T. Emberland u.a. (Hrsg.): Jakten på Germania

Titel
Jakten på Germania. Fra nordensvermeri til SS-arkeologi


Herausgeber
Emberland, Terje; Fure, Jorunn Sem
Erschienen
Anzahl Seiten
267 S.
Preis
NOK 298,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Hecker-Stampehl, Nordeuropa-Institut, Humboldt-Universität zu Berlin

Terje Emberland und Jorunn Sem Fure haben sich in der norwegischen Geschichtswissenschaft um die Aufarbeitung der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg – gerade auch, was die problematischen Aspekte, die „Flecken auf der weißen Weste“ betrifft – einen Namen gemacht. Der von ihnen herausgegebene Sammelband, der hier besprochen werden soll, geht auf eine Tagung zurück, die 2007 in Oslo stattfand und in deren Mittelpunkt das SS-Ahnenerbe und die damit verknüpften Vorstellungen von der Herkunft einer vermeintlichen nordisch-germanischen Rasse stehen. Die Beiträge sind sämtlich in norwegischer Sprache publiziert, wobei die Vorträge ursprünglich in deutscher, englischer und norwegischer Sprache gehalten wurden. Bereits hier soll positiv hervorgehoben werden, dass die Behandlung des Themas durch die Autorinnen und Autoren so transnational ausfällt wie ihre Herkunft aus verschiedenen Ländern und Forschungsmilieus es ist.

Der Band ist in zwei Sektionen unterteilt, wobei dem ersten unter der Überschrift „Drømmen om Germania“ [Der Traum von Germanien] die Aufgabe zukommt, nachzuzeichnen, wie die Vorstellung von einer nordischen Herkunft der Germanen (sprich der Deutschen) aufkam und sich in Wissenschaft und öffentlicher Meinung weiterentwickelte. Dieser Spur gehen die Beiträge von Stefan Arvidsson, Ingo Wiwjorra und Michael Irlenbusch-Reynard nach, die gewissermaßen gemeinsam die Genealogie des nordisch-germanischen Gedankens in der deutsch(sprachig)en Öffentlichkeit vom frühen 19. Jahrhundert bis hin zum Nationalsozialismus darstellen. Dabei geht es stärker um die großen Entwicklungslinien als um Detailanalysen, doch greifen die Autoren hier auf umfassende eigene und fremde Vorarbeiten zurück, so dass diese Texte auch die Funktion von Bestandsaufnahmen des Forschungsstandes haben. Hier kann deutlich gemacht werden, wie sehr die Vorstellungen von der mythenumwobenen Herkunft der nordisch-germanischen Rasse sich in einem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und kulturell interessierter Öffentlichkeit entwickelten. Was Historiker, Archäologen, Germanisten und frühe Nordisten an Theorien über die nordische Herkunft der Deutschen vorlegten, wurde von der deutschen Öffentlichkeit begierig aufgenommen. Die deutsche Suche nach den Wurzeln der nationalen Identität benötigte intellektuelles Futter, und die Wissenschaft lieferte es. So wurde der Ertrag der primär geisteswissenschaftlichen Forschung über den Norden in die öffentliche Debatte transferiert und Teil des deutschen kulturellen Kanons. Die Bücherschränke waren voller Sagaübersetzungen, Nachdichtungen nordischer Heldenerzählungen und mythischer Dichtungen deutscher Verfasser, die sich – dem damaligen Chic folgend – gerne skandinavisch klingende Pseudonyme gaben.

Wie sehr sich diese Ideen in die deutsche Vorstellungswelt einschrieben, ist das eine, dass Träume von einem großgermanischen Reich aber keineswegs nur in Deutschland geträumt wurden, sondern auch andernorts, zeigt etwa der Beitrag von Øystein Sørensen über den Pangermanismus in Norwegen 1850-1945. Hier zeigt sich, dass großgermanische Schwärmereien keineswegs ein isoliertes Phänomen der Anhänger von Vidkun Quisling und seiner Nasjonal Samling waren und sich nicht allein auf die Besatzungszeit 1940-1945 beschränkten. Zwar konnte der Pangermanismus nur in dieser Zeit politische Durchschlagskraft beweisen, aber als Geistesströmung kann Sørensen ihn für den norwegischen Fall bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Dieser Befund ist nicht nur aus norwegischer Sicht von Belang, sondern wirft auch neues Licht auf alternative Vorstellungen zur skandinavischen Einigungsidee, dem im 19. Jahrhundert primär in Schweden und Dänemark um sich greifenden Skandinavismus. Anhand der Äußerungen norwegischer Intellektueller über die Stammesverwandtschaft mit den Deutschen, die Sørensen zitiert, wird es möglich, diese Phase der Selbstfindung und Identitätskonstruktion im Norden Europas ganz neu zu verorten. Eines hatten die pangermanistischen Strömungen in Norwegen mit dem Skandinavismus indes gemeinsam: Das Paradox, dass eine transnationale Einigungsvision zur Stärkung nationalen Bewusstseins herhalten sollte.

Der zweite Teil, der auf dem im ersten Teil ausgebreiteten Kontext aufbaut, widmet sich dem „SS-Ahnenerbe und Skandinavien“. Hier werden in einer Reihe kleinteiliger Einzelstudien verschiedene Facetten der Arbeit der von Heinrich Himmler eingesetzten Forschungsstelle in Hinblick auf die nordisch-germanische Identitätssuche analysiert. Es geht also nicht darum, das Ahnenerbe in all seiner weit ausgreifenden Tätigkeit zu behandeln – man denke nur an die Forschungsreisen bis nach Tibet, wo hakenkreuzähnliche Symbole den Beweis für die zivilisationsbildende Kraft des Nationalsozialismus antreten mussten. Es geht um die Bedeutung des Ahnenerbes in Bezug auf einen seiner zentralen Gegenstände, nämlich den Norden Europas selbst. Der „nordische Gedanke“ sollte mit (pseudo-)wissenschaftlichen Methoden untermauert werden und die – von vornherein als Ergebnis feststehende – Erkenntnis vom Norden als Wiege der Germanen und Deutschen dem Nationalsozialismus sozusagen den Weg in die Herzen und Köpfe der Nordeuropäer ebnen.

Dabei stieß man immer wieder auf Missverständnisse und Ablehnung, wie Terje Emberland in seinem Beitrag über das idealisierte Bild Himmlers und weiterer führender NS-Repräsentanten von den Nordeuropäern, namentlich den Norwegern, zeigen kann. Die Erwartung, dass mithilfe des in Norwegen aus NS-Sicht am reinsten bewahrten „germanischen Erbguts“ das Projekt der „Aufnordung“ gelingen könne, war das eine, das andere war die Ansicht, hier der eigenen Herkunft am dichtesten auf der Spur zu sein. So wurde der Archäologe Herbert Jahnkuhn unmittelbar nach der Besetzung Norwegens im Auftrag Himmlers dorthin entsandt, um die wertvollsten Fundstätten zu erkunden. Diesem bis weit in die Nachkriegszeit tätigen und ganze Generationen von Archäologen prägenden Forscher ist ein Beitrag von Dirk Mahsarski gewidmet. Jahnkuhn stieg Ende der 1930er-Jahre zum führenden Ur- und Frühhistoriker für die SS auf und besetzte als Leiter der Ausgrabungsabteilung eine entscheidende Position im Ahnenerbe. Ihm schwebte gar eine Verschmelzung wissenschaftlicher und militärischer Vertreter in der Befehlsstruktur der Waffen-SS vor, um die archäologischen Vorhaben durch militärische und ideologische Absicherung umso stärker zu protegieren. Eine ähnliche biographische Fallstudie widmet Luitgard Löw dem Leiter des Ahnenerbes Herman Wirth und seinen Reisen nach Schweden und Norwegen, wo er im Auftrag Himmlers alte Steinritzungen untersuchte. Wirth ging dabei über die Auffassung seines Vorgesetzten hinaus und sah die Felszeichnungen nicht nur als Beleg der stolzen Vergangenheit der germanischen Rasse, sondern meinte hier auch, den Ursprung der Germanen in einer Art arktischem Atlantis auszumachen. In seinem Weg von der niederländischen Herkunft zum führenden Laienforscher im Umfeld der völkischen Bewegung in Deutschland zeigt er sich als schillernde Persönlichkeit. Dennoch – oder möglicherweise gerade deswegen – genoss er in der NS-Führungsschicht keine uneingeschränkte Sympathie. Von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg verachtet, gelang es ihm aber, zum Protegé Himmlers zu werden, und in gewisser Weise spiegelt sich hier der Konflikt zwischen Vertretern des „nordischen Gedankens“ wie Rosenberg und den Kreisen um die „Nordische Gesellschaft“ und denen, die man gewissermaßen als Vertreter des „germanischen Gedankens“ um Himmler und das SS-Ahnenerbe bezeichnen kann. Die zahlreichen Abdrücke, die Wirth auf seinen Skandinavienreisen von den Steinritzungen machte, wurden für Himmler ein streng gehüteter Schatz, der seinen esoterischen Visionen von einer wiederzuerweckenden altgermanischen Religion Nahrung gab. Dabei gilt es festzuhalten – worauf Heather Pringle in ihrem Beitrag hinweist –, dass Himmler trotz seiner anfangs vielleicht schwärmerisch anmutenden Begeisterung für die germanische Thematik die Arbeit des Ahnenerbes ebenso minutiös wie detailversessen leitete und plante wie seine rassistisch motivierte Umsiedlungs- und Vernichtungspolitik.

Malte Gasche geht in seinem Beitrag auf den Vertreter des SS-Ahnenerbes in Norwegen, den Geografieprofessor Hans Schwalm, ein. Im Fokus steht der „Germanische Wissenschaftseinsatz“, also der Versuch, durch öffentlichkeitswirksame, durchaus „populärwissenschaftliche“ Aktivitäten die Bevölkerung in den besetzten „germanischen Ländern“ für die Ideen des Ahnenerbes und die Vorstellung von einer großgermanischen Schicksalsgemeinschaft zu gewinnen. Auch hier zeigte sich, wie schwierig es war, nordeuropäische – in diesem Fall norwegische – Vertreter für eine gemeinsame „germanische Arbeit“ zu gewinnen. Obwohl es – wie Terje Emberland in einem zweiten Beitrag zeigt – mit dem „Ragnarök-Kreis“ eine Gruppe von norwegischen Aktivisten gab, die sich für ähnliche Ziele wie das Ahnenerbe einsetzte, stieß deren Tätigkeit nicht auf besondere Gegenliebe. Was zunächst wie eine höchst willkommene Bestrebung wirkte, die Ideen des SS-Ahnenerbes lokal in Norwegen in praktische Arbeit an der nordisch-germanischen Vision umzusetzen, wurde mit zunehmender Dauer immer mehr als politisch bedenklich empfunden. Die skandinavisch-norwegische Variante des Ahnenerbe-Gedankens, welche der Ragnarök-Kreis entwickelte, drohte die Vormachtstellung der SS, ja, des deutschen Nationalsozialismus insgesamt, in Frage zu stellen. Sowohl Emberland als auch Gasche weisen in ihren Studien die Auffassung von der SS und auch dem Ahnenerbe als monolithischen Institutionen mit in jeder Hinsicht einheitlicher Programmatik überzeugend zurück. Was in Bezug auf das politische System und die nationalsozialistische Herrschaft festgestellt worden ist, nämlich Ämterpolykratie, bewusst angestachelte Konkurrenzkämpfe und eine Vervielfachung von Zuständigkeiten, wird also auch bei der ideologischen Arbeit und der pseudowissenschaftlichen Arbeit des SS-Ahnenerbes deutlich.

Der Beitrag von Jorunn Sem Fure zu den Auswirkungen der Ahnenerbe-Tätigkeit auf die norwegische akademische Welt beschließt den Band und wirft nochmals einen Blick auf das Echo, welches die nordisch-germanischen Visionen der SS-Vertreter in Norwegen hervorriefen. Als sich die norwegische Wissenschaftswelt, speziell in den Bereichen, welche das Ahnenerbe interessierten, als nicht so kooperationswillig erwies wie erhofft, griff man zu brutalen Mitteln und verhaftete eine Reihe von Wissenschaftlern und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, darunter den Rektor der Osloer Universität, Didrik Arup Seip. Dessen Inhaftierung und spätere Überführung in das KZ Sachsenhausen wurden wegen dessen Prominenz und der internationalen Beachtung, die der Fall erregte, geradezu zu einem Fiasko für die deutsche Besatzungsmacht. Um das Blatt zu wenden, zwang man Seip nach seiner Freilassung 1942 dazu, in Deutschland wohnhaft zu werden und für das Ahnenerbe tätig zu sein. Die deutschen Stellen gingen davon aus, man könne Seip wie auch die 1943 bei der Schließung der Universität Oslo verhafteten Studenten zur ideologischen Bearbeitung nach Deutschland schicken, um durch intensive Indoktrination ihr „Rassebewusstsein zu wecken“. Wie gründlich dies misslang, zeigt Fure exemplarisch anhand des Falls Seip wie auch des Schicksals des Archäologen Anton W. Brøgger und legt beide Fälle als kontraproduktive Ausgangspunkte für das von Gasche und Emberland bereits thematisierte Scheitern des SS-Ahnenerbes und des „Germanischen Wissenschaftseinsatzes“ in Norwegen aus. Sicherlich gelang es den Nationalsozialisten, in Nordeuropa in der akademischen Welt zahlreiche Sympathisanten zu gewinnen. Doch stieß man viele Vertreter vor den Kopf und konnte mit den vielfach kruden und vereinfachten Vorstellungen von der nordisch-germanischen Vergangenheit nur wenige Sinnesverwandte auftun, die sich aktiv in den Dienst des Ahnenerbes stellen wollten. Innerhalb der Nasjonal Samling deutete man die Tätigkeit der SS-Wissenschaftler als ein Element einer selbst aus Quislings Sicht zu weit gehenden deutschen Dominanz in dem vorgestellten künftigen großgermanischen neuen Europa. Stattdessen – was nicht Gegenstand des Sammelbandes ist – verlegte man sich auf eigene, erfolglos gebliebene europapolitische Pläne.

Der Sammelband zeichnet sich durch eine starke inhaltliche Kohärenz aus, auch wenn selbstverständlich Lücken bleiben. Diese zu bemängeln, hieße aber, die Verdienste von Herausgeberin und Herausgeber sowie der Autorinnen und Autoren zu schmälern, die mit dieser Aufsatzsammlung wertvolle neue Impulse für die Forschung zur Ideologiegeschichte der nationalsozialistischen Bewegung, aber auch für deren Rezeption und Aneignung in Nordeuropa liefern. Der Band sollte trotz oder gerade wegen der Tragweite seiner Ergebnisse nicht als abschließende Zusammenfassung, sondern als Impuls für weitere Forschung verstanden werden. Eine Anregung für künftige Arbeiten könnte in einer stärkeren Kontextualisierung bzw. in komparativen Arbeiten im weiter ausgreifenden europäischen Rahmen liegen. Auch wäre es lohnenswert, deutlicher herauszuarbeiten, welchen Einfluss die Ahnenerbe-Tätigkeit darauf hatte, wie die Besatzungsmacht wahrgenommen wurde. Weiterhin wird nicht hinreichend klar, warum sich die NS-Ideologen mit ihrem Nordenbild im Norden so sehr die Zähne ausbissen. Hingewiesen sei hier nur in aller Kürze auf den mit den nationalsozialistischen Vorstellungen konkurrierenden Begriff des Nordens in Nordeuropa selbst.

Die Beiträge auf Norwegisch zu veröffentlichen, ist aus der Herausgeberperspektive zunächst verständlich, zugleich aber auch für die Rezeption der Ergebnisse etwa in Deutschland bedauerlich. Es ging sicherlich mit darum, eine in Norwegen selbst nicht oder allenfalls oberflächlich geführte Debatte anzustoßen und auf entsprechende Versäumnisse hinzuweisen. Gleichwohl sind die hier präsentierten Ergebnisse und Anstöße für die ideen- und ideologiegeschichtliche Erforschung des Nationalsozialismus wie auch seines kultur- und wissenschaftshistorischen Entstehungshintergrundes von größter Relevanz. Von daher bleibt zu hoffen, dass sie in der einen oder anderen Form auch für nicht des Norwegischen mächtige Forscherinnen und Forscher zugänglich gemacht werden. Hierbei könnten zudem gewisse editorische Mängel beseitigt werden.1

Anmerkung:
1 Es sei darauf hingewiesen, dass Michael Irlenbusch-Reynard, da in der redaktionellen Bearbeitung offensichtlich einige Fehler unterlaufen sind, über seine Homepage eine korrigierte und kommentierte Fassung seines Beitrags anbietet (<http://www.irlenbusch.de/>; 28.11.2011).

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