Cover
Titel
Befohlene Freundschaft. Die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen 1934 – 1939


Autor(en)
Pryt, Karina
Reihe
Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Institut Warschau 22
Erschienen
Osnabrück 2010: fibre Verlag
Anzahl Seiten
517 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marion Brandt, Institut für deutsche Philologie, Universität Gdańsk

Bedenkt man, dass bis 1933 keine Regierung der Weimarer Republik bereit war, die Westgrenze der Zweiten Polnischen Republik zu akzeptieren, die deutsche Politik und die deutschen Medien in dieser Zeit durch einen antipolnischen Diskurs geprägt waren, fällt es nicht leicht, eine Erklärung für die überraschende Wende in der deutschen Polenpolitik zu finden, die das Jahr 1934 brachte. Welches Ziel verfolgten die Nationalsozialisten, als sie, nach einer kurzen Phase der Konfliktzuspitzung, am 26. Januar 1934 eine Nichtangriffserklärung mit Polen schlossen? Warum folgte am 24. Februar 1934 ein Abkommen mit dem Ziel, nicht nur die Presse, sondern auch die Literatur, den Rundfunk, den Film und das Theater auf die neue Verständigungspolitik auszurichten? War die neue Polenpolitik lediglich Demagogie, eine Beschwichtigungstaktik, die dem östlichen Nachbarn den Blick auf die deutschen Kriegsvorbereitungen verstellen sollte? Oder sollte Polen tatsächlich für eine Zusammenarbeit gewonnen werden, als „Juniorpartner“ gegen die Sowjetunion?

In ihrer Freiburger Dissertation versucht Karina Pryt diese Frage aus einer bislang kaum untersuchten Perspektive zu beantworten: anhand der kulturpolitischen Beziehungen zwischen Nazideutschland und Polen. Dabei ist sie angesichts der deutschen Selbstwahrnehmung Deutscher als Kulturträger im Osten mit dem Problem konfrontiert, ob es überhaupt eine veränderte Sicht auf Polen als eine Kulturnation geben konnte, ob eine Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet, wie im Presseabkommen fixiert, überhaupt möglich war.

Pryt untersucht detailliert die deutsch-polnischen Kontakte in den Bereichen Theater, Film und Ausstellungswesen sowie die Tätigkeit zwischenstaatlicher Institutionen wie des Deutsch-Polnischen Instituts (in Berlin ab 1935) und der Polnisch-Deutschen Gesellschaft (Warschau ab 1937). Dabei stützt sie sich vor allem auf Behördenberichte und -schriftwechsel, zu einem geringen Teil auch auf Publizistik und Erinnerungen. Zuweilen erscheint die fast ausschließliche Beschränkung auf amtliche Dokumente etwas eng, irritiert die direkte Übernahme der in ihnen vorgefundenen Einschätzungen.1 Zudem erwartet man wenigstens einen Hinweis auf ‚nichtstaatliche‘ Akteure im Kulturbereich und sei es auch nur auf solche, die (wie zum Beispiel der Schriftsteller Antoni Słonimski in den „Wiadomości literackie“) auf polnischer Seite die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten kritisierten. Ein Plus der Arbeit ist dagegen, dass die Strategien und Hindernisse der Zusammenarbeit wie auch die Beweggründe ihrer Akteure durchgehend im Wechsel aus deutscher und polnischer Perspektive gezeigt werden.

Für die deutsche Regierung war die propolnische Politik, so die Feststellung Pryts, „kein Ablenkungs- oder Täuschungsmanöver“ (S. 467). Hitler glaubte „wohl ernsthaft daran, [Polen], ähnlich wie Ungarn, Rumänien und Bulgarien, mit friedlichen Mitteln an Deutschland binden zu können“ (S. 146). Der deutsch-polnische Kulturaustausch hatte dabei insofern eine große Bedeutung, weil er Polen kulturell auf Deutschland ausrichten sollte. Er muss als Teil eines deutschen Kulturimperialismus angesehen werden, der mit der Kolonialrhetorik eines deutschen Führungsanspruchs im Osten begründet wurde und dem die Vorstellung von der kulturellen Überlegenheit Deutschlands über Polen zugrunde lag. In einer Einschätzung der deutschen Botschaft aus dem Jahr 1938 ist zu lesen, dass der „verhältnismäßig leere kulturelle Raum Polens […] für fremdes Kulturgut in großem Maße aufnahmefähig“ sei, und gerade die deutsche Kultur „durch die nachbarliche Nähe mehr als eine andere dazu bestimmt [sei], schließlich einmal die kulturelle Lücke Polens aufzufüllen“ (S. 158). Laut Pryt gingen die Mitarbeiter des Berliner Deutsch-Polnischen Instituts von 1935 davon aus, „dass das deutsche ‚Herrenvolk‘ sich kraft seiner ‚kulturellen Überlegenheit‘ und nach dem Prinzip der natürlichen Auslese als lebensfähiger erweisen und sich die ihm zustehende Vorherrschaft gegenüber den ‚schwächeren‘ Polen verschaffen werde“ (S. 230). Es handelte sich, mit anderen Worten, um den Versuch einer friedlichen Unterwerfung Polens.

Die Frage nach dem Gelingen einer solchen „Zusammenarbeit“ scheint demnach rein rhetorisch zu sein – obwohl durchaus polnische Kultur nach Deutschland vermittelt wurde und teilweise auf großes Interesse stieß: So die organisatorisch und propagandistisch gut vorbereitete Polnische Kunstschau, die im März 1935 unter Beisein Hitlers in der Preußischen Akademie der Künste Berlin eröffnet und danach in acht deutschen Städten (unter anderem in München, Dresden und Königsberg) gezeigt wurde, oder die reichsdeutsche Uraufführung der Nationaloper „Halka“ von Stanisław Moniuszko 1935 in Hamburg. Besonders erfolgreich waren die Tourneen berühmter polnischer Ballettensembles, auch der in Deutschland beliebte Tenor Jan Kiepura sowie die Schauspielerin Pola Negri stellten sich in den Dienst der neuen Kulturpolitik.

Die unerwartet initiierte deutsch-polnische Zusammenarbeit gestaltete sich jedoch von Anfang an schwierig, nicht nur weil die Einhaltung des Presseabkommens in der nicht gleichgeschalteten polnischen Presse anders als in der deutschen Presse fast unmöglich war. Dass Goebbels auf kritische Darstellungen über Deutschland in der polnischen Presse dann wieder mit der Inszenierung antipolnischer Hetze in deutschen Blättern reagierte, ist für Pryt nur ein Beispiel für die „Zweigleisigkeit“ der Politik gegenüber Polen (S. 218f.). Zu den die Zusammenarbeit behindernden Kompetenzstreitigkeiten (zum Beispiel im Bereich des Theaters zwischen Goebbels, Göring und den Reichsdramaturgen Rainer Schlösser) kam noch hinzu, dass nur wenige Ostforscher, Publizisten und Schriftsteller bereit waren, Hitlers neuer Strategie zu folgen; zu ihnen gehörten Kurt Lück, Hermann Rauschning (1933-34 Senatspräsident in Danzig), Achim von Arnim (Leiter des Deutsch-Polnischen Instituts) und der Publizist Friedrich Wilhelm von Oertzen. Auf lokaler Ebene, vor allem im Osten Deutschlands, wurden die neuen Direktiven oft ignoriert oder sogar sabotiert.

In der polnischen Regierung gab es gegensätzliche Reaktionen: Während Außenminister Józef Beck von der Aufrichtigkeit Hitlers überzeugt war, existierten vor allem im Innenministerium Vorbehalte gegenüber der neuen deutschen Ostpolitik. Von einigen Diplomaten, Künstlern und Intellektuellen wie zum Beispiel dem angesehenen Germanisten Zygmunt Łempicki, wurde der Kulturaustausch „als eine einmalige historische Chance für die Revision der Feindschaft“ angesehen, was laut Pryt „nur vor dem Hintergrund der früheren negativen Erfahrungen mit der Berliner Kulturpolitik zu verstehen“ sei. Angesichts der polenfeindlichen Politik des wilhelminischen Deutschlands und der Weimarer Republik wirkte die „Kooperationsbereitschaft der nationalsozialistischen Führung“ auf so manchen polnischen Akteur „geradezu bestechend“ (S. 469). Für einen großen Teil der Gesellschaft in Polen aber war sie von Beginn an unglaubwürdig. Nicht nur die sozialistischen, auch die nationaldemokratischen Blätter vertraten die „Ansicht, dass das Reich die Entspannung lediglich zu dem Zweck herbeiführe, die Wachsamkeit der Polen und der Weltöffentlichkeit zu schwächen und heimlich den Wiederaufbau der deutschen Streitkräfte zu vollziehen“ (S. 161). Pryt zeigt, wie die Vermittlung deutscher Kultur nach Polen in großen Teilen der Presse und in der Bevölkerung auf Hindernisse stieß, im Musik- und im Filmbereich sogar völlig scheiterte – die Rekonstruktionen dieser Ereignisse gehören zu den spannendsten Abschnitten ihres Buches.

Der Boykott deutscher Konzerte durch polnische Juden, die den größten Teil des Musikpublikums in polnischen Großstädten wie Warschau und Krakau ausmachten, führte dazu, dass die Nationalsozialisten seit 1936 auf Gastauftritte deutscher Musiker in Polen fast gänzlich verzichteten. Der passive Widerstand der jüdischen Konzertbesucher, die nicht nur deutscher Musik, sondern allen Veranstaltungen fernblieben, brachte die Warschauer Nationalphilharmonie 1934 in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten und das Musikleben in Warschau bis weit ins Jahr 1935 hinein beinahe zum Erliegen. Selbst ein subventioniertes Konzert mit Wilhelm Furtwängler im Januar 1936 konnte das Haus nicht füllen, das bei weniger bekannten deutschen Dirigenten mitunter völlig leer blieb. Auf einen entschiedenen und gut organisierten Boykott trafen auch deutsche Filme. Dafür sorgten die Kinobesitzer sowie auch die polnisch-jüdische Presse, deren Vorgehen von einem antinationalsozialistischen Komitee koordiniert wurde. Die deutsche Regierung musste schließlich das Scheitern ihres Vorhabens eingestehen, jüdische Künstler aus der polnischen Filmindustrie zu verdrängen und konnte eines ihrer wichtigsten kulturpolitischen Ziele, den Einfluss jüdischer Künstler in Polen zu bekämpfen, nicht realisieren (S. 158).

Insgesamt, so das Fazit von Pryt, scheiterten sowohl die Ziele der polnischen Regierung, „in Deutschland das Prestige Polens zu heben und für das Existenzrecht des Landes in den bestehenden Grenzen zu werben“ (S. 444), als auch das Vorhaben der Nationalsozialisten, „ihre Ideologie in die polnische Gesellschaft hineinzutragen“ (S. 452). Mit ihrer Rekonstruktion der Bedingungen, Motive und Erfolge bzw. Misserfolge des deutsch-polnischen Kulturaustauschs auf der Basis imponierend umfangreicher und genauer Recherchen erzählt Pryt erstmals einen bislang unterbelichteten Teil deutsch-polnischer Kulturgeschichte. Im Ergebnis formuliert sie gewiss nicht immer einfach zu akzeptierende, aber gut fundierte Wertungen. Es ist nur zu bedauern, dass sie – wohl durch den Verzicht auf die Untersuchung des literarischen Lebens – wichtige publizistische Werke nicht berücksichtigt hat wie die „Wochenchronik“ des bereits erwähnten Słonimski oder die Deutschlandreportagen Antoni Sobańskis. Auf deutscher Seite fehlen Friedrich Sieburgs Polenessay von 19342, das die deutsche Annäherung an Polen vorbereitete, oder das im selben Jahr erschienene Deutschlandbuch von Elga Kern3, die wie andere, sich bereits vor 1933 für eine deutsch-polnische Verständigung einsetzende Intellektuelle Illusionen an die neue Polenpolitik knüpfte.

Anmerkungen:
1 So auf S. 80: „Die Mehrzahl der deutschen Blätter berichtete hingegen, wenn überhaupt, nur negativ“ über die polnische Landesausstellung von 1929. Die Verfasserin gibt hier die Einschätzungen des Auswärtigen Amtes wieder, ohne dass dies aus dem Haupttext hervorgeht.
2 Friedrich Sieburg, Polen. Legende und Wirklichkeit, Frankfurt am Main 1934. Sieburg war im Herbst 1933 nach Polen gefahren und veröffentlichte Teile seines Buches ab November 1933 in der „Frankfurter Zeitung“.
3 Elga Kern, Niemcy wczorajsze i dzisiejsze (Deutschland gestern und heute), Warschau 1934.

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