J. Szidat: Usurpator tanti nominis

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Titel
Usurpator tanti nominis. Kaiser und Usurpator in der Spätantike (337-476 n. Chr.)


Autor(en)
Szidat, Joachim
Reihe
Historia-Einzelschriften 210
Erschienen
Stuttgart 2010: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
458 S.
Preis
€ 76,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Historisches Institut, Universität Bern

Nisi fallor, usurpator bellum infert, imperator ius suum tuetur, so definiert Ambrosius den Unterschied zwischen Usurpator und Kaiser.1 Joachim Szidat, mit seinen Kommentaren zu Ammianus Marcellinus ausgewiesener Spezialist für die Spätantike2, befasst sich in diesem Werk mit den Usurpationen des 4. und 5. Jahrhunderts. Der zeitliche Fokus liegt auf der Epoche vom Tode Konstantins 337 bis zum Ende des weströmischen Kaisertums 476, die von einer „Mehrkaiserherrschaft auf vorwiegend dynastischer Grundlage“ (S. 19) geprägt war. Im Verlauf dieses Zeitraums entwickelten sich daraus zwei Herrschaftsbereiche, aus den kaiserlichen comitatus entstanden Verwaltungen; das Reich wurde jedoch weiterhin als Einheit betrachtet. Ein Usurpator war zwangsläufig mit mehreren Kaisern konfrontiert, die er herausfordern und mit denen er sich arrangieren musste.

In der Einleitung (S. 13–24) geht Szidat auf die Theorie der Usurpation ein, die er mit „Staatsstreich“ gleichsetzt. Ausgehend von einer kleinen Gruppe zielt dieser, im Gegensatz zu einer von breiteren Schichten getragenen Revolution, nicht zwingend auf eine Veränderung der politischen oder sozialen Ordnung. Szidat erklärt die Häufung von Usurpationen in der römischen Kaiserzeit aus der mangelnden Institutionalisierung des Kaisertums und dem Fehlen allgemein anerkannter Regeln für die Weitergabe der Herrschaft; dem entsprechend sind die legitime Kaisererhebung und die Usurpation in engem Zusammenhang zu betrachten. Szidats Untersuchung geht daher von der Frage aus, unter welchen Bedingungen die Erhebung zum Kaiser und die Ausrufung zum Usurpator möglich waren und wie man Anerkennung finden konnte. Mit der Fokussierung auf die „Einbettung in soziale Normen und Verhaltensmuster“ (S. 21) statt auf die in der älteren Forschung oft untersuchten staatsrechtlichen Aspekte steht Szidat letztlich in der Tradition von Flaigs Ansatz.3 Dabei nimmt er die Fallbeispiele als Ausgangspunkt, um Rückschlüsse auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu ziehen.

Zunächst stellt Szidat die Wahrnehmung des Staatsstreichs in der Spätantike dar (S. 25–42). Das Phänomen des Staatsstreichs wurde aus den Ambitionen der handelnden Individuen erklärt, institutionelle Gründe sahen die Autoren der antiken Quellen hingegen nicht. Der gescheiterte Usurpator wird in den Quellen häufig als tyrannus bezeichnet; der seltenere Terminus usurpator ist erstmals in valentinianischer Zeit nachgewiesen. Der erfolgreiche Usurpator wiederum wird in der antiken Wahrnehmung zum legitimen Herrscher, da er die Anerkennung der maßgeblichen Kreise oder des Mitherrschers erreicht hat.

Aufgrund der Nähe von Kaiser und Usurpator ist der Hauptteil der Untersuchung in zwei große Kapitel eingeteilt. Zunächst geht Szidat ausführlich auf das spätantike Kaisertum ein (S. 43–204). Für Szidat ist seit Beginn des Prinzipats die Heeresversammlung zentral für die Erhebung des Kaisers, dem der Senat anschließend die formale Legitimation durch Senatsbeschlüsse gab. Entscheidend war – gemäß Flaigs Akzeptanzmodell – die Anerkennung durch die Gruppen Armee, Senat und plebs urbana. Der Senatsbeschluss wurde im Verlauf des 3. Jahrhunderts unnötig, was zum einen mit dem Bedeutungsverlust des Zentrums Rom zu erklären ist, zum anderen aber auch dadurch bedingt war, dass die kaiserlichen Kompetenzen zunehmend als Einheit wahrgenommen wurden, die automatisch mit der Stellung des Princeps verbunden waren.

Ausführlich erörtert Szidat die Erhebung des Kaisers (S. 70–84); dabei misst er der Investitur entscheidende Bedeutung zu. Die Relevanz der Wahlversammlung hingegen werde oft überschätzt: Weder hatte sie eine Auswahl unter mehreren Kandidaten noch lehnte sie je einen ab. Insofern sei das beliebte Bild, dass das Heer den Kaiser mache, zu relativieren: „Nicht das Heer oder besser: die Wahlversammlung macht den Kaiser, sondern sie billigt den Anspruch des Kandidaten, der ihr vorgestellt wird, auf die kaiserliche Stellung“ (S. 77). Vorgeschlagen wurde der Kaiser von einem bereits regierenden Augustus oder – fehlte ein solcher – von Würdenträgern des Reichs. Der Senat hingegen spielte, im Gegensatz zum frühen Prinzipat, als Institution keine Rolle mehr. Die Rolle der Würdenträger wird an einer Reihe von Fallbeispielen aufgezeigt: aus dem 4. Jahrhundert erörtert Szidat die Anerkennung Iulians nach dem Tode Constantius’ II., die Erhebungen Iovians, Valentinians I. und II. und Theodosius’ I., aus dem 5. und 6. Jahrhundert im Osten die Erhebungen Marcians, Leos I., Anastasius’, Iustins I. und II. sowie im Westen Petronius’ Maximus und Iohannes’. Gerade im Falle von Valentinian I. wird deutlich, dass die Militärs gegenüber den zivilen Amtsträgern kein Übergewicht besaßen. Die Entstehung dieser „Führungsgruppe“ (ausführlich auf S. 102–152 besprochen) ist für Szidat eine Folge der Zentralisierung der Verwaltung durch Konstantin. Sie umfasste, in wechselnder Zusammensetzung, die höchsten zivilen wie militärischen Amtsinhaber im comitatus, die Heermeister, zum Teil auch ehemalige Amtsträger und die Augusta. Szidat geht dabei von einem gewissen Gegensatz zwischen den zivilen und den militärischen Beamten aus und betont, dass der Einfluss des Militärs, vor allem der Heermeister, in der Forschung oft überschätzt werde.

Schließlich untersucht Szidat, welche Personen für das Kaisertum in Frage kamen (S. 165–187). Dabei betont er das dynastische Prinzip, das mit Konstantin wieder Einzug hielt, grenzt dieses aber von der Erbmonarchie ab: „Es entstand jedoch keine Form der Erbmonarchie, denn eine solche hätte das Verbleiben der Familie auf dem Thron generell vorausgesetzt“ (S. 165). Nicht zuletzt die fehlende Institutionalisierung des Prinzipats stand der Entwicklung hin zu einer Erbmonarchie im Wege. Der Sohn oder andere Verwandte des Augustus waren auch keineswegs zwangsläufig Nachfolger, sondern mussten in der Regel bereits noch zu dessen Lebzeiten als Caesar oder Augustus zu Mitherrschern erhoben werden. Da das Prinzipat nie zu einer Institution wurde, kam der Sicherung der Herrschaft umso größere Bedeutung zu (S. 187–204). Entscheidend war dabei die Gewinnung der Loyalität der führenden Kreise, so der Mitglieder aus der Führungsgruppe, der Armee, der Kirche und der Bevölkerung in den Residenzen. Innerhalb der Führungsgruppe waren es vor allem die zivilen Amtsträger, die ein Interesse an einer Stabilität der Herrschaft hatten, da ihre eigene Macht und Stellung vom Princeps abhing, während das Militär und seine Führer naturgemäß über eine autonome Machtbasis verfügte.

Der zweite Hauptteil befasst sich mit dem Usurpator (S. 205–359). Hier formuliert Szidat zu Beginn die zentralen Thesen seiner Untersuchung: Durch die fehlende Institutionalisierung des Prinzipats bildete die Usurpation „einen festen Bestandteil des politischen Systems“ (S. 205); durch eine Usurpation wurden keine institutionellen Regeln verletzt, vielmehr vollzog der Usurpator denselben Vorgang, den bereits der amtierende Kaiser durchlaufen hatte. So unterscheiden sich bei Szidat Usurpator und Kaiser letztlich nur darin, „dass der Usurpator zu spät kommt. Der Thron ist schon vergeben“ (S. 206). Im Unterschied zu den Staatsstreichen der späten Republik strebte der Usurpator auch keine institutionellen Änderungen an.

Große Aufmerksamkeit widmet Szidat den Ursachen der Usurpationen (S. 224–232). Während die antiken Quellen besonders die Charaktere der Protagonisten – Kaiser wie Usurpatoren – für die Ereignisse verantwortlich machen, empfiehlt die Forschung eher den Blick auf die Interessen der maßgeblichen Kreise, die das Kaisertum stützten. Daneben spielten vor allem Sicherheitsinteressen eine zentrale Rolle: Nach 337 n.Chr. erstrebten Usurpatoren meist nicht die Herrschaft im gesamten Reich, sondern die Anerkennung als Kollege des amtierenden Augustus. Bei der geographischen Verteilung fällt auf, dass zahlreiche Usurpationen in Gallien und Britannien stattfanden. Wurde eine Region vom Kaiser diesbezüglich vernachlässigt, kam es häufig zu Usurpationen. Auch eine umstrittene Personalpolitik oder die Eintreibung von Steuern konnten Anlass zu Unruhen geben.

Vorgeschlagen werden konnte ein Usurpator von Mitgliedern der Führungsgruppe oder dem Senat, ebenso von den Augustae oder den Heermeistern. Ein Usurpator musste eine höhere zivile oder militärische Führungsposition haben und war häufig mit dem Kaiserhaus verwandt. Im Vergleich zum 3. Jahrhundert fällt auf, dass eine reine militärische Professionalität ohne einen entsprechenden sozialen Hintergrund in der Regel nicht mehr eine ausreichende Qualifikation darstellte. Anders als im Prinzipat konnten auch rein zivile Würdenträger usurpieren; ein militärisches Kommando war nicht Voraussetzung. Nach der Usurpation waren Legitimierung der Herrschaft und Sicherung eines Herrschaftsbereichs zentral. War ein Kaiser bereits im Amt, so wurde dessen Anerkennung häufig durch den Usurpator gegenüber der Bevölkerung vorgetäuscht: „Die Eintracht (concordia, concordes) mit dem Kollegen nicht vorzugeben bedeutete den öffentlichen Verzicht auf eine friedliche Übereinkunft mit ihm“ (S. 282). In dieses Bild passt, dass ein Usurpator den Schritt, einen Mitregenten zu erheben und so möglicherweise auf die Errichtung einer Dynastie hinzuarbeiten, möglichst lange hinauszögerte, da damit ein Arrangement mit dem amtierenden Kaiser massiv erschwert wurde, entstand doch so eine direkte Konkurrenz zur Herrscherfamilie.

Die sorgfältige und detaillierte vergleichende Auswertung der einzelnen Usurpationen liefert grundlegende Erkenntnisse über das Wesen und die Legitimation des spätantiken Kaisertums. Als zentralen Unterschied zum Prinzipat sieht Szidat dabei das Mehrkaisertum auf dynastischer Grundlage. Da nun ein Augustus vorhanden ist, der als auctor einem Kandidaten durch Anerkennung Legitimation verschaffen konnte, „bedeutet usurpieren nicht mehr notwendigerweise, an die Stelle des regierenden Kaisers zu treten, ihn aus seiner Stellung zu entfernen wie vom 1.-3. Jhd.“ (S. 372). Szidat legt eine umfangreiche und äußerst detaillierte Untersuchung des reichhaltigen Materials zu Kaisertum und Usurpation in der Spätantike vor, auf der die künftige Forschung aufbauen kann.4

Anmerkungen:
1 Ambr. epist. 30 (24),10.
2 Joachim Szidat, Historischer Kommentar zu Ammianus Marcellinus Buch XX–XXI, 3 Teile, Wiesbaden 1977–1996. Aus der umfangreichen Forschung Szidats zu spätantiken Usurpationen sei hier nur das gemeinsam mit François Paschoud organisierte Kolloquium erwähnt: François Paschoud / Joachim Szidat (Hrsg.), Usurpationen in der Spätantike, Stuttgart 1997.
3 Egon Flaig, Den Kaiser herausfordern, Frankfurt am Main 1992.
4 Ein kleiner Fehler findet sich auf S. 54, Anm. 160: Die Biographie von Septimius Severus (The African Emperor Septimius Severus, 2. Aufl., London 1988) verfasste nicht Eric Birley, sondern sein Sohn Anthony R. Birley.

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