus wohl nicht das heutige Marmagen, sondern mit begründeter Wahrscheinlichkeit eher das moderne Nettersheim bezeichnen dürfte (S. 50f.). Unverständlich ist hingegen, warum Biller relevante Inschriften, die in den jeweiligen Abschnitten zur Umgebung des vicus bzw. des Tempelbezirks erwähnt werden, nicht im Wortlaut als Katalogeintrag wiedergibt (so etwa auf S. 86 zu verschiedenen Inschriften aus der Umgebung von Jülich).

Sehr hilfreich für das Verständnis ist die Auswertung der Funde und Befunde am Ende der einzelnen Katalogkapitel. Biller trägt bereits hier eine Interpretation aller Quellenaussagen zu dem jeweiligen vicus oder Tempelbezirk vor. Für den vicus Iuliacum verdeutlicht er so, dass der dortige Kult vorrangig von den vicani und von Reisenden betrieben worden sei. Für die Bewohner der umliegenden Villen hingegen sei der Kultplatz nur von geringer Bedeutung gewesen, da sich nur vereinzelt Stiftungen an die „heimischen Matronen innerhalb der Siedlung“ (S. 94) finden ließen. Biller sieht in der hohen Konzentration der Kultplätze im Jülicher Land die Ursache dafür, dass die Landbevölkerung nicht innerhalb des Straßenvicus Stiftertätigkeit entwickelt habe. Diese jeweils streng auf die entsprechenden Orte beschränkten Interpretationen werden im „Auswertungsteil“ (S. 265ff.) hinsichtlich der Leitfrage der Arbeit ausgedeutet.

In diesem „Auswertungsteil“ thematisiert Biller zunächst den Beginn des Matronenkultes. Aufgrund der auf den inschriftlichen Denkmälern beruhenden Untersuchung Rügers wurde in der Forschung zumeist ein Beginn des Kultes in antoninischer Zeit angenommen.3 Diese Datierung revidiert Biller, der anhand archäologischer und numismatischer Befunde den Beginn des Kultbetriebs in Nettersheim, Nideggen-Abenden und Nöthen/Pesch in die zweite Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. setzt. Ferner korrigiert Biller mit sehr guten Argumenten die Datierung zweier Inschriften, die von Rüger in die Mitte des 2. Jahrhunderts eingeordnet werden und für dessen These maßgeblich sind: Nach Biller dürften diese eher in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts verfasst worden sein. Billers ausführliche Untersuchungen des Fundmaterials zur letzten Phase des Matronenkultes zeigen, dass „die Mehrzahl der Matronentempel auch nach dem Ende der Inschriftensetzung“ in der Mitte des 3. Jahrhunderts „weiterhin von Gläubigen aufgesucht und für kultische Zwecke genutzt wurde“ (S. 309).

Zum Ursprung des Matronenkultes vermutet Biller, dass dieser „in anikonischer Zeit als Baumkult“ existiert habe (S. 281). Seine Überlegung, die sich auf die häufigen Darstellungen von Bäumen und Ästen auf den Schmal- bzw. Rückseiten der Denkmäler sowie auf die in den Schriftquellen überlieferte große Bedeutung von Bäumen und Hainen in der germanischen Kultausübung stützt, ist inhaltlich sicherlich schlüssig. Ob aber den Baumdarstellungen auf den Nebenseiten, die vielleicht allgemein nur eine idyllisch-mythologische Landschaft in Szene setzen sollten, eine solch spezifische Bedeutung beigemessen werden kann, bleibt letztlich nicht frei von Zweifeln.

Das Kapitel „Zum Wesen und zur Praxis der Matronenkulte“ stellt einen gelungenen Versuch dar, die inhaltlichen Vorgänge des Kultes sowie das Wissen um die vorhandenen Realien vorzustellen. Da zum Matronenkult keinerlei literarische Quellen vorliegen, zieht Biller archäologische und epigraphische Zeugnisse heran, um sie „auf ihre Aussagekraft bezüglich ritueller Akte oder mythischer Glaubensvorstellungen hin zu überprüfen“ (S. 294). Die Quellenlage setzt allerdings einer detailgenauen inhaltlichen Rekonstruktion klare Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen vermag es Biller jedoch, alle nachweisbaren Informationen über den Matronenkult, wie etwa das Abhalten von Kultmahlen oder die Bedeutung der Muttergottheiten für die Furchtbarkeit der Natur, zu eruieren. Kritisch muss hingegen die Interpretation zweier bronzener Tüllen, die mit einer Muttergöttin verziert sind, gesehen werden. Biller meint, dass die beiden als Stabaufsatz zu deutenden Fundstücke „als Zepter gedient haben und von einem Priester während der Kulthandlung als liturgisches Zeichen getragen worden sind“ (S. 306; vgl. 309f.). Ist diese Deutung der Bronzetüllen bereits nicht ganz zweifelsfrei, so schießt Biller dann aber sicherlich über das Ziel hinaus, wenn er schreibt: „In jedem Fall dürften die beiden Matronenaufsätze aus Köln und Krefeld-Gellep als die ersten archäologischen Hinweise auf eine bislang nicht gefasste Priesterschaft innerhalb der Matronenkulte gelten“ (S. 307; vgl. 331). Die beiden Fundstücke können schwerlich als positiver Beleg für eine Matronenpriesterschaft geltend gemacht werden. Andererseits betont Biller, dass die nachweisliche Durchführung von Opfermahlen und Prozessionen die Präsenz eines religiösen Oberhauptes wahrscheinlich macht, das den ordnungsgemäßen Ablauf überwachte. Ferner stand es nicht jedem Mitglied der Kultgemeinschaft frei, das rituelle Schlachten von Opfertieren vorzunehmen. Somit wäre ex negativo die Existenz einer Priesterschaft als wahrscheinlich anzusehen. Jedoch muss die Frage erlaubt sein, ob diese Normen, die für andere antike Kulte bezeugt sind, auch für einen letztlich aus dem germanischen Kulturraum stammenden Kult vorausgesetzt werden dürfen. Die wahrscheinlichste – und zugegebenermaßen einfachste – Erklärung für das Fehlen epigraphischer Belege einer Matronenpriesterschaft ist sicherlich die, dass es eine solche nicht gab.

Durch die gründliche Untersuchung und Auswertung der Inschriften zeigt Biller, dass die Kultgemeinschaften ursprünglich auf homogene, unterhalb der Stammesebene rangierende Personenverbände zurückgehen, die im Laufe des 2. und 3. Jahrhunderts aufgebrochen und durch neue Mitglieder erweitert worden sind. Diese neuen Teilhaber an der Gemeinschaft galt es nun zu integrieren. Die Kulte waren „zunächst gentilizisch geprägt“, wurden dann jedoch „auf territorialer Ebene bereichsbildend und für die Gläubigen bereichsbindend“ (S. 331). Zudem muss mit einer „Polyzentralität“ des Matronenkultes gerechnet werden, „bei der die kultischen Mittelpunkte in erster Linie auf dem Lande und weniger in dörflichen oder gar städtischen Zentren beheimatet waren“ (S. 320). Ausgehend von der Peripherie „strahlten einige der Riten aufgrund von Dislokationen einzelner Anhänger reichsweit aus und erreichten u.a. die provinzialen Zentren Köln, Xanten und Bonn bzw. Subzentren wie Jülich und Zülpich“ (S. 320). Am Ende seiner Untersuchung gelangt Biller ferner zu dem überzeugenden Schluss, dass „das Territorium der civitas Ubiorum als ‚religiöse Partiallandschaft‘ innerhalb der Provinz Germania inferior betrachtet werden“ müsse (S. 333). Jedoch könne der Matronenkult, der einzelnen Personengruppen zugeordnet werden müsse, nicht als Provinzkult angesehen werden. Abgerundet wird die Arbeit durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie 21 Tafeln. Bedauerlich ist das Fehlen eines Registers.

Biller hat eine ausführliche Studie vorgelegt, die besonders durch eine verdienstvolle Aufarbeitung der archäologischen Funde und Befunde sowie die methodisch schwierige, aber gleichfalls sehr ergiebige Auswertung der Zeugnisse zu überzeugen vermag. Die vorgeführte Kombination von epigraphischen und archäologischen Quellen, der zweifellos eine umsichtige Materialauswertung vorausgegangen ist, ermöglicht einen detailfreudigen Blick in die religiöse Landschaft der südlichen Germania inferior und kann so als großer Forschungsgewinn angesehen werden.

Anmerkungen:
1 Bereits an anderer Stelle hat Biller eine kurze Untersuchung zum Matronenkult vorgelegt: Frank Biller, Eine fast vergessene Matronenweihung aus Bad Münstereifel, in: Archäologie im Rheinland (2001), S. 69–72.
2 Der Katalogteil zum Dianatempel von Katzvey bietet einen Vorbericht zu zwei Grabungen der Jahre 2000 und 2001 (S. 162, Anm. 836). An anderer Stelle hat Biller bereits erste Ergebnisse dieser Grabungen veröffentlicht: Frank Biller / Paul Wagner, Ein römischer Tempel an den Katzensteinen bei Katzvey?, in: Archäologie im Rheinland (2000), S. 82–85; Frank Biller, Die sogenannten Katzensteine bei Mechernich-Katzvey. Zeugnisse römischer Präsenz am Rand der Nordeifel, in: Wolfgang Spickermann (Hrsg.), Rom, Germanien und das Reich. Festschrift Rainer Wiegels, St. Katharinen 2005, S. 271–276; vgl. Wolfgang Spickermann, Germania inferior. Religionsgeschichte des römischen Germanien, Bd. 2, Tübingen 2008, S. 154, 241 u. 248.
3 Christoph Bernhard Rüger, Beobachtungen zu den epigraphischen Belegen der Muttergottheiten in den lateinischen Provinzen des Imperium Romanum, in: Gerhard Bauchhenss, Günter Neumann (Hrsg.), Matronen und verwandte Gottheiten, Köln u.a. 1987, S. 1–30.

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